Einige Anmerkungen zur (grünen) Diskussion um den NATO-Krieg auf dem Balkan
Berufenere und bei weiterem kenntnisreichere Leute als ich liefern in diesen
Wochen eine Fülle an sachlichen Argumenten, Belegen und Beweisen dafür,
warum der NATO-Krieg sofort beendet werden muß, warum er nie hatte begonnen
werden dürfen. Alle diese Argumente will ich hier nicht wiederholen. Stattdessen
konzentriere ich mich auf einige Auffälligkeiten
(nicht nur) der innergrünen Debatte.
1. Pazifismus vs. Menschenrechte?
Die BefürworterInnen des NATO-Kriegs und der deutschen Kriegsbeteiligung
begründen ihre Haltung vielfach damit, da? sie sich im Wertekonflikt zwischen
militärischem Gewaltverzicht und der Verteidigung der Menschenrechte der
kosovo-albanischen Bevölkerung letzterem den Vorrang einräumen. Zur
Zurückweisung der dabei oft bemühten Vergleiche des
Milosevic-Regimes mit dem deutschen Faschismus ("Nie wieder Auschwitz!"/J.
Fischer) haben sich bereits andere geäußert (Verharmlosung der Nazi-Verbrechen).
Was mich hier beschäftigt, ist der für Grüne verblüffende
Verzicht auf eine kritische Differenzierung zwischen der NATO-Kriegspropaganda
und den tatsächlichen Motiven dafür, die NATO-Kriegsmaschinerie in
Gang zu setzen.
Auch wenn es sein mag, da? manche Grüne tatsächlich bereit waren,
einen "selbstlosen" Krieg für Menschenrechte zu fuhren und daß
unselige Paradigma des "gerechten Krieges" für sich wiederentdeckten,
kann nicht übersehen werden, da? die NATO weit davon entfernt ist, eine
grün-nahe Menschenrechtsorganisation zu sein. Da? die Entscheidung der
führenden NATO-Staaten einschließlich Deutschlands - anders als in
vielen vergleichbaren Fallen grauenhafter staatlicher Verbrechen bis hin zu
volkermordähnlichen Entwicklungen - im Fall Kosovo für den Krieg fiel,
hat mit den Interessen der kosovo-albanischen Bevölkerung nicht das Geringste
zu tun. Aufgrund aller historischer Erfahrung muß dies bereits dann zwingend
als Tatsache angenommen werden, selbst wenn die Analysen der tatsächlichen
Kriegsziele der NATO-Staaten noch nicht abgeschlossen sind.
Nicht nur wissen wir seit Clausewitz, da? der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist. Ebenso ist die Außenpolitik immer die Fortsetzung der Innenpolitik, d.h. sie steht stets im Dienste der Beförderung von konkreten Interessen gesellschaftlich dominierender Gruppen.
Alle Kriege wurden und werden im Namen hehrer Werte geführt (oder solcher,
die in der Öffentlichkeit des jeweiligen kriegführenden Staates dafür
gehalten werden). In Wirklichkeit verfolgten alle Kriege sehr handfeste materielle
und/oder machtpolitische Ziele im Interesse der okonomisch-politischen Eliten.
Beim Golfkrieg war den Grünen immerhin noch klar, daß
das tatsächliche Kriegsziel keineswegs in der "Wiederherstellung der
staatlichen Souveränität Kuwaits" lag, sondern in der Sicherung
der Kontrolle über die Ölreserven und der geostrategischen Position
der Westens in der Region: "Kein Blut für Öl!"
Die materielle und geostrategische Interessenbindung gilt uneingeschränkt
auch für die Westalliierten des Zweiten Weltkriegs. Die Befreiung Deutschlands
vom Faschismus war auch damals nicht treibendes Motiv und Ziel, sondern "nur"
Ergebnis. Zuvor - solange das Hilter-Regime den britischen und US-amerikanischen
Interessen nicht ernsthaft bedrohlich erschien - tolerierte man es und kooperierte
mit ihm.Selbst wenn mensch an die Option einer staatskriegerischen Durchsetzung
von
Menschenrechten für eine grundsätzlich mögliche oder notwendige
halten wollte, bliebe gleichwohl klar, da? staatliche Kriegsmaschinerien und
ihre Militärbündnisse aufgrund der sie maßgeblich steuernden
Interessen dafür keine Instrumente sein können. Die gegenteilige Annahme,
wie sie von grünen BellizistInnen derzeit massiv suggeriert wird, bewegt
sich unbegründbar
fernab von jeglicher Realität.
