Mazedonien
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Hubertus Zdebel

Argumente gegen eine Zustimmung zur
NATO-Operation "Essential Harvest" in Mazedonien

Münster, 25.08.2001

Die NATO-Operation "Essential Harvest" in Mazedonien ist angelaufen. Bei diesem Einsatz
sollen inzwischen 4.500 Nato-Soldaten die von den albanischen UCK-Rebellen freiwillig abzugebenden Waffen innerhalb von 30 Tagen einsammeln. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett der Entsendung von 500 deutschen Soldaten im Rahmen von "Essential Harvest" zugestimmt. Das letzte Wort hat nun am kommenden Mittwoch, den 29.08.2001 der Bundestag. Auch dort dürfte eine Mehrheit inzwischen sichergestellt sein, nachdem die FDP ihre Zustimmung signalisiert hat.

Auch der Bundesvorstand unserer Partei hat sich für die Teilnahme der Bundesrepublik an der NATO-Operation ausgesprochen. Noch am Montag sagte Fritz Kuhn, die Bedingungen für einen Einsatz der Bundeswehr seien im wesentlichen erfüllt. Er erwarte, dass die Grünen bei der geplanten Abstimmung im Bundestag "in großer Mehrheit" den Einsatz befürworten werden. Fritz Kuhn kündigte an, dass am 27.08.2001 der Bundesparteirat in einer Sondersitzung über die Teilnahme der Bundeswehr an dem NATO-Einsatz abstimmen werde.

Ich halte diese Entscheidung für grundfalsch und will im folgenden versuchen, diese Meinung zu begründen.



Die ehemalige "Oase des Friedens" wird destabilisiert

"Zum ersten Mal in der Weltgeschichte passiert es", sagte Antonio Milošoski, Sprecher der Regierung der Republik Mazedonien, auf einer Pressekonferenz am 23. März 2001, "daß ein souveräner, demokratischer Staat einer Aggression ausgesetzt ist, die von Seiten eines internationalen Protektorats ausgeübt wird". Er meinte Mazedonien auf der einen, albanische
UCK-Terroristen aus dem Kosovo auf der anderen Seite. Diese wollen einen Staat destabilisieren, der sich für die Überwindung interethnischer Unterschiede bemüht, die in dieser demokratischen Gesellschaft bestehen.

"Kiro Gligorov, international angesehener Ex-Präsident Mazedoniens, hat unlängst vor der OSZE in Wien Klartext geredet: In Mazedonien wird die Bevölkerungsmehrheit terrorisiert, die Terroristen klagen "Rechte" ein, was eine Lüge ist - die OSZE sollte schnellstens eine Vergleichsstudie unter ihren Mitgliedstaaten machen, um zu erkennen, dass keines eine so lange, exemplarische Minderheitenpolitik wie Mazedonien betreibt. Wer anderes behauptet, soll bitte ein einziges Recht nennen, das Albanern in Mazedonien verwehrt ist", so Wolf Oschlies, nicht irgendwer, sondern wissenschaftlicher Mitarbeiter der vom Bundeskanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin in einem Handelblatt-Beitrag vom 31.07.2001.

In Mazedonien steht die Nato vor dem Offenbarungseid. Durch die unterlassene Entwaffnung und Entmachtung der UCK im Kosovo, das Versagen bei der Kontrolle der Grenze zwischen Mazedonien und dem NATO-Protektorat Kosovo und die unterlassene Unterbindung von Spendensammeln für die UCK haben die Staaten des Westens, einschließlich der Bundesrepublik, den bewaffneten Konflikt in Mazedonien erst ermöglicht.

Mazedonien-Krise und Kosovo-Konflikt sind untrennbar verquickt.

