Liebe Freundinnen und Freunde,
 
zur richtigen Darstellung der Ereignisse gehört auch immer das, was nicht verabschiedet wurde. Deshalb anbei der von mir (mit)initiierte Antrag des Landesverbandes Berlin für den Länderrat, der dann erst den BuVo-Antrag provozierte.
 
Lisa 
 
 
 
Beschluss der LDK vom 13.10.99

Folgender Antrag von Landesvorstand und Fraktionsvorstand wurde auf der LDK vom 13.10. bei wenigen Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen verabschiedet und wird vom Landesverband auf dem Länderrat am 16.10. in Magdeburg eingebracht:  

 

Noch ist es Zeit:
Soziale Schieflage des Sparpakets beseitigen.
Zurück zur Sozialpolitik

 

Die LDK möge folgende politischen Grundforderungen zur Korrektur des Sparpaketes der rot/grünen Bundesregierung beschließen und diese als Antrag auf dem Länderrat am 15.10. einbringen:
Dass das Sparpaket, Zukunftsprogramm 2000, von der Bevölkerung mehrheitlich als unsozial empfunden wird, ist nicht nur ein Vermittlungsproblem.
Für uns gibt es 6 zentrale Punkte der Kritik an der sozialen Unausgewogenheit des Sparpaketes, in denen wir eine Korrektur fordern:
1. Kindergelderhöhung auch für SozialhilfeempfängerInnen
An erster Stelle betrifft dies die SozialhilfeempfängerInnen und BezieherInnen von Leistungen aus der Unterhaltsvorschusskasse. Nach der jetzigen Systematik kommen die oben genannten Bevölkerungsgruppen nicht in den Genuss des erhöhten Kindergeldes, da die Sozialhilfe bzw. der Unterhaltsvorschuss gleich entsprechend gekürzt werden.
Zumindest im Bereich der Sozialhilfe ist dies ein systematisches Problem des Sozialhilferechts. Trotzdem müssen Wege gefunden werden, zum Beispiel über die Neudefinition des Existenzminimums eines Kindes oder die Änderung des BSHG, um diesen Missstand zu verändern. Es entsteht ein bitterer Beigeschmack, wenn ausgerechnet die Familien, die finanziell am schlechtesten dastehen, von den Verbesserungen einer familienpolitischen Leistung nicht profitieren können. Sie profitieren weder von der ersten noch der zweiten Kindergelderhöhung und auch nicht von den Steuerfreibeträgen.
Im Bereich des Unterhaltsvorschusses ist das Problem wesentlich leichter zu lösen, da damit nicht die Systematik der gesetzlichen Leistungspflichten berührt wird. Die Mehrkosten, die dadurch entstehen, sind im Vergleich zum Gesamtvolumen der Kindergeldzahlungen relativ gering und sollten im Sinne eines auch sozialpolitischen Ausgleichs hingenommen werden.

2. Beibehaltung der Rentenbeiträge für Arbeitslose
Die Reduzierung der Bemessungsgrundlagen für Renten- Kranken und Pflegeversicherung für Arbeitslose auf den Zahlbetrag der Arbeitslosenhilfe ist aufgrund der dadurch bedingten Reduzierung der späteren Rentenzahlung abzulehnen. Der Erhalt von Arbeitslosenhilfe betrifft meistens Menschen mit geringer Ausbildung und geringem Einkommen. Gerade diesen auch die Rentenanwartschaft zu verringern, trifft die falsche Gruppe.

3. Rentenreform ist Solidarpakt zwischen den Generationen und nicht Sparzweck
Vor allem aber muß dem falschen wie fatalen Eindruck begegnet werden, die Rentenreform würde nur dem Stopfen von Haushaltslöchern dienen. Wir finden in der gegenwärtigen Rentendiskussion unsere bündnisgrünen Rentenreformansätze wie bessere Absicherung unsteter Erwerbsbiographien, Rentenniveauangleichung durch überdurchschnittliches Anheben der Niedrigrenten und bessere Berücksichtigung der Kindererziehungsjahre sowie der Jahre der Bildung und Weiterbildung nicht wieder.
Eine gesellschaftliche Diskussion über eine grundlegende Reform des Rentensystems ist nötig, anstatt der bisher unverbundenen Einzelmaßnahmen. Deshalb halten wir einen Rentengipfel mit den relevanten gesellschaftlichen Gruppen für zwingend notwendig.

