Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung
22. April 1999

Wir appellieren an alle!
Ein Aufruf serbischer Bürger

Als diejenigen, die sich für ein demo-kratisches und antinationalistisches Serbien einsetzen und es tatkräftig unterstützen und die sich dafür entschieden haben, in dieser Zeit der Krise in Jugoslawien zu bleiben, und die ihr Land wieder in die Gemeinschaft der Völker zurückgeführt sehen möchten, möchten wir Folgendes festhalten:

1. Wir verurteilen aufs schärfste das Nato-Bombardement, das die Gewalt im Kosovo verschlimmert und zur Vertreibung der Einwohner innerhalb und außerhalb Jugoslawiens führte. Wir verurteilen aufs schärfste die ethnische Säuberung der albanischen Bevölkerung, die von allen jugoslawischen Kräften verübt wird. Wir verur-teilen aufs schärfste die Gewalttätig-keiten der UCK gegenüber den Serben, den gemäßigten Albanern und anderen ethnischen Gruppierungen im Kosovo. Die humanitäre Katastrophe im Kosovo - Tod, Trauer und tiefes Leid - für Hunderttausende von Alba-nern, Serben und anderer
ethnischer Gruppierungen - muß sofort ein Ende finden. Allen Flüchtlingen aus Jugoslawien muß sofort und bedingungslos die Rückkehr in ihre Häuser erlaubt werden; ihre Sicherheit und ihre Menschenrechte müssen garantiert werden, und Hilfe für den Wiederaufbau muß bereitgestellt werden. Die Verursacher von Verbrechen gegen die Menschlichkeit - wer auch immer sie sind - müssen vor Gericht gestellt werden.

2. Der Kampf zwischen den serbischen Kräften und der UCK muß sofort eingestellt werden, damit die Ver-handlungen in eine neue Runde gehen können. Alle Seiten müssen von ihren Maximalforderungen Abstand neh-men. Es gibt in zahlreichen ähnlichen Konflikten. z. B. in Nordirland) keine schnellen und einfachen Lösungen. Wir müssen alle darauf vorbereitet sein, einen langen und schmerzhaften Prozeß der Verhandlung und der Normalisierung auf uns zu nehmen.

3. Die Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO führt zur Zerstörungen und einer wachsenden Anzahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung (bis jetzt mindestens einige hundert, vielleicht sogar tausend Opfer). Das schließliche Ergebnis wird die Zerstörung der ökonomischen und kulturellen Grundlagen der jugoslawischen Gesellschaft sein. Damit muß sofort aufgehört werden.

4. Die UN-Charta, die Helsinki-Schlußakte. das grundlegende Dokument der NATO sowie die Verfassungen von Ländern wie Deutschland, Italien und Portugal wurden durch diese Ag-gression verletzt. Als Menschen, die ihr Leben für die Verteidigung grundlegender demokratischer Werte einsetzen und die an universelle gesetzliche Nonnen glauben. sind wir tief davon betroffen, daß die Verletzungen dieser Normen durch die NATO alle Bemühungen um die Herrschaft des Gesetzes und die Menschenrechte in diesem Land und überall sonst auf der Welt vereiteln werden.

5. Das NATO-Bombardement hat zudem den südlichen Balkan destabilisiert. Wenn dieser Konflikt weitergeht, wird er über die Grenzen des Balkans hinausreichen und, falls Bodentruppen eingesetzt werden, werden Tausende von NATO- und jugoslawischen Soldaten sowie albanische und serbische Zivilisten in einem vergeblichen Krieg ihr Leben lassen, so wie
damals in Vietnam. Politische Verhandlungen für eine friedliche Einigung sollten sofort wieder eröffnet werden.

6. Das bestehende Regime ist durch die NATO-Attacken nur bekräftigt worden, da die natürliche Reaktion des Volkes freigesetzt wurde, sich in Zeiten fremder Aggression um die eigene Flagge zu scharen. Wir setzen unsere Opposition gegen das bestehende anti-demokratische und autoritäre Regime fort, aber wir widersetzen uns auch mit Leidenschaft der NATO-Aggression. Die demokratischen Kräfte in Serbien wurden geschwächt, und die demokratische Rcformregierung in Montenegro wurde durch die NATO-Angriffe und die folgende Proklamation des Kriegszustandes bedroht und befindet sich nun zwischen dem Hammer der NATO und dem Amboß des Regimes.

7. Als sie sich mit den Konflikten des früheren Jugoslawiens auseinandersetzten, haben die Führer der Weltgemeinschaft in der Vergangenheit eine Reihe von fatalen Irrtümern be-gangen. Neue Irrtümer führen jetzt zu einer Verschlimmerung des Konflikts und bringen uns von der Suche nach einer friedvollen Lösung ab. Wir appellieren an alle: Präsident Milosevic, die Repräsentanten der Kosovo-Albaner, die NATO, die Führer der Europäischen Gemeinschaft und der Vereinigten Staaten, alle Gewalt und militärischen Aktivitäten sofort zu stoppen und sich in der Suche nach einer politischen Lösung zu engagieren.

Belgrad. 16. April 1999.
Stojan Cerovic; Jovan Cirilov; Sima Cirkovic; Mijat Damnjanovic; Vojin
Dimitrijevic; Dasa Duhacek; Milutin Garasanin; Zagorka Galubovic; Dejan
Janca~ Ivan Jankovic; Predrag Korak-sic; Mladen Lazic; Sonja Licht; Ljubo-mir
Madzar; Veran Matic; Jelica Minic; Andrej Mitrovic; Radmila Nakarada; Milan
Nikolic; Vida Ognjenovic; Borka Pavicevic; Jelena Santic. Nikola Tasic:
Ljubinka Trgovcevic; Sribjanka Tu-rajlic: Ivan Vejvoda; Branko Vuctcevtc.

Aus dem Englischen übersetzt.