Die Blockierer
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von Bettina Gaus

Die Bündnisgrünen haben in der Koalition viel erreicht - vom Naturschutz bis zur Homoehe. Aber sie haben noch mehr verraten - und verhindern politische Debatten

Die Zukunft der Regierungskoalition ist ungewiss, aber die Grünen haben allen Umfragen zufolge derzeit wenig Anlass zur Sorge. Das ist bedauerlich. Wem daran gelegen ist, dass bestimmte Themen endlich aus der politischen Schmuddelecke herauskommen und auch von der etablierten Politik zur Kenntnis genommen werden, der kann dieser Partei gegenwärtig keinen Erfolg wünschen.

Mehr als jede andere politische Gruppierung sind es nämlich die Grünen, die einer solchen Entwicklung im Weg stehen. Nicht nur deshalb, weil sie selbst bestimmte Forderungen nicht mehr erheben - sondern vor allem deshalb, weil sie es anderen Parteien erleichtern, sich mit entsprechenden Fragen gar nicht erst auseinander zu setzen. Die Führungsspitze der Grünen begegnet grundsätzlicher Kritik regelmäßig mit dem Hinweis, eine kleine Partei dürfe nicht erwarten, ihr gesamtes Wahlprogramm umsetzen zu können. Teile der eigenen Anhängerschaft zeigten mit ihren Vorwürfen nur, dass sie sich den schmerzhaften Konsequenzen des Rollenwechsels von der Opposition zur Regierungsverantwortung verweigerten. Dieses Argument liegt neben der Sache.

Wenn die Bedeutung einer Partei ausschließlich daran zu messen wäre, welche gesetzlichen Neuregelungen sie durchzusetzen imstande ist, dann hätten die Grünen tatsächlich Grund zur Genugtuung. Entgegen einem weit verbreiteten Eindruck ist es ihnen gelungen, innerhalb der Regierungskoalition deutliche Akzente zu setzen - erheblich mehr als seinerzeit die FDP im Bündnis mit der Union. Der Ausstieg aus der Atomenergie (wie umstritten seine Modalitäten auch sein mögen), das Gesetz über erneuerbare Energien, die Besserstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, die Erweiterung der Rechte von behinderten Menschen, das neue Naturschutzgesetz und auch die - wenngleich unzureichende - Reform des Staatsbürgerschaftsrechts: Diese Liste von Maßnahmen, die es ohne die Grünen nicht gegeben hätte, ist nicht einmal vollständig.

Aber die Wirkung einer Partei besteht eben nicht allein in der Zahl und nicht einmal ausschließlich in der Bedeutung der von ihr durchgesetzten Reformen. Wäre es anders, dann könnte sich jede Opposition am Tag nach den Wahlen bis zum nächsten Urnengang aus dem Parlament verabschieden. Parteien haben auch die Aufgabe, geistige Strömungen zu bündeln und ihnen eine Stimme zu verleihen.

Die Bevölkerung erkennt diese Aufgabe an. Umfragen ergeben, dass ein breites Parteienspektrum im Parlament für wünschenswert erachtet wird. Die Öffentlichkeit weist die Kompetenz für bestimmte Politikbereiche unterschiedlichen Parteien zu, und zwar unabhängig von der jeweiligen Präferenz der Befragten. So gilt beispielsweise die CDU als zuständig für wirtschaftlichen Erfolg, die SPD für soziale Gerechtigkeit. Und die Grünen? Ökologie, Demokratisierung, Friedenspolitik und Wahrung der Menschenrechte sind Angelegenheiten, bei denen dieser Partei ein Wächteramt zugebilligt wird.

Diesem hohen Anspruch werden die Grünen längst nicht mehr gerecht. Aus Angst vor einem Koalitionsbruch und oft sogar lediglich aus der Sorge heraus, manche Forderungen könnten von der Öffentlichkeit zunächst als bizarr empfunden werden, verzichteten sie in den letzten Jahren darauf, Themen auch nur auf die Tagesordnung zu setzen, bei denen ein kurzfristiger Erfolg nicht in Sicht war. Sie haben die Anpassung zum Programm erklärt. Das überschreitet die Grenze zur intellektuellen Feigheit.

