Netzwerk-Initiative für eine andere Politik


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Plattformentwurf AG
"Demokratie, Gleichberechtigung, Partizipation"

Demokratie und Neue Ökonomie der Globalisierung

Mit der Liberalisierung der Weltmärkte, insbesondere der Finanzmärkte, und der ökonomischen Globalisierung haben sich fundamentale Veränderungen auch für die Demokratie ergeben. Nicht dass Regierungen und Nationalstaat unbedeutend geworden wären, im Gegenteil, die Liberalisierung ist Ergebnis von Politik von Regierungen auf allen Ebenen gegeben, aber die Inhalte von Politik orientieren sich mehr und mehr an den Interessen der großen Konzerne und Geldbesitzer. Das Primat der Ökonomie gegenüber der Politik setzt sich auf allen Ebenen durch. Zunehmend werden politische Entscheidungen auf die internationale Ebene und internationale Organisationen wie die WTO verlagert, ohne parlamentarische und öffentliche Diskussion und Kontrolle.

Die ökonomische Globalisierung ohne demokratische Regulation erweist sich zunehmend als sozialer und ökologischer Sprengsatz. Eine Diskussion von Ansatzpunkten demokratischer Alternativen ist also dringend erforderlich:
Diese Ansatzpunkte erfordern sowohl strukturelle Reformen sowohl hinsichtlich nationalstaatlicher Maßnahmen, als auch neue Formen internationaler Koordination, Regulierung und Bewegung, wie sie in Seattle deutlich geworden sind.

Die Rot-Grüne Bundesregierung orientiert sich in diesem Zusammenhang einseitig an einer Politik der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und setzt im wesentlichen auf das Arrangement mit der Macht der Finanzmärkte und der transnationalen Konzerne. Elemente der sozialen, ökologischen und demokratischen Regulation sind nur in Ansätzen in ihrer Politik vertreten und werden in Verhandlungen, wie z.B. der WTO Runde als Manövriermasse schnell fallen gelassen.

Demgegenüber betonen wir die Notwendigkeit, die Globalisierung demokratisch zu gestalten, und zwar sowohl hinsichtlich des Verhältnisses zu den Ländern des Südens, als auch der Entwicklung innerhalb der Länder.

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Begrenzung der Macht multinationaler Konzerne

53.000 transnationale Konzerne mit 450.000 ausländischen Tochtergesellschaften zählte die UNCTAD in ihrem Weltinvestitionsbericht 1998 weltweit. 1970 waren es gerade einmal 7000. Die überwiegende Mehrheit hat ihren Sitz in den USA, EU oder Japan. Sie kontrollieren inzwischen zwei Drittel des Welthandels. Etwa die Hälfte des von TNCs kontrollierten Handels erfolgt als Intra-Handel, d.h. zwischen den Abteilungen eines Konzerns oder zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft. Von der Forschung über die Entwicklung und Fertigung wird die Konzerntätigkeit dort ausgeführt, wo sie am profitabelsten sind. Auf diese Weise entziehen sie sich sozialstaatlicher und ökologischer Regulierung und üben Druck auf die Staaten in Richtung Deregulierung, Steuer- und sonstige Kostensenkung aus. Regierungen des Südens sind in erheblichem Umfang von den Geldern der TNCs abhängig. So finanzierten allein die Tochtergesellschaften der US Konzerne 1989 in Guatemala 15,5% der Staatsausgaben, in Peru 12,2% und in Mexiko 4,6%. In der Diskussion um die demokratische Kontrolle von TNCs sind verschiedene Annsätze zu diskutieren:

