Zehn Fragen und Antworten zum Kosovo-Krieg:
(1) War der Luftkriegsbeginn (24.3.99) der Nato gegen Jugoslawien, mit
dem Ziel die Vertreibung der Kosovaren aufzuhalten, sinnvoll?
Die Strategie des Nato-Luftkriegs war von Anbeginn an ungeeignet, ethnische
Säuberungen, Vertreibungen und Morde im Kosovo zu verhindern - angesehene
Experten (u.a. Lord Owen in der Herald Tribune am 23.3., S.2; Prof. Welfens
in einer Presseerklärung auf Deutsch und Englisch am 22.3., siehe http://www.euroeiiw.de)
- haben vor Kriegsbeginn die Luftkriegsstrategie eindringlich als ungeeignet
zum Schutz der Kosovaren verurteilt. Da man in den kontinentaleuropäischen
EU-Ländern von vornherein keinerlei Bodenkrieg wollte, hätte man den
ungeeigneten Luftkrieg von Anfang an lassen sollen; oder zumindest vor jeder
Kriegshandlung oder Bewaffnung der UCK (Rebellenarmee) alle ökonomischen
Sanktionsmöglichkeiten gegen Jugoslawien ausschöpfen müssen.
Auch war die westliche Unterstützung der serbischen Oppositionsparteien
völlig unterdimensioniert. Schließlich gab es in Rambouillet/Paris
Diplomatieversagen - so auch der Ex-UN-Botschafter Dr. Bräutigam.
(2) Muß Deutschland in dem Nato-Krieg mitwirken?
Eine deutsche Mitwirkungspflicht gibb es nicht, denn der Kosovo-Bürgerkrieg
ist ja kein Angriff auf das Gebiet der Nato-Staaten; moralisch-politisch gab
es eine ernsthafte Verpflichtung Deutschlands, im Jugoslawienkrieg - der völkerrechtswidrig
ist - nicht mitzuwirken; höchstens humanitär zu helfen. Die rot-grüne
Regierung unter Schröder-Fischer ist der besonderen deutschen Verantwortung
nach zwei Weltkriegen in diesem Jahrhundert nicht gerecht geworden, sondern
ist blind den USA in einen neuen Krieg gefolgt. Krieg in Europa ist eine Katastrophe,
und das weiß jeder.
(3) Wie kann man sich eine klare eigene Meinung zur schwierigen Problematik
des Kosovo-Kriegs bzw. der Frage nach der Sinnhaftigkeit der Nato-Intervention
machen?
Durch ein Gedankenexperiment: Was hätte der Westen gesagt, wenn etwa 1990
der Warschauer Pakt - ohne UN-Mandat - mit einem Luftkrieg gegen die Türkei
begonnen hätte, weil die Regierung der Türkei (ein europäischer
Staat) die Kurden unterdrückt, drangsaliert und per Armee bekämpfen
läßt, also die Menschenrechte der Kurden massiv gefährdet? Der
Westen hätte mit größter Empörung auf das Vorgehen der
UdSSR bzw. des Warschauer Pakts reagiert, die USA hätten wohl ihren Verbündeten
Türkei verteidigt, der Dritte Weltkrieg hätte wegen der Menschenrechtsfrage
begonnen. Dahin können also humanitäre Kriegsinterventionen ohne UN-Mandatierung
führen. Im übrigen ist klar, wo die SPD stehen würde, wenn der
Nato-Krieg auf deutscher Seite von einer Regierung Stoiber-Kinkel geführt
würde - in klarer Opposition gegen einen über Monate fortgesetzten
Nato-Luftkrieg.
(4) Was ist von der Aussage von Herrn Schäuble im Bundestag zu halten,
die Nato führe keinen Krieg gegen Jugoslawien, vielmehr führe Milosevic
einen Krieg gegen das eigene Volk? Und was von der Aussage von Schröder
und Scharping, die Nato-Angriffe hätten mit der Intensität der Vertreibungen
nichts zu tun?
Die raffinierten Wortspiele von Schäuble sind der Versuch, Schwarz Weiß
nennen zu wollen. Deutschland bzw. die Nato führen gegen Jugoslawien -
jenseits formaljuristischer Betrachtungen - einen modernen und brutalen Krieg.
Tausende Tote in Jugoslawien und der Schrecken der Bombardierung haben Nationalismus
und Haß in Jugoslawien massiv gesteigert, vermehrt sind fanatisierte junge
Serben unter dem Eindruck des Bombardements in den Kosovo als paramilitärische
Soldateska eingerückt. Kurz: Die Nato-Bombardierungen haben indirekt die
Vertreibungen und Morde im Kosovo intensiviert, wie ja auch vor Beginn der Nato-Luftschläge
die 1400 (ursprünglich vorgesehen 2000) OSZE-Beobachter aus dem Kosovo
abgezogen wurden - die Menschen dort waren danach schutzlos. Wer einen Zimmerbrand
löschen will, indem er das Haus anzündet, handelt unverantwortlich.
