»Zweifel am Sinn der Koalition«
Sächsische Bündnisgrüne fordern Bombenstopp. Aufruf findet großes Echo

Unter der Überschrift »Es reicht - Feuereinstellung jetzt!« haben führende Mitglieder des sächsischen Landesverbandes von Bündnis 90/Grüne einen kritischen Aufruf zur Kosovo-Politik der Regierungskoalition veröffentlicht. Sie sehen die Beschlüsse der Bielefelder Bundesdelegiertenkonferenz unterlaufen und fordern eine sofortige befristete einseitige Waffenruhe. Insbesondere zeigen sich die Unterzeichner von Außenminister Joseph Fischer enttäuscht. Seine Aufforderung zu besserer Zielplanung nach den Treffern in der Schweizer Botschaft wird als »zynisch« bewertet. Die Bundestagsfraktion wird aufgefordert, sofort einen Beschluß herbeizuführen, der einen Bodenkrieg und die Beteiligung deutscher Soldaten definitiv ausschließt. »Wenn sich die Regierungsbeteiligung als untaugliches Mittel zur Umsetzung unserer Wahlziele selbst in kleinen Schritten erweist, wachsen bei Mitgliedern und Sympathisanten bedrohlich die Zweifel am Sinn der Koalition«, heißt es weiter.

Zu den Erstunterzeichnern gehörten Landessprecher Karl-Heinz Gerstenberg und mehrere Landesvorstandsmitglieder, auch aus Sachsen-Anhalt und Thüringen. Unter ihnen befinden sich auch bisherige Unterstützer des Fischer-Kurses. Bereits am 16. April hatte sich die sächsische Landesversammlung von Bündnis 90/Grüne mehrheitlich gegen den Luftkrieg und für eine politische Lösung ausgesprochen. Eine NATO-Selbstmandatierung außerhalb der UNO wurde abgelehnt.

Indessen reagiert der sächsische Landesverband nicht einheitlich. Landesgeschäftsführer Hubertus Grass beispielsweise macht keinen Hehl aus seiner Auffassung, wonach eine Intervention gegen das Milosevic-Regime schon seit Jahren überfällig sei. Bundessprecherin Gunda Röstel zeigte sich bei einem Besuch in ihrer sächsischen Heimat vom Zustand der Partei in Sachsen dennoch nicht beunruhigt. 13 Austritten nach den Bielefelder Beschlüssen stünden 15 Eintritte gegenüber, erklärte sie am Wochenende. Daß Demoskopen die Partei für die kommenden Landtagswahlen bei drei Prozent einstufen, erwähnte sie nicht.

Michael Bartsch, Dresden

© junge Welt / 02.06.1999