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Einwendungen gegen das Interimslager Philippsburg

Dr. med. Walter Sieber                                                                                    07. 08. 2000
Freiherr vom Steinweg 21
74821 Mosbach

An

Bundesamt für Strahlenschutz
Postfach 10 01 49
38201 Salzgitter

Betr.: EnBW Kraftwerke AG – Kernkraftwerk Philippsburg – auf Genehmigung nach § 6
         Atomgesetz für die Aufbewahrung von Kernbrennstoffen am Standort des Kernkraft-
         werks Philippsburg  (KKP) vom 25. 05. 2000.

Hiermit erhebe ich gegen den o. g. Antrag der Fa. KKP folgende

Einwendungen:

01. Der Antrag ist unvollständig, da Angaben über die erforderliche Vorsorge zur Erfüllung gesetzlicher

      Schadensersatzverpflichtungen fehlen, wie sie in § 6 (2), Satz 3 AtG gefordert werden.

02. Im Sicherheitsbericht – in der Folge als SB bezeichnet – werden die Luftverkehrsstraßen

      beschrieben (S. 1.5-2). Militärflugzeuge dürfen außerhalb eines Radius von 1500 m Tiefflüge

      unter 1500 Fuß (ca. 500 m) unternehmen. Die Distanz von 1500 m wird von einer

      Militärmaschine in 5 – 7 s zurückgelegt. Damit wird nicht nur das Interimslager, sondern

      auch die Gesamtanlage KKP gefährdet. Angaben über Luftstraßen werden im SB nicht oder

      unzureichend gemacht.

03. Die Angaben über die Lufttemperaturen (SB, 1.6-1) beziehen sich auf das Jahr 1998. Es ist

      davon auszugehen, dass die Lufttemperaturen in den Monaten Mai/Juni 2000 höher lagen.

      Zudem vermitteln durchschnittliche Monatswerte kein realistisches Bild. Als Basis sind nur

      mittlere Tageswerte für 2-4 Tage geeignet.

04. Im SB wird auf "Bodenverbeserungsmaßnahmen" hingewiesen (S. 1.7-1). Es fehlen Angaben,

      welcher Art diese Maßnahmen waren und warum sie notwendig waren.

05. Nach Angaben im SB, S. 1.8-2, liegt der Bemessungswasserstand um 0, 4 m unter der

      Geländehöhe des Interimslagers. Aus den "Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke",

      bekanntgemacht vom Bundesminister des Innern am 21. 10. 1977 – in der Folge als

      SK-BI bezeichnet – wird unter Grundsätzen der Sicherheitsvorsorge die "Berücksichtigung

      ausreichender Sicherheitszuschläge bei der Auslegung der Systems und Anlagenteile"

      verlangt. Dem wird gem. SB des KKP beim Bemessungswasserstand nicht ausreichend

      Rechnung getragen.

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06. Für Erdbeben wird im SB, S. 1.9-1 eine Stärke von VII – VIII gem. MSK-Skala und eine

max. Horizontalbeschleunigung von 210 cm/s² angegeben. Nach E. GRIMMEL ("Wie sicher sind Atomkraftwerke in Deutschland bei Erdbeben?", Manuskript eines Vortrags v. 7.9.1996 in Wuppertal) ist bei einer Erdbebenintensität von 7 – 8 mit einer Beschleunigung des Untergrunds von 0,7 bis 3,0 m/s² zu rechnen. Hierfür ist KKP nicht ausgelegt. Ob die Umhausung des Interims-Lagers

solche Belastungen standhält, ist fraglich; insbesondere könnte die Luftumwälzung – Kühlung

der verbrauchten Brennelemente gestört sein.

In seinem –rechtskräftigen – Urteil zu Mülheim – Kärlich stellt das OVG Rheinland-Pfalz (7 C 10727/93 v. 22.11.1995) fest, dass bei Berechnungen der für Erdbeben maßgebenden Größen die Ermittlung eines Mittelwertes für diese Größe nicht ausreicht, vielmehr auch die Konfidenz-Intervalle in die Bewertung der Stärke eines Erdbebens miteinbezogen werden müssen. Ob diese Voraussetzungen

bei der Bewertung der Erdbebensicherheit des KKP gegeben waren, bedarf der Überprüfung.

