Fachbereich Finanzen / Wirtschaft / Soziales


      zurück

Thesenpapier der Unterarbeitsgruppe "Rentenreform" der LAG Soziales der GRÜNEN in Hessen zum Thema: Neuorganisierung des Generationenvertrags im Rahmen einer Reform der Alterssicherung

Gabi Gutberlet, Christa Perrabo, Albrecht Rohrmann, Wolfgang Strengmann

 

1. Zielbereiche einer Reform der Alterssicherung

a. Ordnungspolitische Ziele

Zu nennen sind hier in erster Linie die Sicherheit und Stabilität der Leistungen und die Gewährleistungen der Funktionsfähigkeit des Systems. Die muß für heutige Leistungsempfängerlnnen, aber auch für zukünftige, heutige Beitrags- und Steuerzahlerlnnen gelten. Um diese Ziele auch langfristig zu erreichen, bedarf es einer zukunftsorientierten, "großen" Reform, die die schon lange bekannte demographische Entwicklung ebenso wie die Arbeitsmarktlage einbezieht. Halbherzige Reformen, wie das Rentenreformgesetz 1992, das gerade mal für 6 Jahre Gültigkeit hat(te), sind für ordnungspolitische Ziele schädlich.

b. Verteilungspolitische Ziele

Vermeidung von Armut im Alter entweder "im Nachhinein", d.h. dann wenn Armut auftritt oder "im Vorhinein", d.h. durch eine Mindestbeitragspflicht endgültige Vermeidung von Armut im Alter.

Relative Stetigkeit des Nettoeinkommens im Alter, d.h. das angestrebte Nettorentenniveau von 65% für die Eckrentnerln sollte vorbehaltlich der jährlichen Anpassung festgeschrieben werden und Verläßlichkeit garantieren. Der Weg dahin ist transparent zu gestalten.

Gerechte intergenerationale Verteilung zwischen Personen im erwerbsfähigen Alter und Rentnerlnnen..

c. Gesellschaftspolitische Ziele

Verwirklichung einer eigenständigen Alterssicherung für alle Personen und damit Abkehr von der Ehezentrierung im gegenwärtigen System.

Abschwächung der Erwerbszentrierung durch Anerkennung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, die nicht entlohnt wird und Einführung von pauschalierten Beitragszeiten zur Absicherung unstetiger Erwerbsbiographien..

Ausweitung der Rentenversicherungspflicht auf alle Wohnsitzbürgerlnnen und Vereinheitlichung der Alterssicherungssysteme.

 

    2. Systemimmanente, kleine Reformschritte

    .

  • Um einen gerechten intergenerationalen Ausgleich zu schaffen, ist bei relativer Beitragsstabilität eine gleichzeitige, heute beginnende Absenkung des Rentenniveaus notwendig. Ein wichtiges Ziel ist dabei, die Transparenz der Vorgehensweise sicherzustellen, um das Vertrauen in das gegenwärtige System nicht nachhaltig zu schädigen. Der gegenwärtige Vorschlag der Bundesregierung (Erweiterung der Rentenfomel um einen demographischen Faktor) wird dieser Forderung nicht gerecht - wie man/frau leicht feststellen kann, wenn er/sie versucht diese nachzuvollziehen.
  • Eine Absenkung des Rentenniveaus bedeutet aber, daß ohne weitergehende Reformen für viele Menschen die Rente nicht ausreicht, um ein sozio-kulturelles Existenzminimum zu erreichen. Um Armut in diesen Fällen zu vermeiden gibt es zwei Möglichkeiten.
  • .
  • Vermeidung von Armut "im Nachhinein" (bei Rentenzugang): Fällt die Rente (plus eventuelle andere Einkommen) unter ein zu bestimmendes sozio-kulturelles Existenzminimum, erhält man/frau staatliche Transferleistungen. Diese Vorgehensweise entspricht dem heutigen Sozialhilfesystem, aber auch einer reformierten "bedarfsorientierten Grundsicherung". Dabei muß gewährleistet sein, daß alle Transferberechtigten die Grundsicherung auch erhalten. Außerdem ist zu überlegen, inwieweit auf eine vollständige Anrechnung der Rente auf die Grundsicherung verzichtet werden kann, um das subjektive Empfinden zu mildern, das bis in Höhe der Grundsicherungsleistung eine Beitragszahlung "überflüssig" war.

    .

  • Vermeidung von Armut "im Vorhinein"(d.h. es kommt erst gar nicht zu Altersarmut): Dies kann durch die Einführung einer Mindestbeitragspflicht, wie sie zum Beispiel im Rahmen des Vorschlags einer "Voll Eigenständigen Sicherung" (siehe Pkt. 3) enthalten ist, erreicht werden. Ein solcher Mindestbeitrag wäre so zu bemessen, daß bei Rentenzugang die Rentenzahlungen mindestens die Höhe des sozio-kulturellen Existenzminimums erreicht.

