Fachbereich Finanzen / Wirtschaft / Soziales
"Freitag"
48 am 24. November 2000
Rudolf Hickel Restversicherung Rot-Grün verstaatlicht die Risiken sozialer Alterssicherung und kommunalisiert sie zugleich Gerhard Schröder hatte noch zur Bundestagswahl angekündigt, nicht alles anders zu machen, sondern nur besser. Jetzt stellt er sich hinter seinen Arbeitsminister Walter Riester und stellt mit ihm sicher: Bei der Rentenreform wird nun wirklich nichts besser gemacht, sondern endgültig alles anders. Die vorliegende Neuordnung - das Etikett Reform passt nicht - zielt auf einen grundlegenden Systemwechsel. Die seit über hundert Jahren bewährte, immer wieder an veränderte Entwicklungsbedingungen angepasste gesetzliche Rentenversicherung soll auf eine völlig unzureichende Restversicherung reduziert werden. Zu diesem Systemwechsel drängen sich fundamentale Fragen auf: Ist die Neuordnung unvermeidbar und sachgesetzlich alternativlos, wie die Bundesregierung behauptet? Ist das der Preis, den die heutigen und künftigen Menschen im Rentenalter dafür bezahlen müssen, dass sich ihre Lebenserwartungen deutlich verbessert haben? Um es unmissverständlich zu sagen, es gibt keinen alternativlosen Sachzwang, der diese Neuordnung rechtfertigen könnte. Den Beschäftigten werden ab 2030 elf Prozent Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung und vier Prozent für die kapitalgebundene Altersvorsorge abverlangt, insgesamt also 15 Prozent. Der Beitragssatz der Arbeitgeber reduziert sich jedoch auf 11 Prozent. Besonders die Bündnisgrünen behaupten, Arbeitgeber investierten nur noch, wenn die Lohnnebenkosten beziehungsweise die Grenzkosten der Arbeit sänken. Diese Behauptung hält Platz eins der Liste mangelnder ökonomischer Kompetenz, weil der angebliche Zusammenhang völlig dubios ist und ganz anderer Faktoren Einfluss haben. Dagegen wird über die Anhebung der Rentenversicherungsbeiträge der Beschäftigten um mehr als fünf Prozent kein Wort verloren. Stattdessen organisiert Rot-Grün eine interessanter Umverteilung. Der Staat übernimmt für die privater Kapitalbildung jährlich Finanzhilfen in Höhe von zirka 20 Milliarden Mark, während die Unternehmen aus der Beitragspflicht für diesen Teil entlassen werden. Niemand kann bestreiten, dass die Regierung Schröder damit soziale Risiken der Alterssicherung zugunsten der Unternehmen verstaatlicht. Es gibt aber noch einen zweiten, speziellen Gewinner - die Anbieter von Versicherungen und anderen Kapitalanlagen. Bei der geplanten Bedienung dieser Branche werden auch noch schwere handwerkliche Fehler sichtbar. Die Regierung will, dass die Kapitalanlagen bis zum Renteneintritt gebunden sein und eingezahlter Beiträge mindestens in ihrer Gesamthöhe ausgezahlt werden müssen. Damit wäre aber die in das Gesamtsystem eingebauten Durchschnittsrendite von circa fünf Prozent für die Kapitalsäule kaum zu halten. Die Naivität der rot-grünen Systemveränderer ist schon bemitleidenswert. Schließlich begibt sich das neue Zwei-Säulen-Rentensystern in die Abhängigkeit der nationalen und internationalen Kapitalmärkte. Noch vor Jahren haben die Protagonisten dieser Kapitalsäule auf die expandierenden Kapitalmärkte Südost-Asiens hingewiesen. Angesichts der dortigen Krise 1997 sind diese Lobpreisungen verstummt. Schließlich ist unbestreitbar, diese Systemveränderung trägt zur wachsenden Ungerechtigkeit zwischen den Generationen bei. Gerade Bündnis 90/Die Grünen, die die Früchte ihrer Politik populistisch den künftigen Generationen versprechen, müssten hier in Erklärungsnot geraten. Die intergenerative Ungerechtigkeit wird über die folgende Zangenbewegung hergestellt: Einerseits wird durch die Modifizierung der Nettolohnanpassung Zug um Zug das Rentenniveau künftiger Generationen reduziert. Andererseits wird vor allem für die Generationen, die ab 2030 in die Rente eintreten, deren gesetzlicher Anspruch durch den so genannten Ausgleichsfaktor noch weiter reduziert. Und hierbei handelt es sich um einen recht willkürlich gewählten Abzugsfaktor. Er ist vergleichbar Blüms Demografiefaktor, nur mit dem Unterschied, dass der Riestersche erst ab 2011 einsetzt und ab 2030 zur vollen Wirkung kommt. Jedenfalls sinkt für diejenigen, die ab 2030 in Rente gehen, das gesetzlicher Rentenniveau auf nominal 64,5, real 61,1 Prozent und darunter, während die Pensionäre, die davor in Rente gegangen sind, noch nominal 68,5 Prozent, real etwa 65 Prozent ausgezahlt bekommen. Das trifft besonders die heute Beschäftigten ab Mitte 35. Dagegen wird eingewandt, dass diesen die kapitalgebundene Altersvorsorge Rettung bringen würde. Obwohl sie privat genannt wird, liegt der Zwang auf der Hand, wenn später die Rente ausreichen soll. Doch was hat ein Beschäftigter zu erwarten, der nicht in der Lage ist, trotz staatlicher Zuschüsse dafür genügend Einkommen aufzubringen? Es ist gewiss, mit diesem Systemwechsel wird der Anspruch auf existenzsichernde Sozialhilfe zunehmen. So werden die Kosten des Systemwechsels auf die Gemeinden abgeschoben. Die Sozialdemokraten verfolgen inzwischen eine Politik des Durchmarschs, obwohl auch Kritik artikuliert wird. Vermutlich setzen sie auf die Vergesslichkeit und Bindungstreue der bisherigen Klientel. Der kleine Partner in der Regierung gefällt sich dagegen in der Rolle, den Rückwärts-Quantensprung schneller durchzusetzen. Nicht nur in diesem Politikbereich ist diese Partei nicht mehr als sozial-ökologische Kraft zu erkennen. Das zeigen auch die jüngsten Forderungen nach der durch die Wirtschaftsverbände sehnlichst geforderten Öffnung des Tarifvertragssystems. Jetzt gilt es erst einmal, Aufklärungsarbeit zu leisten und mit Kampagnen gegen die Demontage sozialer Errungenschaften vorzugehen, auf die gerade auch eine New Economy angewiesen ist. Und klargemacht werden muss: Es gibt eine Alternative zugunsten einer solidarischen Rentenversicherung. Dazu gehört durchaus die Förderung aller Formen der privaten Kapitalbildung, aber nicht als Ersatz für eine gesetzliche Mindestsicherung. Rudolf Hickel ist Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik,
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