  o Maßnahmen, um den Zugriff von Regierungen auf die Wirtschaftsaktivitäten zu verbessern
  o die weltweite Verankerung sozialer, gewerkschaftlicher und ökologischer Standards
  o die Schaffung eines internationalen Wettbewerbsrechts zur Kontrolle und Eindämmung der internationalen Kapitalkonzentration.
  Mit der gegenwärtigen Fusionswelle wird gerade letzteres enorm beschleunigt. Sie setzte in den USA Anfang, in der EU Mitte der 80ger Jahre ein. Der Wert der weltweiten Fusionen und Übernahmen stieg von 94 bis 99 von 500 Mrd. $ auf 3,4 Billionen $. Auf europäische Unternehmen entfallen mit 1,2 Billionen $ gut ein Drittel des Transaktionsvolumens. Politische Maßnahmen gegen die zunehmende Konzentration durch Fusionen und Übernahmen sind also in der Begrenzung der Macht von TNCs ebenfalls ein entscheidender Ansatzpunkt. In der Diskussion sind dabei zwei Ansätze:
  o Auf nationaler und europäischer Ebene die Rechte und Beschäftigten und Gewerkschaften zu stärken: z.B. durch den Zwang zu Fusionstarifverträgen, ein Vetorecht gegenüber Fusionen und Übernahmen im nationalen Übernahmegesetz und der europäischen Übernahmerichtlinie
  o Eine internationale Fusionskontrolle, die dem Konzentrationsprozess selbst entgegenwirkt.
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Soziale, ökologische und demokratische Regulierung von Direktinvestitionen

Vor allem in der Auseinandersetzung um das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) ist die Rolle eines internationalen Investitionsabkommens in der Diskussion. Auch in der von den Industrieländern angestrebten neuen Verhandlungsrunde der WTO Runde spielt das Thema eine entscheidende Rolle. Neben dem (bislang gescheiterten) multilateralen Investitionsabkommen gibt es heute schon ein Vielzahl bilateraler Investitionsabkommen. So hat Deutschland bereits in 120 bilateralen Abkommen Eigentumssicherheit, Steuervorteile und freien Marktzugang für deutsche Investoren durchgesetzt . worüber in aller Regel keinerlei demokratische Diskussion stattfindet.
Tatsächlich sind ausländische Direktinvestitionen in den letzten Jahrzehnten stark angewachsen. Von 1973-1996 wuchsen sie weltweit von 25 auf 350 Mrd. $ pro Jahr an .
Laut dem Human Development Report des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) vereinigt die Gruppe der Industrieländer 68% der Direktinvestitionen als Zielland auf sich . Der Einkommensunterschied zwischen dem reichsten und ärmsten Fünftel der Weltbevölkerung ist dabei von 30 zu 1 (1960) auf 74 zu 1 (1997) gewachsen. In der Auseinandersetzung um ein Investitionsabkommen und Direktinvestitionen spielen folgende Ansätze für die demokratische Regulierung eine wesentliche Rolle:

  o Die Sicherung von Bürger- und Menschenrechten muß im Zentrum möglicher Abkommen stehen.
  o Das Recht des Gastlandes zu Auflagen für Investoren (Schaffung von Arbeitsplätzen, Einhaltung von sozialen und gewerkschaftlichen Standards und Umweltauflagen, Ressourcenschutz und sozialer Sicherung) muß gewährleistet sein.
  o Das Prinzip der Nichtdiskriminierung von Investoren darf nicht über Sozialpflichtigkeit des Eigentums gestellt werden.
  o Die Bindung von Hermesbürgschaften an die Einhaltung sozialer und ökologischer Kriterien
  o Maßnahmen zur Stärkung der parlamentarisch-demokratischen Kontrolle und der Partizipation lokaler Gremien.
  o Streitschlichtungsverfahren sind nicht nur für Investitions- und Handelsfragen, sondern auch bei Bürger- und Menschenrechten, sowie bei der Einbeziehung der Betroffenen einzuführen.
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Demokratische Kontrolle der Finanzmärkte