Die Debatte "Pazifismus vs. Menschenrechte" ist daher ein erneuter Fall politischer Scheindiskussionen um Scheinprobleme und Scheinlosungen. Sie blockiert das Nachdenken über die tatsächlichen Triebkräfte des NATO-Kriegs und fugt sich damit in die herrschende Kriegspropaganda ein. Ihre ProtagonistInnen müssen sich fragen lassen, ob sie sich nicht einer argumentativen "Naivität" weit unter ihrem intellektuellen Niveau schuldig machen, die massive antiaufklärerische Wirkungen zeitigt.
2. Die Gretchenfrage nach der Alternative zum Krieg
Wer gegen den NATO-Krieg auftritt, handelt sich sofort die Frage nach der Alternative
zur Sicherung der Menschenrechte im Kosovo ein. Verlangt wird damit meist ein
kurzfristig wirksames Rezept zur nicht-militarischen Beendigung der großserbischen
Vertreibungspolitik und zur Zivilisierung des restjugoslawischen Staates. Hinweise
darauf, was in der Vergangenheit möglich gewesen wäre, gelten nichts.
Dieses Diskussionsmuster suggeriert, da? die Beendigung des NATO-Krieges allein
keine Alternative sei. Der Stopp des NATO-Krieges wird vielmehr an die Bedingung
einer dritten Option (neben weiterbomben und aufhören) geknüpft.Tatsächlich
ist die sofortige Beendigung des NATO-Krieges die reale unmittelbare Alternative.
Die in der Fragestellung nach der Alternative zum Krieg enthaltene Unterstellung,
der Krieg sei eine - vielleicht problematische, vielleicht widersprüchliche,
aber letztlich doch - Antwort auf die Frage nach der Sicherung der Menschenrechte
im Kosovo, ist in
Wirklichkeit nicht nur wegen der obigen Überlegungen unsinnig. Die Lage
in der Region und konkret für die kosovo-albanische Bevölkerung hat
sich seit Kriegsbeginn dramatisch (!) verschlechtert. Eine praktikable Lösungsperspektive
für die Probleme in der Region ist in weitere Ferne denn je geruckt. Der
NATO-Krieg ist das größte Hindernis, das es derzeit für einen
produktiven Entwicklungsprozeß auf dem Balkan gibt. Die Zerstörungen
jedes Bombardements vergrößern die Hypotheken für die Herbeiführung
einer friedlichen und zivilen Entwicklung. Der Krieg ist nicht der Ansatz einer
Perspektive für den Balkan, sondern das gerade Gegenteil.
Diese Feststellung gilt nicht allein für die Balkan-Region. Der NATO-Krieg
hat eine verheerende Wirkung auf globaler Ebene und für die an ihm beteiligten
OECD-Länder. Er macht - auch und gerade in der deutschen Bevölkerung
- Krieg als Mittel der Politik wieder salonfähig. Er demontiert die Bindungswirkung
des Völkerrechts und das Primat der internationalen Politik der UNO. Er
produziert eine doppelte, erhebliche Kostenlast - zuerst für die Zerstörung,
dann für den Wiederaufbau, die
neue "Sachzwänge" für eine Verschärfung der allfälligen
"Sparpolitik" und zusätzliche Hypotheken für die Sozialentwicklung
der kostentragenden Gesellschaften produzieren. Wie sagte Heinrich Pachl so
schon, an die "alte Kölner Krankenkassenerkenntnis" erinnernd:
"Die Ärzte sind manchmal gefährlicher als die Krankheit."