Der Schlüssel zum Verständnis der Mazedonien-Krise ist das Kosovo. Die Krise wurde in Pristina erzeugt und von dort aus geleitet. Sie ist nur vor dem Hintergrund der wirklichen Ziele der UCK zu verstehen: In Mazedonien leben ca. 440.000 StaatsbürgerInnen albanischer Herkunft, also etwa 22,7 Prozent der Gesamtbevölkerung. Im benachbarten Kosovo leben schätzungsweise 1,7 Millionen, in Südost-Montenegro 70.000 , in Süd-Serbien 60.000, in Nordgriechenland 700.000 StaatsbürgerInnen albanischer Herkunft. Nach Auffassung der UCK sind diese südserbischen, westmazedonischen, südostmontenegrinischen und nordgriechischen Regionen "Kampfzonen" albanischer Terroristen, die erst "befreit", dann ethnisch gesäubert und schließlich zu einem Groß-Albanien, zumindest aber zu einem Groß-Kosovo vereint werden sollen. Seitdem sich die Aussichten auf ein unabhängiges Kosovo durch die Abwahl von Slobodan Milosevic verschlechtert haben, sehen die albanischen Seperatisten in der Destabilisierung Mazedoniens einen erfolgversprechenden Weg, durch Druck dieses Ziel doch noch zu erreichen. Und nicht nur sie: "Die albanische Frage ist offen (...) Dem Kosovo muss Unabhängigkeit zuerkannt werden", forderte auch Arben Xhaferi, einer der Vertreter der Albaner in der mazedonischen Regierung, nach dem Beginn der UCK-Offensive bei Tetovo im März dieses Jahres.
So spitzt sich der Widerspruch zwischen einer völkisch und einer multiethnisch orientierten Balkanpolitik weiter zu. Denn es bedarf nun einmal der völkischen Prämisse, um eine "albanische Frage" zusammenzubrauen, die derzeit angeblich ihrer Lösung harrt.

Mit der Destabilisierung Mazedoniens treibt die UCK zugleich die seit dem Kosovo-Krieg bestehenden Widersprüche innerhalb der NATO voran. Die wichtigste Frage ist der ungeklärte Status des formal noch zu Serbien und Jugoslawien gehörigen Kosovo. Die Auseinandersetzung zwischen den Protagonisten des territorialen Status quo und den Anhängern einer Verschiebung der Grenzen durch Abtrennung des Kosovo von Jugoslawien (nach ethnischen Gesichtspunkten) ist noch nicht entschieden.

In dieser Situation will die NATO nicht erneut wie einst im Kosovo mit den UCK-Nationalisten zusammenarbeiten. Andererseits will sie auch nicht wirklich gegen die UCK vorgehen - sei es, um die eigenen Soldaten im Kosovo nicht zu gefährden, sei es, weil man nicht den Gegnern des Kosovo-Kriegs gegen Jugoslawien im Nachhinein Recht geben will, sei es, weil man mit einigen Zielen der UCK durchaus einverstanden ist.

Die Folge war eine Politik des Sowohl-als-auch: Verbale Distanzierung von der UCK, ohne deren Bewegungsfreiheit im Kosovo und Mazedonien wirklich einzuschränken; verbale Solidarisierung mit Mazedonien, ohne der mazedonischen Regierung eine Bewegungsfreiheit im Kampf gegen die UCK-Kommandos wirklich zuzugestehen. Später wurde der Handlungsspielraum Mazedoniens noch weiter eingeengt, als NATO und EU dazu übergingen, UCK und mazedonische Regierung gleichermaßen für die Verschärfung der Krise verantwortlich zu machen.

Das Ergebnis dieser Politik ist das am 13. August 2001 von den mazedonischen Parteien unterzeichnete Rahmenabkommen, das die Grundlage für die NATO-Operation "Essential Harvest" bildet.

Die Beschlussgrundlage für die Beteiligung an Essential Harvest ist eine Mogelpackung

Es ist davon auszugehen, daß die Bundesregierung in ihrer Beschlußvorlage für den Bundestag auf die am 20. Juni 2001 durch den NATO-Rat formulierten drei Bedingungen für den Mazedonieneinsatz verweisen wird. Diese Bedingungen sind aber nicht oder unbefriedigend erfüllt. Insofern ist ist die Beschlussgrundlage für die Beteiligung an "Essential Harvest" eine Mogelpackung. Dazu im einzelnen:

Die erste Bedingung für den Mazedonieneinsatz ist die Friedensvereinbarung zwischen den politischen Parteien der albanischen und der slawischen Mazedonier. Diese liegt zwar vor, sie ist aber von der EU und den USA bei den Parteien der slawischen Mazedonier erzwungen worden, während die UCK und die Parteien der albanischen Mazedonier damit gut leben können, haben sie doch ihr Hauptziel NATO-Präsenz erreicht. Außerdem wird sie höchst unterschiedlich, ja gegensätzlich interpretiert - insbesondere hinsichtlich der Umsetzungsfristen und -modalitäten. Insofern scheint es mir etwas vorschnell zu sein, das Abkommen schon jetzt als "erheblichen Fortschritt" zu bezeichnen, wie es Winni Nachtwei in seiner aktuellen Bewertung "Notwendige Entwaffnungshilfe oder militärisches Abenteuer? Anforderungen an einen möglichen Bundeswehreinsatz in Mazedonien" (Im Internet unter www.nachtwei.de) tut. Auch für die Bewertung der angestrebten Verfassungsänderungen in Mazedonien, über die unterschiedliche Berichte vorliegen, besteht weiterhin Klärungsbedarf.

