Rainer Rupp in: junge Welt vom 25.01.2000

»Der hohle Sieg der NATO«
Konservatives US-amerikanisches Institut verurteilt Angriffskrieg gegen Jugoslawien

Der »NATO-Sieg« über die jugoslawischen Streitkräfte im Kosovo
sei »nur um Haaresbreite an einem riesigen öffentlichen Fiasko
vorbei geschlittert«, heißt es in einer am Donnerstag letzter Woche
in Washington der Presse vorgestellten Analyse des einflußreichen
konservativen CATO-Instituts, das sonst hauptsächlich wegen
seiner radikalen marktwirtschaftlichen Positionen und seiner
Forderungen nach dem Rückzug des Staates aus der Wirtschaft
von sich reden macht. Die unter dem Titel »Der hohle Sieg der
NATO« erschienene Analyse der den Republikanern
nahestehenden wissenschaftlichen CATO- Stiftung stellt außerdem
fest, daß das Eingreifen der NATO das Blutvergießen auf beiden
Seiten nur noch verschlimmert und den Balkan noch stärker
destabilisiert hat. Die deutliche Verurteilung des US- und NATO-
Angriffs gegen Jugoslawien und der Einmischung auf dem Balkan
bricht mit dem traditionellen parteiübergreifenden Konsens in der
Sicherheitspolitik und signalisiert eine andere außenpolitische
Orientierung der Republikaner, die mit großer Wahrscheinlichkeit
als Sieger aus den nächsten Wahlen hervorgehen werden.

Die kritische CATO-Studie, zu der eine Reihe renommierter
amerikanischer Politikwissenschaftler beigetragen haben, stellt das
krasse Gegenteil zu den von der Clinton-Regierung
herausgegebenen Jubelberichten dar, wonach die USA und die
NATO mit Hilfe ihrer Luftangriffe einen »überwältigenden
humanitären Sieg« errungen hätten, schrieb die Washington Post
vom 20. Januar und zitierte Ted Galen Carpenter von CATO: »Die
Vereinigten Staaten mögen zwar im rein technischen Sinn einen
militärischen Sieg über Jugoslawien errungen haben, aber es war
ein hohler Sieg«. Weiter moniert die Analyse, daß der Krieg zu
nachhaltigen Spannungen in den amerikanischen Beziehungen zu
Rußland und China geführt habe und die Vereinigten Staaten nun
dauerhaft zum »Babysitter« des Balkans gemacht worden seien.
Außerdem habe die Art und Weise, wie der Krieg begonnen und
geführt worden sei, einen gefährlichen Präzedenzfall für die
Erweiterung der Machtbefugnis des US-Präsidenten geschaffen,
der, ohne den Kongreß zu fragen, einen regelrechten Krieg geführt
habe. Als besonders bedenklich hebt der CATO-Bericht hervor,
daß die Umwandlung der NATO von einer »Allianz zur Verteidigung
des Territoriums ihrer Mitglieder in eine ehrgeizige Organisation zur
Krisenbewältigung in anderen Regionen schwerwiegende und
beunruhigende Fragen für die Vereinigten Staaten aufwirft«.

John J. Mearsheimer, ein Experte für internationale
Sicherheitspolitik an der University of Chicago, schrieb in seinem
Beitrag zur CATO-Analyse, daß trotz ihres militärischen Sieges die
NATO im Kosovo in einer »politisch nicht zu gewinnenden
Situation« gefangen ist. Deshalb schlägt er vor, die Provinz zu
teilen. Der Teil mit den wichtigsten serbischen Monumenten,
Klöstern und Heiligtümern sollte bei Serbien bleiben, und aus dem
anderen Teil sollte ein unabhängiger kosovo-albanischer Staat
werden. »Gibt es denn tatsächlich jemanden, der glaubt, daß die
Serben und Kosovo- Albaner nach all dem Blutvergießen wieder
zusammenleben können?« fragt Mearsheimer und zeigt die drei
einzigen Optionen auf, die seiner Meinung nach im Kosovo möglich
sind: Endloser ethnischer Konflikt und gegenseitige Abrechnungen,
oder »ethnische Säuberungen« durch die Kosovo-Albaner oder
»ethnische Säuberungen« durch die Serben. Auf dieser Grundlage
kommt Mearsheimer zu dem Schluß, daß eine Aufteilung der
Provinz zweifellos besser wäre als eine der drei nicht akzeptablen
Optionen.

Rainer Rupp in: junge Welt vom 25.01.2000