40 "junge" Grüne haben fertig
(Stand: 12.7.99)
40 "junge", überwiegend hessische bündnisgrüne Funktionärinnen und Funktionäre haben unter der Führung von Jens Kröcher und Mathias Wagner Ende Juni in einem Papier ihre Vorstellungen über die Zukunft von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN geäußert. Die Reaktionen auf die Analysen und Thesen waren prompt, zum Teil heftig, und größtenteils ablehnend. Am intensivsten mit den Vorstellungen der "Funktionalos" setzte sich bislang ein vom Bundestagsabgeordneten Christian Simmert mitverfaßtes Gegenpapier auseinander, welches dem durchweg diffusen, und insbesondere bei programmatischen Fragen kontur- und inhaltslosen Statement von Kröcher und Wagner eine genauere Definition grüner Politikfelder und die dort vorhandenen bündnisgrünen Handlungsmöglichkeiten entgegensetzte. Diesem Papier von Christian Simmert schließen sich hessische Mitglieder von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN ausdrücklich an.
Allerdings können und wollen wir es nicht dabei bewenden lassen. Auch eine Woche, nachdem das Kröcher - Papier, generalstabsmäßig vorbereitet, bundesweit veröffentlicht wurde, besteht unserer Ansicht nach die Notwendigkeit, auf die Vorstellungen einiger grüner Funktionsträger mit einer explizit von hessischen Grünen getragenen Replik zu erwidern. Dies begründet sich vor allem darin, daß das Papier von Kröcher und Wagner innerhalb und auch außerhalb der Partei Bündnis 90 / DIE GRÜNEN als überwiegend hessisches Papier angesehen wird, welches vermeintlich die herrschende Meinung dieses Landesverbandes wiedergibt. Des weiteren scheint die bundesweite Veröffentlichung des Papiers lediglich die erste Runde einer geplanten Auseinandersetzung zu sein. Nicht umsonst hat sich die politische Geschäftsführerin der hessischen Grünen, Sarah Sorge, in einem Mitte letzter Woche geführten Interview ausdrücklich zu dem Papier bekannt, und den bereits von Kröcher und Wagner geäußerten Willen das Erbe der F. D. P. anzutreten bekräftigt. Deshalb fühlen wir uns verpflichtet, das derzeitige Erscheinungsbild von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN nicht den Verfassern dieses Papiers zu überlassen.
Ebenso finden wir es schlichtweg unerträglich, wenn einige Leute für sich in Anspruch nehmen, das Sprachrohr der "Jugend", oder wie sie es nennen, der "zweiten Generation" zu sein, um dann mittels einer überheblichen Polemik zu versuchen, große Teile der Mitgliedschaft auszugrenzen. Diese Art der internen Parteiauseinandersetzung ist kontraproduktiv, und, da in der Öffentlichkeit ausgetragen, höchst unprofessionell. Und dies, obwohl ja gerade die Autoren die neue Professionalisierung bei den Grünen fordern. Hier kann man ihnen nur mit ihren eigenen Worten entgegenhalten: Besser machen, nicht besser wissen.
Da Christian Simmert sich bereits mit den, im Grunde nicht vorhandenen, Inhalten des Kröcher Papiers auseinandergesetzt hat, bezieht sich unsere Kritik hauptsächlich auf die Art und Weise, in der Kröcher und Wagner meinen sich an die Öffentlichkeit wenden zu müssen.
Allein der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist schon denkbar ungeschickt und zeugt nicht gerade von großer Professionalität. Und dies trotz der stattlichen Anzahl von teilweise langjährigen Funktionsträgerinnen und - trägern, welche das Papier unterstützen. Denn während die ganze Republik über das größte in Deutschland jemals geplante Sparpaket redet, die Bürgerinnen und Bürger jeden Tag etwas Neues über die Rentenreform hören, und eine grüne ( ! ) Gesundheitsministerin versucht ihre Reform des Gesundheitswesens gegen allerlei Widerstände durchzusetzen, kommt eine Gruppe von einigen Grünen die das alles offensichtlich nichts angeht, und beglückt den Rest des Landes mit Gedanken über grüne Befindlichkeiten, die kaum jemand, der nicht in der Partei engagiert ist versteht, und ganz sicher noch weniger interessieren. Wie mit solchen Beiträgen verlorener Boden gerade bei jungen Wählern zurück gewonnen werden soll, bleibt das Geheimnis der Verfasser. Offensichtlich stimmen die Ergebnisse einer jüngst in der "Frankfurter Rundschau" veröffentlichten Befragung junger Wählerinnen und Wähler, wonach die GRÜNEN lediglich bei zwei Bereichen in der Zuordnung durch die Wählerschaft Zuwachsraten verzeichnen konnten: Egoismus und Stillstand. Das Kröcher Papier ist der beste Nachweis hierfür, und dürfte die Jugend in ihrer Meinung noch bestätigen.