Die zweite Bedingung für den Mazedonieneinsatz ist die Waffenabgabe durch die UCK. Dabei klaffen die Angaben über Umfang und Qualität des Waffenarsenals der UCK ebenso weit auseinander wie die Vorstellungen über den Grad der erforderlichen Entwaffnung durch die Nato. Die NATO will 3.500 Waffen einsammeln - eine lächerliche Zahl, findet die mazedonische Regierung, die von 60.-80.000 einzusammelnden Waffen ausgeht. Erinnerungen an das Kosovo werden wach, wo wir schon haben sehen können, wie ernst es die NATO mit der Entwaffnung der UCK nimmt.

Die dritte Vorbedingung des Nato-Rates ist ein dauerhafter und stabiler Waffenstillstand. Davon kann in Mazedonien überhaupt keine Rede sein. Dauerhaft heiße "nicht Stunden, sondern Wochen", hatte ein Pentagonsprecher noch vor einigen Tagen erklärt. Wenn inzwischen westliche Diplomaten und Militärs bereits trotz anhaltender bewaffneter Auseinandersetzungen von einer "stabilen Lage" sprechen, macht das erneut deutlich, wie wenig die NATO bereit ist, ihre eigenen Kriterien erst zu nehmen. Hinzukommt als unberechenbarer Faktor die wahrscheinliche Existenz einer Splittergruppe der UCK, die sg. "Nationale Albanische Armee" (ANA), die (vermutlich) in taktischer Arbeitsteilung mit der UCK agiert und Friedensvereinbarung und Entwaffnungsmission ablehnt. Diese hat in in den letzten zwei Wochen die Verantwortung für tödliche Überfälle auf mazedonische Polizisten und Militärs übernommen.

Da die Bedingungen für die NATO-Operation also noch nicht einmal vorläufig erfüllt sind, wird auch der von der NATO vorgegebene Zeitplan von 30 Tagen nicht einzuhalten sein. "Essential Harvest" kann also der Einstieg in eine dauerhafte Präsenz in Mazedonien sein.

"Es besteht die Gefahr, dass die UCK oder Teile von ihr die 30-Tagefrist als Atempause nutzen oder sogar versuchen über gezielte Provokationen die NATO-Truppe länger im Land zu halten - als Puffer gegen die mazedonischen Sicherheitskräfte. Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes bestände dann das hohe Risiko, dass eine NATO-Truppe ungewollt zwischen den Lagern zur Trennung des Landes beitragen könnte," schreibt Winni Nachtwei in seinem o.g. Papier.

Nach Angaben von Andreas Zumach (TAZ vom 18.8.2001) haben die Nato-Militärs in Kenntnis der Risiken längst Pläne entwickelt, die MFOR stufenweise zu vergrößern: von zunächst 3.500, auf 5.000, 10.000 bis zu 30.000 Soldaten. Auch Pläne für eine zeitliche Ausdehnung der Mission auf 60 Tage und mehr sowie für die Ausweitung des Mandats bis hin zu Kampfeinsätzen liegen vor. Das sagen Mitarbeiter des Nato-Hauptquartiers ohne Umschweife. Anders die Bundesregierung: Sie verschweigt gegenüber Parlament und Öffentlichkeit weitreichendere Pläne. Zwar sagt der Kanzler, es werde keinen Vorratsbeschluß geben, doch wie glaubwürdig ist diese Erklärung vor dem Hintergrund der Erfahrung mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien, als ähnliche Zusagen nicht eingehalten wurden?



Die Grünen und die Mazedonienkrise

Winni Nachtwei hat mit seinem an dieser Stelle bereits mehrfach zitierten Papier "Notwendige Entwaffnungshilfe oder militärisches Abenteuer? Anforderungen an einen möglichen Bundeswehreinsatzes in Mazedonien" vor einigen Tagen die bisher fundierteste grüne Analyse zur Lage in Mazedonien vorgelegt. Es hebt sich wohltuend ab von den ansonsten verbreiteten Durchhalteparolen und Appellen an die Bündnistreue als Staatsräson, die inzwischen auch von VertreterInnen unserer Partei gegen KritikerInnen des Mazedonien-Einsatzes gebraucht werden.

