Jan Priewe, Thomas H.W. Sauer
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Grüne Wirtschaftspolitik ohne Reformprojekt


Der Strategiewechsel der Bündnisgrünen
Die Bundestagswahlen 1998 brachten Bündnis 90/Die Grünen zwar nicht an die Macht, aber immerhin in die Regierung. Bereits wenige Monate nach dem Eintritt in die Bundesregierung begann sich jedoch ein Teil ihrer Wählerbasis enttäuscht von der grünen Partei abzuwenden. Die Gründe dafür sind wohl vor allem in der außen- und sicherheitspolitischen Kehrtwende zu suchen, welche die Bündnisgrünen mit ihrer mehrheitlichen Positionierung zum Kosovo-Krieg vollzogen haben. Die wirtschafts- und sozialpolitische Profilierung von Bündnis 90/Die Grünen spielt dagegen für das Wahlver-halten von jeher nur eine untergeordnete Rolle: Die Kompetenz, die den Grünen auf diesem Gebiet von der befragten Bevölkerung zugebilligt wird, ist traditionell eher gering. Die Grünen gelten als "wirtschaftsfremde" Partei, sieht man von umweltökonomischen Fragestellungen ab. Dieses Manko wiegt schwer, da nahezu alle Politikbereiche immer stärker von ökonomi-schen Fragen durchdrungen werden.
Daher ist es nicht bedeutungslos, wie sich die Grünen auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet positionieren: Es macht durchaus einen Unterschied, ob sich der grüne Juniorpartner hier "links" oder "rechts" vom Seni-orpartner SPD zu profilieren versucht - für die Erfolgsaussichten eines sozi-al-ökologischen Reformprojektes könnte das sogar von ausschlaggebender Bedeutung sein. Georg Bannas´ insgeheimes Frohlocken in der FAZ über den Zustand der "wachsweich" gewordenen Grünen scheint zutreffend:
"Der Kanzler braucht nur mit der Stirn zu runzeln, und schon geben ihm die Wortführer der Grünen Recht. Schröder ist es gelungen, den Grünen seine Maßstäbe aufzunötigen .... Die Grünen wären nicht zum Regieren fähig geworden, hätten sie sich nicht angepaßt. Doch haben sie darüber ihre Meinungsführerschaft in öffentlichen Debatten verloren. Ihre Rolle ist nicht mehr innovativ, sondern verwaltend." (FAZ vom 19.8.1999)
Dabei gehört es zu den Paradoxien der gegenwärtigen politischen Situation, daß Bündnis 90/Die Grünen von der befragten Bevölkerung immer noch als Partei "links" von der SPD wahrgenommen wird - zugleich aber maßgebliche Kreise innerhalb der grünen Partei im Verein mit Stimmen der veröf-fentlichten Meinung alles daran setzen, ihr die Erbschaft einer vermeintlich dahin siechenden FDP aufdrängen, frei nach dem Motto: An den Freiburger Thesen (der FDP) sollen die Grünen genesen. Es heißt: Die Grünen könnten nicht zugleich die Partei der Hausbesitzer und der Hausbesetzer sein. Dieser anvisierte Strategiewechsel läßt sich natürlich nicht ohne einen "teilweisen Austausch der Mitgliedschaft", und des Wahlvolkes vollziehen. Es war da-her auch nur konsequent, wenn dies jüngst stellvertretend von einigen Jung-grünen gefordert wurde. Dabei wird bewußt in Kauf genommen, daß die PDS eine dann auf der Linken entstehende Vakanz dauerhaft füllen kann.
Abgesehen davon, daß sich Mitgliedschaft und Wahlvolk nicht nach Belie-ben austauschen lassen, wird dieser Strategiewechsel dadurch erschwert, daß bereits ein harter Wettbewerb darum läuft, wer denn die schönste Pose in der "neuen" Mitte einnimmt. Dieser Wettbewerb ist wenig originell, wie ein Blick über den bundesdeutschen Tellerrand zeigt. So schreibt Robert Reich in seinem Tagebuch über seine Zeit als Arbeitsminister im ersten Ka-binett Clinton:
"Jeder Politiker in Amerika will, daß man von ihm sagt, er stehe in der Mitte. Wer will schon am Rande stehen? Etiketten wie ‚rechts' oder ‚links' gefährden die politische Karriere. Die Öf-fentlichkeit fühlt sich besser bei Leuten aufgehoben, die sich zur totalen Mäßigung bekennen. Besonders gilt das für Präsidenten. (...) Aber das sind bloß Posen" (Reich 1999: 292).

Das Problem beginnt dort, wo die Pose mit realer Politik verwechselt wird, wie von denjenigen grünen und sozialdemokratischen Kreisen der Bundes-republik, die sich um die Anerkennung durch die "neue" Mitte balgen. Wird diese Verwechslung nicht erkannt, dann wird nichts anderes als konventio-nelle, letztlich die soziale Struktur konservierende Politik betrieben, wie Robert Reich für die USA deutlich macht:
"Praktisch jeder Versuch zu führen - Energie und Engagement der Amerikaner zu aktivieren - wird, wenn der Appell erstmals ergeht, immer unkonventionell sein. (...) Führen kann man per definitionem nicht von der Mitte aus, denn dann bedürfte es keiner Führung. Das Volk wäre schon da" (Reich 1999: 292-293).

Dies gilt auch für Meinungsführerschaften. Die Pose der "neuen" Mitte hat im "Modernisierungs"-Diskurs ihr Manna gefunden. Das gilt in Deutsch-land vor allem für das Bild, das Schröder von den Perspektiven der Sozialdemokratie entwirft, aber auch für die eifrigen "Modernisierer" innerhalb der grünen Partei. Doch dabei meint "Modernisierung" immer nur
"einen Prozeß, der ohnehin abläuft und in den man sich nur einklinken muss. (...) Es gibt, so die Botschaft, eigentlich nichts zu erwägen und zu entscheiden, man muß bloß ausführen, was an der Zeit ist" (Jan Ross in der ZEIT vom 15.7.99: 3).

