Holger Bicker
Laurentiusstraße 50
54550 Daun
16.05.1999
Bündnis 90/Die Grünen
Kreisverband Daun
-Vorstand/Kreisgeschäftsführerin
Liebe Freunde,
nun ist es entschieden: Die Grünen dürfen sich nun offiziell auch
Kriegspartei nennen. Lange haben Fischer und seine Anhänger für diesen
Titel kämpfen müssen. Nun sind sie durch den Parteitag legitimiert,
ihre Kriegspolitik in Jugoslawien gemeinsam mit der NATO fortzuführen.
Krieg ist nun auch für die grüne Partei ein Mittel zur Durchsetzung
politischer Ziele geworden. Es schmerzt sehr, diese Entwicklung mit anzusehen,
zumal es in der Vergangenheit immer eines unserer obersten Ziele war, dem Militarismus
in der Welt politische Alternativen entgegenzusetzen. Wir waren es, die in der
Vergangenheit immer wieder auf Menschenrechtsverletzungen in der ganzen Welt
aufmerksam gemacht haben und versucht haben, Strategien zu entwerfen, um gewaltsame
Konflikte friedlich zu lösen. Wir haben dies aus Überzeugung getan
und weil die Geschichte uns gelehrt hat, dass Konflikte niemals mit militärischen
Mitteln gelöst werden können. Wir wurden dafür immer von unseren
politischen Gegnern massiv attackiert. Nun ziehen wir gemeinsam mit ihnen in
den Krieg.
Die Situation in Jugoslawien ist unerträglich geworden. Der so "humanitäre"
Krieg eskaliert von Tag zu Tag. Bis heute ist noch keinem Opfer aus dem Kosovo
geholfen worden. Mord, Massenvertreibung, Vergewaltigung sind weiter auf der
Tagesordnung. Im Gegenteil, seit den Bombardierungen der NATO verstärkt
Milosevic seine Übergriffe auf die Kosovaren. Die Flüchtlingsströme
werden immer größer. Keines der angestrebten Ziele der NATO ist auch
nur im geringsten in erreicht worden. Wir haben es nicht mit einem humanitären
Einsatz zu tun, sondern es handelt sich hier um einen Krieg gegen Serbien. Längst
ist die Mär vom sauberen und humanitären Krieg zur Lüge geworden.
Der Konflikt eskaliert weltweit und hat seinen Höhepunkt mit der Bombardierung
der chinesischen Botschaft erreicht. Wir können es täglich miterleben,
die NATO führt keinen Krieg mehr gegen den Mörder Milosevic, sie führt
einen Krieg gegen Serbien. Sämtliche Lebensgrundlagen werden durch die
andauernden Bombardierungen zerstört. Was macht es für einen Sinn,
gegen die Vertreibungen und für die Durchsetzung von Menschenrechten ein
ganzes Volk mit Krieg zu übersäen und das Töten von Zivilisten
in Kauf zu nehmen. Als Kollateralschäden werden die Opfer bezeichnet. Eine
kurze Entschuldigung und weiter geht's im gerechten Krieg.
Der Angriffskrieg der NATO hat schweren internationalen Schaden angerichtet.
Die UNO ist in die Bedeutungslosigkeit verdrängt worden. Alle Bemühungen
in der Vergangenheit, die UNO international zu stärken, sie als Instanz
zur Lösung gewaltsamer Konflikte auszubauen, sind durch die Arroganz der
NATO zunichte gemacht worden. Jeder politisch denkende Mensch weiß, dass
es in Jugoslawien keinen Frieden geben wird, ohne das Rußland aktiv und
gleichberechtigt an dem Friedensprozess im Balkan beteiligt wird.
Krieg hat auch immer mit Demokratieverlust zu tun. Täglich werden wir
neu auf den Krieg eingestimmt. Das Denken wird aufgeteilt in Gut und Böse,
und wehe man gerät aus der Spur.
Als Kriegsgegner wird man schnell zum Mitverantwortlichen für Vertreibung
und Mord gemacht. Es passt ja so gut. Inhalte werden immer weniger diskutiert.
Der Krieg muss gewonnen werden, egal was es kostet.
Aus meiner tiefsten Überzeugung bin ich ein strikter Gegner dieses NATO-
Krieges gegen Serbien.
Es gab für mich in Bielefeld zwei mögliche Alternativen mit denen
ich in Zukunft noch hätte grüne Politik machen können.
Mein Wunschergebnis wäre gewesen, die Delegierten hätten sich klar
und deutlich vom Krieg distanziert und unsere Kriegsbefürworter zurückgepfiffen,
allen voran Joschka Fischer und die Koalition mit der SPD hätte beendet
werden müssen.
Die zweite Alternative wäre gewesen, die Delegierten hätten sich für
einen sofortigen Stopp der NATO Angriffe ausgesprochen, und unseren Außenminister
aufgefordert, dies bei dem Koalitionspartner SPD durchzusetzen, um dann aus
der Kriegskoalition mit der NATO auszusteigen, und den Krieg in Jugoslawien
sofort zu beenden. Die Delegierten haben sich nicht klar und deutlich für
einen sofortigen Stopp der Luftangriffe ohne Vorbedingungen ausgesprochen.
Ich sehe mich nun gezwungen, die Partei Bündnis 90/Die Grünen zu verlassen.
Ich kann es mit meiner grundsätzlichen Überzeugung nicht vereinbaren,
einer Partei anzugehören, die es befürwortet, dass von deutschem Boden
wieder Krieg aus geht. Meine politische Biographie war immer antimilitaristisch
geprägt. Als Kriegsdienstverweigerer ist es mir unmöglich, mich an
Angriffskriegen zu beteiligen. Die Grünen haben ihre Grundsätze von
Friedenspolitik einem Krieg zum Opfer fallen lassen. Es war immer Konsens unter
den Grünen, dass Gewalt nicht zur Durchsetzung internationaler Konflikte
geeignet ist. Noch vor nicht allzu langer Zeit war es grüner politischer
Wille, das NATO- Bündnis auf kurz oder lang aufzulösen. Heute ziehen
wir gemeinsam in den Krieg.
Mein Entschluss fällt mir nicht leicht, aber ich erkläre hiermit meinen
Austritt aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen.