zum Fachbereich Ökologie/Mobilität
aus: Frankfurter Rundschau, 18.08.2000
"Die Forschung geht einen Schritt zu weit"
Der britische Theologe Donald M. Bruce über die Benutzung von Embryonen und die Grenzen der Wissenschaft
Mit dem am schottischen Roslin-Institut von Ian Wilmut geschaffenen Schaf Dolly ist das Klonen in das Bewusstsein vieler Menschen gerückt. Am Mittwoch legte die britische Regierung einen Bericht vor, der das Klonen von menschlichen Embryonen befürwortet. Darüber sprach mit Donald M. Bruce, Direktor des "Gesellschafts-, Religion- und Technologie-Projekts" in Edinburgh, FR-Redakteur Michael Emmrich. Bruce ist evangelischer Theologe und arbeitet in diesem Ethik-Projekt auch mit Ian Wilmut zusammen.
FR: Was ist die neue Qualität des britischen Berichts?
Bruce: Er empfiehlt, das gültige Gesetz zu ändern, um mehr Experimente mit Embryonen zuzulassen. Im Zentrum steht die Produktion von Stammzellen und ihre Neuprogrammierung, um daraus verschiedene Körperzellen züchten zu können. Das ist bei uns im Vergleich zu Deutschland ganz anders. 1990 wurde im britischen Parlament das "Menschliche Befruchtungs- und Embryonen-Gesetz" verabschiedet. Dieses erlaubt eine begrenzte Forschung an Embryonen - und selbst die Herstellung von Embryonen für die Forschung. Aber für diesen zweiten Teil ist es nur sehr selten angewandt worden. Der Hauptteil der bisherigen Forschung hatte mit der künstlichen Befruchtung und generellen Fragen zur Fortpflanzung zu tun. Da kann man argumentieren, das betrifft den Embryo selbst. Also selbst wenn man Embryonen in der Forschung zerstört, kann man sagen: Es ist letztendlich zum Nutzen anderer Embryonen. Ein Report von 1995 stellte dazu fest: Dem Embryo gebührt ein spezieller Status - ganz im Gegensatz zur deutschen Sicht, die einen Embryo mit der Befruchtung als menschliches Wesen definiert. In England werden diese Embryonen als auf dem Weg zu einem menschlichen Wesen betrachtet. Man kann andererseits nicht sagen, es ist nur ein Zellhaufen. Ein Embryo hat aber nicht den selben Status wie ein Baby.
Da geht der neue Bericht nun aber noch deutlich weiter als bisher.
Das Problem mit dem neuen Report ist, dass der Einsatz der Embryonen ein ganz anderer ist, als er vom Parlament 1990 erlaubt wurde. Die entscheidende Frage ist für mich: Bringt der Report einen substanziellen Unterschied im Einsatz von Embryonen - selbst im britischen Kontext. Wir in der Kirche von Schottland sagen: Es gibt einen Unterschied. Und es ist kein Wandel zum Besseren.
So ist es aus Ihrer Sicht nicht gerechtfertigt, diesen Schritt weiter zu gehen?
Das Benutzen von Embryonen einfach nur als eine Zell-Ressource nimmt ihnen ihr Wesen als Einheit. Was am Ende herauskommt ist, dass diesen Embryonen ein spezieller Status zugewiesen wird. Das ist das Grundproblem. Andererseits gibt es aber auch das immense Potenzial, um schwerwiegende Volkskrankheiten behandeln zu können.
Bewegen wir uns da im Augenblick wirklich in mehr als einem Feld von Hoffnungen, Visionen und vielleicht Illusionen?
