taz-Ruhr 28, v. 15.04.1999
Kriegspropaganda: Das "Feindbild Hitler" in der Eskalations- Strategie
Interview mit Prof. Jürgen Link
Ist Milosevic ein neuer Hitler?
Bevor man eine solche Aussage trifft, muß man sich zunächst fragen,
warum dieser Vergleich gezogen wird. Hitler war der
absolute Extremfall, an dem demonstriert wird, daß Fälle existieren,
in denen es keine andere Wahl als die bewaffnete
Gegengewalt und auch den Krieg gibt. Dem würden im Falle Hitlers die meisten
zustimmen.
Heute versucht man, durch die Gleichsetzung Milosevics mit Hitler, die Eskalationsstrategie der NATO zu rechtfertigen. Man muß jedoch differenzieren. Zunächst stellt sich die psychologische Frage, ob der Mensch Milosevic wie der Mensch Hitler ist? Dazu gibt es alle möglichen Spekulationen. Ich frage mich allerdings, was eine solche Debatte in einer so ernsten Situation soll. Sie spielt im Kosovo-Konflikt überhaupt keine Rolle. Es gibt viele Personen, die von ihrem Charakter her ähnlich wie Hitler veranlagt sind. Vielmehr ist bei dem Vergleich etwas ganz anders entscheidend, nämlich der Vergleich der Macht- und Kriegsmaschinerie. Hitler hatte damals die stärkste Militärwaffe der Welt. Es bestand also eine ernsthafte Gefahr, daß Hitler die Welt hätte erobern können. Meines Erachtens kann man aber die serbische Kriegsmaschinerie nicht mit der damaligen Wehrmacht gleichsetzen. Diese Vergleiche werden lediglich herangezogen, um die Eskalationsstrategie zu rechtfertigen. Darunter leiden dann aber die Einschätzungen der konkreten Gefahr und der Lage der Flüchtlinge und die daraus resultierenden Handlungsansätze.
In den Medien werden die Vertreibungen der Kosovo-Albaner häufig mit
den Deportationen der Juden gleichgesetzt Ein zulässiger Vergleich?
Leider Gottes gab es mehr als diese zwei Deportationen in diesem Jahrhundert.
Die Schwierigkeit bei diesen Vergleichen ist die, daß der Eindruck erweckt
werden soll, jeder, der für Differenzierungen selbst bei diesen Untaten
eintritt, will irgend etwas rechtfertigen.
Dies ist jedoch eine zynische Unterstellung. Denn wenn es um so ernste Dinge
wie Vertreibung und Krieg geht, muß man
differenzieren. Mir ist an den Vertreibungen im Kosovo aufgefallen, daß
die Logik dieser Untaten sich von den Judendeportationen unterscheidet. Es geht
in Serbien um eine Logik der Guerillabekämpfung. Erst wenn man das versteht,
kann man begreifen, was im Kosovo geschieht Die Guerillatheorie fußt auf
dem maoistischen Grundsatz »Der Partisan muß im Volk schwimmen,
wie der Fisch im Wasser.« Die USA haben in Vietnam eine Gegenstrategie
entwickelt. Man muß den Guerilleros ihr Umfeld nehmen, sie isolieren,
um sie dann zu zerschlagen. Diese Taktik wurde von den USA in Vietnam mit äußerster
Brutalität durchgeführt. Man deportierte die Bevölkerung damals
nicht in KZs sondern in sogenannte Dörfer des glücklichen Lebens.
Nach der gleichen Logik der Vertreibung handelt auch das türkische Militär,
Mitglied der NATO-Allianz gegen Serbien, in den Kurdengebieten. Und diese gleiche
Taktik wird jetzt von Milosevic gegen die UCK angewandt.
Was soll mit der Strategie der Bundesregierung, die ja massiv mit Vergleichen
zur Nazizeit arbeitet, bezweckt werden?
Wir haben es mit einem Eskalationskrieg zu tun. Wir sollten über die nächsten
Eskalationsschritte informiert werden, aber statt dessen bemüht sich Außenminister
Fischer um Akzeptanz für den jeweils aktuellen Eskalationsschritt. Und
das mit den altbekannten und billigen Waffen der Kriegspropaganda. Zu deren
wichtigsten die plumpe Reduzierung auf eine nur zweistellige Alternative gehört.
Man sagt, wer nicht für Milosevic ist, muß für die Tornados
sein; und wer nicht für die Tornados ist, ist für Milosevic. Das ist
ein Niveau, daß selbst den Intellekt von i-Männchen unterläuft.
So hat Kanzler Schröder ja im Bundestag gesagt, daß es zu den Luftangriffen
keine Alternative gegeben hätte. Aber selbstverständlich gab es die.
Ich nenne eine: Warum sollte ausgerechnet die NATO den Kosovo besetzen. Dies
hätte auch über die OSZE auf Basis der schon anwesenden Beobachter
geschehen können, die ja schon einen gewissen Schutz für die Bevölkerung
darstellten. Außerdem hätten Blauhelme auf Basis nicht der Großmächte,
sondern der Balkanstaaten eingesetzt werden können. Aber diese Alternativen
wurden gar nicht diskutiert.
Im Historikerstreit vor einigen Jahren haben kritische Intellektuelle entschieden
gegen eine Gleichsetzung von Stalin mit Hitler protestiert. Heute bleibt der
Protest aus, wenn die Milosevic-Regierung mit dem Nazi-Regime verglichen wird.
Warum?
Der Historikerstreit fand in einer friedlichen Situation in diesem Lande statt
und entwickelte sich über einen langen Zeitraum. Aber im Augenblick sind
wir zum ersten Mal seit 1945 und zum dritten Mal in diesem Jahrhundert im Krieg.
Wir sind also in einer völlig hektischen Situation und die Regierung tut
leider alles, um das Nachdenken der Bevölkerungsmehrheit zu verhindern.
Das ist das berühmte Vietnam-Syndrom. Wenn eine Bevölkerung erst einmal
beginnt über einen Krieg nachzudenken, was seine Zeit braucht, dann ist
das ein Hindernis für den Sieg. Deswegen wird versucht, das Nachdenken
durch extreme Gegenüberstellungen, wie Milosevic ist gleich Hitler und
Stalin, zu verhindern.
Jürgen Link, 59, ist Professor für deutsche Literaturwissenschaft
und Diskurstheorie an der Universität Dortmund.
Interviewer: David Schraven
taz-Ruhr 28, v. 15.04.1999