11. September 2001 und die Folgen
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Christian Simmert, MdB, Bundeshaus, 11011 Berlin

20.11.01


Offener Brief an die Mitglieder von Bündnis 90/DIE GRÜNEN


Liebe Freundinnen und Freunde,

nach der Abstimmung im Deutschen Bundestag über den Antrag der Bundesregierung zur Entsendung der Bundeswehr in den Kriegseinsatz und die vom Bundeskanzler gestellte Vertrauensfrage, hat nun die Partei zu entscheiden.

Ich möchte Euch mit diesem Brief die Situation vor der Entscheidung und das "strategische Nein" der acht Abgeordneten begründen, damit in den nächsten Tagen und Wochen keine "grünen Märchen" erzählt werden und damit deutlich wird, welche Wege zu unserer Entscheidung geführt haben sowie was nun die Verantwortung des Bundesparteitages ist. Dies tue ich nicht im Auftrag der anderen sieben Kolleginnen und Kollegen, sondern vielmehr deshalb, weil mich die Diskussionen und unsere Entscheidung immer noch innerlich aufwühlen.

Der Rahmen in dem wir zu entscheiden hatten war äußerst eng: Wir mußten für die Partei den Weg frei machen, damit sie nun selbst entscheiden kann. Denn eine Verschiebung der Abstimmung im Bundestag nach der BDK war nicht möglich und auch nicht gewollt.

Wir hielten und halten den Einsatz der Bundeswehr für falsch, die Fortsetzung der rot-grünen Koalition aber für richtig. Es ging und geht uns um einen Politikwechsel gegenüber dem Krieg in Afghanistan. Mit einer Stimme jedoch die Koalitionsfrage mit ja zu beantworten und die Militärfrage mit Nein ging nun tatsächlich nicht.

Der Rahmen in dem wir zu entscheiden hatten war äußerst paradox: Wäre die Kanzlermehrheit nicht zustande gekommen, hätte das unweigerlich zu Neuwahlen in den nächsten drei Monaten geführt. Gleichzeitig wäre der Antrag der Bundesregierung auf Entsendung der Bundeswehr in den Kriegseinsatz dennoch mit einfacher Mehrheit beschlossen worden. Das rot-grüne Reformprojekt wäre am Kriegseinsatz gescheitert und hätte als letzte Entscheidung den Kriegseinsatz beschlossen.

Die Verknüpfung der Gewissens- mit der Vertrauensfrage durch den Bundeskanzler stellte uns vor eine strategische Herausforderung, die auch durch die Fraktion mit einem geschlossenen "Nein" hätte beantwortet werden können. Da dieses "geschlossene Nein" - mit allen Konsequenzen die das bedeutet hätte - jedoch weder von der Partei- noch von der Fraktionspitze getragen oder gar forciert wurde, ging es nun um ein "strategisches Nein".

Dieses "strategische Nein" konnte nur von uns gegeben werden. Wir haben von Dienstag bis Freitag wirklich bis an die Grenze des menschlich Zumutbaren diskutiert. Natürlich hat es auch Gespräche mit dem Bundes- und Fraktionsvorstand gegeben, die Entscheidung aber wurde nicht von irgend jemandem außerhalb der Acht gefällt. Ich werde an dieser Stelle nicht ausführen wer, wann, wie, wo, was gesagt oder für sich entschieden hat. Dennoch möchte ich hier klar und unmißverständlich deutlich machen, dass weder Würfel noch Lose im Spiel waren! Auch die letztendliche Frage nach persönlichen Gewissen werde ich hier nicht beantworten.

Der Druck in der Sache und sicherlich auch innerhalb der verschiedensten Gespräche war unermeßlich hoch, dennoch war das "strategische Nein" die einzige Antwort auf Schröders Strategie der Verknüpfung von Gewissens- und Vertrauensfrage. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir in den anstehenden Diskussionen Ursache und Wirkung nicht verwechseln sollten.

Die Vier aus der Gruppe der Acht, die mit "Ja" gestimmt haben, haben auch für diejenigen gestimmt, die mit "Nein" stimmten und umgekehrt. Wer also in der Partei nun anfängt einzelne Kolleginnen und Kollegen für ihr Abstimmungsverhalten zu kritisieren, der ist auf der falschen Bahn. Wer Kritik an einzelnen übt, muß das "strategische Nein" kritisieren und damit alle KollegInnen. Und auch gleichzeitig für den Parteitag beantworten, wie denn dort die Strategie aussieht. Denn eins geht nicht: Jetzt so zu tun, als sei alles gelaufen.

Weder der Bundes- noch Fraktionsvorstand oder die MinisterInnen können nun so tun, als sei "alles in Butter" und man müsse jetzt nur noch den Parteitag "irgendwie überstehen". Dies gilt jedoch auch für die Landesverbände. Es ist zu einfach und politisch irreparabel kurzsichtig, wenn man - wie offensichtlich Bärbel Höhn, der NRW-Landesvorsitzende Fridjhof Schmidt und andere - meint, mit einer Kombination aus Parteiratsempfehlung (vom Montag vergangener Woche), Protokollnotiz zum Antrag der Bundesregierung und "Brandreden" der üblichen Verdächtigen auf dem Bundesparteitag, schon wieder alles ins Lot bringen zu können. Zumal kurze Zeit vorher noch die Auffassung herrschte, dass ein Bombenstopp der richtige Weg sei.

Es geht auf der anstehenden Bundesdelegiertenkonferenz darum, dem Beschluß des Bundestages zu widersprechen und eine "andere Politik" in der Koalition umzusetzen. Es geht in Zukunft auch darum, nun endlich einen profilierteren grünen Kurs innerhalb der Bundesregierung und im Parlament zu fahren. Formelkompromisse oder verbale Verrenkungen sind in der Vergangenheit genug gefunden worden, jetzt geht es um Entscheidungen. Dabei wird die Bundesdelegiertenkonferenz sich entweder für die Umsetzung einer anderen Politik in Fraktion und Regierung entscheiden oder die Koalition beenden müssen.

Mit grünen Grüßen

Christian Simmert

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