BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rheinland-Pfalz
Landeshauptausschuß am 27. März 1999 in Mainz

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Zur Lage im Kosovo und zu den Luftangriffen der NATO gegen Jugoslawien erklärt der Landeshauptausschuß:

1. Die Luftangriffe der NATO gegen Jugoslawien sind Folge eines Konfliktes in Kosovo, der seit mehr als 10 Jahren kontinuierlich eskaliert ist. Seit über einem Jahr herrscht im Kosovo Bürgerkrieg. Gerade in den letzten Tagen haben nationalistische Exzesse und Vertreibung weiter zugenommen. Täglich werden Menschen getötet, Tausende sind auf der Flucht. Dafür trägt die serbische Zentralregierung Verantwortung, die die Kosovo-AlbanerInnen seit Jahren unterdrückt und diskriminiert.

2. Am 24.3.99 hat die NATO Luftangriffe gegen die BR Jugoslawien und damit einen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat begonnen. Dabei ist nicht erkennbar, wie das Ziel, eine humanitäre Katastrophe im Kosovo, dadurch abgewendet werden soll. Wahrscheinlicher ist das Gegenteil, nämlich, daß die humanitäre Situation durch die Luftangriffe weiter verschärft und neuer Haß gesät wird. Auch wenn die Militärschläge in erster Linie auf militärische Objekte zielen, führt dieser Krieg wie jeder andere zu Opfern unter der Zivilbevölkerung.

3. Die internationale Staatengemeinschaft trägt eine große Mitverantwortung für die nun eingetretene Eskalation. Sie hat die Unterdrückung der albanischen Bevölkerung in Kosovo viel zu lange ignoriert und es versäumt, rechtzeitig konsequente nichtmilitärische Maßnahmen zu ergreifen, die um der albanischen Bevölkerung in Kosovo ein menschenwürdiges, angstfreies Leben zu ermöglichen. So wurde beispielsweise versäumt, ein umfassendes Waffen- und Wirtschaftsembargo zu verhängen.

4. Dadurch hat sich die internationale Staatengemeinschaft in ein Dilemma manövriert, das auf der einen Seite dadurch gekennzeichnet ist, daß sie der brutalen Unterdrückung der albanischen Bevölkerung in Kosovo nicht tatenlos zusehen kann; auf der anderen Seite hat die NATO mit ihren Luftangriffen gegen Jugoslawien einen Krieg begonnen, ohne dafür ein Mandat der Vereinten Nationen zu haben. Die Bombardierung eines souveränen Staates ohne ein Mandat der UN bzw. des Sicherheitsrates stellt eine eklatante Verletzung des Völkerrechts dar. Das Übergehen des UN-Sicherheitsrates stürzt die UNO in eine ihrer schwersten Krisen seit ihrer Gründung und wird sie in ihrer Rolle als friedenschaffende und -bewahrende Kraft langfristig weltweit schwächen. Daran konnte auch die neue Bundesregierung und ihr Außenminister in ihrer kurzen Amtszeit nichts mehr ändern, obgleich deren intensives Bemühen anerkannt werden muß.

5. Die Folgen dieses Krieges gehen weit über regionale Auswirkungen hinaus, da sie geeignet sind, das Verhältnis zwischen den NATO-Staaten und Rußland nachhaltig zu beschädigen und damit die internationalen Lage und die Situation in Rußland zu destabilisieren.

6. Ein mit den Luftangriffen gegen Jugoslawien verbundenes schlüssiges politisches Konzept, das die Balkanregion befriedet und allen dort lebenden Völkern eine demokratische, menschenwürdige Existenz ermöglicht, ist derzeit nicht erkennbar. Ein solches Konzept hat für die Phase der Drohung mit militärischen Maßnahmen bei den Pariser Friedensgesprächen bestanden. Mit dem Scheitern dieser Gespräche und der nun eingetretenen Eskalation hat dieses Konzept keinen Bestand mehr, da sich die Rahmenbedingungen dramatisch verändert haben.

7. Der Kosovo-Konflikt ist eng verknüpft mit der Formulierung der neuen NATO-Strategie, in der die NATO-Selbstmandatierung für Militäreinsätze über das Völkerrecht und damit faktisch das Gewaltmonopol der UNO außer Kraft gesetzt werden soll. Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien ist als Probelauf für die beabsichtigte Strategie zu verstehen. Wir fordern, daß sich die deutsche Regierung auf dem NATO-Gipfel im April bei der Entscheidung über die neue NATO-Strategie entsprechend des Koalitionsvertrages der Selbstmandatierung der NATO für Einsätze jeder Art einen Riegel vorschiebt.

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rheinland-Pfalz ergeben sich aus der militärischen Eskalation in Jugoslawien und aus der Unterdrückung der albanischen Bevölkerung in Kosovo die folgenden notwendigen Konsequenzen:

1. Flüchtlinge aus Kosovo sind ebenso in den Staaten der europäischen Union aufzunehmen wie Deserteure der serbischen Armee und serbischer Polizei- und Miliztruppen. Wir fordern die Landesregierung auf, unverzüglich einen Abschiebestopp für diese Personengruppen zu erlassen.

2. Die Stärkung der demokratische Opposition muß eines der Hauptziele der Europäer sein.

3. Die Bemühungen um eine politische Lösung des Konfliktes sind fortzuführen, damit es schnellstmöglich zu einer Einstellung der Kampfhandlungen gegen Jugoslawien und zu einem Ende der Unterdrückung der albanischen Bevölkerung in Kosovo kommt. Der Friedensprozeß muß mit wirtschaftlicher Unterstützung für das Kosovo einhergehen. Wir fordern, einen Fonds in ausreichender Größenordnung bereitzustellen. Hier ist der politische Wille und die Entschlossenheit der reichen westlichen Industriestaaten gefragt. Wir begrüßen deswegen, daß auf Einladung der schwedischen Regierung am 23.2.99 VertreterInnen von 60 Staaten und internationalen Organisationen zu einem ersten Treffen über den Wiederaufbau des Kosovo zusammengekommen sind.

4. Die Bundesregierung muß darauf hinwirken, daß das Völkerrecht dergestalt verändert wird, daß es zu einer Zivilisierung internationaler Konfliktlösungsmechanismen beiträgt. Die Garantie und die Durchsetzung der Menschenrechte müssen dabei oberste Priorität haben.

5. Methoden der vorausschauenden, zivilen Konfliktbewältigung müssen Bestandteil der internationalen Politik werden. Hierfür ist es erforderlich, die notwendigen Mittel im Bundeshaushalt und in den Haushalten der Länder bereitzustellen, damit entsprechendes Personal ausgebildet und in Konfliktgebieten eingesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang bekräftigen wir unsere Forderung, im Rahmen der Konversion in Rheinland-Pfalz, eine Friedensakademie einzurichten.

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