PRESSEDIENST DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES ***
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Berlin: Mi, 12.12.2001 Redaktionsschluss: 16:45 Uhr (326) Innenausschuss
PDS-INITIATIVE ZUR ANERKENNUNG GESCHLECHTSSPEZIFISCHER ASYLGRÜNDE
ABGELEHNT
Berlin: (hib/WOL) Abgelehnt hat der mitberatende Innenausschuss
am
Mittwochvormittag einen Antrag der PDS-Fraktion zur "Anerkennung
geschlechtsspezifischer Fluchtursachen als Asylgrund" (14/1083).
Das Votum
wurde mit den Stimmen von SPD, CDU/CSU und Bündnisgrünen bei
Enthaltung
der FDP gefasst. Die SPD hatte erklärt, mit der Neuregelung der
Zuwanderungsfrage durch den Entwurf der Regierungskoalition sei der
Antrag
in "weiten Teilen hinfällig". Mit der inzwischen erreichten
Lösung eines
sogenannten "kleinen Asyls", welches den befristeten Aufenthalt
und Zugang
zu Arbeitsplätzen ermögliche, werde der Intention der Initiative
weitgehend entsprochen. Die CDU/CSU wandte sich gegen eine Ausweitung
der
Asylberechtigung über die bisherigen Gründe religiöser
und staatlicher
Verfolgung hinaus. Sie verwies dabei auch auf den konkret existierenden
Abschiebeschutz für afghanische Frauen. Bündnis 90/Die Grünen
erklärten,
mit der neuen Koalitionsregelung und dem Abschiebeschutz sei es gelungen,
für einen bestimmten Personenkreis einen sicheren Status zu erreichen.
Gleichzeitig sei man nach zehnjähriger Debatte einen wesentlichen
Schritt
näher an den Stand der Genfer Konvention herangekommen. Die FDP
räumte
ein, im Rechtsausschuss sei von liberaler Seite der Initiative zugestimmt
worden. Da andererseits die Rechtslage aber nicht zu einer Erweiterung
der
Asylberechtigung führen dürfe, werde man sich bei der Abstimmung
der
Stimme enthalten.
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Hier der Antrag der PDS: Deutscher Bundestag: Drucksache 14/1083 vom
27.05.1999 Eine Garantie für die Richtigkeit und Vollständigkeit
der Texte
von Bundestagsdrucksachen kann nicht übernommen werden. Maßgebend
ist die
Papierform der Drucksachen. Aus technischen Gründen sind Tabel-
len nicht
formatgerecht und Grafiken gar nicht in den Texten enthal- ten. Teile
der
Drucksachen (Anlagen), die z. B. im Kopierverfahren hergestellt wurden,
fehlen ebenfalls.
Antrag der Fraktion der PDS Anerkennung geschlechtsspezifischer
Fluchtursachen als Asylgrund =
27.05.1999 - 1083
14/1083
Antrag
der Abgeordneten Petra Bläss, Ulla Jelpke, Petra Pau, Christina
Schenk,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS Anerkennung
geschlechtsspezifischer Fluchtursachen als Asylgrund
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Frauen sind weltweit von geschlechtsspezifischen Formen von Verfolgung
betroffen. Bekannteste Form ist die Verfolgung durch sexualisierte Gewalt.
Sie wird in kriegerischen Konflikten gezielt eingesetzt, um ganze
Bevölkerungsgruppen zu treffen. Sexualisierte Gewalt wird aber
auch als
gezielte Maßnahme zur individuellen Verfolgung von Frauen durch
staatliche
und nichtstaatliche Verfolgungsinstanzen genutzt. Geschlechtsspezifische
Fluchtgründe finden weder im Asylrecht nach Artikel 16 a GG noch
in den
Abschiebeschutzbestimmungen des Ausländergesetzes Berücksichtigung.
Das
deutsche Asyl- und Ausländerrecht geht von einer rigiden Auslegung
des
Verfolgungsbegriffs der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aus.
Die Genfer
Flüchtlingskonvention definiert Flüchtlinge als Personen,
die "aus der
begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion,
Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
oder wegen
ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet,
dessen
Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht
in
Anspruch nehmen will; . . ." (Artikel 1 Abs. 2 GFK). In der Bundesrepublik
Deutschland wird als verfolgt und damit als Flüchtling nur anerkannt,
wer
glaubhaft machen kann, daß die Verfolgung aus politischen Gründen
durch
den Staat, staatsnahe Institutionen oder mit staatlicher Duldung erfolgt.