    3) Systemübergreifende Reform: " Voll eigenständige Sicherung

  • Ein Vorschlag, der alle oben aufgeführten Ziele aufgreift und umsetzt, ist die "Voll eigenständigen Sicherung". Ein Vorschlag, der bisher innerhalb der GRÜNEN unserer Meinung nach zu wenig diskutiert wird.
  • Eine "Voll eigenständige Sicherung" bedeutet, daß jede Person ab einem bestimmten Alter, einen Mindestbeitrag in die Rentenversicherung einzahlen muß. Es sind also alle Wohnbürgerinnen und -bürger pflichtversichert, womit gleichzeitig dem Ziel einer Vereinheitlichung der Alterssicherungssysteme Rechnung getragen wird.
  • Für die Beitragszahlung ist im Fall der Nichterwerbstätigkeit regelmäßig diejenige Person oder Institution zuständig, die bestimmte soziale Tatbestände absichert, Grund für die Nichterwerbstätigkeit ist bzw. für den Lebensunterhalt der nichterwerbstätigen Person aufkommt. Bei Arbeitslosigkeit, Ausbildung, Zivil- und Wehrdienst etc. wird der Mindestbeitrag vom "Staat" (Bundeshaushalt oder Parafisci) übernommen. Im Fall von Kindererziehung leistet der Staat den Beitrag (zeitlich begrenzt) unabhängig davon, ob die Erziehenden erwerbstätig sind oder nicht. Bei Nichterwerbstätigkeit ohne schutzwürdigen sozialen Grund, zum Beispiel bei traditioneller Arbeitsteilung von Paaren ohne (kleine) Kinder, bleibt die Mindestbeitragspflicht bestehen. In dem genannten Beispiel müßte also mit dem Erwerbseinkommen des Mannes auch der Mindestbeitrag für die Frau bezahlt werden
  • Aus Sicht eines gerechten Ausgleichs zwischen den Generationen, sollten die genannten zusätzlichen Beiträge zur Schaffung eines Kapitalstocks verwendet werden, aus dem dann auch die entsprechenden Renten bzw. Rentenbestandteile bezahlt werden. Dies würde zu einer Entlastung der Rentenversicherung in der Zukunft führen, also in den Zeiten, in denen aufgrund der demographischen Entwicklung mit den größten finanziellen Problemen gerechnet wird.
  • Ein solcher Kapitalstock ist sicher anzulegen, d.h. eine Beteiligung an Risikokapital wird abgelehnt. Darüberhinaus muß er auf jeden Fall von Zugriffen staatlicherseits geschätzt sein. D.h. unter anderem, der Kapitalstock darf nicht zu irgendwelchen politischen Zwecken - jenseits der Alterssicherung - verwendet werden, wie z.B. der Förderung von Existenzgründungen. Hier empfiehlt sich ein Blick in die Anlagebedingungen privater Lebensversicherung
  • Neben einer transparent zu gestaltenden Absenkung des gegenwärtigen Rentenniveaus ist aus steuersystematischen und Gerechtigkeitsgründen die Besteuerung auf die Altersrenten auszudehnen. Dies erfordert gleichzeitig - um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden -, die Steuerfreistellung von Vorsorgeaufwendungen bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze. In diesem Zusammenhang ist zu diskutieren, inwieweit diese zusätzlichen Steuereinnahmen für den Aufbau des Kapitalstocks verwendet werden können, um die finanzielle Belastung der gegenwärtig "jungen" Generation durch die Finanzierung der gegenwärtigen Renten und den Aufbau eines Kapitalstocks zu mildem.
  • Durch die Mindestbeitragspflicht für alle Wohnsitzbürgerlnnnen werden geschlossene Versicherungsverläufe konstruiert, die im Alter allen Personen ein eigenes, Armut vermeidendes Einkommen garantieren. Altersarmut wird damit endgültig vermieden.
  • Die Hinterbliebenensicherung, die gegenwärtig für verheiratete Personen einen aus der Ehe abgeleiteten Anspruch gewährleistet, könnte bei einer wie hier skizzierten Reform in jedem Fall abgeschafft werden, da für alle eine eigenständige Sicherung besteht. Ein Vertrauensschutz ist zu gewährleisten.
  • Eine Frage, die bezüglich des Voll eigenständigen Systems noch diskutiert werden müßte, ist, ob bei Niedrigeinkommensbezieherlnnen die Pflicht zur Zahlung eines Mindestbeitrages nicht eine zu große Belastung darstellt.
  • Der Aufbau eines Kapitalstocks und die Subventionierung von Beiträgen in den genannten Fällen ist nicht zwangsläufig mit der Einführung der "Voll eigenständigen Sicherung" verbunden, und wäre auch in einem System ohne Mindestbeitragspflicht integrierbar.


      zurück