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Zur Entschädigung für Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen

Rede von Annelie Buntenbach am 25.11.1999 im Bundestag
(1. Lesung PDS-Antrag)
Es gilt das gesprochene Wort!

Es ist gut, daß das Parlament heute über die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter spricht. Für uns ist das ein zentrales Anliegen, für das wir uns schon seit vielen Jahren einsetzen. Den Antrag der PDS, der Anlaß zur heutigen Diskussion ist, halten wir allerdings in der vorliegenden Form nicht für geeignet, um das Problem zu lösen. Im Einzelnen können und werden wir darüber im Ausschuß sprechen - ich hoffe allerdings, daß die praktische Entwicklung den Antrag dann schon überholt hat, weil wir einen Schritt weiter vorangekommen sind auf dem Weg zu einer Bundesstiftung.

Wir haben dafür Sorge getragen, daß das Versprechen einer Bundesstiftung in die Koalitionsvereinba-rung aufgenommen worden ist - und wir sind froh darüber, dafür endlich Unterstützung bei allen Fraktionen des Parlaments zu finden. Unser Ziel ist für die Opfer nach all den Jahren von Ignoranz und Entwürdigung endlich eine spürbare Entschädigung zu erreichen, wohl wissend, daß es eine Wiedergutmachung der verlorenen Jahre, des Schmerzes und der seelischen und körperlichen Schäden nicht geben kann.

Gerade bei dieser Diskussion müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen, um welches Ausmaß von Verbrechen es eigentlich geht: Rund 10 Millionen Menschen wurden während des Zweiten Weltkriegs vom Deutschen Reich zu Zwangsarbeit gezwungen. Schätzungsweise jeder 3. Arbeitsplatz wurde von einem Zwangsarbeiter besetzt. Viele Unternehmen haben zur Aufrechterhaltung ihrer Produktion ZwangsarbeiterInnen von staatlichen Stellen angefordert und gezielt ausgesucht.

Viele Zwangsarbeiter wurden aus der Heimat, insbesondere aus Osteuropa, unter Androhung von Gewalt verschleppt. Sie waren in bewachten Barackenlagern untergebracht. Unterkunft, Ernährung, Kleidung und medizinische Versorgung waren ungenügend. Gewalt im Lager und Schikanen am Ar-beitplatz gehörten zu ihrem Alltag. Besonders dramatisch war die Situation für KZ-Häftlinge und jüdische ZwangsarbeiterInnen, die quasi "im Schatten der Vernichtung" arbeiteten. Die durch die Haftbedingungen entkräfteten Menschen mußten schwere Arbeiten verrichten, ihre Lebenserwartung betrug oftmals nur wenige Monate.

Es kann also allein um eine spürbare Geste gegenüber den Opfern gehen, der einzig konkrete Weg dazu ist das Modell einer Bundesstiftung als Solidarlösung. Eine Lösung, die allein denen zugute käme, die bei heute zahlungswilligen Firmen beschäftigt waren, schließt viel zuviele aus - auch jahrelange Prozesse, deren Ende viele der Betroffenen nicht mehr erleben würden, können nicht im Interesse der Opfer sein. Auch wenn wir im Gegensatz zu Teilen der Bundesregierung davon ausgehen, daß es berechtigte Ansprüche und auch Rechtsansprüche der Opfer gibt.

Deswegen haben wir vehementes Interesse an dem Erfolg der laufenden Verhandlungen und sind froh über den Durchbruch in Bonn im November, nach dem man jetzt endlich über einen gemeinsa-men finanziellen Rahmen redet. Ich möchte von hier aus allen, die ihren Anteil an einer würdevollen Lösung haben, herzlich danken - das Projekt kann immer noch scheitern, aber gerade im Interesse der Opfer darf es nicht scheitern.

Unsere Fraktion hat zu den Verfolgtenverbänden in Ost und West seit Jahren intensive Kontakte und mit zahlreichen Gesprächen auch am Rande der Verhandlungen haben wir versucht, unseren Teil zu einem Erfolg beizutragen. Gerade auf diesem Hintergrund will ich deutlich aussprechen, was noch getan werden muß, damit eine wirklich würdevolle Entschädigung zustandekommt.

1. Wir können der Industrie, gerade den bislang abseits stehenden Firmen, nicht durchgehen lassen, daß nun der Steuerzahler überproportional für alles haftet, was zum Verantwortungsbereich der Industrie gehört. Die Industrie hat von der Zwangsarbeit erheblich profitiert, sie ist zu diesem Profit nicht gezwungen worden.

Wenn Firmen wie Daimler-Chrysler zu über 200 Mrd. DM fusionieren und die englische Telefon-gesellschaft "Vodafone" für die deutsche Firma "Mannesmann" 242 Mrd. DM zahlen will, ist kaum glaubhaft, daß es der gesamten deutschen Wirtschaft nicht gelingen sollte, mehr als 5 Mrd. DM zusammenzubringen! Dieses Armutszeugnis werden wir ihr nicht ausstellen. Und auch die Kom-munen und der Bauernverband sind gefragt. Ich frage auch: Warum sollen überhaupt die Firmen Rechtssicherheit bekommen, die sich weigern, in die Bundesstiftung einzuzahlen?

Die Industrie ist im Gegensatz zum ersten Anschein ohnehin in einer komfortablen Lage. Selbst bei einer hälftigen Beteiligung am Stiftungsfonds kann sie ihren Beitrag teilweise bis zu 50 % (!) steuerlich absetzen. Bei einem möglichen Stiftungsvolumen von 10 Mrd. DM würde de facto der Steuerzahler bis zu 7,5 Mrd. DM, die Industrie vielleicht nur 2,5 Mrd. DM zahlen. Aus diesem Grunde muß die Politik ihr Hauptaugenmerk darauf richten, daß mehr Firmen in den Fonds ein-zahlen und der Finanzierungsanteil der Industrie noch deutlich erhöht wird.

2. Eine würdevolle und für die Beteiligten akzeptable Lösung kann nur zustandekommen, wenn alle Gruppen, die aufgrund ihres Verfolgungsschickals einen Anspruch darauf haben, einbezogen wer-den. Über die Höhe der Entschädigungsbeträge zwischen den verschiedenen Gruppen kann man ja reden. Wir wollen aber deutlich sagen: es muß auch eine Lösung für die in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeiter gerade aus Polen und der Ukraine geben.

3. Damit komme ich zum letzten Punkt. Die Debatte des letzten Jahres hat oftmals vergessen las-sen, dass es nicht nur um Geld, sondern auch um die Würde der Opfer geht. Nicht das Scha-chern um einzelne Geldbeträge, sondern eine würdevolle Behandlung der bislang "vergessenen" Opfer ist die Leitlinie, wenn die Bundesstiftung auch zu einer würdevollen Befriedung über die Erbschaft des Nationalsozialismus beitragen soll. Es wird vor allem die Aufgabe der Politik, des Deutschen Bundestages, sein, den Opfern auch ihre Würde wiederzugeben. Einen "Schlußstrich" unter die gesamte Geschichte des NS-Regimes wird es und kann es auch nicht geben. Aber zu ei-ner würdevollen Lösung für die Opfer am Ende ihres Lebens muß der deutsche Staat und muß die Gesellschaft bereit sein. Ich hoffe, dass das Projekt deshalb mit diesen Vorzeichen noch in diesem Jahr einen guten Abschluß findet.

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