Van der Bellen erneut für NATO-Krieg ohne UN-Mandat

Die Aufregung war groß, als es einige Grün-Mitglieder wagten, den
Grün-Bundessprecher Alexander van der Bellen für dessen Aussagen in einem
Falter-Interview im November 1998 öffentlich zu kritisieren. In diesem
Falter-Interview (44/98) hat sich Van der Bellen für NATO-Krieg auch ohne
UNO-Mandat, für Überflugsgenehmigungen für NATO-Flugzeuge und im übrigen für
ein "flexibles" Neutralitätskonzept ausgesprochen. Die Wogen gingen deshalb so
hoch, weil dieses Interview ja schon einige Monate her und unautorisiert
gewesen sei. Außerdem habe Van der Bellen seither einen pazifistischen
Läuterungsprozess durchlaufen. Doch siehe da: im aktuellen Format vom 21./22.
Mai 1999 wiederholt Van der Bellen die Ansicht, dass NATO-Krieg auch ohne
UN-Mandat vorstellbar ist:

"FORMAT: Sind Sie gegen den Nato-Einsatz am Balkan?

VAN DER BELLEN: Ja. Es geht nicht, dass die Nato sich selbst zum Weltpolizisten
dekretiert. Für solche Militärinterventionen ist ein UNO-Sicherheitsmandat
notwendig. Gleichzeitig muss man ganz klar sagen: Milosevics Politik ist als
verbrecherisch zu klassifizieren und trägt quasi-faschistische Züge.

FORMAT: Die Grünen sind also nicht mehr a priori dagegen, mit militärischer
Gewalt einen Genozid zu stoppen?

VAN DER BELLEN: Wenn es ein UNO-Mandat dafür gibt, ja.

FORMAT: Wenn aber der UNO-Sicherheitsrat zu keinem einstimmigen Beschluss
kommt, weil eine Großmacht ein Veto einlegt?

VAN DER BELLEN: Theoretisch kann man sich vorstellen, dass ein zweites
Auschwitz eintritt und der Sicherheitsrat blockiert ist. Was dann? Dann geht
die Verhinderung von Auschwitz vor. In einem solchen Fall wäre für mich eine
Nato-Intervention auch ohne UNO-Beschluss kein Problem. ..."
(Auszug aus: Format 21./22. 5. 1999)

In den Fußstapfen der deutschen Grünen

Die Argumentation wiederholt haarscharf die Entwicklung der deutschen Grünen in
Richtung Bellizismus. Auch dort wurde - angeführt von Fischer und Cohn-Bendit -
mit Hilfe des Auschwitz-Vergleichs - Schritt für Schritt der militärische
Interventionismus bei den Grünen hoffähig gemacht. Das Argumentationsmuster ist
simpel: die, die die wirtschaftlichen und militärischen Machtmittel haben,
haben auch die Definitionsmacht darüber, wo Genozid geschieht und wer daran
schuld ist. Dann braucht es keine völkerrechtlichen Rücksichts-nahmen mehr, um
eine ganze Gesellschaft in die Steinzeit zurückbombardieren zu können.

Völlig aus dem Blickfeld geraten die Ursachen, warum es an den Rändern der
Reichtumsfestungen zu jenen brutalen sozialen Verwerfungen kommt, die sich in
der Folge in ethnischem und nationalistischem Wahn entladen. Außer Betracht
bleibt, welche Rolle die Politik der Internationalen Währungsfonds bei der
Verarmung Jugoslawiens gespielt hat. Vernebelt wird, wie durch (v. a. deutsche)
Großmachtspolitik gezielte ethnische Konflikte geschürt werden, um durch
Sezession die eigene Hegemonie auszuweiten. Auschwitz war der entsetzliche
Höhepunkt des faschistischen Griffs zur Weltmacht. Wer unter Verweis auf
Auschwitz der militärischen Enthemmung von EUropäischer und US-amerikanischer
Großmachtspolitik das Wort zu redet, macht den Bock zum Gärtner. Es gehört zu
den wohl unfassbarsten ideologischen Entgleisungen unserer Zeit, dass
Deutschland mit dem Verweis auf Auschwitz wieder Angriffskriege führen kann.

