junge Welt vom 24.04.1999:

»Humanitäre Intervention«? Joseph Fischer hat gelogen
Dokumente belegen: Bundesregierung täuschte Parlament und Öffentlichkeit

Die Bundesregierung und insbesondere Bundesaußenminister Joseph Fischer haben den Bundestag und die Öffentlichkeit in schwerem Maße getäuscht. Bisher unveröffentlichte Dokumente des Bonner Auswärtigen Amtes belegen, daß es im März 1999 keinen Grund und keine Rechtfertigung für die von Fischer und Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) behauptete »humanitäre Intervention« der NATO gegen Jugoslawien gab. Vor den am 24. März begonnenen Luftangriffen drohte den Kosovo-Albanern wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit keine Verfolgung durch die serbisch dominierte Staatsmacht in Jugoslawien. Vielmehr ging auch das Fischer-Ministerium davon aus, daß die Maßnahmen jugoslawischer Sicherheitskräfte gegen die UCK gerichtet waren und »nicht gegen Kosovo-Albaner als ethnisch definierte Gruppe«.

Auszüge aus den amtlichen Dokumenten, die dieses aussagen, hat jetzt die Organisation IALANA ( Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen - Für gewaltfreie Friedensgestaltung) verschiedenen Medien übermittelt. Dabei handelt es sich um Auskünfte, die das Auswärtige Amt verschiedenen deutschen Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten im Herbst/Winter 1998/1999 und auch noch im März 1999 gegeben hat.

Diese amtlichen Auskünfte zeigen, daß es nach Auffassung des von Joseph Fischer geleiteten Auswärtigen Amtes zwischen November 1998 und März 1999 keine wesentliche Veränderung der Situation im Kosovo gegeben hat. In einem »Lagebericht« des Amtes vom 18. November 1998 hatte es geheißen: »Im Kosovo selbst hat sich die schwierige humanitäre Situation etwas entspannt. Die Rahmenbedingungen für die Versorgung von Bedürftigen haben sich verbessert ... Die Kampfhandlungen im Kosovo wurden von beiden Seiten mit militärischen Mitteln geführt,
wobei auf serbisch-jugoslawischer Seite die Sicherheitskräfte bei der Einnahme von Ortschaften auch mit schweren Waffen vorgingen. Beim Einzug der serbischen Sicherheitskräfte in zurückeroberte Ortschaften kam es zu Übergriffen gegen dort verbliebene Bewohner. Die durch die Presse wiederholt gemeldeten >Massaker< und Meldungen über >Massengräber< trugen zur Beunruhigung der Flüchtlinge bei, konnten jedoch durch internationale Beobachter bislang nicht bestätigt werden.« Dieser »Lagebericht« trägt die Signatur »514-516, 80/3 YUG«.

In einer Amtlichen Auskunft vom 28. Dezember 1998 an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht gab Fischers
Ministerium dann folgenden Bescheid: »Nach Erkenntnis des Auswärtigen Amts sind die Maßnahmen der Sicherheitskräfte in erster Linie auf die Bekämpfung der UCK gerichtet, die unter Einsatz terroristischer Mittel für die Unabhängigkeit des Kosovo, nach Angaben einiger ihrer Sprecher sogar für die Schaffung eines >Groß-Albanien< kämpft.«

Und noch am 15. März 1999, neun Tage vor dem Beginn des NATO-Angriffs, teilte das Auswärtige Amt dem Verwaltungsgericht Mainz mit: »Wie im Lagebericht vom 18. 11. 1998 ausgeführt, hat die UCK seit dem Teilabzug der (serbischen) Sicherheitskräfte im Oktober 1998 ihre Stellungen wieder eingenommen, so daß sie wieder weite Gebiete im Konfliktgebiet kontrolliert. Auch vor Beginn des Frühjahrs 1999 kam es weiterhin zu Zusammenstößen
zwischen UCK und Sicherheitskräften, auch wenn diese bislang nicht die Intensität der Kämpfe vom Frühjahr/Sommer 1998 erreicht haben.«

Nach Ansicht von IALANA belegen die Dokumente sowie die nach dem 24. März sprunghaft angestiegenen Flüchtlingszahlen eindeutig: »Die beklagenswerte >humanitäre Katastrophe< für die Menschen im Kosovo und in den Nachbarstaaten ist mithin erst die Folge der Kriegsereignisse nach Beginn der NATO-Luftangriffe.«

