Daniel Kreutz MdL
Bündnis 90/DIE GRÜNEN
Tel.: 0211/884-2963


Rede zur Bewerbung um Platz 2 der Landesliste

LDK Düsseldorf, 12.11.99

Es gilt das gesprochene Wort!


(Anrede)

ich bitte vorweg mit aufrichtigem Bedauern um Nachsicht, dass ich es weder mir noch Euch leicht machen kann.

Vor 13 Jahren habe ich mich entschlossen, mein Aktivistenleben dieser Partei zu widmen, weil sie glaubwürdig für eine an die Wurzeln der Übel packende Politik stand, die gleichermaßen auf soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Emanzipation und Entmilitarisierung zielte. Deshalb hatte ich 365 Tage im Jahr Wahlkampf, und das über zehn Jahre lang.

Heute dürfte sich kaum noch jemand finden, der sich aus gleichen Gründen den Grünen anschließt.

Ich habe dazu beitragen dürfen, dass 1990 eine grüne Linkspartei in den Landtag einzog, die 1995 ihr Gewicht durch konsequente Oppositionsarbeit verdoppelten konnte.

Seither sind Positionen, wie ich sie vertrete, vom Zentrum der Partei an den Rand gerückt, so dass die kritische Linke bereits als Marginalie gehandelt wird.

Ich weiß, dass manche an der Basis, deren Herz auch links schlägt, die Differenzen in der Landtagsfraktion oft nicht nachvollziehen können. Wer keine Chance hat, sich jenseits des Zerrspiegels der Medien ein Bild über die Sachverhalte zu machen, muss das wohl für Knatsch im Elfenbeinturm halten.

Und ich weiß, dass manche von Euch hier auch das Ziel verfolgen, den Kreutz in der Landespolitik zu beenden.

Und dennoch habe ich die Stirn, gegen den Stellvertreter Clements in den Grünen für Platz zwei anzutreten. Er und ich stehen für gegensätzliche Richtungen in dieser Partei. Und besonders wenn das Programm erst hinterher bestimmt wird, gelten Personalentscheidungen auch als Votum über politische Richtungen.

Doch auch wenn ihr mich auf die Liste wählt, wird erst das Wahlprogramm darüber entscheiden, ob mir das Engagement für diese Partei weiterhin möglich bleibt. Zum linken Feigenblatt an einem Körper, der in die Mitte strebt, tauge ich nicht.

Das linke Aufgebot bei den Bewerbungen ist nicht mehr zahlreich. Der Exodus von Parteilinken, der nicht erst mit Bielefeld begann, wiegt qualitativ noch schwerer als quantitativ. Neueintritte werden meist eher durch das angezogen, was uns weniger werden läßt.

Wir treten hier auch an gegen das Kalkül, dass unser freiwilliger Rückzug anderweitige Bemühen erübrigen könnte.

Es ist dennoch nicht ausgeschlossen, dass die kritische Linke in den Grünen verschwindet - ebensowenig wie es ausgeschlossen ist, dass diese Partei die längste Zeit ihrer parlamentarischen Existenz hinter sich hat.

Das mit der Linken würde vermutlich schneller gehen. Dann hinge das andere wohl davon ab, wie hoch die Zugewinne aus der FDP-Klientel ausfallen.

Im Bund hat die Inszenierung der grünlackierten FDP längst begonnen. Wie sonst könnten Grüne vorneweg für das größte Sparpaket der Republik kämpfen, das Erwerbslose und alte Menschen massiv belastet, die Frauen am härtesten, um die Arbeitgeber noch stärker zu entlasten? Und das nach 16 Jahren Kohl!
Wie sonst könnten sie mit der brutalen Kälte eines Westerwelle zu behaupten wagen, diese Sparorgie schaffe soziale Gerechtigkeit - so auch in der Resolution des LPR? Und wie sonst könnten sie dem ganzen noch den weihevollen Titel der "nachhaltigen Finanzpolitik" verleihen?

Aber sie hatten ja schon der Teilnahme an einem Angriffskrieg die Weihen der "Menschenrechtspolitik" verliehen.

Ich bekenne mich zum Bruch des Parteibeschlusses zu den Diätenspenden. Als die Partei ihr Nein zum Krieg als Mittel der Politik aufgab, habe ich mich für diesen Akt demonstrativen Ungehorsams entschieden, um den Austritt zu vermeiden. Die grüne Haltung zum Sparpaket hat meine Beweggründe verdoppelt.

Natürlich kann keine Partei die Missachtung von Beschlüssen billigen, selbst wenn die Motive ehrenhaft sein mögen. Aber wie sie ansonsten damit umgeht, bleibt eine Frage politischer Klugheit.