Die Finanzmärkte stellen die Speerspitze der Globalisierung dar. Mit der Drohung, Kapital abzuziehen erpressen sie auch große Industrieländer. Die Bewegung von Kapitalströmen betrifft das Schicksal von Millionen Menschen. Der plötzliche massive Abzug von Kapital und die Spekulationsbewegungen können ganze Volkswirtschaften, wie die Asien-Krise gezeigt hat, in die Krise stürzen. Auch bei der derzeitigen Konzentrationswelle spielen sie eine entscheidende Rolle. Investmentbanken, Fonds und Spekulanten sind die maßgeblichen Akteure. Die Verlagerung von Entscheidungen an die Börse, über den Aktienkauf, stellt auch eine entscheidende Entdemokratisierung dar. Das Regiment des "shareholder value" läuft darauf hinaus, die Interessen der Beschäftigten, die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards oder Gesichtspunkte der Regionalentwicklung oder der Sozialverantwortung des Eigentums zugunsten von Renditeerwägungen zu opfern.

Die Gewinnung von Souveränität durch die Politik über die Finanzmärkte ist daher entscheidend für Demokratie. Ansatzpunkte dazu, wie sie z.B. vom Netzwerk demokratische Kontrolle der Finanzmärkte (ATTAC) vertreten werden, sind:

  o Einführung einer Anti-Spekulationssteuer
  o Schließung von Steuerparadiesen und Off-Shore Bankzentren
  o Verbot hochspekulativer Einrichtungen und Finanzinstrumente wie Hedge Funds und bestimmter Derivate
  o Maßnahmen zur Verschärfung der Bankenaufsicht.
  o Reformschritte in Richtung eines kooperativen Währungssystems
  Die Börsenkapitalisierung stellt auch einen Eckpfeiler der Politik der Bundesregiegierung dar. Das haben sie mit der Steuerreform, wie auch den Plänen zur Eigenvorsorge in der Rentenversicherung mehr als deutlich gemacht. Aktienindizes beherrschen die Medien, Beteiligung der Beschäftigten am Aktienkapital bis hin zur Auszahlung eines Teils der Löhne und Gehälter in Aktien nehmen zu. Sie machen inzwischen 78,3% der Mitarbeiterbeteiligung aus. Der Aktienkauf ist nicht nur bei der Telekom zu einem weitverbreiteten Phänomen geworden. Inzwischen ist auch eine intensive gewerkschaftliche Diskussion über Bedeutung und Wege zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Geldvermögen entstanden.

In der internationalen gewerkschaftlichen Diskussion gibt es Ansätze, die Frage der Verfügung über die Fonds aufzuwerfen und einen anderen Umgang mit der Börsenkapitalisierung einzufordern: Der VNV (Dachverband niederländerische Gewerkschaften, hat im Juli ein Memorandum herausgegeben, in dem der die Bindung von Fondanlagen an soziale, demokratische und ökologische Kritierien fordert. Der internationale Gewerkschaftsbund hat eine Taskforce eingerichtet, die sich ebenfalls mit der Bindung von Fondanlagen an diese Kriterien gegenüber dem "shareholder value" auseinandersetzt. Diese Ansätze werden wir in der Diskussion um die demokratische Kontrolle der Finanzmärkte kritisch prüfen, auch hinsichtlich der Frage, welche Reichweite eine "nachsorgende" Regulierung unter den gegebenen Bedingungen der Finanzmärkte haben kann.

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Demokratisierung internationaler Organisationen

Das Primat der Ökonomie über die Politik spiegelt sich auch in der Verlagerung von Entscheidungen und der Stärkung von Organisationen wie der WTO gegenüber den UN-Organisationen und der ILO, aber auch gegenüber Parlamenten und Organisationen der Zivilgesellschaft wider. Entscheidungen der WTO berühren indirekt oder direkt zentrale Bereiche jeder nationalen Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik. Trotzdem unterliegen sie bis heute keiner wirklichen Kontrolle. Auch die Entwicklungsländer sind noch weitgehend von den Entscheidungen ausgeschlossen.
Neben der WTO haben IWF und Weltbank eine Schlüsselstelle in der herrschenden Weltwirtschaftsordnung. Eine grundlegende Reform aller drei Organisationen ist unabdingbar