Diese Vision einer entpolitisierten Welt wurde bereits von Roman Herzog in seiner oft zitierten "Berliner Rede" mit der Formulierung auf den Punkt gebracht, es gäbe kein Erkenntnis- sondern lediglich ein Umsetzungsprob-lem. Politik hat aber sehr wohl viel mit konkurrierenden Analysen gesell-schaftlicher Problemlagen und dem Abwägen von alternativen Lösungsansätzen, mit Entscheidungen und der Mobilisierung von gesellschaftlichen Mehrheiten für die Durchsetzung dieser Entscheidungen zu tun. Wer dies ü-bersieht, wer die Pose der "neuen" Mitte bereits für Politik und "Moderni-sierung" für einen Wert an sich hält, der wird im Ergebnis konservative Po-litik betreiben, nur eben unter anderem Etikett:
"Der Grundfehler der Modernisierungsdoktrin ist, dass sie .. mit dem Neuen nur scheinbar auf guten Fuß steht, während sie in Wahrheit bloß die Linien aus der Vergangenheit in die Zukunft ausziehen will. Ihr Leitmotiv ist nicht Neugier, Wirklichkeitslust, Fantasie, sondern letztlich das Weiter-so" (Jan Ross in der ZEIT vom 15.7.99: 3).
Neugier, Wirklichkeitslust und Fantasie waren Eigenschaften mit denen die Grünen einstmals identifiziert wurden: die Neugier auf neue soziale Ent-wicklungen und Bewegungen, die Lust, die Wirklichkeit im Lokalen und Dezentralen auch jenseits des Marktgeschehens wirklich zu verändern, die Fantasie, durch konkrete basisdemokraktische und gewaltfreie Ansätze "von unten herauf" auch die globale soziale und ökologische Realität zum Besse-ren zu wenden, die Fähigkeit, Zukunftsfragen zu thematisieren.

Neugier, Wirklichkeitslust und Fantasie wären auch notwendige Ingredienzen eines sozial-ökologischen Reformprojekts: Neugier, die Träger und Triebkräfte globaler wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Entwicklung tatsächlich zu verstehen, die Lust, alternative Entwicklungspfade zu formulieren und durchzusetzen sowie die Fantasie, die sozialen Subjekte dieser überfälligen Veränderungen anzusprechen und zu mobilisieren, mit ihnen gemeinsam den öffentlichen Raum für die Verständigung über die sozialen und ökologischen Ziele der Reformen zu erobern sowie die geeigneten Mittel für ihre Umsetzung zu finden und auch anzuwenden.

Aber mit der Neugier, Wirklichkeitslust und Fantasie der Grünen verhält es sich wie mit der Riesengestalt Tuturs in einem Kinderbuch von Michael En-de: Je näher sich Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer, ihm annähern, um so mehr schrumpft er auf normales menschliches Maß zusammen, bis sich herausstellt, daß es sich lediglich um einen armen, einsamen Scheinrie-sen handelt. Je näher die Grünen an die vermeintliche Macht auf Bundes-ebene kamen, um so mehr schrumpften die Eigenschaften, die sie eigentlich als Motoren eines sozial-ökologischen Reformprojekts prädestinierten, auf ein langweiliges Normalmaß: die Neugier auf die verändernde Kraft neuer sozialer Bewegungen wurde zu einer artigen Beflissenheit gegenüber dem guten, alten deutschen "Mittelstand", die Lust, Wirklichkeit zu verstehen und zu verändern, wurde durch ein Nachbeten oberflächlicher Analysen wirtschaftlicher Globalisierung ersetzt, das aus Ansätzen alternativer Politik eine Politik vermeintlicher Alternativlosigkeit macht, schließlich ist die Fan-tasie, den Individuen Freiräume für ihre Vergemeinschaftung jenseits von Markt und Staat zu erobern, einer Art Gottvertrauen auf die Selbstregulie-rungsfähigkeit des Marktes gewichen.

Wie konnte es zu diesem spezifisch grünen "Scheinriesen"-Syndrom" kom-men? Die einfachste Erklärung wäre: "Macht korrumpiert". Aber diese Er-klärung ist zu einfach.. Schließlich wird jede Partei, je näher sie der Regierungsverantwortung rückt, ihre Positionen auf Widerspruchsfreiheit, Prakti-kabilität und Mehrheitsfähigkeit überprüfen müssen. Außerdem werden die Mandate, die diese Partei zu vergeben hat, um so interessanter, je wahr-scheinlicher die Übernahme von Regierungsverantwortung wird. Es ist einer kleinen Partei auch nicht vorzuwerfen, daß sie engagierten und kompetenten Quereinsteigern bessere Aufstiegschancen eröffnet, als die großen Volks-parteien. Problematisch wird es für die grüne Partei erst dann, wenn sich ih-re strategischen Entscheidungszentren in informellen Zirkeln verselbständi-gen, die durch keinerlei demokratische Strukturen mehr legitimiert sind und mit den formalen Parteigremien nur noch durch eine dünne ideologische De-cke verbunden sind.

Wesentlicher für den sich bei den Grünen vollziehenden Strategie- und Pro-grammwechsel erscheint uns aber ein anderer Grund: Die mit Schrecken wahrgenommene Auflösung des vor allem großstädtisch geprägten alterna-tiven Milieus, das die Öko-Partei in den achtziger Jahren in die Parlamente trug, veranlaßte einflußreiche grüne Strategen zur Suche nach einem ande-ren Wählerpotential. Dabei wird die innovative Melange des einstmals alter-nativen Milieus von ökologischen Fundamentalisten, linken Intellektuellen, feministischen, pazifistischen, öko-libertären und wertkonservativen Strö-mungen immer weniger als wertvoller Ausgangspunkt für eine unkonventio-nelle Verbreiterung der Wählerbasis empfunden, sondern als Risiko bei der Übernahme des "mittelständischen" Wählerpotentials der FDP. Die Chance, eine von der Dominanz einzelner Klientel freie, sozial-ökologische Politik zu entwickeln, die zum Anziehungspunkt von undogmatischen, innovativen Akteuren aus neuen und alten sozialen Bewegungen, aus Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, Wissenschaft und Kultur werden könnte, wird so verspielt. Statt dessen führt die anvisierte strategische Neuausrichtung der grünen Partei auf die "Wechselwähler" der imaginären neuen Mitte zu einer Politik, die sich immer stärker an den Eliten in Wirtschaft, Medien und Wis-senschaft orientiert.
Ein weiterer Blick in die USA verdeutlicht diese Entwicklung. Dort zeich-nete sich bereits unter der ersten Regierung Clinton ein Trend im Wähler-verhalten ab, mit dem sich ein solcher Strategiewechsel rechtfertigen läßt: Die Reichen in den USA gehen immer häufiger zur Wahl, während sich die Menschen in der unteren Hälfte der Einkommensskala immer seltener an den Wahlen beteiligen. Das geschieht vor dem Hintergrund einer immer größer werdenden Kluft zwischen hohen und niedrigen Einkommen. Bei insgesamt stagnierenden (oder inzwischen vielleicht geringfügig steigenden) Durchschnittseinkommen finden die Beschäftigten in der unteren Einkom-menshälfte immer weniger in der Lohntüte. Am Boom der Aktienmärkte dagegen haben die wohlhabendsten zehn Prozent der Bevölkerung einen Anteil von siebzig Prozent. Robert Reich kommentiert diese Entwicklung folgendermaßen:
"Nimmt man all das zusammen, dann kommt der größte Teil des Wirtschaftswachstums wei-terhin den Leuten ganz oben zugute. Die untere Hälfte verliert laufend an Boden. Und sie geht immer seltener wählen. Ein Teufelskreis. Die Politik belohnt oft die Reichen, weil sie sich wirksamer an ihr beteiligen, und dies wiederum veranlaßt sie zu noch mehr Beteiligung. Die Politik bestraft oft die untere Hälfte, weil sie sich immer weniger an ihr beteiligt und ... das Er-gebnis bestätigt dann ihren Zynismus." (Reich 1999: 379)

