Offener Brief an Gunda Röstel, Dany Cohn Bendit, Joschka Fischer,
Bundesvorstand, Fraktion:

Ich war Delegierter auf dem Bielefelder Sonderparteitag der Grünen. Nach
dem Parteitag bin ich wie viele andere Mitglieder an der Basis schwer
enttäuscht von dieser Partei. Wie viele andere frage ich mich, ob ich es
noch mit meinem Gewissen vereinbaren kann, in dieser Partei Mitglied zu
sein, oder ob ich besser wie andere ihr den Rücken kehren sollte. Bisher
habe ich mich gegen den Austritt entschieden.

Warum bin ich noch nicht ausgetreten? Weil ich diese Partei nicht den
Ober-Realos und -Realas überlassen will.

Seit Bielefeld ist mir aber klar geworden, daß es in dieser Partei Leute
gibt, die ich zu meinen politischen GegnerInnen zählen muß, obwohl sie
in der gleichen Partei wie ich sind.

Dabei war nicht allein die Differenz in der inhaltlichen Einschätzung
der Frage über den NATO-Bombenkrieg das Entscheidende, sondern unter
anderem die folgenden drei Schlüsselerlebnisse:

1. Joschka Fischer hat in seiner Rede sinngemäß folgendes gesagt: "Ihr
könnt beschließen, was Ihr wollt. Ich werde es nicht vertreten!". Das
hätte sich nicht einmal Klaus Kinkel auf einem F.D.P.-Parteitag erlauben
können, aber Joschka Fischer auf einem Parteitag der ehemals
Basis-orientierten Grünen glaubt, sich das erlauben zu können. Was
kümmert ihn die Basis. Klar, solange die Basis das Richtige beschließt,
sind wir Grünen natürlich schon Basis-orientiert, aber wehe, wenn die
Basis nicht brav ist und so abstimmt, wie Papa Joschka es will (nach dem
Motto "Joschka, befiehl! Wir folgen!"). Damit wird die Basis der Grünen
dazu degradiert, Joschka-Plakate während des Wahlkampfs kleben zu
dürfen, aber ansonsten das Maul zu halten. Ich werde bis auf weiteres
keine Joschka-Plakate mehr kleben (ich bin doch nicht Mitglied eines
Fan-Clubs, sondern einer politischen Partei).

2. Dany Cohn-Bendit hat es doch glatt fertig gebracht, die Ablehnung der
NATO-Bombenangriffe als Position der Feigheit zu bezeichnen. Na bravo,
das könnte von jedem CSU-Stammtisch kommen. Wer nicht in den Krieg
zieht, ist feige. Kriegsdienstverweigerer sind feiges Gesindel. Dany hat
sich damit in meinen Augen vollkommen diskreditiert und sollte besser zu
irgendeiner Wehrsportgruppe als zu den Grünen gehen.

3. In eine ähnliche Richtung zielte Gunda Röstel, die uns Delegierte
aufforderte, "erwachsen zu werden" und für den Antrag des
Bundesvorstandes zu stimmen, d.h. wer nicht für diesen Antrag gestimmt
hat, der die NATO-Bombenangriffe zwar nicht gut heißt, aber deren
Fortsetzung letztlich toleriert, ist kindisch. Dann bin ich gerne
kindisch in ihren Augen. Krieg als Zeichen von Erwachsensein und Mut,
Kriegsverweigerung als Zeichen von unreifem Nicht-Erwachsensein und
Feigheit, so sehen es die Realos und Realas - sie haben sich damit so
weit von grünen Idealen entfernt, wie es nur geht.
Dabei haben die Realos und Realas am Anfang immer wieder folgendes
heruntergeleiert: "Wir sind ja alle Grüne! Wir haben eben
unterschiedliche Positionen in dieser Frage. Die eine Position ist der
Pazifismus. Die andere ist, daß wir das Leiden der Menschen im Kosovo
(mit Waffengewalt, sic!) verhindern wollen. Keine der beiden Positionen
ist moralisch besser als die andere! Laßt uns daher uns gegenseitig
achten und Frieden bewahren (allerdings nur in der Partei und nicht mit
Jugoslawien!!!!!!)" Dieses scheinheilige Geschwätz hätten sie sich
sparen können, wenn sie dann den Pazifismus als feige und kindisch
diffamieren. Offensichtlich sollte die "gegenseitige Achtung" nur in
eine Richtung gelten. Das einzige Ziel, beide Positionen als moralisch
gleichwertig darzustellen, bestand darin, von der moralsichen
Verwerflichkeit des Krieges abzulenken, während den KriegsgegnerInnen
ständig moralisierende Vorwürfe gemacht wurden: "Wollt Ihr etwa tatenlos
zusehen, wie Menschen abgeschlachtet werden????" (wie die schärfsten
Verhöre bei der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer).

Ich werde, solange ich noch eine Chance sehe, in dieser Partei mir
wichtige politische Inhalte zu vertreten, mich innerhalb der Partei mit
diesen meinen politischen GegnerInnen auseinandersetzen. Wenn ich diese
Chance nicht mehr sehe, bleibt mir wohl auch nur noch der Austritt.

Matthias Striebich | Forum@BasisGruen.de


p.s. Ich war und bin auch kein Freund der gewalttätigen Auftritte der
DemonstrantInnenen in Bielefeld. Ich bin auch der Meinung, daß diese
Auftritte der Sache mehr geschadet als genutzt haben (eine Reihe der
Delegierten hat mit Sicherheit nach dem Farbbeutel-Attentat Mitleid mit
dem "armen Joschka" gehabt und wollte ihm den Rücken stärken und hat
deswegen für den wachsweichen Antrag des Bundesvorstands gestimmt). Da
stellt sich schon die Frage, was die DemonstrantInnen eigentlich
erreichen wollten: Die Zerschlagung der "bösen Grünen" oder den
Frieden????