Allerdings ist den Verfassern zu Gute zu halten, daß sie ja durchaus für Bewegung in der Partei Bündnis 90 / DIE GRÜNEN sind. Sie nennen es allerdings "Wechsel der Mitgliedschaft". Wohlgemerkt: Es geht den Verfassern nicht darum, Mitglieder, welche sich eindeutig parteischädigend verhalten, also etwa durch Aufruf zur Nichtwahl von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN, auszuschließen. Sie fordern vielmehr ein Auswechseln eines Großteils der Mitglieder. Diese Forderung erinnert frappierend an manche Äußerungen von Politikern anderer Parteien, welche zuweilen nach Wahlmißerfolgen die Schuld dem Wahlvolk geben. Ähnlich scheint es den Verfassern und Unterstützern zu gehen, da sie sich offensichtlich völlig losgelöst von der übrigen Mitgliedschaft von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN wähnen, und darüber hinaus vergessen, daß genau jene Mitglieder, welche sie so gerne auswechseln möchten, die meisten der Unterstützerinnen und Unterstützer in ihre Parteiämter gewählt haben. Besonders interessant ist dabei, daß als Gründe für einen notwendigen Wechsel der Mitgliedschaft die Mißerfolge bei den letzten Wahlen und das Abwenden gerade der jungen Generation angegeben werden. Dabei vergessen die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Papiers, daß sie als Mandats- und Funktionsträger nicht nur für die inhaltliche Ausgestaltung, sonder in erster Linie auch für das Erscheinungsbild von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN selbst die Verantwortung tragen. Mag ihre Kritik an manchen Verhaltensweisen einiger Mitglieder berichtigt sein, die jüngere Generation läuft nicht erst seit Bielefeld oder Magdeburg den Grünen weg, sondern vielmehr seitdem immer mehr grüne Parteifunktionäre sich so verhalten wie alle anderen Politiker auch: nämlich völlig unbeeindruckt von der eigenen Parteiprogrammatik auf die Verwirklichung egomanischer Ziele zusteuernd, und dabei sowohl Partei- als auch Wahlvolk lediglich als Mittel zum Zweck betrachtend. Unter dieser Prämisse scheint die Aussage des Kröcher Papiers, daß die Grünen mittlerweile eine Partei wie jede andere auch sind, erschreckend wahr zu sein.
Aber anstatt dieser Entwicklung in Richtung eines politischen Einerleis entgegenzusteuern, begrüßen die Verfasser des Papiers diese Art der "Normalisierung" grüner Politik. Ja sie gehen sogar noch weiter: Wer auch in Zukunft meint, die Arbeit der von den Mitgliedern der Partei gewählten Funktionsträgerinnen und -träger kritisch hinterfragen zu dürfen, dem wird empfohlen, zum Verfassungsschutz zu gehen, und nicht in eine Partei einzutreten. Diesem Politik- und Parteiverständnis der Verfasser kann nur eines entgegengehalten werden: Wer meint, durch die Wahl in ein bestimmtes Amt unfehlbar geworden zu sein, befindet sich selbst im falschen Verein, und sollte sich als Papst bewerben. Im Übrigen ließe sich dort dann auch hervorragend Familienpolitik betreiben, nach Ansicht der Autoren ja ein bislang von Bündnis 90 / DIE GRÜNEN völlig unbearbeites Gebiet.
Begründet wird diese von den Verfassern gewünschte Veränderung von den Grünen hin zu einem Funktionärswahlverein mit der Notwendigkeit von einem Mindestmaß an Loyalität. Dieses ist in der Politik und insbesondere innerhalb einer Partei ohne Zweifel unabdingbar. Wo Loyalität jedoch zur Selbstleugnung wird, geht jede politische Glaubwürdigkeit verloren. Und politisch unglaubwürdig zu werden, ist das Ende jeder Partei.
Allerdings haben die Verfasser und UnterzeichnerInnen des Papiers ohnehin keine Probleme mit sterbenden Parteien. Im Gegenteil: Sie fühlen sich von diesen sogar angezogen. Anders kann der Aufruf zum Kampf gegen die F.D.P. mit der anschließenden Übernahme der liberalen Erbmasse nicht erklärt werden, wobei die Autoren Teile des Nachlasses ja jetzt schon erben möchten. Während jeder seriöse Rechtsanwalt den Erben der F.D.P die sofortige Ausschlagung der Erbschaft raten müßte, wähnen die 40 jungen Grünen hier offensichtlich politische Reichtümer. Dabei vergessen die Autoren, daß der Liberalismus der F.D.P sich so gut wie ausschließlich aus wirtschaftsliberalen Grundsätzen zusammensetzt, und dort wo auch die F.D.P Bürgerrechte in ihrer Programmatik hat oder welche hatte, die Intention eine ganz andere war. Denn wenn es der F.D.P seit jeher lediglich um die Beschränkung staatlicher Kontrolle und Einflußnahme auf alle Bereiche der Gesellschaft ging, und zwar auch dort, wo zum Beispiel aus sozialen Gesichtpunkten der Staat eingreifen muß, verstehen Bündnis 90 / DIE GRÜNEN Bürgerrechte als Ausdruck von Demokratie, Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Offensichtlich ist dies den Verfassern und einigen der Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des Papiers von Jens Kröcher und Mathias Wagner nicht bewußt. Sonst wären sie nicht der Meinung, daß im Buhlen um die verbliebenen Wähler der F.D.P. die Zukunft der Grünen liegt, ohne dabei zu erkennen, daß sie sich damit meilenweit von den Grundsätzen ihrer eigenen Partei entfernen. Um im Bild der Autoren zu bleiben: Das Ausmisten eines Dachbodens ist grundsätzlich eine sinnvolle Angelegenheit. Der freigewordene Platz sollte anschließend jedoch nicht mit dem Sperrmüll anderer aufgefüllt werden.