Unter diesen Flüchtlingsbegriff fallen viele Frauen nicht. Frauen
fliehen
aus vielen Gründen: - wie Männer vor "klassischer"
politischer Verfolgung
wegen Betätigung in oppositioneller Weise; - weil sie wegen politischer
Betätigung ihrer männlichen Verwandten Verfolgungsmaßnahmen,
meist mit
sexueller Gewalt verbunden, erleiden mußten; - wegen sexualisierter
Übergriffe und Gewalttaten; - wegen drohender Genitalverstümmelung;
-
wegen drohender Zwangsabtreibung insbesondere weiblicher Föten;
- wegen
drohender Zwangssterilisation; - wegen drohender Zwangsverheiratung;
-
wegen drohender Verfolgungsmaßnahmen bis hin zur Tötung nach
Verletzung
der "Familienehre" oder Verstößen gegen für
Frauen rigide Bekleidungs- und
Verhaltensregeln z. B. in islamistischen Ländern wie dem Iran,
Afghanistan; - wegen gezielt gegen Frauen verhängten Berufs- und
Arbeitsverboten. Frauenrechte sind Menschenrechte. Frauen- und
Menschenrechtskonventionen bestätigen dies ebenso wie internationale
Erklärungen und Konferenzen. Damit hat jede Frau in der Welt wie
jeder
Mann ein Recht auf körperliche und seelische Integrität. Verletzungen
dieses Rechts z. B. durch sexuelle Gewalt oder durch Verstümmelung
der
Geschlechtsorgane sind Menschenrechtsverletzungen. a) Die vierte
Weltfrauenkonferenz in Peking hat 1995 eine Resolution verabschiedet,
in
der die Staaten der Welt aufgefordert werden, Möglichkeiten zu
prüfen,
"diejenigen Frauen als Flüchtlinge anzuerkennen, deren Antrag
auf
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sich auf die wohlbegründete
Furcht
vor Verfolgung aus Gründen stützt, die in dem Abkommen von
1951 über die
Rechtsstellung der Flüchtlinge und in dem dazugehörigen Protokoll
aus dem
Jahr 1967 aufgeführt sind, namentlich Verfolgung in Form von sexueller
Gewalt oder anderer Formen der Verfolgung aufgrund der
Geschlechtszugehörigkeit." b) Schon 1984 hat sich das Europäische
Parlament in einer Resolution dafür verwandt, Frauen als Flüchtlinge
wegen
ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nach der
GFK
anzuerkennen, wenn sie wegen Verstößen gegen moralische oder
ethische
Regeln ihrer Herkunftsgesellschaften verfolgt werden. c) Das
Exekutivkomitee des UNHCR appellierte 1985 erstmals an die Mitgliedstaaten
der VN, sich die "Interpretation zu eigen zu machen, daß
weibliche
Asylsuchende, die harte oder unmenschliche Behandlung zu erwarten haben,
weil sie gegen den sozialen Sittenkodex in der Gesellschaft, in der
sie
leben, verstoßen haben, eine besondere Gruppe" im Sinne der
Genfer
Flüchtlingskonvention darstellen (Exekutivkomitee- Beschluß
Nummer 39).
1993 beschloß das Exekutivkomitee in einer zusätzlichen Erklärung,
daß
Personen als Flüchtlinge anerkannt werden sollten, deren Anspruch
auf den
Flüchtlingsstatus aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch
sexualisierte Gewalt wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität,
ihrer
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer
politischen Überzeugung basiert (Exekutivkomitee-Beschluß
Nummer 73). d)
Der Deutsche Bundestag beschloß 1990 einen von Frauen aller damals
im
Parlament vertretenen Fraktionen initiierten Antrag, in dem die
Bundesregierung aufgefordert wurde, "eine ausdrückliche Klarstellung
ins
Asylverfahrensgesetz aufzunehmen, wonach auch wegen ihres Geschlechts
oder
ihrer sexuellen Orientierung verfolgte Frauen Asyl genießen"
(Drucksache
11/4150). Die von der Bundesregierung in ihren Koalitionsvereinbarungen
geäußerte Absicht, die Anerkennung geschlechtsspezifischer
Verfolgung in
die Verordnungen zur Ausführung des Ausländergesetzes aufzunehmen,
reicht
nicht aus. Notwendig sind auch gesetzliche Änderungen, die klar
stellen,
daß geschlechtsspezifische Verfolgung auch dann vorliegen kann,
wenn sie
nicht vom Staat oder staatsförmigen Institutionen ausgeht. II.
