Sinn wird Unsinn - Wohltat Plage
Zum Pauschalierungsversuch in der Sozialhilfe
von Daniel Kreutz MdL


Zu den seit langem diskutierten Vorschlägen einer Weiterentwicklung der Sozialhilfe zum Lebensunterhalt zu einer bedarfsorientierten sozialen Grundsicherung zählt eine weitergehende Pauschalierung von Leistungen. Sie soll den Hilfeberechtigten den oft entwürdigende Einzelnachweis von Bedarfen ersparen, ihre Spielräume eigenständigen Wirtschaftens erhöhen und die Sozialämter von unnötigem Verwaltungsaufwand entlasten.

Doch Pauschalierung ist kein Wert an sich. Soll dem Bedarfsdeckungsgrundsatz Rechnung getragen werden, kommt es vor allem auf eine ausreichende Höhe von Pauschalen an sowie auf eine Differenzierung zwischen standardisierbaren Bedarfen und solchen, bei denen Pauschalen wegen der im Einzelfall sehr unterschiedlichen Kosten unvermeidlich zu Ungerechtigkeiten führen.

"Für einen Modellversuch zur Pauschalierung von Sozialhilfeleistungen werden unter Beachtung des Prinzips der Bedarfsdeckung und der Freiwilligkeit die gesetzlichen Grundlagen geschaffen", steht im rot-grünen Koalitionsvertrag (Bund). Die freiwillige Teilnahme Sozialhilfebeziehender am Modellversuch scheiterte jedoch am Widerstand der kommunalen Spitzenverbände und der Länder, die Mehrausgaben zur Förderung der Freiwilligkeit befürchteten. Sie setzten eine Fassung des im Frühjahr 1999 neu ins BSHG eingeführten § 101 a (Experimentierklausel) durch, die in bekannt autoritärem Geist die Heranziehung der Betroffenen ermöglicht.

§ 101 a ermächtigt die Länder, ihrerseits durch Rechtsverordnung (VO) die Sozialhilfeträger bis zum 31.12.2004 zu ermächtigen, im Rahmen von Modellversuchen sämtliche BSHG-Leistungen, "für die Beträge nicht schon durch dieses Gesetz festgesetzt oder auf Grund dieses Gesetzes festzusetzen sind", in Form von Pauschalen zu erbringen, die dem "Grundsatz" der Bedarfsdeckung gerecht werden müssen.

Wie auch in anderen Ländern ermächtigt die von NRW-Sozialministerin Brusis beabsichtigte VO alle Sozialhilfeträger im Lande - ausdrücklich auch solche, die von der wissenschaftlichen Be-gleitung nicht erfasst werden -, im Rahmen einer mindestens zweijährigen Erprobung alle bisher nicht pauschalierten Leistungen - auch Wohnkosten und die Hilfe in besonderen Lebenslagen - für alle Hilfeberechtigten in Form von Pauschalen zu erbringen. Vorgeschrieben wird die Deckelung der Pauschalen für größere, d.h. kinderreiche Haushalte, um "Kumulationseffekte" zu vermeiden. Sämtliche sonstigen konkreten Parameter (Personenkreise, Bedarfstatbestände, "bedarfsdeckende" Höhe, konkrete Zielsetzung) legt allein der Sozialhilfeträger fest.

Vorschläge von SozialpolitikerInnen, wegen der besonderen Sensibilität der Lebenslage Sozialhilfeberechtigter die VO so zu gestalten, dass "sparpolitischem Missbrauch" durch die Kostenträger wirksam begegnet wird, blieben ohne Gehör. In NRW reichten die Vorschläge von der Ausklammerung solcher Bedarfe, bei denen wegen ihrer im Einzelfall stark differierenden Höhe "gerechte" Pauschalen kaum möglich sind (z.B. Miete und Heizung, Wohnungsrenovierung oder Hilfe zur Pflege) über die Beratungspflicht zur Geltendmachung von Bedarfen, die von Pauschalen im Einzelfall nicht ausreichend gedeckt sind, bis zum Verzicht auf die Deckelung für Kinderreiche und die Beschränkung der Erprobung auf die Zahl von Kommunen, die von der wissen-schaftlichen Begleitung erfaßt werden kann.

Bundesweit öffnet sich den Kommunen eine neue Grauzone beim Bedarfsdeckungs- und Individualierungsgebot, die zur "Kostensenkung" nutzbar ist. Da dies der Vorbereitung einer Grundsicherung (ab 2005) dienen soll, ist zu befürchten, dass auch dies Reformprojekt vom Versprechen zur Drohung mutiert. Beunruhigend ist, dass eine kritische Würdigung des Vorgangs seitens der Wohlfahrts- und Sozialverbände nur ausnahmsweise und nur sehr verhalten stattfand.

im März 2000