Wer behauptet, dieser Kurs sei notwendig gewesen, um bestimmte Dinge durchsetzen zu können, lässt den hohen Preis außer Acht, der für Opportunismus zu entrichten ist. Die Akzeptanz der inoffiziellen Arbeitsteilung zwischen den Parteien ist nämlich eine zweischneidige Angelegenheit. Neben der demokratischen Grundhaltung, die darin zum Ausdruck kommt, enthält sie auch ein gefährlich beschwichtigendes Element.

Solange eine bestimmte Partei auf ihrem eigenen Feld keinen vehementen Einspruch gegen die gesellschaftliche Realität oder gegen die Folgen politischen Handelns erhebt, so lange kann die Situation so dramatisch nicht sein: Das ist der Umkehrschluss, der sich aus der Kompetenzzuweisung bestimmter Themen an bestimmte Parteien ergibt. Wenn die Grünen also die Flughafenregelung zur Abschiebung unerwünschter Ausländer stillschweigend akzeptieren, wenn sie Krieg für eine mögliche Fortsetzung der Diplomatie halten, wenn sie viele Anliegen der Globalisierungskritiker für naiv erklären, die deutschen Rüstungsexporte hingegen für hinnehmbar - dann werden sie schon Recht haben. Davon verstehen sie schließlich etwas.

Solange die Grünen zu Problemen schweigen, mit denen sie identifiziert werden, solange finden diese Probleme in der veröffentlichten Meinung kaum Beachtung. Warum auch? Die Medien haben sich in den letzten Jahrzehnten daran gewöhnt, dass jedes relevante Thema seine parlamentarischen Fürsprecher findet. Das muss nicht falsch sein. Als die SPD seinerzeit auf allzu viele Fragen die Antwort verweigerte, verlor sie irgendwann die komfortable Rolle des "kleineren Übels", das immer wieder gewählt werden musste, um Schlimmeres zu verhüten. Damals wurden die Grünen gegründet.

Gegenwärtig wird wieder viel geschwiegen innerhalb der politischen Klasse der Bundesrepublik. Über die Legitimität der Kriegsführung ohne völkerrechtliche Grundlage, über die Notwendigkeit der Demokratisierung europäischer Institutionen, über mögliche Gegenmaßnahmen zur Hegemonialpolitik der USA, über Begrenzungen der wirtschaftlichen Liberalisierung. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Würde sich das ändern, wären die Grünen einfach nicht mehr an der Regierung, sondern in der Opposition? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Denn wenn die führenden Vertreter dieser Partei nach einem Machtwechsel umstandslos wieder in die Rolle der kritischen Mahner zu schlüpfen versuchen, dann dürfte das ein ziemlich merkwürdiges Schauspiel werden.

Ist Edmund Stoiber gefährlich genug, um hinnehmen zu müssen, dass wichtige Fragen nicht einmal mehr gestellt werden dürfen? Kaum. Es ist schwer vorstellbar, dass er Schlimmeres zu verantworten hätte als einen Angriffskrieg. Und falls es den Grünen nicht gelingt, sich in der Opposition zu erneuern, dann werden sie Nachfolger finden. Ihre ursprünglichen Anliegen sind jedenfalls wichtig genug, um bessere Repräsentanten zu verdienen. Möglicherweise kommen die sogar aus dem derzeit kaum wahrnehmbaren Spektrum linker Sozialdemokraten.

Die sinkende Wahlbeteiligung ist immerhin nur einer von mehreren Hinweisen darauf, dass einem substanziellen Teil der Bevölkerung die Antworten nicht mehr genügen, die von der institutionalisierten Politik derzeit angeboten werden.

