Baden-Württembergs Grüne zum Thema
Krieg und Frieden
Soviel ist sicher: Die Diskussion geht weiter
Die Entscheidung der baden-württembergischen Grünen über ihre Position zum Kosovo-Krieg hat einen überwunden geglaubten Konflikt wiederaufleben lassen: den Streit zwischen Fundis und Realos.
Von Klaus Fischer
Es klang, als bäte die Bonner Staatssekretärin Uschi Eid um Entschuldigung
für die Politik der Bundesregierung: ¸¸Wir wollen uns mit militärischen
Aktionen nicht schuldig machen!'' Fast hilflos klang ihre Erklärung, weshalb
es in der Koalition trotzdem Zustimmung für die Bombardements der Nato
gegeben habe. Der Militäreinsatz sei ¸¸einfach notwendig geworden
- zur Verhinderung von Völkermord''. Der Satz hing noch schwer im Saal,
da wurde die Staatssekretärin jäh vom Mikrophon verdrängt. Ein
Mitglied des Parteitagspräsidiums forderte die Delegierten auf, unverzüglich
den Saal zu verlassen. Ein anonymer Anrufer hatte eine Bombendrohung
ausgesprochen.
Zu diesem Zeitpunkt, es war 19.43 Uhr, hatte der Parteitag der baden-württembergischen
Grünen bereits seit viereinhalb Stunden über Krieg und Frieden diskutiert.
Im Saal herrschte Hochspannung. Nie hatte man Grüne derart diszipliniert
erlebt, aber ein Ausbruch der Emotionen, ein offener Krach wäre keine Überraschung
gewesen. Anlaß dazu hätte es durchaus gegeben, schließlich
fehlte es nicht an leidenschaftlichen Appellen wie etwa jenem des Karlsruhers
Harry Block, der seine Partei aufforderte, ¸¸nein zu diesem Krieg''
zu sagen und
der Bonner Koalition die Gefolgschaft zu versagen. Die Erregung, mit der die
Delegierten der Debatte folgten, war auch gleichsam mit Händen zu greifen,
doch zur Entladung kam es nicht. Und nach der durch die Bombendrohung erzwungenen
Zwangspause war auch die Spannung verflogen.
Mehr als eine Stunde lang durchsuchte die Polizei, zum Glück erfolglos,
die Ulmer Donauhalle nach verdächtigen Gegenständen, während
die Delegierten in der Abendkälte geduldig darauf warteten, die unterbrochene
Sitzung fortsetzen zu können. Endlich wurde Entwarnung verkündet,
der Parteitag
nahm seinen Fortgang, und Uschi Eid konnte ihre Rede fortsetzen. ¸¸Wer
kann denn Interesse daran haben, uns zu bedrohen, wenn wir um die richtige Lösung
ringen?'' fragte sie. Eine Frage, die unbeantwortet blieb. Das Ringen um die
richtigen Lösungen beherrschte die Delegiertenkonferenz über alle
drei Tage hinweg. Natürlich stand das Thema Kosovo im Mittelpunkt, und
keineswegs nur wegen der Außenwirkung, auf die eine selbstbewußte
Regierungspartei, als die sich die Grünen inzwischen darstellen, wohl zu
achten weiß. Aber
nachdem mehr als zwei Dutzend Redner fünf Stunden über Krieg und Frieden
diskutiert und alle einschlägigen Argumente für und wider hinreichend
variiert hatten, waren sie offenbar erschöpft.
Selbst der erwartete Streit über die zu verabschiedende Resolution blieb
aus - nicht zuletzt aufgrund einer geschickten Regie, die dafür gesorgt
hatte, daß der Landesvorstand und der Kreisverband Stuttgart zwei inhaltlich
nahezu deckungsgleiche Vorschläge eingereicht hatten. Jetzt galt es nur
noch, die wesentlichen Passagen aus beiden Papieren zusammenzuführen, und
der Kompromiß, der auf eine Unterstützung der Bonner Regierungspolitik
und des Friedensplans von Außenminister Joschka Fischer hinausläuft,
war gesichert. Er wurde von 125 Delegierten befürwortet; auf den Gegenantrag,
der auf eine einseitige Beendigung des
Nato-Bombardements zielte, entfielen 84 Stimmen. Unmittelbar nach der Abstimmung
rief der Präsident den nächsten Tagesordnungspunkt auf, der einer
Reform der Parteistruktur gewidmet war. Die Grünen beschäftigten sich
wieder mit sich selbst.
