Beschluß der Kreismitgliederversammlung des
Kreisverbandes Gießen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
am 26.04.1999 in Langgöns

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Im Kosovo führt das Milosevic-Regime einen Vernichtungs- und Vertreibungskrieg gegen die große albanische Mehrheit, in dem sich alle nationalistischen Greuel und humanitären Ka-tastrophen des bosnischen Sezessionskriegs wiederholen. Bündnis 90 / DIE GRÜNEN eint der Abscheu vor der hunderttausendfachen Verletzung von Menschenrechten, vor allem seitens des serbischen Nationalismus, und der Wille, diese Gewaltakte zu beenden. Uns eint auch der Einsatz dafür, Deutschland zu einem offenen Land für Flüchtlinge aus der Region zu machen.

Nach dem Scheitern der Verhandlungen über den Vertragsentwurf von Rambouillet hat die Mehrheit unserer Bundestagsfraktion vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Regime Milosevic und den aktuellen Entwicklungen im Kosovo Ende März keine Alternative zu einem militärischen Vorgehen mehr gesehen und dieses mitgetragen oder toleriert. Nach der fast einmonatigen Bombardierung fällt die Zwischenbilanz verheerend aus:

· Die humanitäre Katastrophe konnte nicht verhindert werden. Der serbische Vertreibungsterror nahm unvorstellbare Ausmaße an.
· Milosevic konnte nicht zur Unterzeichnung des Rambouillet-Friedensabkommens gezwungen werden. Dieses ist ganz offensichtlich obsolet geworden.
· Die innenpolitische Stellung des Regimes Milosevic wurde bislang durch den Krieg gestärkt. Nicht klar ist bisher, inwieweit seine militärische Macht geschwächt wurde.
· Mazedonien und Montenegro werden politisch zunehmend destabilisiert.
· Die Beziehungen zu Rußland befinden sich in einer tiefen Krise.
· UNO und OSZE werden weiter politisch marginalisiert.
· Das völkerrechtliche Legitimationsdefizit der Luftangriffe droht dauerhaft das System internatio-naler Organisationen und die völkerrechtliche Ordnung zu gefährden.
· Die Begrenzung der Luftangriffe auf ausschließlich militärische Ziele erweist sich in der Realität als undurchführbar. Die Schäden und Opfer der Luftangriffe werden "immer ziviler".
· Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß angesichts der kritischen Zwischenbilanz die Unterstüt-zung für das militärische Eingreifen in Teilen der Bevölkerung schwindet.
· Die Antwort der Nato auf diese Entwicklung scheint allein in der Intensivierung der Luftangriffe zu bestehen. Die Dementis eines angeblich unausweichlichen Einsatzes von Bodentruppen haben in diesen Tagen an Überzeugungskraft verloren. Am Ende dieser Sackgasse militäri-scher Eskalation droht nur die Alternative von Sieg oder Kapitulation zu stehen, das heißt der umfassende Bodenkrieg.

Wir verfolgen mit großer Sorge die Diskussion um einen Einsatz von Bodentruppen und fordern die Bundesregierung und die sie tragende Bundestagsmehrheit auf, dem Einsatz von Bodentrup-pen ohne Mandat des UN Sicherheitsrates auf keinen Fall zuzustimmen.

Wir begrüßen ausdrücklich die Bemühungen der Bundesregierung um eine Balkan-Konferenz. Die notwendige Beschäftigung mit einem Stabilitätskonzept für Südosteuropa darf nicht davon ablenken, daß die kriegerischen Auseinandersetzungen unverzüglich eingestellt werden müssen. Deshalb erscheinen uns folgende Elemente für das weitere Vorgehen notwendig:

