KV Odenwald-Kraichgau

1. Antrag an den Bundesvorstand und an die BDK

 

Der Kreisverband Odenwald-Kraichgau beantragt:

Auf der nächsten BDK in Münster wird der Tagesordnungspunkt NATO-Strategie/ Wehrstruktur aufgenommen. Dazu soll ein ausreichender Zeitraum von drei Strunden zur Verfügung gestellt werden


Begründung: Es ist unverständlich, dass der Bundesvorstand diesen Punkt nicht von sich aus behandelt. Auf der BDK in Karlsruhe wurde vom Bundesvorstand für Nichtbefassung plädiert, weil man die Ergebnisse der Wehrstrukturkommission abwarten wolle. Das hat uns dort schon nicht eingeleuchtet, weil die neue NATO-Strategie weitreichendere Folgen hat als die deutsche Wehrstruktur. Im Antrag unseres Kreisverbands wird darauf hinge-wiesen, dass die neue NATO-Strategie völkerrechtswidrige offensiv-aggressive und imperiale Elemente enthält und deshalb von Bündnis 90 /Die Grünen offen abgelehnt werden sollte.

Nun kann man diese Debatte prinzipiell natürlich auch im Zusammenhang mit der Wehrstruktur führen. Dann soll man dies aber jetzt tun, statt noch mal zu verschieben. Die Kommission hat jetzt ihren Bericht vorgelegt, es wird relativ breit darüber in der Öffentlichkeit debattiert, die wahrnehmbaren grünen Stimmen gehen in ziemlich divergierende Richtungen. Der Kern der Umgestaltung - die Einrichtung von Krisenreaktionskräften - ist auch gar nicht diskutierbar, wenn man nicht die NATO-Strategie in die Debatte einbezieht.

Es ist also nötig, dass die Position der Grünen grundsätzlich geklärt wird. Dabei spricht alles dafür, dass die Partei dies selbst in die Hand nimmt und die Formulierung einer Position nicht einfach wieder der Fraktion oder gar unseren Regierungsmitgliedern zu überlassen.

Alle Wahlergebnisse zeigen, dass wir uns um Glaubwürdigkeit sehr bemühen müssen. Dies gilt nach den Erfah-rungen des letzten Jahres insbesondere im Bereich der Militär- und Friedenspolitik. Die Öffentlichkeit wird es nicht honorieren, wenn wir uns in einer weiteren identitätsstiftenden Frage wegducken, statt antimilitaristische Positionen offensiv zu vertreten. Wir würden den Exodus engagierter Aktivisten und Wähler weiter beschleuni-gen, wenn wir stattdessen eine Vielzahl von wenig strittigen oder nicht entscheidungsreifen Punkten auf der BDK in drei 20-, drei 45- und drei 120 Minuten -Häppchen abarbeiten - zumal in den vorgegebenen Zeiten eine wirkliche Diskussion nicht möglich ist.

Eine BDK ist dazu da, zu entscheiden, in welche Richtung Bündnis 90/ Die Grünen gehen. Sie ist das wichtigste Instrument, mit dem die Parteimitgliedschaft die Richtlinien der Politik bestimmt. Diese Chance darf nicht ver-tan werden.

Beschlossen auf der Kreisversammlung des KV Odenwald-Kraichgau am 25. Mai 2000 in Neckargemünd

 

 

2. Antrag an die BDK


Keine Umsetzung der neuen NATO-Strategie ohne Debatte und Ratifizie-rung im Parlament!


Am 24. April 1999 hat die NATO in Washington eine neue NATO-Strategie verabschiedet. Die Ver-abschiedung fand während und vor dem Hintergrund des Krieges in Jugoslawien statt. Sie wurde öf-fentlich relativ wenig wahrgenommen, wozu auch beitrug, daß sie weder im Parlament noch von den Parteien diskutiert wurde.
Diese Ignoranz ist angesichts der weitreichenden Konsequenzen, die sich aus der neuen Strategie auch für die Bundesrepublik ergeben, wenig verständlich und akzeptabel. Für Bündnis 90/Die Grünen mag als Erklärung gelten, daß die Auseinandersetzung mit dem Kosovo-Krieg zu jener Zeit alles andere überlagerte. Auf der anderen Seite ist gerade vor dem Hintergrund des Kosovo-Krieges, in dem die NATO wider die damals noch gültige Strategie handelte, indem sie sich selbst mandatierte und damit die später verabschiedete Strategie bereits ausprobierte, die Ignoranz einer neuen Gewichtung der Be-deutung des Militärs in der Außenpolitik doppelt unverständlich.

