"Liebe Freundinnen und Freunde,
es ist mir völlig unbegreiflich, warum man nicht wenigstens, nachdem am Donnerstag das serbische Parlament den 12-Punkte-Plan unterschrieben hat, aufhören kann mit der Bombardierung.
Ich hoffe dennoch, daß in den nächsten Tagen die Waffen tatsächlich schweigen, und zwar für mehr als 24 Stunden. Und ich möchte sagen, daß ich das uneingeschränkt positiv finde, und zwar aus 4 Gründen:
Der erste Grund ist, daß es nun endlich möglich wird, daß die Flüchtlinge in den Kosovo zurückkehren können.
Der zweite Grund ist, daß es nunmehr möglich ist, die Verbrechen, die serbische Kräfte im Kosovo in den letzten Wochen und Monaten begangen haben, vorort zu untersuchen. Wir sind dabei jetzt nicht länger auf die einseitigen Informationen der NATO-Länder und der NATO-Luftüberwachung angewiesen.
Der dritte Grund ist, daß nunmehr der Raum und die Möglichkeit da ist, die NATO-Kriegsverbrechen in Jugoslawien zu untersuchen. Wir wissen, daß auch bei den Luftangriffen gegen Jugoslawien das Genfer Abkommen mit seinen Zusatzprotokollen von 1977 verletzt worden ist. Es ist völkerrechtlich verboten, Ölraffinerien zu bombardieren und die Wasserversorgung auszuschalten. Und wir müssen und können den Berichten über den Einsatz neuer Waffen nachgehen, deren Wirkungen wir noch gar nicht so richtig kennen. Auch diese Dinge müssen aufgeklärt werden.
Und der vierte Grund ist, daß es auch Hilfe für die Bombengeschädigten geben muß. Es darf keine geteilte Humanität geben, indem man sich nur die Albaner aus dem Kosovo kümmert, , aber beiseite schaut, wenn es um die Opfer, um die Bevölkerung in Belgrad geht, die eben auch gelitten hat und leidet durch die Bombardierungen der NATO.
Der 12-Punkte-Plan
Zum 12-Punkte-Plan möchte ich sagen, daß der natürlich ein Kompromiß ist zwischen den Konfliktparteien, auf der einen Seite die NATO und die UCK und auf der anderen Seite die Bundesrepublik Jugoslawien. Wenn man sich diesen Plan anguckt, dann erkennt man, daß im wesentlichen die jugoslawische Seite nachgegeben hat. Sie hat es akzeptiert, daß es eine Sicherheitspräsenz mit einer substantiellen Beteiligung der NATO gibt, daß das ganze Unternehmen auf der Grundlage eines Kapitel VII-Mandates der UNO stattfinden kann. Und sie hat es auch akzeptiert, daß NATO-Angriffe nicht erst eingestellt werden müssen, bevor überhaupt verhandelt werden kann.
Bei der NATO sehe ich eigentlich nicht viele Punkte, wo nachgegeben worden ist. Das einzige, das man sehen könnte, wäre vielleicht, daß es keine militärische Kontrolle über Gesamtjugoslawien geben soll, sondern nur eine militärische Kontrolle über den Kosovo selbst.
Jugoslawien hat also nachgegeben. Warum ist das so? Das hängt m.E. damit zusammen, daß Jugoslawien vor einer militärischen Niederlage, vor dem Zusammenbruch stand. Deswegen ist es Quatsch, wenn behauptet wird, daß Milosevic jetzt einen großen Sieg errungen habe. Und es geht auch nicht darum, daß er zuckerkrank ist und deswegen jetzt hier etwas unterschrieben hat, sondern es ist natürlich so, daß Jugoslawien auch in einem Bodenkrieg auch die militärische Niederlage gedroht hätte. Daher kommt dieses Nachgeben. Man muß auch sehen, daß von den 5000 bisher getöteten jugoslawischen Soldaten, 2/3 in der letzten Woche getötet worden sind. Das verdeutlicht, daß sich da die militärische Niederlage abzeichnete.