07. "Einzelne beladene TLB können bei der Lagerung aufgrund von Meßunsicherheiten maximal 30 %

      höhere gemessene Dosisleistungen aufweisen. Die o.g. Auslegungsdosisleistung wird jedoch im Mittel

      über alle gelagerten TLB eingehalten", wie im SB, S. 2.2-5 zu lesen ist. Dieses Bewertungsverfahren

      entspricht nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik. Offenkundig liegen hier erhebliche

      Streuungen um einen Mittelwert vor, die die Angabe von Standardabweichungen und der

      Konfidenzintervalle erfordern. Zudem sind gem. den o.e. (s.05) SK-BI Sicherheitszuschläge anzu-

      geben.

08. Gemäß Angaben im SB, S. 2.5-2 u. 4.3-1, wird die Abwärme der liegend aufbewahrten Brennelemente

      Interims-Lager durch Öffnungen dem Boden und an der Oberseite der Umhausung abgeführt. Der

      Entlüftungskanal ist als Labyrinth ausgebildet. Es fehlen Angaben über die Menge des Luftstroms.

      Es wird im übrigen nicht begründet und vergleichend untersucht, ob eine stehende oder liegende

      Lagerung der Castor-Behälter für die Wärmeabfuhr günstiger ist.

09. Die Dichtheits-Prüfung der TLB erfolgt zyklisch. Es fehlen Angaben im SB (S. 2.6-1), in welchem

      Zyklus diese Prüfungen erfolgen.

10. Über die Dicke der Wandkörper werden im SB (S. 2.7-2) keine Angaben gemacht. Es stellt sich die

      Frage, ob und in welchem Umfang das Wandmaterial (Gußeisen mit Kugelgraphit) durch die

      Einwirkung der Neutronen versprödet. Die gleichen Bedenken gelten dem Moderator-Material

      (Polyethylene und Kunstharze), die sicher auch Alterungsprozessen ausgesetzt sind. Erfahrungen

      über eine Lagerungsdauer von 40 Jahren dürften nicht vorliegen. Ähnliche Bedenken gelten

      gegenüber den Metall- und Elastomer-Dichtungen des Deckels der Castor-Behälter.

11. Im SB, S. 2.7-6 wird angegeben, dass kurzzeitig einwirkende Temperaturen bis zu 400°C die

      Metalldichtungen der Castor-Behälter nicht nachteilig beeinflussen. Es fehlen Angaben darüber, was

      bei länger dauernder Einwirkungen solcher Temperaturen geschieht. Außerdem bleibt unklar,

     

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     ob die Dichtungen ihre Funktion auch bei Temperaturen > 400°C erfüllen können, also beispielsweise 

     beim großflächigen Brand von Kerosin über einen Zeitraum von mehr als 30 Min.

12. Ohne jeden Zweifel enthalten verbrauchte Brennelemente prozentual und absolut mehr langlebige

      radioaktive und biologisch bedeutsame Substanzen als unverbrauchte. Umso bedeutsamer ist die

      Abschirmung gegen die möglichen Gefährdungen. Dem wird bei Interims- und Zwischenlagern offenbar

      wenig Bedeutung zugemessen, wie ein Vergleich zeigt:

-          Die Radioaktivität wird im Reaktor durch drei Barrieren abgeschirmt: Reaktordruckbehälter, Sicherheitsbehälter und Betonkuppel.

-          In Interims- und Zwischenlagern dient nur eine Barriere diesem Zweck, nämlich die Hülle des

Castorbehälters.

      Der Verdacht liegt nahe, dass für diese sicherheitsrelevanten Unterschiede Kosten - Nutzen -

      Berechnungen ausschlaggebend sind.

13. Für die Berechnungen des Abbrandes (SB, S. 2.8-6) werden angeblich anerkannte und validierte

      Rechenprogramme verwendet. Es fehlen Angaben, um welche Programme es sich handelt.

14. Im Reparaturfall, z. b. wegen Undichtigkeiten, können  die TLB wieder in die Reaktorgebäude

     gebracht werden (SB, S. 3.2-1). Es wird nicht angegeben, ob eine solche Reparatur auch während des

     jährlichen Brennelement-Wechsels möglich ist.

15. Die Frage bleibt offen (SB, S. 4.1-2), ob Brennelemente auch nach relativ kurzer Abklingzeit in das

     Interims-Lager gebracht werden können. Dies könnte bei heterogener Beladung der Fall sein.

