International Physicians
for the Prevention of
Nuclear War (IPPNW)

Empfänger des UNESCO-
Friedenspreises 1984 und des Friedensnobelpreises 1985

Vorstand:
Dr. Angelika Claußen
Anne Dettmer
Bernd Hanewald
Dr. Ellis Huber

Stephan Kolb

Armin Kröning
Dr. Gisela Penteker
Dr. Dorothea Wagner-Kolb

International Councillor:

Lars Pohlmeier

Ehrenvorstandsmitglieder:
Prof. Dr. Ulrich Gottstein
Prof. Dr.Dr. Horst-Eberhard Richter

Deutsche Sektion
der Internationalen Ärzte für die
Verhütung des
Atomkrieges
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

IPPNW - Presseinformation

Berlin/Heidelberg, 19.01.2000

 

Zur heutigen Ministerrunde im Kanzleramt:

IPPNW verlangt
rückhaltlose Aufklärung
über rot-grüne Atompolitik

Bundesregierung versteckt sich hinter juristischen Gutachten

Die rot-grüne Bundesregierung, die heute die Verhandlungslinie für die Gespräche mit den Atomkonzernen festlegt, kapituliert nach Einschätzung der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW vor den Interessen mächtiger Großkonzerne. IPPNW-Sprecher Henrik Paulitz sieht in der absehbaren Verhandlungsposition ein gefährliches "Versagen der Demokratie, das der Spendenaffäre der CDU nicht nachsteht".

Die IPPNW geht davon aus, daß die Regierung mit der Atomwirtschaft längst vereinbart hat, daß das eine oder andere unwirtschaftliche Atomkraftwerk kurzfristig stillgelegt wird. Paulitz: "Diese Anlagen werden vermutlich ohnehin nur noch als Verhandlungsmasse betrieben, nicht aber aus wirtschaftlichen Gründen. Über diese für die Atomfirmen profitable Maßnahme sollen sich die Grünen und ihre Wählerinnen und Wähler freuen und dann großzügig darüber hinwegsehen, daß die meisten Atomkraftwerke mit durchschnittlich 30 Betriebsjahren ihre vollständige wirtschaftliche Lebensdauer ausnutzen dürfen. So wie es derzeit aussieht, wird sich die Atomwirtschaft vollständig gegen die gewählte Bundesregierung durchsetzen."

Die rot-grüne Bundesregierung ist bereit, für alle Sorgen der Atomwirtschaft eine Lösung zu finden, wie ein gemeinsames Papier von Wirtschaftsminister Müller und den Energiekonzernen zeigt. Intensive Prüf- und Genehmigungsverfahren durch die Aufsichtsbehörden sollen der Vergangenheit angehören. Der "Stand von Wissenschaft und Technik" bei dem Betrieb von Atomkraftwerken wird von der Bundesregierung weder durchgesetzt, geschweige denn gefordert. Denn dies würde den Atomkraftwerksbetrieb durch kostspielige Nachrüstungen extrem verteuern. Zudem ist die Regierung bereit, konstruktiv an Lösungen für das zentrale Problem der Atomwirtschaft mitzuarbeiten: der Entsorgung des Atommülls. Kurzfristig ist sie bereit, Transportbereitstellungslager zu genehmigen. Mittelfristig sollen standortnahe Zwischenlager ein Verstopfen der Atomanlagen verhindern. Diese Zwischenlager sollen als Entsorgungsnachweis anerkannt werden, was juristisch höchst bedenklich ist, weil das geltende Atomgesetz zwingend eine "schadlose Verwertung", die es nicht gibt, oder ein atomares Endlager als Entsorgungsnachweis vorschreibt.

Paulitz: "Doch anstatt den Entsorgungsnotstand der Atomwirtschaft als juristisches Druckmittel für einen Atomausstieg zu nutzen und die massiven Privilegien der Atomenergie abzubauen, versucht die Regierung im Konsens mit der Atomwirtschaft einen reibungslosen und preiswerten Atomkraftwerksbetrieb für Jahrzehnte zu ermöglichen. Dabei verschleiert sie dieses Ziel und redet fälschlicherweise von einem Atomausstieg."

Die Bundesregierung versteckt sich geschickt hinter juristischen Gutachten. Die IPPNW weist darauf hin, daß die Gutachten "erstaunlich dicht" den politischen Interessen der jeweiligen Auftraggeber folgen. Als Beispiel nennt die Organisation das Gutachten für Minister Trittin, das mit einer Laufzeit von rund 25 Betriebsjahren exakt den Vorstellungen des Ministers entspricht. Derselbe Gutachter hielt noch vor wenigen Jahren deutlich kürzere Laufzeiten als mit der Verfassung vereinbar. Juristen des Bundesumweltministeriums räumen ein, daß nach einem Atomunfall ein Sofortausstieg selbstverständlich mit der Verfassung vereinbar wäre.

Paulitz: "Die Juristerei ist keine besonders exakte Disziplin, sondern in höchstem Maße gesellschaftlichen Prozessen unterworfen. Doch diese Bundesregierung hat überhaupt keine Anstalten gemacht, der radikalen Rechtsauffassung der Atomwirtschaft eine andere gegenüberzustellen und für diese zu streiten. Beispielsweise spielte das Grundrecht auf Leben und Gesundheit nach Artikel 2 bei den juristischen Abwägungen der vergangenen Monate faktisch keine Rolle. Der angestrebte Atomkonsens konserviert das Risiko einer Atomkatastrophe in Mitteleuropa auf Jahrzehnte."

Rückfragen an: Henrik Paulitz
Internet: www.siemens-boykott.de