  o In der WTO müssen sowohl die Länder des Südens gestärkt werden als auch Möglichkeiten der Kontrolle durch nationale Parlamente und Organisationen der Zivilgesellschaft geschaffen werden. Verhandlungen über multilaterale Investionsabkommen müssen auf einer Konferenz auf der Ebene der UNO verhandelt werden.
  o WTO, IWF und Weltbank müssen unter die Souveränität und Kontrolle der UNO, insbesondere des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) gestellt werden.
  o Für die Reform von IWF und Weltbank ist eine klar definierte Arbeitsteilung zwischen den beiden Institutionen entscheidend. Grundsätzlich sollte sich diese daran orientieren, den Fonds in ein (demokratisch legitimiertes) Instrument zur Steuerung des Währungs- und Finanzsystems zu transformieren und die Weltbank zu einem Mechanismus des Einkommenstransfers von Nord nach Süd (auf den die Entwicklungsländer ein Recht haben) weiterzuentwickeln. Elementare Voraussetzungen bzw. erste Schritte zu einer solchen Reform wären der eindeutige Bruch mit der neoliberalen Strukturanpassungspolitik und eine umfassende Schuldenstreichung der Entwicklungsländer.
Schritte zur Demokratisierung Europas

Europa als Ansatz zur Regulierung ist ein wesentliches Projekt zur sozialen und demokratischen Gestaltung der Weltwirtschaft. Die europäische Sozialdemokratie, allen voran die Bundesregierung, verfolgt auch hier den Kurs der Orientierung auf Wettbewerbsfähigkeit in der Triadenkonkurrenz gegenüber USA und Japan. Europa soll im kommenden Jahrzehnt "die wettbewerbsstärkste und dynamischte wissensbasierte Ökonomie der Welt" werden. Auch für die EU gilt die Charakterisierung von Ulrich Beck: "Während im Rahmen der scheinbaren Nichtpolitik zunehmend Nicht-Entscheidungen politisch legitimiert werden, werden im transnationalen Rahmen der scheinbaren Nicht-Politik nicht demokratisch legitimierte Entscheidungen von transnationaler Reichweite geschaffen." Fischers Ansatz beinhaltet darüber hinaus in der Frage der Erneuerung der Insititutionen und Entscheidungsmechanismen die Konstruktion eines Pionier- oder Kerneuropas und damit der Spaltung zwischen den hegemonialen Hauptländern und den Peripherieländern.

Demgegenüber treten wir für ein Europa ein, in dem die Spaltung zwischen den Ländern überwunden werden soll und der Konkurrenz um die Weltmarktkonferenz die koordinierte Gestaltung sozialer, ökologischer und demokratischer Strukturen gegenüberstellt.

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Dabei ist die EU gefordert Schritte im Sinne der oben aufgeführten Demokratisierungselemente in Europa selbst zu verwirklichen und in die internationalen Verhandlungen einzubringen.
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Auf europäischer Ebene sind Schritte zur demokratischen Kontrolle der EZB und die Ausweitung ihrer Zielsetzung auf beschäftigungspolitische Ziele dringend ergänzend erforderlich.
Ansätze in unserer Diskussion der institutionellen Reformen gehen von einer Stärkung der Transparenz und Dezentralisierung von Entscheidungen, BürgerInnennähe und Beteiligung und einer Stärkung parlamentarischen Kontrolle aus.
Das betrifft insbesondere:
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die Stimmengewichtung im Rat
mit der Einführung des Prinzips der doppelten Mehrheit (Mehrheit der Staates und Mehrheit der Bevölkerung) bei Ratsentscheidungen würde sowohl das Verhältnis zwischen kleinen und großen Staaten demokratischer gelöst, wie auch ein Bezug auf die Bevölkerungsmehrheiten hergestellt.
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die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen
in Richtung von Regelentscheidung geht mit einer Ausweitung parlamentarischer Kontrolle einher, weil Mehrheitsentscheidungen an die Mitentscheidung des EPs gebunden sind.
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die Zusammensetzung der Kommission so zu regeln, daß zum einen kollektive Arbeitsweise gefördert, aber die Repräsentanz aller Mitgliedsstaaten und ihre gleichberechtigte Teilhabe an den Entscheidungen garantiert wird.
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Die Befugnisse des Europäischen Parlaments erweitert werden und seine Zusammensetzung die Demokratisierung fördern. Das Verhältnis gegenüber Entscheidungen der nationalen Parlamente und ihre Einbindung in den Entscheidungsprozess, wie auch die Einbindung der Zivilgesellschaft sind dringend zu demokratisieren.
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Im Rahmen der europäischen Grundrechtecharta treten wir für verbindliche soziale und gewerkschaftliche Grundrechte ein. Die EU Grundrechtecharta muß in den Verträgen verankert werden.
Schritte zur Förderung direkter Demokratie