Diese Entwicklung in den USA läßt erahnen, was auch auf die Bundesrepu-blik zukommt, wenn die deutschen Grünen im Verein mit der Sozialdemo-kratie an ihrem Kurswechsel auf den vermeintlich sicheren Hafen der "neu-en" Mitte festhalten: ihre Sozial- und Beschäftigungspolitik wird endgültig von der Perspektive der Betroffenen zu einer Perspektive der Verwaltung von Arbeitslosigkeit und sozialer Ungleichheit wechseln. Die einstmals auf Emanzipation und Partizipation ausgerichteten Ansätze der Grünen können dieses elitäre Projekt nur noch stören.
Die Vorstellungen der Strategen der "neuen" Mitte, nach denen Parteien als "politische Dienstleistungsunternehmen" definiert und das Primat der Sen-kung der Staatsquote gegenüber allen anderen politischen Zielen durchge-setzt werden sollen, sind mit einem sozial-ökologischen Reformprojekt je-denfalls nicht zu vereinbaren. Statt dessen versuchen diese Strategen, ein ganz normales Sparpaket als "größtes Reformprojekt aller Zeiten" (Origi-nalton Schröder) zu verkaufen.
Die grünen Haushaltspolitiker stellt der Wechsel von Lafontaine zu Eichel allerdings vor ein Problem: Sie können sich gegenüber dem neuen Bundesfi-nanzminister, der sich schnell als "ehrlicher Makler der Haushaltskonsolidie-rung" einen Namen machte, und Schröder, der mit der Rolle des "Austeri-täts-Kanzlers" keine Probleme hat, kaum noch als die konsequenteren Ver-treter einer "nachhaltigen Finanzpolitik" profilieren, und das, obwohl sie doch diesen netten, ideologielastigen Begriff geprägt hatten. Wie wenig ori-ginell der sich anbahnenden rot-grünen Wettbewerb um den "Preis des bes-seren Defizit-Falkens" ist, zeigt wiederum ein Blick über den Nord-Atlantik. Robert Reich (1999: 134) weist darauf hin, daß alle erstmals gewählten de-mokratischen Präsidenten der USA "Defizit-Falken" waren, in dem Sinne, daß sie nach der Amtsübernahme die Haushaltskonsolidierung zu ihrer o-bersten Priorität machten: Hatte Clinton im Wahlkampf noch Milliarden US-Dollar öffentlicher Investitionen in die Bereiche Bildung und Gesundheit versprochen, blieb nach seiner Mutation zum "Defizit-Falken" wenig von den versprochenen Programmen übrig: Der Clinton-Haushalt verkündete ganz Amerika vielmehr,
"der Ausweg aus allen wirtschaftlichen Problemen liege in der Reduzierung des Defizits und einer geringeren Schuldenaufnahme der öffentlichen Hand - egal, für welchen Zweck das Geld bestimmt ist. Diese Logik kennt keine Grenzen mehr, ihr ist nicht mehr zu entkommen. Das konzeptionelle Gefängnis ist komplett." (Reich 1999: 174)

Die grünen Haushaltspolitiker haben das ihre dazu beigetragen, auch in der Bundesrepublik ein derartiges "konzeptionelles Gefängnis" zu errichten. Fi-nanzminister Eichel hat es jetzt endgültig geschlossen: Gefangen darin ist eine sozial-ökologisches Reformprojekt, das der Verminderung der Ar-beitslosigkeit in Deutschland oberste Priorität einräumt.

Arbeitslosigkeit und "grüne Austeritätspolitik"
Seit über 20 Jahren ist Massenarbeitslosigkeit nicht nur in Deutschland son-dern in der ganzen Europäischen Union das zentrale soziale Problem und so wird es wahrscheinlich auch noch über Jahre hinweg bleiben. Zwar ist Ar-beit beileibe nicht alles, doch ohne ausreichende Möglichkeiten zur Er-werbsarbeit wird die Gleichstellung der Geschlechter nicht vorankommen, werden die sozialen Sicherungssysteme überfordert, die Staatsfinanzen un-terhöhlt und die Chancen für einen sozialverträglichen ökologischen Umbau vermindert. Auch die ökonomische Spaltung zwischen West- und Ost-deutschland wird sich nicht grundlegend ändern, solange es eine im Osten viel höhere Arbeitslosigkeit als im Westen gibt. Eine wesentliche Verminde-rung der Arbeitslosigkeit ist somit die zentrale Voraussetzung für jedes ernsthafte sozial-ökologische Reformprojekt.

Das Problem der Arbeitslosigkeit wird bei den Grünen inzwischen aber weitgehend durch eine neoliberale Brille hindurch wahrgenommen. Be-trachtet man die konzeptionellen Grundlagen der von den Grünen gefor-derten "nachhaltigen" Haushalts- und Finanzpolitik, dann findet sich mitt-lerweile nur noch die kritiklose Übernahme neoklassisch inspirierter Ideen:
"Der Abbau der Arbeitslosigkeit kann nur erreicht werden, wenn auf der Grundlage einer nachhaltig ausgerichteten wirtschaftlichen Entwicklung mit Strukturreformen auf den Güter- und Faktormärkten bestehende Inflexibilitäten beseitigt werden" (Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, 8.3.1999, S. 12).