Zumindest bis zum Nachmittag des folgenden Tages, als die Wahl der neuen Parteispitze
anstand. Für das den Frauen zustehende Amt der Vorsitzenden waren zwei
Kandidatinnen nominiert, die unterschiedlicher nicht hätten sein können:
Die amtierende Vorsitzende Monika Schnaitmann wurde von Sylvia Kotting-Uhl herausgefordert.
Die bekennende Linke, mit einem ausgeprägten Widerspruchsgeist ausgestattet
und nicht
gerade als enge Freundin der Vorsitzenden Schnaitmann bekannt, war schon im
Vorfeld des Parteitags mit der
Forderung nach einer sofortigen Beendigung des Nato-Bombardements hervorgetreten,
nannte Joschka
Fischers Friedensplan einen ¸¸Fehler'' und gehörte zu den Unterzeichnern
einer Resolution, in der die Bombardierung als ¸¸das falsche Mittel''
bezeichnet wurde. Ihre Position war also eindeutig. Demgegenüber hatte
Monika Schnaitmann in der Kosovo-Frage einen unentschiedenen Kurs gesteuert.
Auch sie hielt das Bombardement stets für eine ¸¸folgenschwere
Fehlentscheidung'', räumte aber auch ein, daß sie keine
Alternative kenne. Also setzte sie ihre vage Hoffnung auf einen Erfolg von Fischers
Friedensplan, wobei sie nicht verschwieg, daß sie mit dieser Entscheidung
auch die Absicht verband, ein Scheitern der Bonner Koalition zu verhindern.
Frau Schnaitmann repräsentierte damit, wie tags zuvor eindrucksvoll bestätigt,
die Mehrheit des Landesverbands, auch wenn etliche Delegierte die Entscheidung
mehr mit dem Verstand als mit dem Herzen gefällt haben dürften. Trotzdem
- oder gerade deshalb - war nicht auszuschließen, daß der Parteitag
bei der Vorsitzendenwahl anders votieren würde, und sei es nur aus purem
Trotz oder um seine Unabhängigkeit zu
demonstrieren, vielleicht auch, um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, man
habe um der Parteiräson willen seine innersten Überzeugungen verraten.
Es kam aber ganz anders. Frau Kotting-Uhl, die sich als erste vorzustellen hatte, widmete ihre Bewerbungsrede nur einem Thema: der Position der Partei zum Krieg im Kosovo. Kurz und prägnant stellte sie noch einmal klar, weshalb sie die Luftschläge der Nato ablehnt und den Beschluß des Parteitags dazu für falsch hält. Gleichwohl respektiere sie ihn als Mehrheitsentscheid, versicherte sie - aber mittragen könne sie ihn nicht. Und deshalb ziehe sie ihre Bewerbung zurück.
Damit war die Wiederwahl von Monika Schnaitmann so gut wie gelaufen. Für
sie galt es jetzt nur noch, auf die
Überraschung angemessen zu reagieren, und sie tat das auf ihre eigene Weise,
sachlich und emotional zugleich. Ihr Ziel, versicherte sie, sei nicht nur, Joschka
Fischer zu stärken und seinen Friedensplan zu unterstützen: ¸¸Das
ist zu wenig.'' Vielmehr wolle sie alles daran setzen, die Kluft zu überwinden,
die zwischen der Regierung, der Parteiführung und der Basis der Grünen
entstanden sei. ¸¸Die Auseinandersetzung muß weitergehen'',
sagte sie. Als ob es dazu einer Aufforderung bedürfte.