Antwort auf den offenen Brief von Gerd Ruebenstrunk
von Sylvia Kotting-Uhl

 

Lieber Gerd!

Ich danke Dir für diese ausführliche Auseinandersetzung mit meinem "geplatzten Traum". Die meisten Deiner Argumente kann ich aus Deiner Position nachvollziehen, manche sind unabhängig von allen Positionen einfach richtig, manches ist in meinen Augen einfach falsch.

Richtig ist, daß ich es mir zu einfach mache, indem ich Eckhard Stratmann-Mertens zum "destruktiven Element" der Vorbereitungsgruppe erkläre. Tatsächlich war die Gemengelage grundsätzlich eine schwierige und stellte sich in Eckhard lediglich exemplarisch dar.

Das große Problem bei dem Versuch, die Grünen und Nicht-mehr-Grünen gemeinsam agieren zu lassen, war/ist die Definition des "unabhängig von den Grünen". Was muß den grünen Mitgliedern als Beweis dafür abverlangt werden, daß sie tatsächlich willens/fähig sind, unabhängig von ihrer Partei politisch tätig sein zu können.
Für Dich war die Verabschiedung von Eckards Antrag notwendig, um nicht von Anfang an an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Wessen Glaubwürdigkeit? Die aus den Grünen Ausgetretenen müssen ihre Unabhängigkeit von der Partei nicht
demonstrieren, das haben sie mit ihrem Austritt getan. Die Nicht Ausgetretenen müssen den Nachweis ihrer Glaubwürdigkeit liefern.

Ich habe an verschiedenen Stellen bereits dargestellt, warum ich die Partei Bündnis 90/Die Grünen nicht verlassen will, ich will das nicht noch einmal tun - das Problem im nicht zustande gekommenen Bündnis lag auch nicht im "warum" der Nicht Ausgetretenen, sondern im "daß". Es ist mir nachvollziehbar, daß für Euch, die Ihr konsequent mit der Partei gebrochen habt, das Verbleiben in der Partei ein Akt der Inkonsequenz ist. Wer die Partei nicht verläßt, kann im Grund gar nicht glaubwürdig sein, ist es nicht so?

Es liegt mir fern, diejenigen, die Eckhards Antrag beim Ruhrgebietstreffen und/oder in Dortmund zugestimmt haben, diffamieren zu wollen. Für Euch alle ist die Intention des Antrags richtig. Wer nicht Mitglied der Grünen ist, hat keinen
Grund, einem solchen Antrag nicht zuzustimmen. Auch Mitglieder der Grünen haben ihm spontan zugestimmt. Bei denen, die an der Vorbereitung für Dortmund aktiv beteiligt waren, liegt die Sache etwas anders. Wir haben uns lange genug über
die Frage "Aussage zur Europawahl" auseinandergesetzt, es war allen Beteiligten klar, daß nur eine Aussage, wie sie in der verabschiedeten Resolution von Susanne Uhl u.a. enthalten ist, von allen getragen werden kann. Zum Umgang mit
Eckhards Resolution "Keine Stimme den Kriegsparteien" gab es den Vorschlag, sie nicht abzustimmen, sondern Einzelunterschriften dafür zu sammeln. (Eckhard war nicht der Einzige, der diesen Vorschlag ablehnte - in meiner Zuspitzung auf ihn als "Buhmann" akzeptiere also auch ich ihn als Wortführer.) Es war auch klar, daß eine Verabschiedung dieser Resolution als Aussage von Dortmund das Bündnis in der angelegten Breite gefährden würde. Eckhard (und andere) wußte das und hat es in Kauf genommen. Es ist natürlich sein gutes Recht, diesen Antrag auch als "Klärungsprozess" benutzt zu haben, und irgendwie könnten mit diesem "klaren" Ergebnis ja auch alle zufrieden sein.

Allerdings hätten von dieser Perspektive aus gesehen einige von uns sich den Aufwand der Vorbereitungsphase sparen können. Wenn das "Bündnis aus Noch-Grünen, Nicht-mehr-Grünen, Noch-nie-Grünen" für die Noch-Grünen nur auf der Basis einer Distanzierung von ihrer Mitgliedschaft gelten sollte, dann hätte ich z.B. von vornherein auf dieses Angebot verzichtet. Mein Zorn auf Eckard ist also auch ein ganz persönlicher - und von daher in seiner Berechtigung sicher zu relativieren. Ich gebe Dir recht, daß "Eckhard-Verträglichkeit" weder eine politische noch sachliche Bewertung darstellt und in einer öffentlichen Stellungnahme nichts zu suchen gehabt hätte.

Der Machismo, den ich Eckhard unterstellt habe, bezieht sich nicht auf die politische Aussage seines Antrags, sondern auf seine Gleichgültigkeit gegenüber den Rahmenbedingungen, die für ein ernstgemeintes Bündnis mit Noch-Grünen hätten
akzeptiert werden müssen. Es gab auch Rahmenbedingungen, die von den Nicht-mehr-Grünen gestellt wurden, die wurden in der Vorbereitungsgruppe uneingeschränkt umgesetzt.

Dein Brief bestätigt mir insgesamt, daß die Grundvoraussetzung für das Bündnis nicht vorhanden ist: die gegenseitige Akzeptanz.
> "... oder schuldgefühl-induzierende Bitten (z.B. von Daniel Kreutz), doch
> bloss nicht die Konsequenz zu zeigen, die die linken Grünen vermissen lassen."

> " "Der geplatzte Traum" schreibst Du. Das will ich gerne glauben, dass Dein
> Traum (und der von Ströbele und Co.) geplatzt ist. Für mich gilt das nicht.
> Für mich wäre ein Traum geplatzt, wenn sich die Mehrheit in Dortmund den
> Opportunismus als Gründungsbegriff auf die Fahnen geschrieben hätte. Das ist
> zum Glück nicht passiert.

> Jetzt ist es an Euch linken Grünen, Euch zu entscheiden, ob Ihr wirklich ein
> unabhängiges Netzwerk wollt. Denn die Entscheidung von Dortmund ist eine klare
> Entscheidung für Unabhängigkeit. Unabhängigkeit von der grünen Partei und von
> den grünen Linken.

Gibt es dazu noch etwas zu sagen? Ich zähle mich zu den linken Grünen. Dieser Begriff ist für mich nicht von Jürgen Trittin und Kerstin Müller besetzt, ebensowenig, wie für mich Bündnis 90/Die Grünen mit Joschka Fischer identisch ist. Aber das ist wohl unser nicht auflösbarer Dissens.


Mit trotzdem herzlichen Grüßen

Sylvia Kotting-Uhl