Die gängige neoklassische Analyse des Arbeitsmarktes sieht den wesentli-chen Grund der "unfreiwilligen Arbeitslosigkeit" schlicht und einfach in ei-nem zu hohen Reallohnniveau (und nicht etwa in einer fehlenden Nachfrage, diese sei nur von untergeordneter Bedeutung). Daß das Reallohnniveau auf einer Höhe bleibt die eine Markträumung (Vollbeschäftigung) verhindert, wird als Ausdruck eines gestörten Wettbewerbs aufgefaßt: der Arbeitsmarkt ist zu wenig flexibel als daß sich ein Reallohnniveau herausbilden kann, bei dem Vollbeschäftigung herrscht. Diese Inflexibilität sei institutionellen Be-dingungen geschuldet, die ein Sinken der Reallöhne verhindern: zu hohe Lohnersatzleistungen, zu hohe Lohnnebenkosten (zu viel "Sozialstaat"), Flächentarifverträge, zu starke und monopolistisch agierende Gewerkschaf-ten ("Lohnkartell"), zu viel Kündigungsschutz, zu starres Recht etc. Inso-fern sei die Arbeitslosigkeit im wesentlichen "strukturell" bedingt.

Bei einer solchen Argumentation erscheint Arbeitslosigkeit als ein Phäno-men, das im wesentlichen in den mikroökonomischen Bedingungen des Ar-beitsmarktes begründet ist und auch nur dort beseitigt werden kann. Bei sinkenden Reallöhnen könnte Arbeitslosigkeit demnach auch ohne höheres Wirtschaftswachstum beseitigt werden, da in der Produktion einfach mehr Arbeit eingesetzt würde. Stimmt die Mikroökonomie, so die implizite The-se, dann braucht man sich um die makroökonomischen Bedingungen nicht zu kümmern.

Die "Arbeitsgruppe Haushalt" der grünen Bundestagsfraktion überträgt die-se Analyse auch auf die europäische Ebene. Auch hier sei das "Problem der hohen Arbeitslosigkeit überwiegend strukturell bedingt" (ebd.: 13), wie sie zustimmend die Europäische Zentralbank (EZB) zitiert. Die EZB könne mit ihrer Zinspolitik daher auch keine unmittelbare Verantwortung für die Ar-beitslosigkeit übernehmen, diese sei vielmehr an die nationalen Regierungen zurückzuverweisen. "Ein idealer Policy-Mix für die Euro-Zone" bestünde - nach Meinung der grünen Haushaltspolitiker - aus folgender Kombination: "Konsequente Strukturreformen in den Mitgliedsländern, verbunden mit ei-ner Politik der finanzpolitischen Konsolidierung" (ebd.) Im Gegenzug dazu würden sich die Voraussetzungen für eine weniger strikte Geldpolitik der Europäischen Zentralbank quasi automatisch ergeben. Ein Lafontaine, der öffentlich nach Zinssenkungen ruft, wird aus dieser Sicht natürlich überflüs-sig.

Bemerkenswert ist an dieser Wendung, daß die grünen Haushaltspolitiker die Verantwortung für die Beschäftigungspolitik an die europäischen Natio-nen zurückverweisen, nachdem die Grünen anderthalb Jahre zuvor der Ein-führung des Euros nur unter der Prämisse zugestimmt hatten, daß die Wäh-rungsunion durch eine Beschäftigungs- und Sozialunion ergänzt wird. Da-von ist jetzt keine Rede mehr. Statt dessen soll der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt jetzt zur verbindlichen "Leitlinie für eine nachhaltige Finanzpolitik" gemacht werden.
Dem ist entgegen zu halten, daß eine beschäftigungspolitische Konzeption, die gesamtwirtschaftlich durchdekliniert wird, in den entscheidenden geld-, fiskal- und lohnpolitischen Teilen nur auf der supranationaler Ebene der Eu-ro-Länder realisiert werden kann. Der "Europäische Beschäftigungspakt" bietet dafür jedoch kaum ernsthafte Ansatzpunkte. Es sei an dieser Stelle nur auf die Währungspolitik hingewiesen: Die weltwirtschaftlichen Turbu-lenzen der letzten zehn Jahre haben ganz wesentlich mit einer gefährlichen Architektur der Weltfinanzen zu tun, deren Risiken zwar in erster Linie auf die Schwellen- und Transformationsländer bzw. die Schwachwährungslän-der abgewälzt werden, doch schlagen die Probleme auf stark außenhandels-abhängige Länder wie Deutschland ganz unvermeidlich zurück. Zwar reden auch die Grünen gerne von Globalisierung, doch gedacht und gehandelt wird nach wie vor provinziell, eine europäische Initiative bleibt außen vor.

Die Prioritäten der grünen Haushaltspolitiker liegen an anderer Stelle. Sie halten es für "erforderlich, daß der vorgesehene Kurs der Ausgaben- und Defizitbegrenzung auf allen Haushaltsebenen auch beim Auftreten uner-warteter neuer Haushaltsbelastungen eingehalten wird" (ebd.: 11). Dazu werde auch auf nationaler Ebene ein "wirksamer Stabilitätspakt benötigt" (ebd.). Die Konsequenz der geforderten Senkung der Defizitquote auf Null ist, daß bei gewünschter Konstanz der Abgabenquote die Staatsausgaben langsamer als das Sozialprodukt wachsen bzw. bei gewünschter Senkung der Steuer- und/oder Abgabenquote die Staatsausgaben besonders stark ge-drosselt werden. Wo gespart werden soll und wie dies zu steigender Be-schäftigung führen soll, wird allerdings nicht erklärt.
Das von den grünen Haushaltspolitikern übernommene Konzept beruht auf einer Reihe stillschweigender Voraussetzungen, die von erheblicher politi-scher Brisanz sind. So wird ein Trend von sinkenden bzw. anhaltend niedri-gen Wachstums hingenommen - nicht etwa, weil Wachstum für unvereinbar mit ökologischer Nachhaltigkeit gehalten wird, sondern weil es staatlicher-seits offenbar nicht beeinflußt werden kann oder soll. Das ist eine klassische laisser-faire-Position. Bei nachlassendem Wachstum ist ein konstantes staatliches Leistungsniveau an öffentlichen Gütern und Transfers aber nur mit steigender Staatsquote oder steigender Verschuldung finanzierbar. Wird beides abgelehnt, dann müssen staatliche Leistungen zurückgefahren werden und es ist äußerst blauäugig zu meinen dieser Sparkurs wäre ohne Abbau sozialstaatlicher und ökologisch relevanter Ausgaben zu bewerkstelligen.

