"Da steht er nun, der arme Tor", möchte man ausrufen, wenn man Christian Ströbeles Interview in der Juni-Ausgabe von "konkret" liest. Denn nicht nur die Miene des alten Kämpen strahlt Verzweiflung aus; auch seine Worte sind ein letzter Versuch, seinen historischen Auftrag zu erfüllen: die Kriegsgegner in der grünen Partei und damit auch im System der Konsensdemokratie zu halten.
Er beginnt zunächst mit einer klassischen "Haltet den Dieb"-Argumentation: Der Farbbeutelwerfer ist Schuld daran, dass die Parteitagsmehrheit für den Kriegskurs der Regierung gestimmt hat. Ganz so direkt sagt er's natürlich nicht, aber irgendwie unterstellt er doch, dass Kriegsminister Fischer ohne den erlittenen Kollateralschaden vielleicht nicht so viel Zustimmung gefunden hätte. Das ist natürlich schon ein Armutszeugnis für das politische Bewusstsein derjenigen, in deren Reihen Ströbele unbedingt bleiben möchte: eine Debatte über Krieg und Frieden wird nicht aufgrund von politischen Prinzipien entschieden, sondern wegen eines roten Ohres? Bei einem solchen Argument müsste Ströbele eigentlich selber zwei rote Ohren kriegen, wenn er seine Partei politisch noch ernst nimmt.
Und irgendwie kommt auch rüber, dass Ströbele solche Akte von zivilem Ungehorsam richtig ungehörig findet. Klar, politisch korrekt ist sowas natürlich nicht. Politisch korrekt war es auch nicht, als Beate Klarsfeld den damaligen Bundeskanzler Kiesinger ohrfeigte. Aber zumindest gab es zu jener Zeit noch eine lebendige linke Opposition, die diese Ohrfeige zum Anlass nahm, um auf Kiesingers Rolle in der Nazi-Zeit und in der bundesrepublikanischen Restaurationspolitik hinzuweisen. Und heute? Heute kommt der vorgebliche Linke Ströbele daher und nutzt den Farbbeutelwurf mitnichten als Anlass, um auf die blutigen Hände von Joseph Fischer hinzuweisen; nein, davon will er ganz und gar nichts wissen. Wie er überhaupt in seinen ganzen Ausführungen irgendwelche Schuldzuweisungen peinlich vermeidet.
Aber wir müssen von Schuld reden. Von der Schuld der Fischer, Schlauch und Volmer, die bewusst und ohne Druck einem Aggressionskrieg gegen Jugoslawien zugestimmt haben. Und die bewusst und ohne Druck diesen Krieg, der sich vorwiegend gegen die Zivilbevölkerung richtet, verteidigen und vorantreiben. Die die Öffentlichkeit belügen und betrügen, um ihre blutige Politik möglichst ungestört fortsetzen können. Die sich als Friedensapostel aufspielen und zugleich jeden Tag deutsche Bomben auf Jugoslawien prasseln lassen.
Aber von solchen klaren Worten hält Ströbele nicht viel. Nein, Fischer soll sogar in der Bundesregierung bleiben, denn jetzt, nach dem Beschluss von Bielefeld, kann man ja Druck auf ihn ausüben; nur als Minister kann er doch etwas bewegen! Wenn man das liest, dann weiss man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Da bricht einer das Grundgesetz, vom Völkerrecht ganz zu schweigen, verstösst gegen das Strafgesetzbuch (und Ströbele kennt diese Paragraphen sicher besser als ich), und als Belohnung soll er nicht nur nicht als Verbrecher bezeichnet und blossgestellt werden, sondern auch noch seine Regierungspostionen behalten? Also, wenn wir schon von Moral sprechen, lieber Christian Ströbele, was für eine Moral ist das dann?
Aber es geht Ströbele auch gar nicht um Moral. Ganz Realpolitiker, der er ist, lehnt er nicht nur Farbbeutel ab, sondern auch eine klare Abgrenzung gegenüber den Kriegsverbrechern in Partei und Fraktion. Das Argument: Wer jetzt die Partei verlässt, der beraubt sich des politischen Einflusses und der politischen Einflussmöglichkeit. Als Beispiele nennt er Ditfurth, Ebermann und Trampert, von denen er nicht weiss, was sie machen, weil er nichts von ihnen in der Zeitung liest oder in den Medien hört.