Aber letztendlich schließt sich durch die sogenannte Kampfansage an die F.D.P der Argumentationskreis des Papiers von Jens Kröcher und Mathias Wagner. Denn durch ihre Aufforderung, einer Partei, welche sich bundesweit real bei 3 % der Wählerstimmen bewegt, und die darüber hinaus in den meisten Länderparlamenten nicht mehr vertreten ist den Kampf anzusagen, haben Kröcher und Wagner das umgesetzt, wozu sie am Beginn ihres Papiers aufriefen: Nicht das Richtige zu fordern, sondern das Mögliche zu erreichen. Offensichtlich trauen die Autoren sich selbst und ihrer Partei nicht mehr zu.
Insofern kann zu dem Papier von Jens Kröcher und Mathias Wagner abschließend nur eins festgestellt werden: Sie haben fertig, und zwar mit vielem, was bündnisgrüne Programmatik seit jeher bestimmt hat, und auch in Zukunft bestimmen soll.
UnterstützerInnen:
Kreisverband Frankfurt: Beate Brink, Olaf Cunitz, Jörn Diekmann, Jens Finger, Gabi Gutberlet (stellvertretende Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Soziales und Gesundheit), Michael Graf, Hannah S. Hempell, Harry Knittel (Mitglied des Kreisvorstands), Harald Küppers (Sprecher der BAG Nord-Süd Politik), Andrea Lehr (Mitglied des Kreisvorstands), Helmut Seuffert, Wolfgang Strengmann, Wulfila Walter, Kreisverband Gießen: Thorsten Heuer (Fraktionsvorsitzender der Stadtverordnetenfraktion), Tom Kronenberg (Vorstand Stadtverband Gießen), Sigrid Schieber (Vorstand Stadtverband Gießen), Siegrid Wieczorek (Stadtverordnete), Kreisverband Hochtaunus: Harald Böttger (1. Stadtrat Steinbach/Taunus), Kreisverband Kassel-Land: Wolfgang Höhne (Fraktionsvorsitzender im Kreistag), Kreisverband Main- Kinzig: Friedrich Clemens (Mitglied des Kreisvorstands), Jochen Dohn (Mitglied des Kreisvorstands), Carmen Stoppel (Mitglied des Kreisvorstands, Sprecherin der Grünen Jugend im Main-Kinzig-Kreis und Parteiratsmitglied), Marcel Weymann (Mitglied des SprecherInnenkreises des OV Hanau), Kreisverband Wetterau: Gertrud Amrein (Mitglied des Kreistags), außerhalb Hessens: Jason Krüger (Kreisverband Berlin Prenzlauer Berg), Athanasios Papoulias (Kreisverband Enneppe-Ruhr-Kreis, Ortsverband Witten), Matthias Striebich (Kreisverband Forchheim), Ingo Stürmer (Kreisverband Göttingen, Mitglied des Kreisvorstands), Barbara Häusling (Sprecherin des Kreisverbands Hagen), Krystyna Grendus (Kreisverband Hardt, Mitglied des SprecherInnenrates Rhein-Neckar), Harald Grendus (Kreisverband Hardt, Kreisschiedskommission), Christian Meyer (Kreisverband Holzminden, Fraktionssprecher im Kreistag, Länderausschußgeschäftsführer des Grün-Alternativen Jugendbündnisses), Bettina Hohmann (Kreisverband Lippe, Beisitzerin), Jutta Dümpe-Krüger (Kreisverband Lippe), Manuela Roth (Kreisverband Mainz-Stadt, Sprecherin des Kreisvorstands), Karin Emmrich (Kreisverband Mainz-Stadt), Nicole Bartsch (Kreisverband Mannheim), Thomas Hagemann vom Scheidt (Kreisverband Neumünster), Uwe Kekeritz (Kreisverband Neustadt/Aisch, Mitglied des Kreisvorstands und Kreisrat), Bernhard Dobbert (Kreisverband Nürnberg-Land), Ralf Henze (Kreisverband Rendsburg-Eckernförde), Gudrun Rempe (Kreisverband Rendsburg-Eckernförde), Birgit Linke (Ortsverband Uffenheim), Werner Schmidt (Sprecher des AK Verkehr und Siedlungswesen B90/Grüne Bayern, Zirndorf), ehemalige Parteimitglieder: Peter Jung (Kreisverband Frankfurt), Stella Tauber (bis Juni '99 Mitglied des Kreisvorstands, Kreisverband Tübingen)
Weitere Unterstützungen bitte per email an strengmann@wiwi.uni- frankfurt.de oder per Fax an Harry Knittel (069/96202887)