Innerhalb dieser strukturellen Reformen einer Mehrebenenpolitik sinkt die Bedeutung der nationalen Demokratien nicht, sie stellt sich neu und muß im Wechselverhältnis zwischen nationalen und transnationalen/europäischen Demokratisierungsprozessen neu bestimmt werden. Im Konzept der Sozialdemokratie und der Politik der Regierung wird der Staat vom Sozial- zum Wettbewerbsstaat im Rahmen globaler Weltmarktkonferenz.. Der so genannte "aktivierende Sozialstaat" hat wenig mit Aktivierung und sozialem Schutz zu tun, dafür umso mehr mit Zwang gegenüber Ausgegrenzten und Erwerbslosen. Von ihnen wird Verantwortung gegenüber dem Solidarsystem eingefordert, Vermögende und Unternehmen werden aus der Sozialbindung des Eigentums entlassen, soziale Aufgaben auf Elemente der Zivilgesellschaft verlagert. Soziale Gerechtigkeit wird auf Chancengleichheit reduziert. Die Zivilgesellschaft wird zum Kitt des Wettbewerbsstaates. Mit dem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und anderen werden Gewerkschaften, Bündnisse und Initiativen im Wettbewerbskooperatismus eingebunden.

Begleitend wird politische Willensbildung zunehmend in die Medien verlagert, Wählerinnen wie Parteimitglieder in die Zuschauerrolle gedrängt. Die mediengerechte Inszenierung von Politik verhindert eine öffentliche Auseinandersetzung um ihre Ziele und blendet Alternativen aus. Die politische Telekratie unterhöhlt demokratische Institutionen, entpolitisiert die Gesellschaft und lässt das alltagsnahe politische Gespräche verkommen.

Demgegenüber setzen wir uns dafür ein:

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Die Vollendung der Demokratie durch Einbeziehung des bislang vordemokratisch strukturierten Wirtschaftsgeschehens und durch weitgehende Partizipation der BürgerInnen an der Gestaltung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen erfordert vor allem eines: Die Menschen brauchen Zeit, um partizipieren zu können und sich für die Übernahme von Verantwortung zu qualifizieren. Sie brauchen kollektive Zeitstrukturen, um demokratische Willensbildung stattfinden lassen und artikulieren zu können. Arbeitszeitverkürzung sowie Sicherung und Erweiterung gemeinsamer erwerbsarbeitsfreier Zeit zählen daher ebenso zu den materiellen Voraussetzungen partizipativer Demokratie wie Bildungsurlaube, Freistellungen für politisches und gewerkschaftliches Engagement sowie Mittel für nichtkommerzielle Medien und Alltagskultur.
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Aktive Demokratisierung setzt auch die Stärkung der Möglichkeiten sozialer Bewegungen und aller Formen direkter Demokratie voraus. Das betrifft insbesondere auch die Erleichterung von Volksentscheiden, Volksbegehren und .Volksinitiativen auf allen Ebenen. Sie sollen die parlamentarische Demokratie ergänzen, nicht ersetzen.
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Demokratie setzt soziale Gerechtigkeit voraus Wir treten für die Anerkennung von Menschenwürde gegenüber dem Arbeitszwang ein und unterstützen die Selbstorganisation sozial benachteiligter Gruppen.
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Demokratie erfordert eine Ausweitung wirtschaftsdemokratischer Rechte, sowohl als Individualrechte von Beschäftigten, wie auch als kollektive Mitbestimmungsrechte durch Betriebsräte und Gewerkschaften. Mitbestimmungsrechte müssen über den Betrieb hinaus erweitert werden.
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Soziale Demokratie ist ohne Maßnahmen zur Sicherung gewerkschaftlicher Koalitionsrechte, insbesondere der Tarifautonomie und des Streikrechts nicht möglich. Dazu gehört das Verbot der Aussperrung.
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Demokratisierung von Schule, Hochschule, Forschung und Wissenschaft sind Voraussetzungen für Chancengleichheit. Das politische Mandat, die Erweiterung der Mitbestimmungsrechte der SchülerInnen und Studierenden und die Einrichtung von Beiräten, in denen die verschiedenen gesellschaftlichen Interessensgruppen , Verbände und Gewerkschaften vertreten sind, können dazu beitragen.
Menschenrechte für alle, die hier leben