Vor diesem Hintergrund werden wir Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner jetzt gefragt: War es nicht doch richtig, diesen Krieg zu führen? Wir haben nie bezweifelt, daß die NATO Jugoslawien militärisch überlegen ist und diesen Krieg gewinnen kann. Darum geht es nicht. Wir haben nichts von unserer Kritik zurückzunehmen. Fakt ist: Man hätte das, was jetzt in ein Abkommen gegossen wird, natürlich auch im Februar / März haben können, und viele Menschen wären noch am Leben geblieben, und die Umweltschäden in der Region wären nicht eingetreten. Eine Regelung ist damals doch auch an der Starrsinnigkeit und Unnachgiebigkeit der NATO gescheitert!
Natürlich ist der 12-Punkte-Plan nicht ideal. Es bleiben viele offene Fragen und Widersprüche. Die wichtigste Frage ist: Wer kontrolliert eigentlich die Vorgänge, den Prozeß? Wer hat die Definitionsmacht? Wer verifiziert?
Leider sehe ich, daß das keineswegs die UNO ist. Sie wird nicht wieder zum Mittelpunkt internationaler Konfliktlösung, sondern das ist die NATO. Die NATO versucht mit Jugoslawien die militärischen Handlungsabläufe, den Rahmen eines Waffenstillstand auszuhandeln. Und dabei ist kein einziger UN-Vertreter anwesend.
Das ist besonders gravierend vor dem Hintergrund, daß die Überwachungstruppen im wesentlichen von NATO-Staaten gestellt werden sollen. Eine schwer bewaffnete NATO-Übermacht ist vorgesehen. Und diese Truppen haben in der gegenwärtigen Situation einen Doppelcharakter: Einerseits sollen sie einen eventuellen Waffenstillstand überwachen, andererseits sind sie durchaus auch für einen Bodenoffensive gegen Jugoslawien geeignet. Deswegen wäre es vernünftig und ein Beitrag zur Deeskalation, wenn nur Einheiten aus neutralen, nicht am Krieg beteiligten Staaten zum Einsatz kämen. Denn es besteht weiterhin die Gefahr, daß das Abkommen und die geplante Feuerpause von 24 Stunden zu einer Ouvertüre und Legitimation für einen NATO-Bodenkrieg werden.
Darum sind wir dagegen, daß im Kosovo deutsche Kampftruppen zum Einsatz kommen. Und wir fordern an dieser Stelle die Bundestagsabgeordneten auf, im Bundestag gegen den Beschluß zu stimmen, weitere Soldaten in die Region zu entsenden und sie im Kosovo einzusetzen.
Ein weiteres Problem wird die Entwaffnung der UCK sein. Ich finde, wir müssen hier zusätzlich die Forderung aufstellen, daß alle ausländischen Kämpfer das Land verlassen müssen. Denn wir wissen ja, daß auf Seiten der UCK Kämpfer aus Tschetschenien, Afghanistan und anderen muslimischen Ländern im Einsatz sind. Hinter der UCK steht eine bizarre Koalition aus USA und anderen NATO-Ländern bis hin zu Bin Laden, der im letzen August terroristische Anschläge auf US-Botschaften organisiert hat.
Die Bilanz des Krieges
... ist verheerend. Das betrifft nicht nur die Kriegsschäden selbst, sondern auch die internationale Rechtsordnung hat Schaden genommen. Die UNO ist marginalisiert worden, die internationalen Beziehungen sind militarisiert worden. Die Lehre, die viele Länder aus dem Krieg ziehen werden, heißt: Aufrüsten. Nur in einer angemessenen militärischen Stärke werden viele einen Schutz vor der NATO sehen. Am sichersten ist natürlich der, der selbst Atomwaffen hat, so daß ein Rüstungswettlauf auf allen Ebenen in Gang gesetzt wird. Die Ende April verabschiedete neue NATO-Strategie programmiert neue Kriege und neue Aufrüstung. Sie hat die Schwelle zur Kriegsführung entscheidend gesenkt.
