Christian Simmert (MdB Bündnis 90/Die Grünen), Katja Husen und Andreas Gebhard (BundesvorstandssprecherInnen Grün Alternatives Jugendbündnis)


Generationengerechtigkeit contra soziale Gerechtigkeit?

Den Generationenvertrag neu aushandeln, heißt generationenübergreifende soziale Gerechtigkeit herstellen.

Rentenniveau, Nettolohnanpassung, Beitragsfinanzierung, Lebensarbeitszeit und Witwenrente. Schlagwörter gibt es in der aktuellen Renten-Debatte ebenso viele wie Problemlagen. Immer wieder taucht auch der Begriff Generationengerechtigkeit auf, der als Symbol für einen "fair ausgehandelten Generationenvertrag" dienen soll. Dieses Symbol taugt jedoch nicht, wenn es ausschließlich zur Begründung für Rentenkürzungen herhalten muß. Geht die simple Generationengerechtigkeit doch davon aus, daß die einzige Schieflage innerhalb unseres Rentensystems zwischen den Generationen verläuft. Dies ist ein Irrtum, läßt diese Argumentation vor allem die Frage der sozialen Gerechtigkeit unter den Tisch fallen. Die Jungen sind nicht per se arm und die Alten hocken nicht alle auf angehäuften Reichtümern. Hier ist mehr Differenzierung gefragt, als das verbale Heraufbeschwören des Generationenkonfliktes. Der Begriff Generationengerechtigkeit suggeriert oft nicht mehr als zwei gegeneinander stehende, homogene Gruppen: die Jungen gegen die Alten.

Beiden Generation ist längst klar, daß es ohne tiefgreifende Reformen nicht gelingen wird, die Probleme der Alterssicherung in den Griff zu bekommen. Genauso klar ist, daß bei einer Modernisierung des Systems gerade die Jungen nicht den "schwarzen Peter" zugeschoben bekommen dürfen, nachdem die Regierung Kohl die Rentenkassen zur Finanzierung der Deutschen Einheit geplündert hat. Junge Menschen dürfen nicht durch eine einseitig geführte demographische Debatte gegen die Alten ausgespielt oder als Alibi für umfassende Kürzungen mißbraucht werden. Eine sozial gestaltete Reform muß Altersarmut heute ebenso verhindern, wie im Jahr 2030.

Verrente sich wer kann?

Der erhebliche Vertrauensverlust in die sozialen Sicherungssysteme, getreu dem Motto "verrente sich wer kann", den die Politik (egal welcher politischen Färbung) verursacht hat, verunsichert Junge und Alte gleichermaßen. Die junge Generation spitzt nicht nur die Ohren, wenn sie hört, daß sie für ihre Rente eine verlängerte Lebensarbeitszeit in Kauf nehmen soll, oder wenn Vater Staat auf der einen Seite immer wieder dazu auffordert "rechtzeitig an die private Altersversorgung zu denken" und gleichzeitig die Besteuerung der Lebensversicherung ankündigt. Die Alten, die noch das jahrelange blümsche Credo "die Renten sind sicher" im Ohr haben, erstarren bei dem Gedanken an Rentenniveauabsenkungen, wenn sie sich ihren teilweise schmalen Kontoauszug ansehen.

Die Debatte um eine zukunftssichere Rente und um Generationengerechtigkeit muß die sozialen Schieflagen innerhalb der Generationen berücksichtigen und ausgleichen. Dazu reicht es nicht, ausschließlich über die Rente zu reden. Der Generationenvertrag ist mehr als die Finanzierung des Altenteils. Der Generationenvertrag muß auch den Zugang der jungen Generation zur existenzsichernden Erwerbsarbeit beinhalten. Erst dieser Zugang ermöglicht es, verschiedene Bausteine wie betriebliche und private Alterssicherung auf die Tagesordnung zu setzen oder über Beitragsstabilität zu diskutieren. Bei mehr als einer Million Kindern und Jugendlichen, die in Sozialhilfeverhältnissen aufwachsen und einer immer noch strukturell hohen Jugenderwerbslosigkeit, gilt es, genau diesem Kapitel des Generationenvertrages besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Hier stehen wir als jüngere PolitikerInnen parteiübergreifend besonders in der Verantwortung. Wer diesen Zusammenhang ignoriert und die Rentendiskussion ausschließlich aus Sicht der Erwerbstätigen führt, ignoriert gesellschaftliche Realitäten und riskiert den nächsten "Renten-Zoff". Erst recht, da die sich verändernden Erwerbsbiographien eine Verknüpfung von Renten- und Arbeitsmarktpolitik zwingend notwendig machen.

Jobs und Rente sichern

Für junge Frauen und Männer ist die zentrale Frage ohnehin heute schon nicht mehr nur: Was bleibt von meinem eigenen Rentenanspruch übrig? Sondern vor allem: Wie bekomme ich einen Ausbildungsplatz oder Job, um eigenständige Existenz- und Alterssicherung zu realisieren? Also: Wie werde ich überhaupt in die Lage versetzt, Beiträge zu zahlen und Leistungsansprüche zu entwickeln? Dieser Zusammenhang macht deutlich, daß eine Rentenreform - gerade aus Sicht der jungen Generation - nicht singulär, sondern nur mit Blick auf die Arbeitsmarktentwicklung und Einstiegschancen junger Menschen in eine existenzsichernde Erwerbsarbeit zu machen ist.