Die neue NATO-Straegie entwickelt das 1991 nach dem Ende des Kalten Krieges verabschiedete Konzept von Rom weiter in Richtung Aufgabenerweiterung und Unabhängigkeit von der UNO und beschreibt damit einen Paradigmenwechsel in der Politik der NATO.
Keinem der 19 NATO-Parlamente wurde das neue strategische Konzept bisher zur Ratifizierung vor-gelegt.

Auswirkungen der neuen NATO-Strategie auf die Bundeswehr machen sich bereits bemerkbar. Im Zug der stärkeren Orientierung der NATO auf "kleinere kampforientierte Einheiten" ist die Bundes-wehr bereits teilweise umorganisiert worden. Die Krisenreaktionskräfte wurden von 56.000 auf 66.000 Mann aufgestockt, während die Gesamt-Bundeswehr von 340.000 auf 324.000 Mann und Frau abge-baut wurde. Alle derzeit diskutierten Vorschläge zur Reform der Bundeswehr verstärken diese Ten-denz noch . Ganz im Sinn der neuen NATO-Strategie soll die Bundeswehr insgesamt kleiner, Beweg-licher , schneller und qualitativ aufgerüstet werden. Die klar definierte einzige Aufgabe der Bundes-wehr - die Landesverteidigung - verschwindet hinter der in Washington für das NATO-Bündnis be-schlossenen des Eingreifens bei Krisen, die das kollektive Sicherheitsgefühl der NATO-Staaten be-drohen. Die neue NATO-Strategie wird in der Bundesrepublik Schritt für Schritt umgesetzt - ohne jedoch im Parlament debattiert und ratifiziert worden zu sein.

Wir meinen, daß dem Bemühen der rot-grünen Bundesregierung, innerhalb der NATO-Partner nach dem Regierungswechsel nicht als unsicherer Kantonist zu gelten, mit den Beschlüssen der Regierung und Regierungsparteien zum NATO-Einsatz in Jugoslawien und den WEU-Beschlüssen unter deut-scher EU-Präsidentschaft nun Genüge getan worden ist. Die Bundesrepublik sollte ihr neues Gewicht innerhalb der NATO - seit dem Kosovo-Krieg zählt sie de facto zu deren Kernstaaten - nun auch nut-zen, der Programmatik der Regierungsparteien entsprechend auf eine Entmilitarisierung der Außenpo-litik hinzuwirken.
Die neue NATO-Strategie enthält genügend völkerrechtswidrige und offensive Elemente, um noch einmal gründlich hinterfragt zu werden. Sie widerspricht dem 2+4 -Vertrag, dem NATO-Vertrag und - was den Einsatz der Soldaten betrifft - unserem Grundgesetz. Ziel einer rot-grünen Bundesregierung müsste sein, sie mindestens zu modifizieren, wenn nicht zurückzunehmen. Ein deutsches Nein zur neuen NATO-Strategie in Washington hätte wegen des Einstimmigkeitsprinzips in der NATO das neue Konzept verhindert. Aber auch nach der Verabschiedung in Washington hat ein deutscher "Rückholantrag" Einfluss und eine die neue Strategie zu Teilen oder ganz ablehnende deutsche Hal-tung bliebe sehr wahrscheinlich nicht allein. (Die Regierungen verschiedener "Südländer" stehen der neuen NATO-Strategie durchaus skeptisch gegenüber.)

Wir fordern die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf, die seit fast einem Jahr fällige Debatte im Parlament über die neue NATO-Strategie und deren Implikationen für die Bundeswehr nun einzufordern und in der Debatte auf die völkerrechtswidrigen und offensiven Elemente der neuen Strategie hinzuweisen.