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Auszüge aus den Dokumenten:


»Keine Anhaltspunkte für Verfolgung«
Wie die Bundesregierung Parlament und Öffentlichkeit über die Lage im Kosovo täuschte

Nachfolgend dokumentiert jW amtliche Dokumente des Bonner Auswärtigen Amtes und Gerichtsurteile, die belegen, daß es im März 1999 keinen Grund und keine Rechtfertigung für eine »humanitäre Intervention« der NATO im Kosovo gab


I: Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6. Januar 1999 an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach:

»Derzeit ist eine steigende Tendenz bei der Rückkehr der innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien geflohenen Personen an ihre Wohnsitze zu verzeichnen. ... Ungeachtet der desolaten wirtschaftlichen Lage der Bundesrepublik Jugoslawien sind auch aus Reihen der Flüchtlinge (nach Angaben offizieller Stellen der Bundesrepublik Jugoslawien haben seit 1991 zirka 700000 Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien und Herzegowina Aufnahme gefunden) keine Fälle von chronischer Mangelernährung oder unzureichender medizinischer Versorgung bekannt und beachtliche
Obdachlosigkeit ist nicht zu beobachten. ... Für Kosovo-Albaner besteht damit nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes nach wie vor eine begrenzte Möglichkeit, sich einzeln (mit der engeren Familie) insbesondere in jenen Landesteilen Jugoslawiens niederzulassen, in denen bereits ihre Landsleute oder Bekannte leben, die bereit sind, sie aufzunehmen und sie zu unterstützen.«

II.: Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 12. Januar 1999 an das Verwaltungsgericht Trier (Az: 514-516.80/32 426):

»Eine explizit an die albanische Volkszugehörigkeit anknüpfende politische Verfolgung ist auch im Kosovo nicht festzustellen. Der Osten des Kosovo ist von den bewaffneten Konflikten bislang nicht erfaßt, das öffentliche Leben in Städten wie Pristina, Urosevac, Gnjilan usw. verlief im gesamten Konfliktzeitraum in relativ normalen Bahnen.« Das »Vorgehen der Sicherheitskräfte (war) nicht gegen Kosovo-Albaner als ethnisch definierte Gruppe gerichtet, sondern gegen den militärischen Gegner und dessen tatsächliche oder vermutete Unterstützer«.


III.: Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 15. März 1999 (Az.: 514- 516,80/33841) an das Verwaltungsgericht Mainz:

»Wie im Lagebericht vom 18. 11. 1998 ausgeführt, hat die UCK seit dem Teilabzug der (serbischen) Sicherheitskräfte im Oktober 1998 ihre Stellungen wieder eingenommen, so daß sie wieder weite Gebiete im Konfliktgebiet kontrolliert. Auch vor Beginn des Frühjahrs 1999 kam es weiterhin zu Zusammenstößen zwischen UCK und Sicherheitskräften, auch wenn diese bislang nicht die Intensität der Kämpfe vom Frühjahr/Sommer 1998 erreicht haben.«

IV.: Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom: 29. Oktober 1998 (Az: 22 BA 94.34252):

»Die den Klägern in der Ladung zur mündlichen Verhandlung angegebenen Lageberichte des Auswärtigen Amts vom 6.Mai, 8. Juni und 13. Juli 1998 lassen einen Rückschluß auf eine Gruppenverfolgung ethnischer Albaner aus dem Kosovo nicht zu. Nicht einmal eine regionale Gruppenverfolgung, die allen ethnischer Albanern aus einem bestimmten Teilgebiet des Kosovo gilt, läßt sich mit hinreichender Sicherheit feststellen. Das gewaltsame Vorgehen des jugoslawischen Militärs und der Polizei seit Februar 1998 bezog sich auf separatistische Aktivitäten und ist kein Beleg
für eine Verfolgung der gesamten ethnischen Gruppe der Albaner aus dem Kosovo oder einem Teilgebiet desselben. Es handelte sich bei den jugoslawischen Gewaltaktionen und Gewaltexzessen seit Februar 1998 um ein selektives gewaltsames Vorgehen gegen die militärische Untergrundbewegung (insbesondere der UCK) und deren Umfeld in deren Operationsgebieten. ... Ein staatliches Verfolgungsprogramm, das sich auf die gesamte ethnische Gruppe
der Albaner bezieht, besteht nach wie vor nicht.«