In diesem Jahr wurde uns nochmals vor Augen geführt, dass Frieden und soziale Gerechtigkeit zusammengehören. Soziale Ungerechtigkeit ist auch gleichsam ein Verteilungskrieg der Starken gegen die Schwachen - mit millionenfacher struktureller Gewalt. Und wieder steht in aller Schärfe die Frage: "Auf welcher Seite stehst Du?"

Wer dagegen Geschlossenheit fordert mit grünen Neoliberalos in Berlin und Düsseldorf, sollte mich nicht wählen.

Der Ruf nach Geschlossenheit will Kritik verstummen lassen. Demokratie aber lebt davon, dass man seine Meinung sagt und eben nicht das Maul hält - das auch zu Günter Grass und Oskar Lafontaine.

Kritik, Kolleginnen und Kollegen, das ist die Hefe, aus der Veränderung entsteht. Wo keine Kritik ist, herrscht geistiger Stillstand. Kritik, die sich aus der Auseinandersetzung mit Sachverhalten herleitet, ist immer konstruktiv - auch wenn sie noch keine Rezepte mitliefert. Parteien, in denen Kritik als unerwünscht gilt, die den Mief der Anpassung verbreiten, mögen allem Möglichen dienen, aber nicht dem Fortschritt.

Und Vesper hat leider recht mit seiner öffentlichen Feststellung, dass die Wortmeldung in der Partei eine Chance auf Gehör nur hat, wenn sie auch öffentlich erfolgt. In der Landtagsfraktion findet eine Auseinandersetzung mit unserer Kritik schon seit langem nicht mehr statt.

Kolleginnen und Kollegen,

in der programmatischen Erklärung von linken Grünen haben wir Gesichtspunkte aufgeschrieben, die uns in heutiger Zeit so wichtig erscheinen, dass wir in Politik, die dem nicht Rechnung trägt, wenig Sinn sehen. Dabei geht's letztlich um die - ja, ich meine: historische - Notwendigkeit, dem neoliberalen Umbau der Gesellschaft im Dienste der wirtschaftlich Starken, der sich im Land wie im Bund mit Rot-Grün fortsetzt, eine Globalalternative entgegenzusetzen und alle parlamentari-schen, aber vor allem außerparlamentarischen Möglichkeiten daranzusetzen, die Kräfte dafür zu bündeln und zu stärken.

Wir geben zu, keine beleuchtete Autobahn zur Alternative bieten zu können. Wenn man aber überzeugt ist, dass der Erfolgskurs der Mehrheiten zielsicher zur politischen Selbstaufgabe führt, dann muss man notfalls auch mit der Kerze suchen.

Das geht heute quer durch Parteien hindurch. Es gibt eine Menge Leute mit Parteibüchern der SPD, aber auch der PDS, die mir in Lagebeurteilung und Zielen näher stehen als eine Menge führender Grüner. Parteibücher leiden in Deutschland an einem dramatischen Bedeutungsverlust.

Aus dem Block der Neoliberalos und Karrieros mit denen, deren Blinker links gelegentlich noch funktioniert, dessen Kitt das Mitregieren um jeden Preis ist, wofür man auch Scheiße für Gold verkauft, aus dieser Truppe kommt der demagogische Vorwurf, wir seien für Opposition aus Prinzip.

Richtig ist: Dann und solange, wie das dazu beiträgt, die Kräfte sozial-ökologischer Veränderung zu stärken und die Gesellschaft in der notwendigen Richtung zu bewegen, wollen wir regieren. Doch nach den Wahlergebnissen diesen Jahres kann eigentlich kein Zweifel mehr daran bestehen, dass das existierende Mitregieren zu genau gegenteiligen Ergebnissen führt. Kein vernünftiger Mensch kann Rot-Grün heute noch für ein Instrument des sozial-ökologischen Umbaus halten.

Das gilt für Düsseldorf schon deshalb genauso wie für Berlin, weil Schröders Neoliberalismus - Neue Mitte, Dritter Weg, aktivierender Sozialstaat und so weiter - ein Produkt der Firma Hom-bach aus NRW war, das hier seinen Testlauf auf grünen Rädern bestand. Landespolitik fällt nur nicht so auf. Doch auch hier zählt die Wandlung grüner Politik zum Gegenteil ihrer selbst zu den bedeutsamsten Reformleistungen.

Sollte Garzweiler II tatsächlich nicht kommen, ist das kein Verdienst der Landespolitik, wo sie allein gefragt war. Und die Würdigung grüner Teilerfolge kann die Bewertung der Gesamtrichtung von Landespolitik nicht ersetzen.

Wer also mit Vesper meint, dass die Partei sich zur Wirtschaft bekennen und in die Mitte rücken sollte, um im besten Sinne liberal zu werden, der hat hier im Stellver-treter Clements ein konkurrenzlos gutes Angebot.

Allen anderen möchte ich eine Alternative bieten.

* * *