Jede Argumentation, die die strategischen Interessen der Großmächte sowie die
sozialen Hintergründe von Nationalismus und Krieg ausblendet, landet letztlich
bei Huntingtons "Clash of Civilisation". Diese "Ethnisierung des Sozialen" -
der "Schurke" wird letztlich ethnisch dingfest gemacht und abgeurteilt - ist
auch für den grünen Bellizismus charakteristisch.

Ein "kritisches Ja"

Nach mehr als zwei Monaten NATO-Bombardements lassen sich - bei aller
Widersprüchlichkeit - folgende Konturen der Jugoslawienpolitik der
österreichischen Grünen ausmachen:

1. Ein "kritisches Ja" zum Kurs der deutschen Grünen und Joschka Fischers. Van
der Bellen hat ausdrücklich - und unwidersprochen - die Ergebnisse des
Bielefelder Parteitages, die die Beteiligung Deutschlands an der Fortsetzung
der NATO-Bombardements abgesichert haben, begrüßt. Die moralische Lauterkeit
der grünen Kriegsbefürworter darf nicht in Frage gestellt werden. Eine Trennung
von den Kriegsgrünen etwa auf der Ebene des Europ. Parlaments kommt nicht in
Frage (obwohl sich z. B. die SpitzenkandidatInnen der deutschen Grünen zum
Europ. Parlament für den Einsatz von Bodentruppen aussprechen).
2. In Österreich sind die Grünen gegen den Krieg, weil man als
Oppositionspartei in einem neutralen Land "keine Rücksicht auf die NATO nehmen
muss" (VdBellen). Dort wo Kriegsgegnerschaft unmittelbar konsequenzenlos
bleibt, betreibt man sie, dort wo sie ganz unmittelbar in das Geschehen
eingreifen könnte (wie in der BRD), hat man Verständnis, dass sie unterbleibt.
In Anlehnung an die deutschen Grünen wurde bislang in den Beschlüssen der
Bundespartei ebenfalls nur eine "befristete Feuerpause" gefordert, nicht jedoch
ein sofortiges, bedingungsloses und endgültiges Ende der Bombardements.
3. Vielleicht aber das bedenklichste: im Windschatten einer - zaghaften und
folgenlosen - Friedensrethorik, wird das grundsätzliche antimilitaristische
Selbstverständnis der Grünen demontiert und Krieg als Mittel der Politik
grundsätzlich akzeptiert:
· Militäreinsätze mit UNO-Mandat stehen bereits außerhalb der Diskussion (das
wurde bereits in einschlägigen Entschließungsanträgen, Pressemeldungen und
offenen Briefen dokumentiert, die bislang unwidersprochen blieben).
· Das UNO-Mandat soll für die Westmächte bequem abrufbar werden, indem das
Vetorecht im UN-Sicherheitsrat aufgehoben wird (Beschluss des Bundesvorstandes,
Entschließungsantrag)
· Solange das Vetorecht nicht gefallen ist, ist auch weiterhin NATO-Krieg ohne
Legitimation durch den UN-Sicherheitsrat denkbar. Die wiederholten
Stellungnahmen des Grünen Bundessprechers sind diesbezüglich eindeutig.

Die österreichischen Grünen haben sich damit - trotz verbaler
Kriegsgegnerschaft - weiter in Richtung Bellizismus bewegt, als das die
deutschen Grünen in ihrer Oppositionszeit je getan haben. Denn die deutschen
Grünen haben, bevor sie in die Regierung gegangen sind, mehrheitlich sogar
UN-Einsätze zur "Friedenserzwingung" abgelehnt.

Gerald Oberansmayr