1. Oberstes politisches Ziel allen Handelns bleibt es, die ethnischen "Säuberungen" zu stoppen, humanitäre Hilfe im Kosovo und die Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen. Unabdingbare Voraussetzung ist dafür ein sofortiger Waffenstillstand. Die laufenden Bemühungen um eine internationale Vermittlung für einen Waffenstillstand sind sofort zu intensivieren - ob durch VertreterInnen internationa-ler Organisationen wie der UNO oder der OSZE; z.B. Kofi Annan, oder durch beiderseits anerkannte, unabhängige Persönlichkeiten wie z.B. Mandela oder Peres - und durch die Nato zu unterstützen. Ein sofortiger, durch internationale Truppen überprüfbarer Waffenstillstand ist anzustreben. Der Einstieg in Verhandlungen über einen derartigen Waffenstillstand muß durch die befristete einseitige Einstellung der Bombardements ermöglicht werden. Auf diese Weise wird der serbischen Bevölkerung die Bereitschaft zum Waffenstillstand signalisiert. Während dieser Waffenpause könnten die Waffenstillstandsverhandlungen durchgeführt werden. Die Bedingungen für einen Waffenstillstand und für ein Friedensabkommen müssen getrennt werden, damit nicht - wie bisher - ein möglicher Waffenstillstand durch die Uneinigkeit über ein Friedensabkommen blockiert wird. Voraussetzung für einen Waffenstillstand ist deshalb - gemäß internationalen Gepflogenheiten - das überprüfbare Ende aller militärischen Auseinandersetzungen und von Vertreibung und Mord im Kosovo. Eine Überwachung des Waffenstillstands erfolgt durch eine internationale Friedenstruppe unter dem Mandat der UNO/OSZE, wenn nötig ohne Beteiligung der an dem Konflikt beteiligten Parteien.

2. Eine umgehend einzuberufende Friedenskonferenz für den Balkan muß sich unter dem Dach von UNO und/oder OSZE zunächst um eine Lösung für den Kosovo und Jugoslawien bemühen. Sodann sind die Verhandlungen über eine umfassende Friedensstruktur für den Balkan aufzu-nehmen. Die Nato als Kriegspartei kann keine Konfliktmoderationsrolle mehr spielen. Am geeignesten erscheint uns als Rahmen für die Konferenz die OSZE, da sie einerseits alle Beteiligten umfaßt (auch Rußland und die USA), jedoch außerregionale Interessenseinflüsse (z.B. China) minimiert. Für eine dauerhafte Befriedung des Balkans muß sich die internationale Gemeinschaft vor allem mit vier Problemkreisen beschäftigen:

· Versorgung und Rückführung der Flüchtlinge
· Erarbeitung einer politische Lösung für den Kosovo
· Schaffung einer Friedensordnung auf dem Balkan mit der Perspektive einer Einbindung in die Europäische Union
· Entwicklung eines ökonomischen und politischen Wiederaufbauprogramms (finanzielle Unterstützung, Hilfe zum Aufbau demokratischer Strukturen und Stärkung der Zivilgesellschaft, Förderung der regionalen Zusammenarbeit etc.) auch für die Bundesrepublik Jugoslawien

Die Entwicklung in den letzten Wochen gebietet ein intensives Nachdenken nicht etwa nur über die Grenzen gewaltfreier Konfliktintervention, sondern auch über Folgen und Wirkungen militäri-schen Krisenreaktion.

Der Verlauf des Kosovo-Konfliktes und das - wieder einmal - zu späte Eingreifen der internationa-len Gemeinschaft sowie die Erfahrungen mit der OSZE-Mission machen deutlich: Die von der rot-grünen Koalition vereinbarte Förderung der Instrumente der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung muß erheblich intensiviert werden, damit wir nicht immer wieder auf die schiefe Ebene einer militärischen "Krisenreaktion" geraten. Nächste Schritte könnten z.B. sein:

· Kontinuierliche Beobachtung möglicher Krisenregionen, frühzeitiger Beginn friedensfördernder Bemühungen bzw. Maßnahmen
· Schaffung eines Katalogs positiver und negativer Sanktionen zur Durchsetzung von Menschen-rechten sowie die Errichtung eines Sanktionshilfefonds
· Internationale Kooperation bei der Ausbildung von Friedensfachkräften
· Stärkung der Kompetenzen und Fähigkeiten von UNO und OSZE zur Krisenprävention.