Unter diesem Motto demonstrierten viele tausend Menschen in Düsseldorf gegen den sich ausbreitenden Rechtsextremismus. Viel zu lange haben die Verantwortlichen in Politik und Gewalt über die Ausbreitung neofaschistischer Parteien und Bewegungen, über Gewalt von Rechts hinweg gesehen oder sie herunter gespielt.
Es kann nicht hingenommen werden, dass rechtsextreme Gewalttäter faktisch bestimmen, wer in unseren Städten und Gemeinden leben und sich frei bewegen darf, und wer nicht. Wir können nicht zusehen, wie Rechtsextreme einen Vernichtungsfeldzug gegen alles Fremdartige und Arme in der Gesellschaft führen und erneut auch jüdische Menschen angriffen werden.

Die parteiübergreifenden Appelle gegen den Terror von Rechts und staatliche Aufforderungen zu mehr bürgerschaftlichem Gegenengagement schweigen jedoch meist darüber, dass die Wurzeln für Rechtsextremismus und Rechtspopulismus im verbreiteten Empfinden sozialer Bedrohung und Perspektivlosigkeit liegen. Vergessen scheint die historische Lehre der Weimarer Katastrophe, dass dauerhafte Massenerwerbslosigkeit und -armut politische Verzweifelung nährt und auch in den Mittelschichten die Angst vor sozialer Deklassierung wachsen lässt. Wo die Kräfte schwach sind, die für solidarische Lösungen der Krise eintreten, während die herrschende Politik die sozialen Risiken mehrt und zugleich MigrantInnen und Flüchtlinge ausgrenzt, wird die extreme Rechte mit rassistischem Wohlstandschauvinismus, scheinbar "antikapitalistischer" Demagogie und "national-sozialistischen" Scheinlösungen stärker.