Tatsächlich liegen die Dinge genau umgekehrt wie sie erscheinen: Nicht
die AntimilitaristInnen sind gefordert, eine "Alternative" zum Krieg
darzustellen. Die sofortige Beendigung des Krieges ist die Sofort-Alternative,
die einzig sinnvolle und verantwortbare obendrein. Die Herausforderung liegt
auf seiten der BellizistInnen: Sie sind jeden Beleg dafür schuldig geblieben
und scheinen entschlossen, sich weiter mit Suggestiv- und Pseudoargumenten davor
drucken zu wollen, warum der
NATO-Krieg in irgendeiner Hinsicht einen positiven Beitrag zur Realisierung
der Motive leisten kann, für die anzutreten sie behaupten.
3. Olivgrüne Pawlow'sche Reflexe
Auch Grüne wiederholen das Standard-"Argument" der NATO, Milosevic
trage die "alleinige Verantwortung" für die Intervention; ihre
Beendigung hänge "ausschließlich von seinem Verhallten"
ab. In Interviews und Diskussionsrunden ist kein verantwortlicher West-Politiker
"für" den Krieg. Niemand "will" ihn eigentlich. Dennoch
fuhrt man ihn. Man gibt vor, ihn
fuhren zu müssen, weil es Herrn Milosevic so gefalle.Der Herr Milosevic
erscheint als de-facto-Diktator der Welt. Er bestimmt
darüber, was die Regierungen der stärksten Industriestaaten des Globus
tun und lassen, was das NATO-Oberkommando tut und läßt. Die derzeit
weltweit wichtigsten außen- und militärpolitischen Entscheidungen
sollen allein in Belgrad fallen. Absurdistan global, total.
Es wäre enorm schlimm um die Welt bestellt, hatte es der Herr Miloseciv mit seinem Treiben tatsächlich geschafft, den eigenständigen Handlungswillen der Staatengemeinschaft auszuschalten und die NATO einseitig von seinem Verhalten abhängig zu machen, etwas 'dran wäre. Gottseidank glaubt dies natürlich niemand, am wenigsten die, die von der "alleinigen Verantwortung" des Serben-Fuhrers faseln. Es handelt sich um ein Stuck Kriegspropaganda der plattesten Sorte. Es reflektiert die Logik des Krieges, in der selbstverständlich immer die andere Seite "schuld" sein muß, um das eigene "Zuruckschießen" legitimieren zu können.
Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus: Nur wer sich selbst zur Kriegsführung entschieden hat, nur wer den Krieg "will", kann sich der Argumentationsfigur der "alleinverantwortlichen" anderen Seite überhaupt bedienen und sich in die Dynamik des militärischen Reiz-Reaktions-Schemas stellen, die sich daran knüpft, und die in sich selbst nur eine Dynamik der Eskalation des Krieges, nicht aber der Herbeiführung von Frieden birgt.Manches deutet indes darauf hin, da? das Milosevic-Regime tatsächlich seine Melodie auf dem Nato-Klavier spielt und die gegen seine Zwecke in Gang gebrachte NATO-Maschinerie seinen Zwecken dienstbar machen konnte. So scheint es, da? der Beginn der Bombardements, zu dem Milosevic die NATO per Verweigerung der Unterschrift in Rambouillet "zwang", zur innenpolitischen Legitimation einer massiven Eskalation des serbischen Krieges und der ethnischen Säuberung im Kosovo taugte, da? gerade der NATO-Luftkrieg Milosevic die Chance gibt, am Boden die Tatsachen zu schaffen, von denen ausgehend eine spätere "Friedenslosung" seinen großserbischen Interessen entgegenkäme. Aber dies ist zunächst nur die Vermutung eines außenpolitischen Laien. Sollte da etwas dran sein, wäre dies auch in Washington, London, Bonn und Brüssel bekannt. Daraus ergäbe sich dann die Frage, aus welchen Interessenlagen man dort ein solches Spiel von Milosevic mitzuspielen wünscht... (siehe oben unter 1.)
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Die grüne Gewissensprüfung:
"Sie sind nachts im Stadtpark und hinter einem Baum
ermordet Herr Milosevic gerade einen Albaner - was
machen Sie?" - "Nun ja, ich werfe eine Bombe ab, dann
ist der Stadtpark weg. Anschließend habe ich
Gewissensbisse."
(Friederich Küppersbusch, taz vom 31.3.)