Dortmunder Rede von Sylvia Kotting-Uhl (Baden-Württemberg)
Und plötzlich bist du Mitglied einer Kriegspartei. Du bist seit 20, 10 oder auch erst 2 Jahren Mitglied bei den Grünen. Du bist es, weil du von den Prinzipien und Inhalten dieser Partei überzeugt bist. Weil die Grünen eine Alternative darstellen zu den etablierten Parteien. Weil sie den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen. Weil sie den angeblichen Realitätszwängen einen anderen Gesellschaftsentwurf, andere Konzepte fürs miteinander umgehen, leben, arbeiten, Konflikte lösen entgegenstellen. Du hast für diese Konzepte geworben - in Veranstaltungen, an Info-Ständen in mehr als einem Wahlkampf. Du hast für diese Konzepte gestritten und dich beschimpfen lassen.
Und dann waren wir endlich in der Regierung.
Die grünen Pünktchen im Koalitionsvertrag - die von Heide Rühle
sogenannten Goldkörnchen - wurden in den ersten Monaten des Regierungsalltags
weitgehend entsorgt, ihre Verfechter als Utopisten entlarvt, und die Partei
- wie das so heißt - regierungsfähig gemacht. Es war ziemlich schnell
klar: Wir hatten nicht die Macht - die Macht hatte uns. Hatten wir im Wahlkampf
mit unserem Programm für einen Politikwechsel geworben, so führten
wir jetzt mit unserer Politik einen Programmwechsel vor.
Und dann kam - als würden der nicht stattfindende Atomausstieg, die zur
Mehrwertsteuer verkommene ökologische Steuerreform und das FDP-Staatsbürgerschaftsrecht
statt dem grünen noch nicht reichen - der Nato-Einsatz in Jogoslawien.
Daß aus einem deutschen Außenministerium grüne Friedenspolitik
kommem würde, hatte ja nicht wirklich irgendjemand erwartet - aber den
worst case, Kriegsbeteiligung der Bundesrepublik im ersten halben Jahr rot-grüner
Regierung - das nun auch nicht gerade.
Was tut frau/man nun, die nicht zuletzt wegen des antimilitaristischen Grundsatzes
der Grünen bei diesen ist?
Stillhalten? Innere Emmigration? So tun, als gehörte sie nicht dazu und
hoffen, daß es vorbei geht? (In Klammer gesagt: da geht nichts vorbei!)
Austreten?
Danach war mir sofort und total und ich halte das immer noch für konsequent.
Trotzdem habe ich mich anders entschieden. Persönlich war ich zu Beginn
der Bombardierungen in der Situation, mich gerade um den Landesvorsitz in Baden-Württemberg
beworben zu haben. Die Aussichten, als Linke im Oberrealo-Land zu gewinnen,
waren nicht so schlecht, was - das will ich gerne eingestehen - auch an der
nicht gerade überwältigenden Strahlkraft der beiden anderen BewerberInnen
(mit großem I) lag.
Unter diesen neuen Bedingungen dem Landesverband vorzustehen, wäre mir
nur möglich gewesen, wenn Baden-Württemberg sich bei der Wahl-LDK
Mehrheitlich gegen die Bombardierungen ausgesprochen hätte - was ich nicht
erwartet habe, und in dieser Erwartung hat mich Baden-Württemberg auch
nicht enttäuscht. Ich habe meine Kandidatur in der Konsequenz zurückgezogen
- wie viele andere inzwischen Kandidaturen zurückgezogen oder Funktionen
abgegeben haben. Wir haben in Baden-Württemberg keine linke Landesvorsitzende
und wir haben darüberhinaus einen erstmals sechszehnköpfigen MandatsträgerInnen
einschließendenden "linken-freien" Landesvorstand. Die 40%-Minderheit
in Baden-Württemberg hat sich von der Landesebene zurückgezogen.