Zurzeit kann man noch nicht sagen, was was ist. Ich glaube aber, es ist fair, von Hoffnungen zu sprechen. Andererseits haben viele Menschen vor rund zehn Jahren enorme Erwartungen in die Gentherapie gesetzt, andere waren da viel kritischer. Deswegen sollten die Forscher mit solchen Ankündigungen nicht übertreiben. Die Leute haben mittlerweile schon gelernt, den Bogen nicht zu überspannen. Das erste ist also, dass der Report den Status des Embryos verändert hat und den Kritikern signalisiert: Wir hören euch, aber wir sind nicht eurer Meinung. Die Befürworter sagen, dass die Hoffnungen es rechtfertigen, diesen Weg zu gehen. Die meisten Kirchen würden aber den Einsatz von erwachsenen Stammzellen, die im Körper eines Patienten vorhanden sind, vorziehen. Aber das Problem dabei ist dann, dass man so wohl nicht die gleiche Menge an Stammzellen erzielen kann wie aus Embryonen. Die zweite Möglichkeit ist die Zellkern-Übertragung, die Dolly-Klon-Methode. Denn wenn man überzählige Embryonen von der künstlichen Befruchtung nimmt und mit den daraus gewonnenen Stammzellen zum Beispiel Nervenzellen gegen Parkinson entwickelt, hat dieser Embryo nicht dieselbe genetische Ausstattung wie der Patient und dessen Immunsystem stößt die Zellen ab. Aber wenn man Zellen mit derselben genetischen Ausstattung produziert, kann man dieses Problem lösen. Das ist die Idee, erwachsene Zellen aus dem Körper zu nehmen und in entkernte Eizellen zu geben. Mit dieser Dolly-Technik könnte man menschliche Embryonen herstellen, um daraus Stammzellen zu erhalten, die dann zu verschiedenen Zelltypen reprogrammiert werden. Aber auch das hieße: man braucht dafür menschliche Embryonen. In Gesprächen mit den Wissenschaftlern vom Roslin-Institut wird klar, dass sie niemals genug menschliche Eizellen haben werden für Hunderttausende von Patienten, wenn man diese Technik für viele Krankheiten einsetzen wollte. Das funktioniert nicht. Selbst für die Forschung im Moment ist es ein Problem, genügend Eizellen zu bekommen. Auf lange Sicht wird es deshalb am praktischsten sein, einen Weg zu finden, für den man keine Eier und keine Embryonen braucht. Die Idee ist es deshalb, die im Patienten vorhandenen erwachsenen Stammzellen direkt zu reprogrammieren und sie so in die gewünschten Zelltypen umzuwandeln.
Welche Auswirkungen des britischen Berichts erwarten Sie für Europa?
Wir haben in in Europa eine Vielzahl von verschiedenen Gesetzen zum Umgang mit und zum Status von Embryonen. In Deutschland gibt es die Situation, dass Sie solch eine Forschung nicht machen können. Aber es gibt nun auch eine Debatte darüber, ob die Ziele diese Forschung rechtfertigen. Und ich wäre nicht sehr überrascht, wenn die Deutschen ihre Haltung veränderten und damit auch das Gesetz.
Wie bewerten Sie es, wenn die Forschung in England gemacht würde und in Deutschland verboten bliebe, aber deutsche Forscher die dort aus Embryonen gewonnenen Zellen für ihre Arbeit importieren würden?
Das wäre nicht ethisch. Wenn ein Land sagt, wir wollen diese Forschung nicht, sollte es auch das andere nicht tun. Wir hatten einen ähnlichen Fall in Großbritannien mit einer Frau, deren Mann tragisch ums Leben kam. Sie wollte nun das tiefgefrorene Sperma des Verstorbenen für eine künstliche Befruchtung nutzen. Weil ihr das untersagt wurde, ging sie nach Belgien. Ich denke, das geht nicht, wenn das eigene Land nein dazu sagt.
Um es zusammenzufassen: Ist für Sie diese Forschung komplett undenkbar?
Sie geht einen Schritt zu weit im Benutzen von Embryonen. Das gilt aber nicht für das gesamte Gebiet. Wenn man die Embryonen verbraucht in einem Routineprozess, als eine Ressource für Stammzellen, sagen wir dazu Nein. Ich erwähnte ja schon die Hoffnung des Roslin-Instituts, für die Gewinnung von Stammzellen einmal keine Embryonen mehr zu benötigen. Aber für eben diese Forschung wird auch noch eine begrenzte Zahl von Embryonen gebraucht, gerade um einen Weg zu finden, sie nicht mehr benutzen zu müssen. Ich würde diese Embryonenforschung rechtfertigen unter strengen Begrenzungen und wenn es ihr einziger Grund ist, den Verbrauch von Embryonen zu verhindern. Da mache ich die Unterscheidung. Und eine andere wichtige Frage ist: Wie weit sind wir als Land, diese Entscheidung schon treffen zu können, denn wir werden Ende des Jahres dazu die Parlamentsentscheidung haben. Ich bin überzeugt, in Deutschland ist es nicht anders, dass wir Entscheidungen über Dinge treffen die die Menschen bisher noch gar nicht wirklich verstehen. Wir brauchen deshalb eine viel, viel stärkere Debatte darüber.
Frankfurter Rundschau, 18.08.2000