Auch wenn es keinen Zweifel an dem militärischen Sieg der NATO geben kann, so heißt das nicht, daß die NATO alle ihre Ziele erreicht hätte. Der Probelauf für die neue NATO-Strategie ist nicht voll gelungen. Das belegen die Fehlkalkulationen im Kriegsverlauf selbst. Die NATO hat den Krieg zwar alleine ohne UN-Mandat begonnen, aber sie ist jetzt doch gezwungen, sich wieder auf die UN-Strukturen zu beziehen, jetzt, wo es um die Beendigung des Krieges geht. Auch Rußland mußte bei der Konfliktlösung wieder mit einbezogen werden.
Der "Schröder-Plan"
Aber zur Zeit gibt es nicht nur den 12-Punkte-Plan, sondern auch den sogenannten Schröder-Plan. Dabei geht es um einen Stabilitätspakt für den Balkan, um Wiederaufbau und wirtschaftliche Unterstützung für die Region. Wir wissen, daß die Beseitigung der Kriegsschäden in Jugoslawien, die Räumung der Donau und die Entschädigung der Anrainerstaaten beträchtliche Summen verschlingen wird. Die bisherigen Schätzungen reichen von 30 Mrd. $ laut Deutsche Bank bis zu 190 Mrd. DM laut jugoslawischer Regierung (allein für die Beseitigung der Kriegsschäden in Jugoslawien).
Die zentrale Frage lautet: Wer bringt das Geld auf - für den "Schröder-Plan"? Und da erinnern wir uns: Schröder - war das nicht der, der in Deutschland die Nettozahlerdebatte losgetreten hat, der weniger Geld für internationale Angelegenheiten, für die EU zur Verfügung stehen wollte und von der EU Geld zurück haben wollte, als händeringend Geld für die EU-Osterweiterung benötigt wurde?
Wer kann glauben, daß wirklich relevant Geld fließt, wo wir doch gleichzeitig wissen, daß die EU auf dem Kölner Gipfel ein großes Aufrüstungsprogramm verabredet hat. Neue Militärsatelliten und neue Waffen sollen beschafft werden.
Hier geht etwas nicht zusammen!
Ich gebe gerne zu, daß der Stabilitätspakt auch einen klugen Gedanken enthält: Nicht nur von Wirtschaftshilfe ist die Rede, sondern auch von Abrüstung. Und dabei kann man, so finde ich, die NATO, die fast 60% der weltweiten Militärausgaben bestreitet, nicht ausnehmen. Nur wenn die NATO-Länder abrüsten und keine neue Rüstungsprogramme angehen, wird das Geld für den Wiederaufbau zur Verfügung stehen.
Aktionsvorschläge
In den nächsten Wochen und Monaten geht es um folgendes:
Erstens: Wir müssen aufklären über die NATO-Kriegsverbrechen in Jugoslawien. Darum begrüßen wir es, daß seitens der Friedensbewegung anläßlich des 1.9., des Anti-Kriegs-Tages eine Tribunal-Veranstaltung vorbereitet wird. Daran sollten wir uns beteiligen.
Zweitens sollten wir eine Delegation der serbischen GRÜNEN, der serbischen Opposition für 2-3 Wochen nach Deutschland einladen, damit sie in vielen Städten ganz direkt über die Auswirkungen eines modernen Krieges berichten können.
Drittens sollten wir anregen, daß deutsche Städte und Gemeinden gerade jetzt Städtepartnerschaften mit serbischen Städten eingehen, um ein Zeichen zu setzen: Ihr gehört zu Europa, wir haben Euch nicht vergessen! Es gibt auch ein ziviles, friedliches Deutschland!
Viertens sollten wir aufklären über die neue NATO-Strategie. Das Interesse am NATO-Thema, an Außenpolitik ist im Moment sehr groß. Wir treffen auf offene Ohren. Es ist die Zeit der Diskussionsveranstaltungen. Auch der Bundestag muß sich mit dem NATO-Dokument beschäftigen, das die rotgrüne Bundesregierung am Parlament vorbei unterschrieben hat.
Laßt uns zur NEUEN KRAFT gegen die NEUE NATO werden!
Die Waffen nieder!