Hier wird aber nun weiter unterstellt, daß das angeblich unumgängliche staatliche Sparen keine negativen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen hat - entweder weil die geringeren Staatsausgaben preisdämpfend wirken und somit das reale Sozialprodukt nicht vermindern würden, oder weil die staat-liche Sparpolitik zu sinkenden Zinsen führen würde. Letzteres ist jedoch äu-ßerst unsicher und ersteres würde bei der gegenwärtig erreichten Preisstabi-lität zu einer deflationären Entwicklung führen. Deflation erhöht aber die Realzinsen, steigert somit die Schuldenlast der Privaten und des Staates und verschlechtert die für die Investitionstätigkeit maßgeblichen langfristigen Erwartungen der Unternehmen. Restriktive Wirkungen starker staatlicher Ausgabenkürzungen einfach abzustreiten, erscheint reichlich naiv. Kommt es jedoch zu restriktiven Wirkungen auf Produktion und Beschäftigung, dann werden auch die erhofften Konsolidierungseffekte nicht eintreten.

Während die restriktiven Auswirkungen der Sparpolitik bagatellisiert wer-den, gilt umgekehrt eine expansive Fiskalpolitik als wirkungslos oder gar schädlich. Als Begründung reicht der stereotype Hinweis auf das Scheitern keynesianischer "Globalsteuerung" via kreditfinanzierter Ausgabenpro-gramme in den 70er Jahren. Was an diesen Programmen tatsächlich "keyne-sianisch" war und was moderne makroökonomische Konzeptionen anzu-bieten haben, die an europaweit koordinierten, kreditfinanzierten Investiti-onsprogrammen und einer Veränderung der Geldpolitik ansetzen, das braucht dann alles nicht mehr diskutiert zu werden.

Die sozusagen empirische Plausibilität gewinnen die nun auch von den Grü-nen aufgenommenen Sparappelle durch den enorm gestiegenen Schulden-dienst im Bundeshaushalt. Am meisten zur Staatsverschuldung beigetragen haben jedoch die Kosten der deutschen Einigung sowie die im Anschluß daran von der Zinspolitik der Bundesbank ausgelöste Rezession. Die Zins-last schränkt den Spielraum für normale Staatsaufgaben in der Tat stark ein und in der Vergangenheit haben die Bündnisgrünen zu Recht die einseitige Finanzierung der deutschen Einigung über Kredite und die Erhöhung der Lohnnebenkosten kritisiert. Allerdings stellt sich die Frage wie auf diese au-ßergewöhnlichen Kosten, die auch noch lange anhalten werden, reagiert wird: durch eine Sparpolitik um jeden Preis oder durch Steuermehreinnah-men. Nachdem seit den 80er Jahren die oberen Einkommensklassen eine ganz erhebliche Steuer- und Abgabenentlastung erfahren haben, wäre eine Sondersteuer zur Bewältigung dieser Kosten, etwa eine Vermögensabgabe ergänzend zum Solidarzuschlag bei der Einkommenssteuer durchaus ange-bracht. Aber offenbar haben es die Bündnisgrünen längst aufgegeben, über eine Alternative zur Finanzierung der deutschen Einigung, wie sie von der konservativ-liberalen Regierung konzipiert wurde, auch nur nachzudenken.

Inzwischen ist es auch Mode geworden, grüne Austeritätspolitik mit dem Verweis auf intergenerative Gerechtigkeit zu begründen: Staatsverschul-dung würde zukünftige Generationen be- und die jetzigen entlasten. Tat-sächlich stehen jedoch den Zahlern in jeder Periode auch Empfänger in der gleichen Periode gegenüber, so daß es sich (da der Anteil der Auslands-schulden gering ist) zunächst einmal um intragenerative Umverteilungsvor-gänge handelt. Um diese korrekt zu beurteilen, müßten die Verteilungswir-kungen einer Ausgabenkürzung oder umgekehrt einer Steuererhöhung ver-glichen werden. Schließlich sei vor der Beschwörung simpler Generations-konflikte gewarnt. Die Last der Arbeitslosigkeit trägt die jetzige Generation, insbesondere in Ostdeutschland. Die Einigungslasten sollten aber wohl nicht allein von der jetzigen Generation getragen werden, handelt es sich doch um ein Jahrhundertereignis. Von den zu erwartenden Erbschaften infolge der Vermögensbildung der letzten Jahrzehnte wollen wir gar nicht erst reden. Kurzum: Das Argument der intergenerativen Gerechtigkeit ist nicht mehr als das legitimatorische Feigenblatt für eine grüne Austeritätspolitik.

Fortsetzung neoliberaler Politik
Im jüngsten Dokument grüner Wirtschaftspolitik, der im März 1999 vorge-legten Initiative für Investitionen, Arbeit und Umwelt (Berninger u.a. 1999) werden die Konturen künftiger Bestrebungen deutlich: neben einer scharfen Haushaltskonsolidierung, die über Einsparungen in allen Bereichen erreicht werden soll (Steuererhöhungen sollen auf jeden Fall vermieden werden), In-novationen und ökologischem Strukturwandel, wird zum Abbau der Ar-beitslosigkeit vor allem eine Reform der Unternehmensbesteuerung, ge-werkschaftliche Lohnzurückhaltung sowie einer Senkung der Lohnneben-kosten gefordert - Kernstücke der bereits von der Kohl-Regierung vertrete-nen neoliberal orientierten Politik. In der veröffentlichten Meinung gelten zwar Unternehmenssteuern und Lohnnebenkosten als die Hemmnisse schlechthin für mehr Beschäftigung; doch handelt es sich dabei um funda-mentale Irrtümer mit fatalen Folgen.
Für eine Reform der Unternehmenssteuern sprechen zwar viele gute Grün-de, ob eine solche Reform aber zu mehr Investitionen und mehr Beschäfti-gung führt, ist äußerst zweifelhaft. So sinkt in Deutschland seit über zwei Jahrzehnten im Trend die Dynamik der privaten Investitionen - obwohl es gerade in diesem Zeitraum zu einer massiven steuerlichen Entlastung ge-kommen ist. Vor kurzem erklärte der Bundeswirtschaftsminister sogar, daß die Steuerzahlungen des Unternehmenssektors geringer seien als die emp-fangenen Subventionen. Wer glaubt, durch Steuerentlastungen den Unter-nehmen zu mehr Gewinnen verhelfen zu müssen, unterstellt, daß hier die Restriktionen für die Investitionen liegen. Dagegen steht jedoch, daß die Renditen, egal wie sie berechnet werden, ebenso wie der Selbstfinanzie-rungsgrad der Investitionen im Trend seit langem ansteigen. Das Problem sind nicht zu geringe Gewinne der Unternehmen, sondern die Art und Weise ihrer Verwendung.