(5) Was ist von der These zu halten, die Nato führe keinen Krieg gegen
das jugoslawische Volk, eindeutig sei der Krieg primär gegen Milosevic
und sein Militär gerichtet?
Die militärökonomischen und -historischen Forschungen (z.B. Welfens,
Krieg und Frieden in Ramb/Tietzel, Hg., Ökonomische Verhaltenstheorie,
2. A.) zeigen eindeutig, daß in Kriegen regelmäßig mehr Zivilisten
als Militärs zu Tode kommen. Also ist die Nato-/Scharping-These falsch.
Diese schöne These ist vielmehr eine schöne Illusion, übrigens
genauso wie die, der Euro - massiv wegen des Kriegs im Außenwert eingebrochen
- sei und bleibe eine stabile Währung (O-Ton Schröder). Im übrigen
ist zu fragen, was die Bombardierung von Kraftwerken, Wasserwerken und Postämtern
mit militärischen Zielen zu tun hat; und wo bzw. wann endlich jemand in
der Nato wegen der Fehlschüsse auf die chinesische Botschaft zur Verantwortung
gezogen wird!
(6) Warum ist ein Nato-Krieg ohne UN-Mandatierung so problematisch, wo es
doch in der Absicht der Nato um die Rettung der Kosovaren ging?
Erstens ist diese Annahme nicht richtig, da das Hauptmotiv des Nato-Luftkriegs
in 1999 die Erhaltung der Glaubwürdigkeit der Nato war; die US-Außenministerin
Albright hatte die Drohung mit Nato-Luftschlägen im Zug der Militarisierung
der US-Außenpolitik so oft gegenüber Jugoslawien angedroht, daß
schließlich im März eine Entwicklung mit hoher Eigendynamik entstand:
Die USA fühlten sich praktisch gezwungen, den Nato-Lufthammer im Interesse
der Glaubwürdigkeit fallenzulassen. Im übrigen heißt Kriegsführung
ohne UN-Mandatierung, daß man militärische Hauptmächte - hier
Rußland - auf der Gegnerseite haben könnte, daß man die UNO
schwächt und anderen Ländern ein katastrophales Vorbild bietet. So
hat etwa Indien im jüngsten Militärkonflikt mit Pakistan den pakistanischen
Vorschlag einer UN-Vermittlung abgelehnt - was den Nato-Staaten im Fall Kosovo
recht war, ist Indien nun billig.
(7) Kann Deutschland nicht auf die Nato-Strategie großen Einfluß
nehmen?
Das ist ohne entschiedenen deutschen Standpunkt und Bereitschaft zu eigenständiger
Politik kaum möglich, denn die Nato ist undemokratisch und zudem durch
das Geheimhaltungsprinzip geprägt. Da sich im Krieg - einer Art loyalitätsgesetzmäßigen
Verhaltenslogik folgend - in den nationalen Parlamenten keinerlei kontroverse
Debatte zu Kriegsfragen bei bürgerlichen Parteien zeigt, gibt es gegenüber
der Koalition der 19 Nato-Regierungen im Fall Kosovo keine wirkliche demokratische
Kontrolle. Die Parlamente werden im Krieg funktionsunfähig. Im übrigen
wurde speziell das deutsche Parlament mit der Mär über einen kurzen
Nato-Luftkrieg getäuscht. Schröder hat bei Kriegsbeginn keine Zivilcourage
bewiesen.
(9) Was ist vom Wertechaos in Deutschland zu halten, das mit dem "humanitären Krieg" unter deutscher Beteiligung begonnen hat und mit der Rede von Otto Schily im Berliner Dom vor dem Bund der Vertriebenen Ende Mai einen ersten Höhepunkt fand - dort wurde von Schily eine aberwitzige Gleichsetzung der Vertreibung von deutschen Minderheiten zu Ende des Zweiten Weltkriegs aus Polen und Tschechien mit der Vertreibung der Albaner zu Beginn des Kosovokriegs vorgenommen!?
Dies zeigt, daß die rot-grüne Regierung - unter grünem Ideologieeinfluß - keine Unterscheidung zwischen oben und unten mehr vorzunehmen vermag; daß das politische Koordinatensystem wichtiger Regierungsakteure sich auf das der CSU hinbewegt. Da schon der Nato-Krieg die deutsche Militärmaschine salonfähig macht und wenn schon Altkanzler Kohl Ende Mai in Eisenach Studenten aufruft, mehr Patriotismus bzw. Nationalgefühl öffentlich zu zeigen, und zugleich SPD-Regierungsmitglieder einen Umarmungskurs mit rechten Vertriebenen entfalten, beschleicht einen ein schrecklicher Verdacht: Mit dem Kosovo-Krieg wollen eine Menge Leute eine Umwertung aller Werte - zurück ins 19. Jahrhundert, zu Nationalismus, Imperialismus (diesmal humanitär motiviert), zur Kanonenbootdiplomatie und zum großen Krieg.