Des weiteren fordern wir unsere Regierungsmitglieder und insbesondere Außenminister Fischer auf, auch aus Gründen der Transparenz und demokratischer Entscheidungsprozesse innerhalb des Kabinetts auf der Vorlage des neuen NATO-Konzepts zur Ratifizierung im Bundestag zu bestehen.


Begründung:

Die neue Nato-Strategie entwickelt das 1991 nach dem Ende des Kalten Krieges verabschiedete Kon-zept von Rom weiter in Richtung Aufgabenerweiterung und Unabhängigkeit von der UNO:

Risikovorsorge als Aufgabe der NATO - bei immer mehr definierten Risiken

Nach dem Ende des kalten Krieges gab sich der westliche Militärpakt (während der östliche sich auf-löste) eine neue Existenzberechtigung , indem er das sicherheitspolitische Umfeld neu definierte. An die Stelle der "Hauptbedrohung der Vergangenheit" traten Risiken, die "ihrer Natur nach vielgestaltig" sind und "aus vielen Richtungen" kommen, "was dazu führt, dass sie schwer vorherzusagen sind" (Rom, Ziffer 9). Die Risiken ergaben sich für die NATO "weniger aus der Wahrscheinlichkeit eines kalkulierten Angriffs auf das Hoheitsgebiet der Bündnispartner", als vielmehr aus "Instabilitäten", "der Verbreitung von ... Massenvernichtungswaffen und ballistischer Flugkörper", dem Vorhandensein großer Militärarsenale, die (wieder) gegen die NATO gerichtet werden könnten oder auch "der Unter-brechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen sowie von Terror- und Sabotageakten" (Rom, Ziffer 10-13). Regional verortete die NATO bereits 1991 die Risiken in Mittel- und Osteuropa, dem GUS-Raum sowie am südlichen Mittelmeer und im Nahen Osten, betonte aber zugleich: "Die Sicherheit des Bündnisses muss jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen." (Rom, Ziffer 13 und wortgleich Washington, Ziffer 24). Schon 1991 war also die Out-of-area-Ausrichtung der NATO und damit die Umorientierung auf Offensivaufgaben beschlossen worden. An dieser Stelle ist absolute Kontinuität der NATO-Strategie zu verzeichnen. Allerdings ist die Liste der Sicherheitsrisiken erweitert worden: Neben dem Risiko "des organisierten Verbrechens" wird z.B. "die unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen, insbesondere als Folge bewaffneter Konflikte" neu angeführt (Washing-ton Ziffer 20). Flüchtlingsbewegungen können nach der neuen Strategie also als Sicherheitsrisiko für die NATO-Staaten gewertet.