Wird trotzdem eine Unternehmenssteuerreform durchgeführt, die den Un-ternehmenssektor entlastet, so vermindern sich die Staatseinnahmen und es müßte entweder die Staatsverschuldung erhöht werden, was die Bündnis-grünen ablehnen, oder es müßte an anderer Stelle eingespart bzw. irgendei-ne andere Steuer erhöht werden. Während man bei einer Kreditfinanzierung der Steuerentlastung annehmen kann, daß die Beschäftigung zumindest kurzfristig anstiege, bleibt der Nettoeffekt bei einer Umschichtungsfinanzie-rung vollkommen unsicher: Er kann durchaus auch negativ sein!
Von den Gewerkschaften wird "Lohnzurückhaltung" gefordert, worunter üblicherweise verstanden wird, daß die Reallöhne mit einer geringeren Rate wachsen sollen als die Produktivität. Damit wird die Hoffnung verbunden, daß "Investitionen im Standort Bundesrepublik kalkulierbar und damit att-raktiver" (ebd.: 11) würden. Vergessen bleibt, daß wir eine solche "Lohnzu-rückhaltung" im Trend seit 1982 in Westdeutschland bereits haben, ohne daß dies zu einer Verminderung der Arbeitslosigkeit geführt hätte. Hier helfen, wie die Vergangenheit zeigte, auch keine Absprachen mit Arbeitge-berverbänden. Im Normalfall führen relativ zur Produktivität sinkende Löh-ne zu geringerer Inflation bzw. bei bereits erreichter Preisniveaustabilität wie in Europa zu Deflation.

Als "success story" für die arbeitsplatzschaffende Wirkung gewerkschaftli-cher Lohnzurückhaltung müssen immer wieder die Niederlande herhalten. Allerdings führte die Lohnzurückhaltung dort nur deshalb nicht zur Deflati-on, weil die Exportüberschüsse zu Lasten der Nachbarländer enorm ange-stiegen sind. Das heißt, es handelte sich hier um eine klassische "beggar-my-neighbour"-Politik, die ein kleines Land ohne allzu schlimme Folgen betreiben mag (da es sich seine großen Nachbarn leisten können, diese Poli-tik zu tolerieren); für Deutschland und Europa wäre sie jedoch fatal: eine von Deutschland ausgehende Spirale von Lohnsenkung und Deflation müß-ten die übrigen EU-Länder nachvollziehen, so daß es erst recht zu Stagnati-on und Arbeitslosigkeit kommt. Was die grünen Vertreter hier formulieren, ist in der Konsequenz leichtsinnig und gefährlich. Dadurch wird all das, was gleichzeitig über die Notwendigkeit weiterer Arbeitszeitverkürzungen in den verschiedensten Formen gesagt wird, gänzlich entwertet.
Schließlich wird auf die Senkung der Lohnnebenkosten durch Lohnkosten-subventionen für Niedrigeinkommen und Ökosteuern gesetzt. Zwar signali-siert die Höhe der Lohnnebenkosten einen Reformbedarf bei der Finanzie-rung sozialpolitischer Leistungen, doch folgt aus einer Reduzierung der Lohnnebenkosten keineswegs eine steigende Beschäftigung, denn genauso wie bei einer allgemeinen "Lohnzurückhaltung" ist bei einer Senkung der Lohnnebenkosten zunächst einmal von einem Deflationseffekt auszugehen, der sich besonders stark auswirkt, wenn diese Senkung durch eine Vermin-derung der Sozialversicherungsleistungen wie der Renten finanziert wird. Sollen die Lohnnebenkosten aber nicht durch Leistungskürzung sondern durch Lohnsubventionen im Niedriglohnbereich vermindert werden, dann müßte den - im günstigsten Fall - entstehenden neuen Arbeitsplätzen aller-dings die wegfallende Beschäftigung gegenübergestellt werden, denn um diese Subventionen zu finanzieren muß bei anderen Staatsausgaben gespart werden. Werden die Lohnnebenkosten über eine Subventionierung des So-zialversicherungssystem durch eine Ökosteuer (also eine Kostenerhöhung an anderer Stelle) gesenkt, dann kommt es zu komplizierten Wirkungsketten, bei denen der Beschäftigungseffekt nur schwer zu kalkulieren ist. Sowohl die Beschäftigungs- als auch die Umwelteffekte einer Ökosteuer wurden von grüner Seite in der Vergangenheit maßlos überschätzt (vgl. dazu Priewe 1998).
Es bleibt schließlich die Diskussion über den Zusammenhang von Umwelt-schutz und Beschäftigung. Tatsächlich kann diese Rechnung unter be-stimmten Bedingungen aufgehen, dabei geht es aber um kleine Quantitäten. Etwa drei Prozent der gegenwärtigen Beschäftigung in Deutschland werden dem Umweltschutz zugerechnet. Die Tendenz ist schon wieder rückläufig. Mehr als ein Plus von 500.000 Arbeitsplätzen ist selbst unter optimistischs-ten Bedingungen in ein paar Jahren kaum zu erwarten, und selbst dabei ist nicht ganz sicher, ob es um Brutto- oder Nettozahlen geht.
Umweltschutz, gleich durch welche Instrumente initiiert, führt nur dann zu mehr Beschäftigung wenn entweder eine zusätzliche gesamtwirtschaftliche Nettonachfrage nach Gütern und Dienstleistungen entsteht, so daß es zu ei-nem Anstieg des Sozialproduktes kommt oder wenn durch Umschichtungen in den Ausgaben von Unternehmen, öffentlichen und privaten Haushalten eine Verminderung der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsproduktivität je Stun-de und damit eine Steigerung der durchschnittlichen Arbeitsintensität der Produktion eintritt. Beides kann, muß aber nicht der Fall sein. Umwelt-schutz kann auch beschäftigungsmindernd wirken - und gleichwohl notwen-dig sein. Die negativen Beschäftigungsfolgen müssen dann mit anderen Maßnahmen aufgefangen werden.