Winni sieht unter Verwendung fast haargenau der gleichen Argumente genauso wie ich erheblichen Klärungsbedarf, was die NATO-Operation "Essential Harvest" angeht. Darin sind wir uns einig. Er kommt aber interessanterweise zu dem gegenteiligen Ergebnis, nämlich, daß die Entwaffnungshilfe politisch notwendig sei für die Stabilisierung Mazedoniens.

Sein Hauptargument, auch an die Friedensbewegung gerichtet, ist: "Wer die NATO-Truppe ablehnt, stellt sich somit gegen eine internationale Unterstützung der UCK-Entwaffnung überhaupt. Die Forderung nach konsequentem Vorgehen gegen die UCK wird damit konterkariert."

Ausgerechnet die NATO zur Stabilisierung nach Mazedonien zu schicken, heißt den Bock zum Gärtner zu machen. Es war doch die NATO, die die Forderung nach konsequentem Vorgehen gegen die UCK immer wieder konterkariert hat, sei es durch unterlassene Entwaffnung und Entmachtung der UCK im Kosovo, sei es durch fehlende Unterstützung der Republik Mazedonien, z.B. als der NATO-Rat Anfang März dieses Jahres die von der Regierung in Skopje geforderte Einrichtung einer Sicherheitszone an der kosovarisch-mazedonischen Grenze ablehnte.

Dabei weiß Winni es doch besser: Unter Verweis auf die Ereignisse von Aracinovo und der Spiegel-Berichte über die systematische Unterstützung der UCK durch die USA formuliert er die Gefahr eines Doppelspiels der US-Balkan-Politik. Damit enttabuisiert er durchaus verdienstvoll eine der drängendsten Fragen, die sich für den NATO-Einsatz ergeben, auch wenn ich mir an dieser Stelle ebenfalls eine klare Benennung der durchaus auch vorhandenen Hinweise auf die unklare Rolle der Bundesrepublik Deutschland im Kosovo gewünscht hätte. So berichtete das ARD-Magazin "Monitor" im Mai 2001, daß die mazedonische Regierung der deutschen und amerikanischen KFOR-Truppe sogar eine Liste mit präzisen Daten der Schleichwege und der illegalen Grenzübergänge aus dem Kosovo, die von der UCK benutzt werden, übergeben hatte. Nach wie vor kann die UCK nahezu ungehindert aus dem maßgeblich von deutschen KFOR-Truppen kontrollierten Grenzgebiet des Kosovo zu Mazedonien Terroranschläge vorbereiten und ausüben. Hierbei wie bei den nach wie vor in Deutschland stattfindenden Spendensammlungen für die UCK besteht erheblicher Klärungsbedarf.

Natürlich ist der Mazedonien-Einsatz nicht mit dem Kosovo-Krieg vergleichbar, aber es gibt den bereits benannten Zusammenhang von Kosovo-Krieg und Mazedonien-Krise. Damit setzt sich Winni in seinem Papier - das ist die entscheidende Schwäche - nicht auseinander. Wenn er das täte, müßte er nämlich zu dem Schluß kommen, daß die Zustimmung -auch seine Zustimmung - zu diesem Krieg ein verheerender Fehler war.

Der NATO-Einsatz ist nicht alternativlos: Wenn die KFOR im Kosovo endlich ihre Arbeit machen, also die UCK entwaffnen und die Grenze halbwegs vernünftig kontrollieren würde und die mazedonische Armee und Polizei die UCK ins Kosovo zurückdrängen dürfte, wäre die NATO-Operation "Essential Harvest" überhaupt nicht notwendig. Schon bei Unterzeichnung des zwischen EU und Mazedonien abgeschlossenen Vertrags über Stabilisierung und Assoziierung im April 2001, der Mazedonien als erstem Land der Region eine europäische Perspektive bietet, hatte sich die mazedonische Regierung zu einem intensivierten Dialog für eine noch harmonischere, multiethnische Gemeinschaft in der Republik Mazedonien verpflichtet.

Durch die absehbare Zustimmung zur NATO-Operation verstrickt sich unsere Partei immer mehr in die militärische Konfliktlösungsstrategie. Am Anfang stand die Zustimmung zum Kosovo-Krieg, dann kam die Verlängerung des Kfor-Mandats, jetzt steht die NATO-Operation in Mazedonien auf der Tagesordnung. Die Frage ist: Wie weit wollen wir Grünen diesen Weg noch weitergehen?

 

Hubertus Zdebel

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