BETTINA GAUS

taz Nr. 6745 vom 10.5.2002, Seite 12, 239 Zeilen (Kommentar), BETTINA GAUS,

geschlossene abteilung grüne von WIGLAF DROSTE

Wenn man sich die Schuhe zubindet, muss man sich bücken. Je tiefer man
sich bückt, desto näher kommt man Gerhard Schröder. Der Mann lässt
juristische Auseinandersetzungen über die Frage führen, ob er sich die
Haare färbe oder nicht. Friseurgesprächsstoff, das ist Gerhard Schröder,
das ist sein geistiger Zuschnitt. Die Sozialdemokratie ist froh, dass
Schröder sie von den Mühen ihrer Existenz erlöst und sie zum
Abklatschverein eines Bild-Populisten degradiert hat. Dumm lebt es sich
einfacher.

Das stellten auch die Grünen fest, die sich in Wiesbaden frohlockend von
allen eventuell noch vorhandenen Verstandesresten trennten. Joseph Fischer
machte ihnen den Führer, nach dem sie sich so sehnten. Wie Schröder ist
Fischer ein Populist, der gern vor Populisten warnt. Aus kosmetischen
Gründen hatte sich Fischer noch fünf Unterführerinnen und -führer
dazugestellt, alle sechs fassten sie sich ständig bei den Händen,
sonderten Durchhalteparolen ab und machten La-Ola-Faxen. Dem Stimmvieh
gefiel das, es machte mit, und fertig war die allseits gepriesene grüne
Geschlossenheit. Es war eine Geschlossenheit, wie man sie in den
entsprechenden Abteilungen von Landeskrankenhäusern erleben kann. In
euphorischem Wahn gleichgeschaltet, fühlten sich die Grünen einig und gut.
Wer seinen Kopf kirchentagskompatibel zurichtet, dem hört man das an.

Auch Jürgen Trittin beteiligte sich uneingeschränkt an der optischen und
akkustischen Vollzumutung. So ist das: Wer sich wie Trittin im letzten
Sommer zwingen lässt, eine anwanzerische Urlaubspostkarte an die "lieben
Bild-Leser" zu schicken, muss den Eigenrotz auch auslöffeln. Als
kommunistischer Gottseibeiuns, als Pappmachéfeind und Watschenmann taugt
Trittin nur noch Leuten, denen der Gang durch Volkes Darmwindungen
sichtlich leichter fällt als ihm.

In der FAS vom 28. April wird der FDP-Anführer Guido Westerwelle gefragt:
"Sie sind Mitteleuropäer, Sie sind Deutscher. Sind Sie Patriot?"
Westerwelle sieht nicht nur aus wie mit Aspik eingecremt, er redet auch
so: "Ja. Verfassungspatriot und im besten Sinne europäischer Patriot." Wie
hätte man sich denn einen europäischen Patrioten im schlechtesten Sinne
vorzustellen? Genauso wie Westerwelle? Oder noch ein kleines bisschen
schmieriger, wenn das ginge?

Westerwelle, diese im besten Sinne abstoßende Erscheinung, legt noch etwas
Wahlkampfpatriotismus nach, nicht den von der europäisch angepinselten
Sorte, sondern den ohne Kreide und Verkleidung: "Und trotz Jürgen Trittin
füge ich hinzu: Ich habe sogar kein Problem damit, zu sagen, ich bin stolz
auf Deutschland und liebe mein Vaterland mit seinen Menschen." Wie sich
das wohl anfühlt: Sein Vaterland mit seinen Menschen lieben? Macht Guido
Westerwelle das 24 Stunden am Tag? Den gerechten Lohn hat er schon
empfangen: Er muss jeden Tag Guido Westerwelle sein.

Jürgen Trittin mag sich in der Anfeindung Westerwelles sonnen. Sie ist
aber nur das Kampfgeschrei unter Konkurrenten, die gleichermaßen ohne
Substanz und Belang sind.

taz Nr. 6745 vom 10.5.2002, Seite 20, 105 Kommentar WIGLAF DROSTE, Kolumne


 

 

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