Alles spricht dafür, Umweltschutz und Beschäftigung mit jeweils separaten Instrumenten anzustreben. Es war daher ein folgenschwerer Fehler, auf die Ökosteuer als Zentrum eines sozialökologischen Reformprojektes zu setzen, und zu erwarten man könne zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Unter dem Strich kommt dabei ökologisch wie beschäftigungspolitisch nur wenig mehr als nichts heraus.

Makroökonomische Rahmenbedingungen eines sozial-ökologischen Reformprojektes
Nachdem sich in den 16 Jahren der konservativ-liberal geführten Regierung zeigte, daß die neoklassisch inspirierten Rezepte weder zum Abbau der Ar-beitslosigkeit noch zu einer auch nur ansatzweisen Bewältigung der ökolo-gischen Probleme geführt haben, wäre es an der Zeit diese Rezepte grund-sätzlich zu überdenken, statt sie einfach nur mit ökologischer Einkleidung fortzuschreiben, wie dies derzeit bei den Grünen geschieht. Dabei wäre es zentral sich von der im Grunde nur mikroökonomischen Betrachtung der Mainstream-Neoklassik zu lösen und wieder stärker makroökonomische Zusammenhänge zu berücksichtigen. Dazu einige Stichpunkte.

Mittelfristig wird mehr Beschäftigung ohne ein stärkeres Wirtschafts-wachstum nicht zu erreichen sein. So notwendig der Kampf für Arbeitszeit-verkürzungen auch ist, die Arbeitszeitpolitik wird überlastet, wenn sie allein das Beschäftigungsproblem lösen soll. Die beiden vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, daß Arbeitszeitverkürzungen von mehr als 1% pro Jahr kaum durchsetzbar sind. Sofern sie kostenneutral sein sollen, wären starke Ar-beitszeitverkürzungen nur mit entsprechenden Einkommenseinbußen mach-bar, und dies vor allem bei unteren und mittleren Einkommensschichten. Wesentlich mehr Beschäftigung wird es bei einer nach wie vor starken Zu-nahme der Produktivität mittelfristig ohne Wachstum nicht geben. Durch ö-kologischen Strukturwandel, also Umschichtungen der Ausgaben von Haushalten und Unternehmen, sind wahrscheinlich nur geringe Beschäfti-gungszuwächse zu erreichen.
Auch die (wachstumsunabhängige) Schaffung eines Sektors niedriger Pro-duktivität und niedriger Löhne ist wohl kaum ein gangbarer Weg. Zum ei-nen könnte dieser Sektor wohl nur über einen radikalen, aber sozialpolitisch völlig unakzeptablen Abbau von Lohnersatzleistungen geschaffen werden - die Betroffenen wären dann wie in den USA zu nicht nicht existenzsichern-den "Armutsarbeit" gezwungen. Zum anderen wären diese Nie-driglohnarbeitsplätze für schlecht Qualifizierte allein schon deshalb prekär, weil sie immer wieder der Rationalisierung zum Opfer fielen (vgl. zu diesem Thema Bender u.a. 1999).

Daß Wachstum aus ökologischen Gründen abzulehnen sei, gehört zur grü-nen Weltanschauung der Gründerjahre. Dagegen ist jedoch einzuwenden, daß Wirtschaftswachstum durchaus mit ökologischen Nachhaltigkeitszielen vereinbar ist, insoweit letztere klar in Form ökologischer Leitplanken und Umweltqualitätszielen definiert werden (vgl. Priewe 1998b). Anspruchs-volle Umweltqualitätsziele, die in einem mittelfristigen Nationalen Umwelt-plan festzuschreiben wären, müssen zu steigender Ressourceneffizienz und zu einem starkem Strukturwandel in Richtung auf die Erzeugung von "Um-weltgütern" und wenig naturverbrauchenden Produktions- und Dienstleis-tungszweigen führen. Nur wenn alle Verbräuche von "Stoffen" (oder throughputs) gleich welcher Art radikal und pauschal reduziert werden müßten, so daß ressourceneffizienzsteigernde Substitutionsvorgänge zwi-schen den verschiedenen Ressourcen ausgeschlossen würden, käme man an einer systematischen Senkung des Sozialprodukts - Nullwachstum würde keineswegs ausreichen - nicht vorbei. Wichtiger als die pauschale Senkung des Verbrauchs von allen "Stoffen" ist jedoch der langfristige Übergang zu einem Energiesystem, das nahezu ausschließlich auf erneuerbaren Quellen beruht. Fossile Energieträger sind die entscheidende Naturknappheit (abge-sehen von Wasser und Boden). Die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Träger ist das zentrale technologische Projekt des 21. Jahrhun-derts. Wenn die ökologischen Leitplanken aufgestellt sind und bei einem höherem Sozialprodukt zu Bruch zu gehen drohen, dann muß allerdings auch das Wachstum beschränkt werden.

Ist Wachstum jedoch ökologisch möglich und zur Beseitigung der Arbeits-losigkeit unumgänglich, dann stellt sich die Frage, wie es jenseits der ge-scheiterten "Angebotspolitik" (im Sinne von Deregulierung, Privatisierung, Arbeitsmarktflexibilisierung etc.) gefördert werden kann. Freilich sind insti-tutionelle Reformen der verschiedensten Art sowie Strukturpolitik notwen-dig: Anreize für sinnvolle Produktion und Beschäftigung müssen durch ent-sprechende Institutionen geschaffen werden wo sie nicht existieren. Aller-dings brauchen institutionelle Reformen Zeit, und ihre Wirkung auf Wachs-tum und Beschäftigung ist unsicher. Darüberhinaus fördert eine allgemeine Innovationsorientierung in der Regel Wachstum und Produktivität glei-chermaßen, so daß der Beschäftigungsgewinn relativ gering ist.
Die entscheidenden Ansatzpunkte zur Beeinflussung von Wachstum und Beschäftigung liegen - abgesehen von der Arbeitszeitverkürzung - vor allem bei der Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik, deren Wirkung um so stärker ist, je größer die internationale Kooperation in diesen Feldern.

Die Geldpolitik hat kurz- wie langfristig erhebliche Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung. Die entscheidende Rolle kommt dabei den Zinsen zu, die maßgeblich von der Europäischen Zentralbank beeinflußt werden. Die Kapitalmarktzinsen sind zwar nicht die einzige, aber eine wich-tige Determinante der Investitionstätigkeit. Die Geldmenge, die von der Zentralbank bereitgestellt wird, muß für ein zu hoher Beschäftigung passen-des Produktionspotential ausreichend sein, was nur bei entsprechend niedri-gen Zinsen möglich ist. Wenn die Geldvermögensbesitzer nur wenig am Kauf von Geldvermögenstiteln sowie an der Spekulation mit ihnen verdie-nen können, werden sie sich stärker zur Anlage in Realvermögen veranlaßt sehen.

Eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik, die weder "zurückhaltend" noch "expansiv" ist, stabilisiert das Kostenniveau und verhindert damit Inflation wie Deflation. Lohnzurückhaltung, die hinter dem Produktivitätswachstum zurückbleibt, senkt das Kostenniveau und damit auch - verzögert - das Preisniveau. Im Rahmen einer Währungsunion wie dem Euro-Gebiet würde sie zu einem deflationären Lohnsenkungswettlauf führen aber nicht automa-tisch zusätzliche Investitionen anregen. Da Investitionen vor allem von den Zukunftserwartungen und dem Grad an Unsicherheit abhängen, wäre ihnen stabilitätsorientierte Lohnpolitik, die Unsicherheit vermindert, am ehesten förderlich.

Allein schon aufgrund ihres Umfangs sind die Staatsausgaben eine gesamt-wirtschaftlich bedeutsame Größe. Jede finanzpolitische Entscheidung hat daher notwendigerweise makroökonomische Auswirkungen, die in Rech-nung gestellt werden müssen. Wird versucht in wachstumsschwachen Pha-sen den Haushalt zu konsolidieren und strukturelle Defizite abzubauen, dann wird die Nachfrageschwäche verstärkt. Die Folge ist nicht nur ein weiterer Rückgang der Beschäftigung, sondern auch der Steuereinnahmen, so daß die Konsolidierungsbemühungen konterkariert werden. Daraus folgt, daß rezessionsbedingte Defizite hinzunehmen sind, sie können erst in Wachs-tumsphasen abgebaut werden (vgl. dazu ausführlicher Priewe 1998a). So war die Konsolidierung des US-amerikanischen Haushalts nur vor dem Hintergrund des starken Wirtschaftswachstum der 90er Jahre möglich. Um Wachstum hierzulande anzukurbeln, wäre eine koordinierte europäische In-vestitionsoffensive notwendig, die bislang in erster Linie an der konservati-ven Bundesregierung scheiterte. Die Verschuldungskriterien des Stabilitäts- und Wachstums-paktes, die vom ehemaligen Finanzminister Waigel und der Bundesbank maßgeblich durchgesetzt wurden, blockieren aber die Fiskalpo-litik. Wer eine europäische Geld- und Währungspolitik ermöglicht, aber die Geldpolitik fesselt und die Fiskalpolitik auf jahrelange Restriktion program-miert, darf sich weder über schwaches Wachstum in Europa noch über hohe Defizite wundern. Vorschläge, wie etwa investitionsorientierte Verschul-dung nicht auf die 3%-Defizitquote anzurechnen, gehen in die richtige Richtung, werden aber viel zu zaghaft diskutiert.

Um die hohe Zinslast im Bundeshaushalt zu mindern und damit die Schul-denlast der deutschen Vereinigung anders zu schultern, sind Steuererhöhun-gen, etwa über eine Vermögensabgabe, pauschalen Ausgabenkürzungen in jedem Fall vorzuziehen. Die rotgrünen Austeritätspolitiker sollten auch be-denken, daß die deutsche Staatsausgabenquote, also der Anteil der Ausga-ben von Bund, Ländern und Gemeinden am Bruttoinlandsprodukt, bereinigt um die vereinigungsbedingten Zinslasten, im internationalen Vergleich im-mer noch ziemlich niedrig ist. Inzwischen ist es leichter geworden, öffentli-che Armut zu identifizieren als öffentliche Verschwendung, wichtige öffent-liche Zukunftsaufgaben werden nicht angepackt.

Vielleicht hätten die Grünen - wie die Sozialdemokraten - noch das Potenti-al, eine alternative Strategie einzuschlagen, und zu versuchen, den Teil ihrer Anhängerschaft, der mittlerweile resigniert hat und ins Heer der Nichtwähler oder anderswohin abgewandert ist, zurückzugewinnen. Aber diese Strategie wäre natürlich ebenfalls riskant. Vor allem aber würde sie zweierlei voraus-setzen: Erstens, daß sich grüne Politik wieder stärker von eigenständigen Erkenntnisprozessen leiten läßt, die sich an den Interessen der von sozialen und ökologischen Krisenprozessen betroffenen Menschen orientieren, als von ideologischen Versatzstücken, die ihr von einer politisch-publizistischen Elite vorgekaut werden: Globalisierung, Nachhaltigkeit, Generationenge-rechtigkeit, Bürgergesellschaft, um nur die wichtigsten zu nennen. Und zweitens, daß Grüne wie Sozialdemokraten bereit und in der Lage wären, die zur Durchsetzung eines sozial-ökologischen Reformprojektes notwendi-gen Staatsaufgaben klar zu definieren und in den dann anstehenden gesell-schaftlichen Auseinandersetzungen auch dafür zu streiten.

Literatur
Bender, St. u.a. (1999): Förderung eines Niedriglohnsektors: Die Diagnose stimmt, die The-rapie noch nicht. IAB-Kurzbericht Nr. 6 vom 14.6.1999.
Berninger, Mathias u.a. (1999): Initiative für Investitionen, Arbeit und Umwelt, hrsg. von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Bonn 16.3.1999.
Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Arbeitsgruppe Haushalt (1999): Nachhaltige Finanz-politik: Konsolidierung und wirtschaftliche Stabilität. Diskussionspapier, Bonn, 8.3.1999.
Priewe, Jan (1998): Die Öko-Steuer-Diskussion. Positionen und Kontroversen - eine Bilanz. Berlin 1998.
Priewe, Jan (1998a): Staatliche Verschuldungspolitik und die Möglichkeiten expansiver Fis-kalpolitik, in: Kommune, Heft 4/1998, S.45ff.
Priewe, Jan (1998b): Leitplanken statt Schranken. Wirtschaftswachstum und nachhaltige Ent-wicklung müssen sich nicht ausschließen, in: Politische Ökologie, Sonderheft "Wege aus der Wachstumsfalle", Januar/Februar 1998, S. 30ff.
Reich, Robert (1999): Goodbye, Mr. President: Aus dem Tagebuch eines Clinton-Ministers, München.
Ross, Jan (1999): Ein neuer Glaube, in: Die Zeit, Nr. 29, 15. Juli 1999, S. 3.