4. Beteiligung hoher Vermögen an der Finanzierung des Staatshaushaltes
Wir gehen davon aus, dass es zur sozialen Absicherung der notwendigen Sparmaßnahmen auch eine Erhöhung von Einnahmepotentialen geben muss und erwarten, dass die von SPD und Grünen angekündigte Beteiligung hoher Vermögen an der Finanzierung des Staatshaushaltes auch umgesetzt wird. Dies betrifft auf der Steuerseite mögliche Veränderungen bei der Vermögens- oder Erbschaftssteuer ebenso, wie im Sozialversicherungsrecht die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen und die Einbeziehung weiterer Bevölkerungskreise in die Sozialversicherungspflicht.
Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Regelungen halten wir es für unerlässlich, dass erste Schritte zur Verbesserung der Einnahmesituation in diesem Sinne mit der Verabschiedung des Haushalts für das Jahr 2000 deutlich gemacht werden.

5. Keine einseitige Kostenverlagerung vom Bund auf die Länder und Kommunen
Wir erwarten, dass es keine einseitigen Kostenverschiebungen zu Lasten der Länder geben wird. In Bezug auf den Rückzug des Bundes aus den Wohngeldzahlungen gibt es bisher keine ausreichende Gegenfinanzierung. Diese ist aber unbedingt notwendig, da die finanzpolitischen Spielräume der Länder und Kommunen ebenfalls katastrophal eng sind und durch weitere Kostenverlagerungen auf diese Ebene fast alle politischen Handlungsspielräume verloren gingen.

Begründung:
Das Zukunftsprogramm 2000 - besser bekannt als Sparpaket - ist nur als Teil einer grossange-legten sozialen und ökologischen Umgestaltung plausibel und politisch verantwortbar. Es ist grundsätzlich nötig, um mittelfristig die sozialen Aufgaben des Staates erfüllen zu können und langfristig zu mehr Generationengerechtigkeit zu gelangen. Es wäre unverantwortlich, einfach so weiter zu wirtschaften wie bisher. Das Ergebnis nach 16 Jahren Kohl ist u.a. ein riesiger Schuldenberg, der allein durch die nötigen Zinszahlungen die Spielräume für soziale und ökologische Reformpolitik bedrohlich einengt. Das Sparpaket wird u.a. deshalb so heftig diskutiert, weil es als praktische Umsetzung des von Gerhard Schröder und Tony Blair postulierten Kurswechsel der europäischen Sozialdemokratie gedeutet wird und deshalb das Sparpaket als Vorbote zu weiteren Schritten in diese zu recht kritisierte neoklassische und neoliberale Richtung gesehen wird.


Dieser im öffentlichen Bewußtsein hergestellte Zusammenhang verstellt den Blick auf die bisherigen Leistungen der Bundesregierung: die Erhöhung des Kindergeldes, die Weiterführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Zurücknahme der Medikamentenzuzahlung, das Sonderprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit etc. sind Erfolge, auf die wir stolz sind.

Bei aller grundsätzlichen Zustimmung zum Konsolidierungskurs der Bundesregierung haben Berlins Bündnisgrüne Vorbehalte im Detail, die in den oben beschriebenen Korrekturforderungen münden.

Die Richtung der Finanzpolitik stimmt, das Zukunftsprogramm sollte beschlossen werden. Durch gezielteres Sparen muß aber das soziale und ökologische Profil der rot-grünen Regierung deutlicher werden:
Statt Einsparungen, die lediglich an der Substanz des Vorhandenen zehren, müssen Strukturver-änderungen eingeleitet werden und möglicherweise einzelne Haushalte überproportional belastet werden: Dies schließt die Streichung besonders umstrittener Projekte, etwa im Wehr- wie Verkehrsetat, ein.


Berlin, den 13.10.1999

Landesvorstand
und
Fraktionsvorstand