Ein Element, das genau auf diese Verknüpfung zielt, welches sich in der öffentlichen Diskussion zur Zeit aber kaum findet, ist die Koppelung der Altersteilzeit an die BerufsanfängerInnenteilzeit. Die Arbeitszeit älterer ArbeitnehmerInnen muß sinken, damit dafür junge, ansonsten erwerbslose Frauen und Männer in einen Betrieb einsteigen können. Dieses generationenübergreifende Teilzeitmodell würde nicht nur Rationalisierungprozesse durch Frühverrentung zu Lasten der Rentenkasse verringern, sondern gleichzeitig positive arbeitsmarktpolitische Effekte bringen und jungen Menschen die Möglichkeit geben, Renten-Anwartschaften zu erwerben. Alleine unter diesem Aspekt ist der Gedanke, die Lebensarbeitszeit zu verlängern, absurd. Vielmehr geht es im Gegenteil um eine deutliche Verkürzung der Lebensarbeitszeit. Perspektivisch sollten 35 Jahre Erwerbsarbeit ausreichen, um eine existenzielle Alterssicherung zu erwerben.

Bündnis 90/Die Grünen haben in ihrem letzten Bundestagswahlprogramm eine zusätzliche Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme durch die Ökosteuer sowie eine Wertschöpfungsabgabe gefordert. Den erhöhten steuerfinanzierten Anteil durch die Ökosteuer hat die rot-grüne Bundesregierung (in einem ersten kleinen Schritt) umgesetzt. Eine betriebliche Wertschöpfung gilt es ernsthaft zu diskutieren. Sie ist einerseits unabhängig davon, wie viele Menschen in Erwerbsarbeit sind. Andererseits könnte dieses Finanzierungsmodell auch dazu führen, weniger technologieintensive als beschäftigungsintensive Produktionsformen zu stützen. Damit wäre ein Brückenschlag zwischen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Zielsetzungen möglich.

Generationen- und Geschlechtervertrag

Grundsätzlich muß das Rentensystem den veränderten Lebensentwürfen gerade junger Menschen gerecht werden: (global) wechselnde Beschäftigungsverhältnisse, Erwerbslosigkeit, Teilzeitarbeit, Weiterbildung und Kindererziehung auch ohne Trauschein ist alles andere als die alt bekannte Vita von Mama (Oma) und Papa (Opa). Vor allem die Stärkung individueller, eigenständiger Rentenansprüche für Frauen muß eine zentrale Rolle bei der Modernisierung der Rentenreform spielen, nicht nur wenn es um die Reduzierung der Hinterbliebenenrente geht. Für junge Frauen ist es selbstverständlich, den eigenen Job dem Leben als "Nur-Hausfrau" vorzuziehen und Männer sind heute (wenn auch immer noch in zu geringem Maße) bereit, Erziehungs- und Familienarbeit zu leisten, bzw. sie flexibel zu teilen. Ein Rentensystem der Zukunft muß gewährleisten, daß Frauen wie Männer auch mit einem "gebrochenen" Lebenslauf existenzsichernde Rentenansprüche erwerben können. Es ist dann folgerichtig und gerecht, die abgeleiteten Ansprüchen, wie Hinterbliebenenrente, schrittweise abzubauen. Gefördert werden muß diese Entwicklung durch die stärkere Einbeziehung von Zeiten der Aus- und Weiterbildung sowie Erziehungsarbeit als beitragsfreie Rentenjahre. Es geht bei einer Rentenreform eben auch um Geschlechtergerechtigkeit.

Es ist ein gangbarer Weg, staatliche Transferleistungen für Familien mit Kindern nicht an die Rentnergeneration weiterzugeben, da eine zielgenaue Unterstützung von Familien z. B. durch die Erhöhung des Kindergeldes möglich sein muß. Um keine neuen sozialen Ungerechtigkeiten zu produzieren, darf dies allerdings nicht nur für Familien mit Erwerbseinkommen, sondern muß in besonderem Maße für SozialhilfeempfängerInnen gelten.

Gerade bei niedrigen Renten muß das Rentenniveau deutlich über dem Anstieg des Inflationsausgleichs liegen, während das bei hohen Renten mit zusätzlicher Absicherung nicht der Fall sein müßte. Eine pauschale Absenkung des Rentenniveaus hingegen ist zwar "nett für die BeitragszahlerInnen", hat aber nichts mehr mit Gerechtigkeit zu tun.

Wer den Generationenvertrag neu aushandeln will, indem ausschließlich bei den Alten zugunsten der Jungen gestrichen wird, verkürzt die Rentendebatte auf einen "Generationenkonflikt - Jung gegen Alt" und übersieht (bewußt oder unbewußt) die soziale Schieflage innerhalb der Generationen selbst. Generationengerechtigkeit kann nicht einseitig auf die junge Generation bezogen werden, Generationengerechtigkeit bedeutet generationenübergreifende soziale Gerechtigkeit, die sich an den Schwächeren innerhalb einer jeden Generationen und in ihrem Verhältnis zueinander orientiert. Andernfalls steht die Generationengerechtigkeit contra soziale Gerechtigkeit.

Wir, als Teil der jungen Generation, werden die Aufgabe haben und vor der Herausforderung stehen, die generationenübergreifende Gerechtigkeitsfrage immer wieder zu stellen. Wir müssen sie aber auch gleichzeitig konzeptionell beantworten. Darüber hinaus gilt es, in den nächsten Monaten darüber mit allen Akteuren im politischen wie gesellschaftlichen Raum zu diskutieren, wie wir eine Verknüpfung von Sozial- und Arbeitsmarktpolitik als neuen Generationen- und Geschlechtervertrag auf den Weg bringen können.

Dieses Papier haben wir als Diskussionsinput zum parteiübergreifenden "Rentengipfel der Jugendverbände" am 13.9. in Berlin vorgelegt. "Generationengerechtigkeit contra soziale Gerechtigkeit?" ist im Internet unter http://www.simmert.de abrufbar.

Berlin, 8. September 1999


Kontakt:
Christian Simmert Tel (030) 227-71630, Fax - 76286 | www.simmert.de
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