Aber hallo! Das ist also jetzt der Massstab, ob politische Arbeit etwas bewirkt? Wenn die gleichgeschalteten Massenmedien der Republik darüber berichten? Na, dann sollten wir doch alle gleich in die CDU oder SPD eintreten, denn die meisten Verleger sympathisieren doch mit diesen beiden Parteien und werden dann sicher gerne und häufig über uns berichten! Nein, Christian Ströbele, das ist ein Argument, das die Qualität und die Inhalte der politischen Arbeit völlig aussen vor lässt und Gestaltungsmöglichkeiten reduziert auf die Berichterstattung in der Presse - das nenne ich ganz schön auf den Hund gekommen.
Das ist eben die Crux, wenn man sich auf dieses Spiel der parlamentarischen Konsensdemokratie eingelassen hat - irgendwann kommt man da nicht mehr raus und muss die Konsequenzen tragen. Vom Kollateralschaden bis zum Kaschmir-Kanzler. Und irgendwann merkt man dann vielleicht auch, dass man die ganzen Jahre nur der nützliche Idiot gewesen ist, dessen Funktion lediglich darin bestand, die ausserparlamentarische Opposition ideologisch zu kastrieren und sie dann in den alles verschlingenden Schoss des Parlamentarismus zu führen.
Und dann heisst es irgendwann auf einmal "Mitgefangen - mitgehangen." Irgendwie muss Ströbele doch auch wissen, dass mit diesen Grünen keine fortschrittliche Politik mehr zu machen ist; irgendwie muss doch auch er ahnen, dass das nicht mehr seine Partei ist. Aber ist der Kopf erst einmal eingerichtet, lässt er sich nur schwer wieder umräumen.
Ströbeles Elend ist das Elend vieler grüner Mitglieder. Aber muss man damit Mitleid haben? Nein. Denn selbst die Kritiker des Kriegskurses haben es kommentarlos hingenommen, dass die Polizei vor ihrem Parteitag die Blockade der autonomen Kriegsgegner auseinanderprügelte. Sie haben sich mehr über die Trillerpfeifen im Saal aufgeregt als über die Lügen des Kriegsministers und seiner Gefolgsleute. Sie haben die Diskussion mit den Völkerrechtsbrechern der Diskussion mit den Belagerern der Halle vorgezogen. Da tritt doch ihr persönliches Elend zurück hinter dem politischen Elend, das sie repräsentieren: Sie haben die Spielregeln dieses Systems inzwischen so verinnerlicht, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sehen können oder wollen als Zähneknirschen und Durchhalteparolen.
Wisst ihr noch, wie das damals war, beim Vietnamkrieg? Wäre da einer von euch auf die Idee gekommen, mit den US-Aggressoren zu diskutieren und sie davon zu überzeugen, dass ihre Politik irgendwie nicht so richtig ist? Und warst du, Christian Ströbele, damals der Meinung, der US-Präsident müsse in seinem Amt bleiben, weil er nur so die Möglichkeit habe, den Krieg zu beenden? Nein, mit Kriegstreibern wurde nie diskutiert, weil es da auch nichts zu diskutieren gibt.
Und heute soll alles anders sein, nur weil die Kriegstreiber Grüne sind? Das, lieber Christian Ströbele, ist wirklich elend. Ein Elend, aus dem es nur einen konsequenten Weg gibt: Raus aus dieser Partei! Aufkündigung der Solidarität mit den MinisterInnen, den StaatssekretärInnen, dem Parteivorstand und der Mehrheit der Fraktion und Partei!
Wer das nicht tut, der ist mitverantwortlich für die Totenstille, die sich über dieses Land gelegt hat, für die Apathie der Bevölkerung, die diesen Krieg zu einem beträchtlichen Teil ablehnt, für den nicht vorhandenen Widerstand gegen Krieg und Ausplünderungspolitik. Wer jetzt nicht begreift, dass nur eine starke ausserparlamentarische Bewegung dazu in der Lage ist, diese Berliner Republik und ihr Europa der Konzerne aufzuhalten, der hat unser Mitleid nicht verdient.
Es gibt eine Alternative zum Elend der Grünen - der 6. Juni wird zeigen, wie ernst es den linken Grünen damit wirklich ist.
Gerd Ruebenstrunk (bonbini@pobox.com)
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