Im Rahmen der "Risikovorsorge" definierte die NATO bereits 1991 als grundlegende Sicherheitsauf-gaben (Rom, Ziffer 21):
1. Sicherheit, also das Gewährleisten einer kriegs- und bedrohungsfreien Zone als Fundament "für ein stabiles ... Sicherheitsumfeld" (Rom, Ziffer 21) für die NATO-Staaten.
2. Konsultation "über alle Fragen", die die "vitalen Interessen" der NATO-Staaten berühren.
3. Abschreckung und Verteidigung.
Die 4.Aufgabe von Rom, das Bewahren des strategischen Gleichgewichts, wurde in Washington fallengelassen und ersetzt durch "Krisenbewältigung" und "Partnerschaft". Hintergrund ist, dass in Europa keine Militärblöcke mehr bestehen, zwischen denen ein Gleichgewicht hergestellt werden müsste bzw. könnte. Die Warschauer Vertragsorganisation ist zerfallen, nicht nur fast alle mittelosteu-ropäischen Staaten, sondern auch die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sind über die "NATO-Partnerschaft für den Frieden" mittlerweile mit der NATO verbündet, so dass in Europa kein eigentli-ches Gegengewicht zur NATO mehr vorhanden ist. Der Terminus "Krisenbewältigung" beschreibt die offensive militärische Ausrichtung, zu der die NATO sich nun offen bekennt. In diesem Zusammen-hang wurde in der Schlussbemerkung ein wichtiger Satz des 1991er-Dokuments eliminiert: "Dieses Strategische Konzept bekräftigt erneut den defensiven Charakter des Bündnisses..." (Rom, Ziffer 58)
Neues Verhältnis zu UNO und Völkerrecht
Während die NATO 1991 noch "die Freiheit und Sicherheit aller ihrer Mitglieder im Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen ... gewährleisten" wollte, will das Bündnis nunmehr bei der "Er-füllung seiner grundlegenden Sicherheitsaufgaben" nur noch "die friedliche Beilegung von Streitigkei-ten in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen anstreben" (Ziffer 11). Die friedliche Beilegung von Konflikten ist in Kapitel VI der Charta geregelt. Kommen Soldaten zum Einsatz, be-darf es der Zustimmung beider Konfliktparteien. In den letzten Jahren sind keine Blauhelm-Soldaten - mandatiert nach Kapitel VI - mehr zum Einsatz gekommen. Auch der NATO-Einsatz in Bosnien-Herzegowina stützte sich auf ein UN-Mandat nach Kapitel VII, in dem es um "Maßnahmen bei Be-drohung und Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen" (darunter Kampfeinsätze) geht. In die-sen Fällen will die NATO ebenfalls "in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht" handeln. Dabei denkt sie einerseits an Fälle, in denen die NATO als Dienstleister im Auftrag der UNO oder OSZE, also mit einem Mandat, tätig wird. Dazu hat sich die NATO 1994 erstmals bereit erklärt. Andererseits wird im neuen strategischen Konzept auf die "späteren Beschlüsse in bezug auf Krisenreaktionseinsätze auf dem Balkan" hingewiesen. Der folgenreichste solcher Beschlüsse, der Grundlage für den NATO-Einsatz in Jugoslawien war, erfolgte allerdings ohne Abstützung auf ein UN-Mandat. Die NATO mandatierte sich selbst. Dieses Vorgehen wird im neuen strategischen Konzept als Prinzip verankert. Damit ist die Grundlage für NATO-Angriffe nach dem Vorbild des Krieges in Jugoslawien gelegt.

Die NATO versteht sich als zentrale Organisation im Geflecht ineinandergreifender Organisationen: Während die NATO ihr Sicherheitsumfeld, den euro-atlantischen Raum, gestaltet (Washington, Ziffer 12), leisten die nachgeordneten Organisationen VN, OSZE, EU und WEU "ausgeprägte Beiträge" (Washington, Ziffer 14-17). Die UNO trägt dabei zu Sicherheit und Stabilität bei, die OSZE konzent-riert sich auf die "Förderung von Demokratie und Menschenrechten" und "ist besonders aktiv auf den Gebieten vorbeugende Diplomatie, Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und Wiederaufbau nach Konflikten". Hinsichtlich der EU werden die Einbeziehung der Petersberg-Aufgaben der WEU in den Amsterdamer Vertrag (darunter fallen auch Krisenbewältigungseinsätze) sowie die engeren institutio-nellen Beziehungen zur WEU gewürdigt (Washington, Ziffer 17). Aus dieser Rolle resultiert, dass die NATO sich nicht mehr an die UN-Charta und das bestehende Völkerrecht gebunden fühlt. Insofern fällt die neue NATO-Strategie hinter die zivilisatorisch-rechtlichen Errungenschaften der internationa-len Staatengemeinschaft.

Die Drohung mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen findet sich wortgleich im Vertrag von Washing-ton (Ziffer 62) wie im Vertrag von Rom (Ziffer 55): "Nukleare Streitkräfte werden weiterhin eine we-sentliche Rolle spielen, indem sie dafür sorgen, dass ein Angreifer im Ungewissen darüber bleibt, wie die Bündnispartner auf einen militärischen Angriff reagieren würden." Der Vorstoß von Außenminis-ter Fischer, auf den Ersteinsatz zu verzichten, ist somit leider folgenlos geblieben.

 

Beschlossen auf der Kreisversammlung des KV Odenwald-Kraichgau am 25. Mai 2000 in Neckargemünd