Stattdessen wird die gegenwärtige Diskussion stark bestimmt von Maßnahmen der Verschärfung des Strafrechts, der Ausweitung von Polizeimaßnahmen und der Einschränkung kollektiver oder individueller Rechte. Rechtsextreme Einstellungen und Handlungen sind Teil einer breiten Alltagskultur geworden. MigrantInnen, Flüchtlinge und Zuwanderer werden zunehmend Opfer der sozialen Polarisierung, Prekarisierung und Marginalisieren. Neofaschistischer Nationalismus ist auch Ergebnis der Entdemokratisierung der Gesellschaft sowohl hier, wie in der Europäischen Union.
Sie sind aber auch Ergebnis der menschenrechtsverletzenden Politik.
Die knapp 40 Jahre der Geschichte der MigrantInnen in Deutschland ist noch immer eine Geschichte von Ausgrenzung, Ungleichheit, Spaltung und Verstößen gegen ihre Menschenrechte. Die Kampagne der hessischen CDU und Rüttgers Kampagne "Kjinder statt Inder" in NRW haben deutlich gemacht, wie hier mit rassistischen Stimmungen auf Stimmenfang gegangen wurde. Noch immer haben MigrantInnen kein Wahlrecht und kein Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft.
Während BürgerInnen zu Zivilcourage aufgefordert werden, wird die Politik gegenüber Flüchtlingen sogar noch verschärft. Im Rahmen der Wettbewerbsdebatte wird zwischen nützlichen und unnützen MigrantInnen unterschieden. Die Kombination aus "green card" und der Asylpolitik von Bundesinnenminister Schily hat die gleiche Botschaft. Schily macht Beckstein Avancen, der sein Angebot eines breiten Dialogs über ein Einwanderungsrecht mit der Forderung verknüpfte das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen.
Der UN Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hatte bereits 98 festgestellt: "Der Ausschuss ist besorgt über den Status der Asylbewerber in Deutschland, speziell in Bezug auf die lange Dauer der Behandlung ihrer Anträge auf die Gewährung des Flüchtlingsstatus, als auch hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte bis zur endgültigen Entscheidung. Die Bundesregierung wurde aufgefordert unverzüglich Maßnahmen einzuleiten, die Flüchtlingen "gesundheitliche, wirtschaftliche und Bildungsrechte in Übereinstimmung mit dem Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gewährt werden."
In der Vorlage zum 4. Staatenbericht vor dem UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte rechtfertigt auch die Rot-Grüne Regierung die menschenrechtsverletzende Sondergesetzgebung gegenüber Flüchtlingen.

Die Bekämpfung des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist eine zentrale Gegenwartsherausforderung. Das setzt voraus dass die Menschenrechte Aller, die hier leben in Übereinstimmung mit dem ratifizierten UN-Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte geachtet und Maßnahmen zu ihrer Umsetzung getroffen werden.
Deshalb treten wir insbesondere dafür ein:

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die Selbstorganisation von MigrantInnen und Flüchtlingen zur eigenständigen politischen Interessenvertretung und zur Gefahrenabwehr gegenüber rechtsextremer Gewalt zu ermutigen und zu fördern. Die Gleichstellung von EinwanderInnen wird nicht als "Gnadenakt" der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu haben sein. Sie muss erstritten werden.
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Stärkung und Förderung der zivilgesellschaftlichen Strukturen und Initiativen, die gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus aufklären und streiten
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Beseitigung der Diskriminierung durch das Ausländerrecht, das MigrantInnen zu Menschen zweiter Klasse stempelt; Abschaffung des Asylbewerber-Leistungsgesetzes, das Flüchtlinge noch unter die Sozialhilfe und ins Elend drückt, zugunsten arbeits- und sozialrechtlicher Gleichstellung, des Arbeitsverbots, der Residenzpflicht und der Ghettoisierung der Flüchtlinge in Sammelunterkünften.
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Bündnisse gegen Rechts und antifaschistische oder antirassistische Organisationen dürfen nicht länger diskreditiert und an den gesellschaftlichen Rand gedrückt werden, im Gegenteil. Sie sollten gestärkt und gefördert werden. Insbesondere sollten Patenschaften von Schulen, Verbänden und Gewerkschaften und Kirchengemeinden für Flüchtlingsgruppen unterstützt werden, um mit Flüchtlingen über ihre Situation und Probleme zu diskutieren und sie in der Auseinandersetzung um ihre Menschenrechte zu unterstützen.
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Die Staatsbürgerschaftsreform soll weitergeführt werden und durch das Territorialprinzip ersetzt werden. Wer fünf Jahre hier lebt, muß die doppelte Staatsbürgerschaft erhalten. Schriftliche Sprachprüfungen, wie in Bayern, müssen sofort eingestellt werden.
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Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen und die Aufnahme von Flüchtlingen dürfen nicht miteinander vermischt werden. Das Grundrecht auf Asyl ist wiederherzustellen.

Ulla Lötzer, MdB
In Zusammenarbeit mit
Rainer Falk,
Dietmar Göttling,
Daniel Kreutz
Richard Detje

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