 

16. Bei Erfüllung bestimmter Bedingungen können – verbrauchte – Brennelemente in die TLB geladen

      werden. Voraussetzung ist ein Quotient, der im SB, S. 4.1-2 beschrieben wird. Es wird nicht deutlich,

      ob diesen Berechnungen exakt definierte Zahlenwerte zugrundeliegen oder Mittelwerte aus mehreren

      Messungen. Sollte letzteres der Fall sein, wäre die Angabe der Streuung nötig.

17. Ohne jeden Zweifel enthalten verbrauchte Brennelemente prozentual und absolut mehr langlebige

      radioaktive und biologisch bedeutsame Substanzen als unverbrauchte. Umso bedeutsamer ist die

      Abschirmung gegen die möglichen Gefährdungen. Dem wird bei Interims- und Zwischenlagern offenbar

      wenig Bedeutung zugemessen, wie ein Vergleich zeigt:

-          Die Radioaktivität wird im Reaktor durch drei Barrieren abgeschirmt: Reaktordruckbehälter,

      Sicherheitsbehälter und Betonkuppel.

-          In Interims- und Zwischenlagern dient nur eine Barriere diesem Zweck, nämlich die Hülle des

Castorbehälters.

      Der Verdacht liegt nahe, dass für diese sicherheitsrelevanten Unterschiede Kosten - Nutzen -

      Berechnungen ausschlaggebend sind. Das im SB, S.4.1-3 zitierte Barriere-System ist also unzu-

      reichend und nicht redundant.

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18. Die Langzeitversuche über 20 Jahre (SB, S. 4.1-3) sagen nichts aus über die Funktion der Castor-

      behälter bei einer zu erwartenden Lagerzeit von ca. 40 Jahren, d.h. bis zur Einlagerung in ein

      Endlager. In diesem Zusammenhang ist einen Artikel von  W.THOMAS hinzuweisen

      ("Sicherheitsaspekte  von Abbranderhöhung und Mischoxydeinsatz", 15. GRS-Fachgespräch

      München/Garching, 27. u. 28. 11.1991, GRS 89, S. 1-24):, der unter Bezug auf hoch abgebrannte

      und MOX-Brennelemente schrieb: 

      "Von besonderer Bedeutung ist dabei die Ausgestaltung der Abschirmung gegen die durchdringenden

      Neutronen. Für eine Langzeit-Zwischenlagerung sollten die langfristigen Beanspruchungen von

      Brennelement- und Behältermaterialien näher untersucht werden. Die Betreiber haben entsprechende

      Brennelementbehälter  für hoch abgebrannte Brennelemente und MOX-Brennstoff entwickelt und ihre

      Zulassung beantragt. Die entsprechenden Genehmigungen stehen jedoch noch aus."

      Es stellt ich die Frage, ob die Castor V/19- und V/52- Behälter den beschriebenen Anforderungen

      genügen.

19. Die Ergebnisse der Kritikalitätsrechnungen (SB, S. 4.1-7) basieren auf den Neutronenmultiplikations-

      faktoren zuzüglich der zweifachen Standardabweichung des Berechnungsergebnisses. In Anbetracht

      der Bedeutung dieser Ergebnisse für die Sicherheit ist dieses Verfahren völlig unzureichend. Durch die   

      zweifache Standardabweichung werden ca. 95,5 % von Messwerten u. ä. abgedeckt; d. h. die – im

      statistischen Sinne – Irrtumswahrscheinlichkeit beträgt 4,5 %. Da im vorliegendem Falle nur in Richtung

      Kritikalität zu prüfen ist, wird die Standardabweichnung auch nur in dieser Richtung angewendet.

