12.04.99
"Fischers Sprache befördert Bodenkrieg"
Grüne Verteidigungspolitikerin Beer greift den Außenminister in einem Brief scharf an
Von Christoph Schwennicke
Bonn - Die Eskalation im Kosovo-Konflikt und die Spekulationen über einen
möglichen Einsatz von Bodentruppen entflammt erneut den Streit bei den
Grünen über den Nato-Einsatz. In einem Brief an die Mitglieder der
Bundestagsfraktion erhebt die verteidigungspolitische Sprecherin der Bündnisgrünen,
Angelika Beer, schwere Vorwürfe gegen Außenminister Joschka Fischer.
Beer hält Fischer und der Bundesregierung vor, Informationen zurückgehalten
zu haben. Außerdem seien vor dem Ausbruch militärischer Gewalt nicht
alle diplomatischen Spielräume genutzt worden.
Nach ihrer Ansicht treibt Fischer mit einer unangemessenen Sprache die Ausweitung
des Konflikts hin zu einem Bodenkrieg voran. Nach jüngsten Veröffentlichungen
von Details des Rambouillet-Vertrags und der Nato-Strategie nimmt Beer Abstand
von ihrer bisherigen Duldung des Einsatzes. In dem Brief, der der Süddeutschen
Zeitung vorliegt, schreibt Beer, wenn man von den SS-Einheiten Milosevics oder
von Konzentrationslagern spreche, müsse man sich über die Folgen im
Klaren sein. Die Gleichstellung von Milosevics Truppen im Kosovo mit der Waffen-SS
Hitlers, die Fischer vorgenommen habe, "bedeutet faktisch, bis in den letzten
Winkel der Republik Jugoslawiens vorzudringen" und
Milosevics Ausschaltung "zum Kriegsziel zu erklären". Dies kritisiert
Beer vor dem Hintergrund der Verstärkungen der Nato-Truppen rund um den
Kososvo.
"Richtig ist sicherlich, daß sich niemand einen Bodentruppen-Kampfeinsatz
wünscht", schreibt Beer. "Richtig ist aber auch, daß dieser
nicht ausbleiben wird, wenn die Nato faktisch die Kapitulation Milosevics erwartet
und er mit einer weiteren Eskalation antwortet." Ein Kampfeinsatz ohne
Mandat der Vereinten Nationen riskiere, daß "wir uns auf eine schiefe
Ebene begeben, die sich einem Krieg mit dem Ziel der Besetzung der Republik
Jugoslawien als einzig realistischer Option annähern würde."
Den im nachhinein bekanntgewordenen Annex des Rambouillet-Vertrages, der Einschränkungen
der Souveränität Jugoslawiens vorsah, nennt Beer inakzeptabel für
Belgrad. Aus ihrer Sicht sind
"nicht alle diplomatischen Spielräume bis zum Schluß genutzt."
Hätte sie den Passus gekannt, "hätte ich mich gegen die Umsetzung
von ,Act Ord' - also dem Beginn des Luftkrieges - ausgesprochen".
Kritisch äußerte sich auch Umweltminister Jürgen Trittin. In
der Bild am Sonntag sagte er, ihm fehle das Verständnis, "wenn man
ein Heizkraftwerk in Belgrad oder zivile Einrichtungen in Montenegro zerstört."
Dagegen mahnte der
stellvertretende Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Michael Vesper,
die Grünen zum Durchhalten. Zu dem Nato-Einsatz gebe es leider keine Alternative.
Vesper spach im Focus von einem "Lackmustest" für die Grünen:
"Jetzt
wird sich zeigen, ob wir in Krisensituationen schwierige Entscheidungen treffen
und durchsetzen können". Die Zeiten der "Glaubensbekenntnisse"
seien vorbei.
* * *