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Quelle: Berliner Zeitung, Montag, 19. Februar 2001
BUNDESGERICHTSHOF

Richter Neskovic ante portas
von Christian Bommarius

Merkwürdig, dass ihn noch nie jemand "Querdenker" nannte, "Fundamentalkritiker" oder zumindest "Nestbeschmutzer". Merkwürdig ist das nicht nur, weil in Deutschland jeder, der einen selbstständigen Gedanken zu fassen und zu formulieren vermag, beste Chancen hat, unverzüglich eines dieser Etiketten zu erwerben. Merkwürdig ist es auch deshalb, weil kaum ein deutscher Richter seine Zunft so unverdrossen nervt wie Wolfgang Neskovic.

Und weil sich Neskovic nie darauf beschränkte, nur von Amts wegen für Aufsehen zu sorgen, sondern auch seine - wechselnden - politischen Freunde gerne öffentlich beschimpfte, hätte ihm eigentlich der Ruf als erster Nestbeschmutzer im Land und vaterlandslosester Geselle weit und breit gebührt. Damit ist es vorbei: Der Bundesrichterwahlausschuss hat
entschieden, dass der Lübecker Richter Neskovic seine Laufbahn nicht als "Querdenker h.c.", sondern als Richter am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe beenden wird.

Die Wahl des 51-jährigen Neskovic ist eine Überraschung. Vor neun Jahren wäre sie für viele ein handfester Skandal gewesen. Damals hatte eine Kammer des Landgerichts Lübeck unter Vorsitz Neskovics Alkohol und Cannabis miteinander in Beziehung gesetzt, behauptet, ein Rausch sei wie der andere, und damit erstmals ein "Recht auf Rausch" postuliert. Das Echo darauf war ein Donnerhall, doch hatte Neskovic - im Kern zumindest - durchaus Erfolg: Mochte das Bundesverfassungsgericht zwei Jahre später im Grundgesetz auch kein Recht auf Rausch erkennen, lockerte es doch wesentlich den Strafverfolgungszwang beim Umgang mit Haschisch.

Seither ist Neskovic der schlechte Ruf bei konservativen Juristen nicht mehr zu nehmen. Immer wieder beklagte er die "Arroganz" seiner Richterkollegen "im Umgang mit dem Recht suchenden Bürger" und die "Vielzahl frauen- und
gewerkschaftsfeindlicher Urteile".

Gegen Neskovics Positionen ist manches einzuwenden - bis heute bilden die Einwände in der Justiz die so genannte herrschende Meinung -, doch wäre jedenfalls der Vorwurf mangelnden Mannesmuts vor Fürstenthronen ungerecht.
Denn seine Biografie zeigt Neskovic als lupenreinen 68er, der über ein Vierteljahrhundert nicht nur seine rechtspolitischen Ansichten konservierte, sondern auch stets die angemessene Haltung bewahrte: den aufrechten Gang.

Unbeugsam trat er 1994 dem BGH entgegen, nachdem der ein Urteil der Kammer Neskovics als "unvertretbar milde" aufgehoben hatte: Die Kammer am Lübecker Landgericht wollte zwei Dealer, die mit fünf Kilo Kokain gehandelt hatten,
mit Bewährungsstrafen laufen lassen. Der BGH erkannte in dem Urteil schwer wiegende Rechtsfehler, Neskovic im BGH eine "uneinnehmbare Bastion der Ignoranz". Ihrer Einnahme durch Neskovic hat sich die Bastion tatsächlich nach Kräften widersetzt. Der BGH-Präsidialrat warnte den Richterwahlausschuss vor der Wahl Neskovics (und einer ebenfalls zur
Bundesrichterin gewählten Mannheimer Richterin) mit deutlichen Worten: "Fachliche Eignung wird nicht bejaht." Kein Freund ist so treu wie ein alter Feind, und kein Gericht so hybrid wie der Bundesgerichtshof.

Niemand kennt die Zahl der Bundesrichter, die ihren Karrieresprung nicht ihrer Qualifikation, sondern dem Parteibuch verdankten - Neskovic, vormals SPD, heute ein unzufriedener Grüner, gehört nicht zu ihnen. Keiner muss seine - juristisch nie unsubstantiierten, häufig provozierenden - Haltungen teilen, aber an seiner Haltung könnten sich etliche Bundesrichter durchaus ein Beispiel nehmen

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