Der
Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf: 1. die von ihr
mitgetragenen Beschlüsse 39 und 73 des UNHCR- Exekutivkomitees
sowie den
entsprechenden Beschluß der Weltfrauenkonferenz 1995 gesetzlich
umzusetzen
und für eine entsprechende Auslegung des § 51 des Ausländergesetzes
Sorge
zu tragen. Danach sind Frauen, die in ihrem Herkunftsland harte oder
unmenschliche Behandlung zu erwarten haben, weil sie gegen den sozialen
Sittenkodex ihrer Herkunftsgesellschaft verstoßen haben, als "bestimmte
soziale Gruppe" im Sinne der GFK anzusehen und fallen deshalb unter
die
Schutzbestimmungen des § 51 Ausländergesetz (AuslG); 2. einen
Gesetzentwurf einzubringen, der klarstellt, a) daß geschlechtsspezifische
Verfolgungsgründe einen Rechtsanspruch nach § 3 Asylverfahrensgesetz
(AsylVfG) darstellen (Rechtsstellung sonstiger politisch Verfolgter/§
51
AuslG), b) daß Frauen, die durch sexualisierte Gewalt wegen ihrer
ethnischen Herkunft, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit
zu einer
bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung
verfolgt
werden, als gefährdet im Sinne von § 51 AuslG anzusehen sind
und deshalb
Anspruch auf den Rechtsstatus nach § 3 AsylVfG haben; 3. das Bundesamt
für
die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) anzuweisen,
daß Frauen,
denen in ihren Herkunftsländern eine Gefährdung für Leib,
Leben oder
Freiheit aufgrund geschlechtsspezifischer Menschenrechtsverletzungen
oder
sexueller Gewalt droht, Abschiebeschutz nach § 53 AuslG zu gewähren
ist;
4. im Einvernehmen mit den Ländern Abschiebeschutzregelungen für
Gruppen
verfolgter Frauen zu erlassen; 5. einen Gesetzentwurf zur Änderung
des
Asylverfahrensgesetzes einzubringen, der dafür Sorge trägt,
daß
geschlechtsspezifische Verfolgungserlebnisse in den Asylverfahren selbst
Anerkennung und Berücksichtigung finden. O Dazu ist der §
24 AsylVfG
derart zu ergänzen, daß das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer
Flüchtlinge verpflichtet wird zu prüfen, ob eine Gefährdung
von Frauen
durch geschlechtsbezogene Verfolgungsakte begründet oder erhöht
wird oder
ob die Verfolgung an eine Ungleichbehandlung von Mann und Frau anknüpft,
sie fördert oder sich zunutze macht. O Asylverfahren von Frauen
sollen
grundsätzlich von Einzelentscheiderinnen durchgeführt werden,
dabei sollen
die Frauen getrennt von ihren männlichen Familienmitgliedern befragt
werden. Die Sprachvermittlung hat ebenfalls durch weibliche
Dolmetscherinnen zu erfolgen. Den Asylbewerberinnen ist aber ein
Widerspruchsrecht gegen die Befragung durch Frauen und die von männlichen
Familienangehörigen getrennte Anhörung einzuräumen. O
In Asylverfahren
geschlechtsspezifisch verfolgter Frauen sind auch solche Einlassungen
zu
den Fluchtgründen zu berücksichtigen, die erst nach der ersten
Anhörung
vorgebracht wurden. Dies trägt der Tatsache Rechnung, daß
vergewaltigte
und traumatisierte Frauen oft erst nach geraumer Zeit über ihre
schrecklichen Erlebnisse sprechen können. Der § 25 AsylVfG
ist
entsprechend zu ergänzen. O Für Frauen ist bereits vor der
Anhörung neben
einer asylrechtlichen Beratung, auch eine psychosoziale Betreuung zu
gewährleisten, um feststellen zu können, ob geschlechtsspezifische
Verfolgung und damit verbundene Traumatisierungen vorliegen. Im
Asylverfahren und in möglichen späteren Gerichtsverfahren
sind diese
Erkenntnisse zwingend zu berücksichtigen; 7. die in den USA, Kanada
und
der Schweiz erlassenen Richtlinien für die Anhörung geschlechtsspezifisch
verfolgter Frauen auf ihre Anwendbarkeit im bundesdeutschen Asylverfahren
hin zu prüfen; 8. die in Österreich und den Niederlanden geltenden
Regelungen zur Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung auf ihre
Übernahme in bundesdeutsches Recht zu prüfen und einen entsprechenden
Gesetzentwurf vorzulegen; 9. in der asylrechtlichen Zusammenarbeit im
EU-Rahmen darauf hinzuwirken, daß staatliche und nichtstaatliche
geschlechtsspezifische Verfolgung einheitlich als Asyl- und Aufnahmegrund
anerkannt wird. Bonn, den 18. Mai 1999 Petra Bläss Ulla Jelpke
Petra Pau
Christina Schenk Dr. Gregor Gysi und Fraktion
27.05.1999
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