V.: Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 4. Februar 1999 (Az: A 14 S 22276/98):

»Die dem Senat vorliegenden Erkenntnisse stimmen darin überein, daß die zeitweise befürchtete humanitäre Katastrophe für die albanische Zivilbevölkerung ... nach dem Abflauen der Kämpfe im Anschluß an die Ende 1998 mit der serbischen Führung getroffene Übereinkunft (Lagebericht Serbien des Auswärtigen Amtes vom 18. 11. 1998) abgewendet werden konnte und daß sich seitdem sowohl die Sicherheitslage wie auch die Lebensbedingungen der
albanisch-stämmigen Bevölkerung spürbar gebessert haben. ... Namentlich in den größeren Städten verläuft das öffentliche Leben zwischenzeitlich wieder in relativ normalen Bahnen (vgl. hierzu Auswärtiges Amt vom 12. 1. 1999 an VG Trier; vom 28. 12. 1998 an OVG Lüneburg und vom 23. 12. 1998 an VGH Kassel), auch wenn sich die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen auf Grund einzelner Gewalttaten zwischenzeitlich erhöht haben... Auch einzelne Fälle exzessiver Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung, die, wie etwa in Racak, in der Weltöffentlichkeit der serbischen Seite zur Last gelegt werden und große Empörung ausgelöst hatte ..., lassen nach Zahl und Häufigkeit derartiger Exzeßtaten unter den gegebenen Umständen nicht den Schluß zu, daß deshalb
jeder im Kosovo lebende Albaner mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahr für Leib und Leben
ausgesetzt ist und mithin auch jeder Rückkehrer von Tod und schwersten Verletzungen bedroht sei.«


VI.: Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 24.Februar 1999 (Az: 14 A 3840/94.A):

»Für ein geheimes Programm oder einen auf serbischer Seite vorhandenen stillschweigenden Konsens, das albanische
Volk zu vernichten, zu vertreiben oder sonst in der vorstehend beschriebenen extremen Weise zu verfolgen, liegen keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte vor. ... Wenn die serbische Staatsmacht ihre Gesetze durchsetzt und dadurch zwangsläufig Druck auf die sich vom Staat abkehrende und eine Boykotthaltung einnehmende albanische Volksgruppe ausübt, geht die objektive Zielrichtung dieser Maßnahmen eben nicht auf eine programmatische Verfolgung dieser Bevölkerungsgruppe ... Selbst wenn der serbische Staat wohlwollend in Kauf nimmt oder gar
beabsichtigt, daß ein Teil der Bürger, der in einer solchen Situation für sich keine Perspektiven sieht oder Zwangsmaßnahmen entgegen will, ins Ausland ausweicht, stellt dies kein auf die Gesamtheit der albanischen Bevölkerungsmehrheit (im Kosovo) zielendes Verfolgungsprogramm dar«.

»Wenn im übrigen der (jugoslawische) Staat auf die Separatismusbestrebungen mit konsequenter und harter
Durchführung der Gesetze sowie mit antiseparatistischen Maßnahmen reagiert, denen sich ein Teil der Betroffenen ins
Ausland entzieht, ist dies kein vom (jugoslawischen) Staat programmatisch gesteuerter Vorgang, der auf die
Ausgrenzung und Vertreibung der Minderheit abzielt, sondern im Gegenteil auf ein Sicheinfügen dieses Volkes in den
Staatsverband.«

»Auch die Ereignisse seit Februar/März 1998 lassen ein Verfolgungsprogramm wegen albanischer Volkszugehörigkeit
nicht erkennen. Die Maßnahmen der bewaffneten serbischen Kräfte sind in erster Linie auf die Bekämpfung der UCK und deren vermutete Anhänger und Unterstützer gerichtet.«

VII.: Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 11.März 1999 (Az: 13A 3894/94.A):

»Albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo waren und sind in der Bundesrepublik Jugoslawien keiner regionalen oder landesweiten Gruppenverfolgung ausgesetzt.« (Leitsatz 1)