Daß es nach Bielefeld keine Austritte gegeben habe, wie unsere Landesvorsitzende
in die Presse gab, ist natürlich nicht wahr. Wir hatten vor und nach Bielefeld
Austritte von Mitgliedern, die z.T. schlimmsten Verlust bedeuten, denn es sind
gerade die Aktivsten, Politischsten, die austreten.
Aber es gibt auch die andere Schiene. In meinem Kreisverband z.B. sind diejenigen,
die ihren Austritt angekündigt hatten, vorerst dabeigeblieben. Wir haben
uns entschieden, zu treten statt auszutreten. Die Gründe dafür sind
die vielen strukturellen, inhaltlichen, personellen Vernetzungen, die zu lösen
wären - was einfach weh tut - und die Unlust, den in Wartehaltung bereitstehenden
Realos den Kreisverband - einen der letzten linken in Baden-Württemberg
- einfach in den Schoß zu werfen.
Vor allem aber sind wir nicht bereit, das grüne Projekt für gescheitert
zu erklären, nur weil diejenigen, die es öffentlich maßgeblich
repräsentieren und verwalten, es nicht gestalten, nicht umsetzen. Gescheitert
ist in unseren Augen das Realo-Projekt der Regierungsbeteiligung - zumindest
soweit es für grüne Ziele stehen wollte. Das heißt für
uns aber keineswegs, daß wir mit dem gescheiterten Regierungsprojekt auch
das darüber hinausgehende grüne Projekt begraben. Für dieses
Projekt wird kontinuierlich an der Basis und in vielen Gemeinderäten gearbeitet.
Um diesen Spagat auszuhalten, müssen wir uns allerdings mit deutlichen
Zeichen von der derzeitigen grünen Bundespolitik, die wir nicht mittragen
können, distanzieren. Ein Mittel dafür ist der Boykott der Beitragsabführung
an Landes- und Bundesverband, d.h.Austritt aus den Ebenen, deren unserem festgeschriebenen
Grundkonsens widersprechende Beschlüsse wir nicht mittragen können.
Ein anderes Mittel ist das Antreten zur Kommunalwahl im Herbst unter anderen
Listennamen: grün, alternativ oder basisgrün. Dieser zivile Ungehorsam
wird - zumal in Baden-Württemberg - natürlich nicht so einfach hingenommen.
Die Landesvorsitzenden haben bereits jedes Mitglied unseres KV angeschrieben
und sich zur Nachhilfestunde im innerparteilichen Wohlverhalten angekündigt.
Wir freuen uns darauf.
Für einen relativ geschlossenen Kreisverband wie der unsrige ist es natürlich
um vieles einfacher, sich als Minderheit in der Partei zu organisieren und in
ihr zu bleiben, als das für einzelne Mitglieder ist. Solche einzelnen Mitglieder
brauchen Unterstützung und Vernetzung.
BasisGrün bietet bereits ein solches sozusagen soziales Netz, das das Abstürzen
Einzelner verhindern kann. Durch das heute zu gründende Netzwerk muß
das verstärkt und über die Partei hinaus ausgedehnt werden. Wenn wir
vernetzt sind und gemeinsam agieren, sind wir Kraft genug, außerhalb und
innerhalb der Grünen eine wahrnehmbare Opposition für grüne Inhalte
zu bilden. In dieser Position bei den Grünen zu bleiben, heißt vermutlich,
von allen Seiten bekämpft zu werden, ich halte es aber für wichtig,
neben den persönlichen Konsequenzen, die Jede individuell für sich
ziehen muß, auch die gesellschaftlichen Konsequenzen zu bedenken, die
das völlige Verschwinden des links-pazifistischen Flügels bei den
Grünen angesichts der heutigen Parteienlandschaft bedeuten würde.
Ich bleibe deshalb bei den Grünen in einer links-pazifistischen Minderheit
- ein Status, der für mich als linke Baden-Württembergerin im übrigen
kein neuer ist und deshalb ganz gut auszuhalten.