(10) Was ist zu tun?
Wer die hohe geschichtlich-politische Bedeutung des Kosovo für Jugoslawien
bzw. Serbien kennt, der mußte vorher wissen, daß Kosovo nicht dem
Fall Bosnien gleicht, wo einige Tage Luftschläge der Nato - mit UN-Mandatierung
- zu einem Einlenken von Milosevic geführt haben. Wer ernsthaft einen Nato-Krieg
als Mittel der Politik im Kosovo-Konflikt erwägen wollte, der hätte
zunächst für eine solche Strategie verläßlich Rußland
an Bord holen müssen - das unterblieb aber - und hätte dann zum Zeitpunkt
der Rambouillet/Paris-Verhandlungen bereits eine militärische Drohkulisse
mit Nato-Bodentruppen präsent haben müssen.
Vor dem Hintergrund der Nato-Versäumnisse und Bonner Fehlentscheidungen zu Kriegsbeginn heißt die Devise im Juni klar: Bombardierungspause, energisch zurück an den Verhandlungstisch und UN-Mandatierung für eine Friedenstruppe, gesicherte Rückkehr der Kosovaren im Schutz einer Friedenstruppe, die dominant aus Neutralen besteht. Zudem ist über neue Optionen künftiger nichtmilitärischer Konfliktlösungen nachzudenken, eine Militarisierung der Außenpolitik à la USA ist zu vermeiden. Wenn die USA sich als kompromißunfähig im Jugoslawien-Krieg erweisen sollten, bleibt Deutschland nur unter Protest ein Rückzug aus der militärischen Integration in der Nato, wobei - einem früheren Vorbild Frankreichs folgend - die politische Kooperation erhalten bleiben könnte.
Euroland müßte im Zug energischer Strukturreformen zur Vollbeschäftigung
und zur politischen Integration im Rahmen einer EU-Verfassung finden, damit
Euroland dem US-Modell des militarisierten Superkapitalismus ein international
attraktives Gegenmodell eines liberalen Sozial- und Umweltstaats entgegensetzen
kann. Aus ökonomischer Sicht sind Steuerfreiheit für Unternehmensgründer,
eine steuerlich geförderte Qualifizierungs- und Innovationsoffensive der
Unternehmen sowie eine zeitweise Politik der Lohnzurückhaltung bei Einführung
einer neuen Vermögensbildungspolitik wichtige Eckpunkte einer beschäftigungsförderlichen
Wirtschaftspolitik, die die Arbeitslosenquote binnen fünf Jahren deutlich
und dauerhaft reduziert.
Auf einem neuen Sonderparteitag unter dem Motto "Wahrheit und Zukunft"
muß über die deutschen Verantwortlichkeiten der Kriegsführung
offen debattiert werden; auch die Frage nach der Ablösung Gerhard Schröders
ist zu stellen - schließlich gibt es in der SPD eine ganze Reihe von qualifizierten
Frauen und Männern, die das Bundeskanzerlamt nicht nur telegen repräsentieren,
sondern auch mit politischer sozialdemokratischer Substanz ausfüllen können.
Der Kanzler und Scharping werden sich nicht damit herausreden können, daß
man sie nur nach ihren guten Absichten zu Beginn des Kosovo-Kriegs beurteilen
möge - nach den wirklichen Effekten und nach der Unverhältnismäßigkeit
und Ungeeignetheit der gewählten Strategien und Mittel ist kritisch zu
fragen.
Die Juso-Organisation der SPD und einige kriegskritische SPD-Vorstandsmitglieder sind in Zeiten großer Konfusionen und des Kosovo-Kriegs in Deutschland die Stimme der Vernunft und der Verantwortung. Es stellt sich für die Jusos die historische Aufgabe, bei der kritischen Kriegsdiskussion und der programmatischen Erneuerung der SPD eine Führungsrolle zu spielen. Die politische Orientierungs- und Ratlosigkeit der alten SPD-Pragmatiker zwingt geradezu hierzu. Dabei sollten sich die Jusos der schwierigen Doppelaufgabe von Kriegs-Kritik und argumentativer Integration mit Blick auf die große Mehrheit der SPD-Mitglieder stellen. Schon vor dem Ende des Kriegs muß eine ernsthafte Debatte über Fehleinschätzungen, Fehlschüsse und Fehlschlüsse in der SPD einsetzen.
Mehr Informationen und Analysen zum Kosovo-Krieg siehe unter http://www.euroeiiw.de