Anläßlich der
Demonstration "Nein zu Bomben, Krieg und Vertreibung! Frieden jetzt!"
am Samstag, den 17. April 1999 in Freiburg
erklärt Wilfried Telkämper (MdEP):
"Der Krieg in Jugoslawien ist ein Versagen der Politik"!
Die Forderung der Stunde lautet: Einstellung aller Kampfhandlungen, Rückkehr
an den Verhandlungstisch, Einbeziehung Rußlands und neutraler Länder,
Anerkennung der völkerrechtlichen Oberhoheit der Vereinten Nationen, europäisch
koordinierte Hilfsmaßnahmen für die Flüchtlinge, Opfer und Deserteure
sowie Angebot einer europäischen Perspektive
einschließlich eines künftigen EU-Beitritts für die gesamte
Region bei Verwirklichung eines dauerhaften Friedens.
Acht Gründe für die Verurteilung des NATO-Krieges in Jugoslawien
Der militärische Angriff der NATO auf Jugoslawien ist:
1. Zutiefst kontraproduktiv für die Beendigung von Unterdrückung
und Vertreibung im Kosovo und einer politischen Konfliktlösung.
Die NATO-Luftsschläge und der Abzug ziviler Beobachter ermöglichten es dem serbischen Regime, die Vertreibungen aus dem Kosovo noch schneller und noch brutaler voranzutreiben. Gleichzeitig wurde die schwache serbische Opposition ausgeschaltet und die völkisch nationalen Kräfte in Serbien aber auch die UCK im Kosovo gestärkt. Fazit: Milosevic ist gestärkt. Die zusätzliche Destabilisierung der gesamten Region hat eine neue Qualität erreicht.
2. Ein vorsätzlicher Bruch des Völkerrechts und des NATO-Vertrags
Die Legitimation von friedenschaffenden Einsätzen obliegt der UNO. In
der Präambel ihrer Gründungsverträge hat sich die NATO an die
UNO-Charta gebunden. Die Veto-Karte gegen Saktionsmaßnahmen im UNO-Sicherheitsrat
wurde in den letzten Jahren gerade von den USA gespielt. Daraus hat aber kein
Beteiligter an internationalen Konflikten das Recht auf einen Angriffskrieg
abgeleitet. Zudem verbietet das Grundgesetz die Führung eines Angriffskriegs.
Daher das Gerede von den
Luftoperationen' und begrenzten Schlägen'. Der Bundeskanzler behauptete
in den ersten Tagen, dies sei kein Krieg. Diese Art von Argumentation gehört
in die Kategorie der orwellschen Sprachverwirrung.
3. Ein Gewaltakt ohne politische Perspektive
Das Einlassen auf die militärische Logik zunächst als Drohkulisse und dann in Form eines realen Krieges ohne politische Lösungsszenarien für die serbische Seite ist rechtlich wie politisch unsinnig. Politisch erfahrene Krisenmanager wie Egon Bahr entdecken in den Verhandlungsrunden und im Vertrag von Rambouillet schwere handwerkliche diplomatische Fehler.
4. Ein politischer Mißbrauch der Menschenrechtsverletzungen im Kosovo
Mit der Instrumentalisierung des Kosovo-Konfliktes soll die Neukonstruktion der NATO - als von der UNO abgelöste globale Ordnungsmacht - aus eigenem Recht verwirklicht werden. Da es für die neue NATO-Doktrin in Europa keine Mehrheiten gibt, muß ein Präzedenzfall her. Die Unterwerfung der NATO unter das Völkerrecht ist aufgekündigt worden. Das Gerede von der Singularität des Einsatzes ist oberflächlich. Sollte der Krieg politisch weiter durchgesetzt und militärisch gewonnen werden, entsteht ein (moralischer) Handlungszwang im Hinblick auf andere Regime, die massive Menschenrechtsverletzungen verüben. Die NATO, ein Militärbündnis mit spezifischen Interessen,wäre dann eine Art Weltpolizei.
5. Ein Akt der Doppelmoral
Angesichts der schweren Repressionen der Türkei - eines NATO-Mitglieds
- das gegen die kurdische Bevölkerung den Krieg erklärt hat, messen
die NATO-Staaten mit zweierlei Maß. Die Verbrechen wie sie das Regime
aus Belgrad verübt, könnten auch der türkischen Regierung angelastet
werden. Die Frage, ob ein Krieg aus humanitären Gründen unvermeidbar
ist, obliegt
der UNO. Diese Entscheidung kann jedenfalls nicht in das Belieben eines Militärpaktes
gestellt werden, der selber nicht willens ist, dauernde Verbrechen gegen die
Menschenrechte in einem eigenen Mitgliedsland zu unterbinden.
6. Ein Offenbarungseid der Flüchtlingspolitik
Bis zwei Tage vor der Bombardierung wurden Kosovo-AlbanerInnnen aus Deutschland
abgeschoben. Die Grundlagen der Begründungen der Gerichte kommen in aller
Regel aus dem Auswärtigen Amt. Formelhaft wurde bis Ende März vorgetragen,
daß die Bedrohung im Kosovo gar nicht so groß sei. Heute spricht
man von faschistischen Verhältnissen. Im Gegensatz
zur militärischen Vorbereitung war die Logistik der humanitären Hilfe
in keiner Weise vorbereitet, obwohl die grausame Entwicklung sich abzeichnete
und vorhersehbar war. Auch das übliche Gefeilsche um Aufnahmequoten hielt
und hält an. Der Gipfel der Heuchelei: ein bayrischer Staatssekretär
empfängt medienwirksam die ersten Flüchtlinge am Flughafen in
Nürnberg und spricht von der Selbstverständlichkeit der Hilfe. Wenige
Tage vorher wurden ihre Landsleute noch abgeschoben.
Auch dürfen die Flüchtlinge nicht in deutschen Familien untergebracht werden. Dies muß aus humanitären Gründen sofort ermöglicht werden.
7. Eine Möglichkeit, deutsche Geschichte ideologisch zu entsorgen
Der wiederholte Vergleich mit dem deutschen Faschismus ist gefährlich und unsinnig. Die industrielle Massenvernichtung des deutschen Faschismus hat eine einzigartige Qualität in diesem Jahrhundert. Überlebende aus den KZ's haben sich eindeutig gegen diese Instrumentalisierung ausgesprochen.
8. Eine Stärkung der sogenannten Verteidigungsidentität Europas
Schon in den letzten Jahren ist eine schleichende Militarisierung Europas -
die die Grünen im EP immer bekämpft haben - zu beobachten. Über
die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), droht sich eine militärische
Säule im europäischen Institutionengefüge zu etablieren. In der
sogenannten Petersberger-Erklärung werden die Aufträge aufgeführt,
die die
Mitgliedstaaten der WEU in Zukunft wahrzunehmen haben: humanitäre Aufträge
oder Evakuierung von Einwohnern, Aufträge der Friedenserhaltung und Streitkräfte
zur Steuerung von Krisen, einschließlich Operationen zur Wiederherstellung
des Friedens. Im Kosovo könnten solche Operationen getestet werden. Der
Einsatz von Bodentruppen ist inzwischen ein mögliches Szenario.
Das hat meine Partei Bündnis90/Die Grünen nicht gemeint, als wir in den letzten Jahren Konzepte einer internationalen Strukturpolitik entwickelt und Gewaltprävention sowie konstruktive Konfliktbearbeitung in den Vordergrund gestellt haben.
Wilfried Telkämper (MdEP)
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Christine Parsdorfer, Georg Lutz, Gerhard Rieger, Ellen Koppitsch
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