      Dadurch halbiert sich die Irrtumswahrscheinlichkeit auf 2,25 %. Dies steht im Widerspruch um Urteil des

      BverfG v. 8.8.178  - 2 BvL 8/77 – (Kalkar-Urteil). "Was die Schäden an Leben, Gesundheit und

      Sachgütern anbetrifft, so hat der Gesetzgeber...einen Maßstab aufgerichtet, der Genehmigungen nur

      dann zuläßt, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen

      erscheint, daß solche Ereignisse eintreten werden...". Eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 2,25 %

      entspricht nicht dem zitierten Urteil. Selbst die Anwendung der dreifachen Standardabweichung würde

      im Verfolg der hier angestellten Überlegungen noch zu einer Irrtumswahrscheinlichkeit von ca. 0,05 %

      führen. Von Restrisiko kann jedenfalls nicht ausgegangen werden. Im SB, S. 5.5-1, werden als

      Restrisikobereich sehr seltene Ereignisse mit einer Eintrittshäufigkeit von ca. 1: 1 000 000 je Jahr

      angegeben. Ob die in Tab. 4.1-6 (SB, S. 4.1-15) wiedergegebenen Ergebnisse der Kritikalitäts-

      rechnungen im unterkritischen Bereich liegen, erscheint demnach höchst fraglich.

20. Die Betreiber gehen von der Erwartung aus, dass die individuelle Dosis gemittelt über die bei der

      Einlagerung tätigen sechs Personen nicht größer als 5 mSv je Kalenderjahr ist. Eine "Erwartung" ist

      keine zulässige Basis für den Strahlenschutz der Mitarbeiter eines AKW. Dem SB, S. 4.2-2 ist auch nicht

      zu entnehmen, ob den Besonderheiten der MOX-Brennelemente Rechnung getragen wurde. Hierzu

      führte der bereits erwähnte Autor W. THOMAS aus:

      "Der wesentliche Einfluß einer  Erhöhung der Aktivität der alphastrahlenden Transurane führt zu einer   

     Verschiebung des Energiespektrums der Neutronen zu höheren Energien hin (Spektrumsverhärtung)."

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21. Die Angaben der Sicherheitsmerkmale für die Castor V/19 – Behälter beruhen nicht auf praktischen

      Versuchen, sondern auf Berechnungen. Es ist zumindest fraglich, ob es dem Stand von Wissenschaft

      und Technik entspricht, wenn – wohl aus finanziellen Gründen – auf praktische Versuche verzichtet

      wurde und wird.  Die Problematik dieses Vorgehens zeigte sich bei der Entwicklung des Modells

      A 170 der Daimler-Benz AG: Die Berechnungen hielten den praktischen Versuchen nicht stand, der

      sog. Elch-Test verlief negativ.

22. Die berechneten Sicherheitsmerkmale der Castor V/19 – Behälter entsprechen zumindest teilweise

      nicht den praktischen Bedürfnissen:

-          Die Berechnungen zu den Fallversuchen gehen von einer Sicherheit bei der Fallhöhe = 9 m aus. Es

bedarf der Klärung, ob größere Fallhöhen beim Transport der Behälter, vor allem aus dem und in das Reaktorgebäude möglich sind.

-          Der Behälter soll rechnerisch einer Flammentemperatur von 800°C von 30 Min. Dauer standhalten. 

Bei einem Flugzeugabsturz (ohne direkten Treffer auf das Interimslager) ist u. U. mit einem ausge-

dehnten Flächenbrand  durch das Kerosin zu rechnen, wobei durchaus höhere Temperaturen mit

             längerer Einwirkungszeit denkbar sind.

23. Die Wahrscheinlichkeit eines Flugzeugabsturzes wird - bezogen auf die Fläche des Interims-Lagers -

      2.5 x E-08 angegeben, d. h. 2,5 Abstürze in 100 000 000 Jahren (SB, S. 5.4-1). Eine solche Angabe

       kann nur als unsinnig bezeichnet werden, da über einen solchen Zeitraum mangels entsprechender

       Fakten keine Aussage möglich ist. Einige Angaben (SB, S. 1.5-2) sind in diesem Zusammenhang

       beunruhigend:

-          Nachttiefflüge können  in einer Entfernung von ca. 1,5 km stattfinden.

-          Mit großer Wahrscheinlichkeit liegt KKP im Bereich zahlreicher Nord-Süd-Flugstraßen und ist daher entsprechend gefährdet. .

      Die Angaben im SB bedürfen der Korrektur.

Das geplante Interims-/Zwischenlager gefährdet mein Leben, meine körperliche Unversehrtheit und mein Eigentum. Daher lehne ich die Inbetriebnahme des geplanten Interims-/Zwischenlagers ab.

Weitere Einwendungen und ggf. Erweiterung der bisherigen Einwendungen behalte ich mir vor.