Renate Backhaus Jan. 2000

Landesvorsitzende BUND Niedersachsen


Atomausstieg - Diskussion um Laufzeiten greift zu kurz

Den Koalitionsvertrag von 1998 hat der BUND begrüßt, trotz aller Bauchschmerzen über zaghaft formulierte Zielvorstellungen in etlichen umweltpolitischen Bereichen. Wir sahen die einmalige Chance, mit der neuen Bundesregierung endlich aus der Atomenergie auszusteigen. Heute hat es allerdings den Anschein, dass die Koalitionäre Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen haben und diese Chance nicht ergreifen wollen.

Erinnern wir uns: Bereits 1994 versuchte die damalige Bundesregierung mit der Novellierung des Atomgesetzes, Konsequenzen aus der deutschen Risikostudie B zu ziehen. Die Studie stellte fest, dass es in deutschen Atomkraftwerken (AKW) jederzeit zu einem Unfall mit Kernschmelze kommen kann. Der daraufhin neu eingeführte § 7 Abs. 2a Atomgesetz hat zur Folge, dass alle laufenden AKWs heute nicht mehr genehmigungsfähig wären.

Wenn die CDU-Bundesregierung das enorme Risiko der AKWs für unsere Gesundheit nicht verleugnen konnte, warum zieht Rot-Grün nicht endlich die Notbremse bei dieser energiepolitischen Irrfahrt? Statt über die Erleichterung zu sprechen, die der Atomausstieg für unser Leben bedeuten könnte, wird permanent nur über Zahlen diskutiert: Zuerst über die abstrusen Schadensersatzforderungen der Atomindustrie und jetzt über Restlaufzeiten. Der Atomwirtschaft ist es gelungen, die Diskussion auf ökonomische Inhalte zu reduzieren. Die Bundesregierung bietet kein Paroli. Statt das Wohl der Menschen vor alle anderen Überlegungen zu stellen verhandelt sie in den "Konsensgesprächen" mit den AKW-Betreibern wie auf einem Basar darüber, welche Laufzeiten wirtschaftlich akzeptabel sind.

Der Verdacht liegt nahe, dass die Bundesregierung die Koalitionsvereinbarung selbst nur als unverbindliche Absichtserklärung sieht. Wie sind sonst Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller zu verstehen, der auf der " Jahrestagung Kerntechnik" im Mai 1999 in Karlsruhe die Industrie ermutigte, sich im Ausland bei Atomprojekten zu engagieren. Gegen solche Aktivitäten habe die Regierung nichts einzuwenden, sofern keine Mittel von ihr erwartet würden. Im letzten Sommer gab es dann das sogenannte Müller-Papier, in dem der Atomausstieg nach dem Fahrplan der AKW-Betreiber geregelt werden sollte.Ein solches Papier konnte nur auf den Tisch kommen, weil der Atomausstieg nur noch unter Restlaufzeiten und Liberalisierung des Strommarktes subsumiert wurde. Und in diesen Tagen "bat" Müller die Industrie, " mit Rücksicht auf die Grünen" ein Zeichen für den Atomausstieg zu setzen (dpa 27.12. 99). Offener kann ein Minister wohl nicht eingestehen, politisches Handeln aufgegeben zu haben.

Und die Grünen, ist ihnen der Gestaltungswille auch abhanden gekommen? "Grün ist der Wechsel" hieß es im Wahlprogramm 1998. Beim Thema Energie war zu lesen "(Die Atomenergienutzung) ist riskant, verschwenderisch und voller Zynismus gegenüber unseren Kindern und Kindeskindern" und weiter: "Ziel ist eine entschädigungsfreie Stillegung, sie darf jedoch nicht zur Bedingung für den sofortigen Atomausstieg werden."

Soweit das Wahlprogamm. Was ist davon übriggeblieben? Derzeit steht der Beschluss des Bundesvorstandes bzw. der Fraktion vom Dezember "Den Atomausstieg umsetzen" zur Diskussion. Für den BUND Niedersachsen sind diese Beschlüsse nicht tragbar. "Eine Gesamtlaufzeit von längstens 30 Jahren" können wir nicht akzeptieren. Wir haben immer mit den AtomkraftgegenerInnen übereingestimmt, die den Sofortausstieg aus Gründen des Unfallrisikos, der Belastung durch Niedrigstrahlung, der ungeklärten Entsorgung gefordert haben. Und nun soll dieses Risikos auf einmal so gering sein, dass es noch Jahrezehnte zu verantworten ist?

Auch das " flexible Ausgestalten der Laufzeiten einzelner Anlagen" ist mit dem BUND nicht zu machen. Hier bekommen die Betreiber erneut das Angebot, betriebswirtschaftlich zu entscheiden, welches AKW (wenn überhaupt) abgeschaltet wird. Für den BUND ist der Erhalt der Lebensgrundlagen entscheidendes Kriterium, nicht betriebswirtschaftliche Überlegungen. "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt" war auch einmal Handlungsgrundlage der Grünen.

Auf welchen Pfad sich die Grünen begeben wollen, zeigt ein weiteres Essential des Grünen-Beschlusses: "Wir wollen in den Konsensgesprächen eine Beendigung der Wiederaufarbeitung" (dies wird vom BUND ausdrücklich begrüsst ) "und eine drastische Minimierung von Atomtransporten durch die Einrichtung von Zwischenlagern..." Für den BUND wird das Ende des atomaren Wanderzirkusses nicht durch Zwischenlager, sondern durch den Sofortausstieg erreicht. Die derzeitigen Pläne für das Zwischenlager in Lingen lassen den Schluss zu, dass hier durch die Hintertür der Weiterbetrieb des AKW bis zum Jahre 2055 gesichert werden soll.

Aus Sicht des BUND Niedersachsen muss das Papier der Bundestagsfraktion natürlich auch auf die niedersächsischen Interessen hin überprüft werden: Weder zu Schacht Konrad, noch zu Gorleben sind deutliche Aussagen gemacht worden "Vereinbarungen werden angestrebt" heißt es vage, die Pilot-Konditionierungsanlage fehlt ganz.

Fragen über Fragen :

Was zwingt die Grünen, sich auf faule Formulierungen einzulassen? Ist ihr politischer Einfluss oder gar das Selbstvertrauen so gering, dass sie es riskieren, sich für einen Nonsens-Konsens mit den Umweltverbänden, den Anti-AKW-Initiativen und vielen anderen engagierten Gruppen zu überwerfen,mit den gesellschaftlichen Kräften, aus denen die Grünen einst entstanden sind? Die Anti-Atom-Politik ein Kernthema bei der Grünen-Gründung, ist sie heute nur noch ein hinderlicher Klotz am Bein, beim Kampf um den Machterhalt in Berlin? Wo bleibt das Primat der Politik für eine verantwortliche und umweltverträgliche Energiepolitik? Wo bleibt der Schulterschluss mit den Verbänden , Initiativen und WissenschaftlerInnen, die seit Jahren für den Ausstieg kämpfen ? Was wollen die Grünen, den Atomausstieg oder den Ausstieg aus der Politik?

erschienen in den Grünen Zeiten des Landesverbandes Niedersachsen von B90/Grüne