11. September 2001 und die Folgen
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Hartwig Berger, MdA Berlin, Bündnis 90/Die Grünen

30.10.2001

Der Krieg aus der Perspektive Afghanistans
- ein Versuch

In den vielen Stellungnahmen zum Krieg der USA in Afghanistan fällt auf, dass die Verteidiger der USA-Militärstrategie kaum bis gar nicht versuchen, sich in Handeln und Denken der angegriffenen Gesellschaft zu versetze. Es ist immer ein großer Fehler in der Politik, wenn die Sichtweisen der anderen Seiten nicht beachtet und verdrängt werden. Ich glaube, dass sie erst durch solche Ausblendungsstrategien der Krieg in Afghanistan verteidigt werden kann.
Aus dieser Überlegung ist der folgende Artikel geschrieben. Es wäre gut, wenn geschulte Kenner der afghanischen Gesellschaften meine Sicht der Dinge ergänzen, kritisieren oder korrigieren. Rückmeldungen dazu erbitte ich an:
hartwig.berger@gruene.parlament-berlin.de



In den nächsten Wochen oder sogar Tagen wird die Bundesregierung, damit der Bundestag, von der USA-Regierung um direkte Unterstützung im Afghanistan-Krieg gefragt werden. Spätestens dann muß die vom Bundeskanzler vorgegebene "uneingeschränkte Solidarität" in blinder Unterstützung münden - oder von kritischer Urteilsbildung über Sinn, Zweck und Zielsetzungen dieses Krieges abgelöst werden müssen. Wer den zweiten Weg wählt, wird sich Gedanken über die Wirkungen des bisherigen Krieges in der afghanischen Gesellschaft machen und der Frage nicht ausweichen können: ob denn die Bombardements, der Einsatz von Bodentruppen und eine Unterstützung der sog. Nordallianz der Bekämpfung des Terrorismus und der autoritären und extrem frauenfeindlichen Taliban-Herrschaft dient - oder nicht eher geeignet ist, das Gegenteil zu erreichen.

Selbst bescheidene Grundkenntnisse der afghanischen Gesellschaft sprechen dafür, im Krieg der USA und Großbritanniens eine Vergrößerung der Probleme zu sehen, die er angeblich lösen soll.

Ein Staat im Milieu von Stammesgesellschaften

Afghanistan war und ist immer ein schwacher Staat gewesen. Paradoxerweise sind daran die ausländischen Invasionen - im 19. Jahrhundert das Empire, 1979-1989 die UdSSR - blutig gescheitert. Ursache des schwachen Staats ist die relative Stärke der Stammesgesellschaften (1). In einer überwiegend auf Subsistenz und einfachen Tausch gegründeten bäuerlich-nomadischen Gesellschaft sind Stammesstrukturen weiterhin Schlüsselfaktoren der politischen Ordnung: 80% der Bevölkerung Afghanistans lebt von Landwirtschaft, 5% wirtschaften und wandern bis heute als Vollnomaden und 7% als Halbnomaden. Neun größere Stammesgesellschaften bevölkern das Land, alle mit ethnischen Querverbindungen in die Nachbarländer, auf mindestens 40 werden die verschiedenen ehtnischen Gruppen in Afghanistan geschätzt.

Die Regierungen der Nachbarländer richten an diesen sozialen Realitäten ihre Politik aus. Pakistan hat über die pashtunischen Verbindungen sehr erfolgreich Ideologie und Milizen der Taliban aufgebaut; jetzt versucht das dortige Militärregime, innerhalb der Pashtunen eine "gemäßigt islamische" Richtung durchzusetzen, um seinen Einfluß in Afghanistan zu erhalten. Jedoch riskieren Pakistans Herrscher mit ihrer Unterstützung des Krieges gegen die pashtunischen Taliban eine innerstaatliche Solidarisierungs- und Aufstandsbewegung. Der Iran hält sich bisher trotz starker USA-Kritik innerhalb des Landes eher zurück, weil die sunnitischen Taliban die schiitischen Hazari, den Iranern religiös wie linguistisch verwandt, grausam verfolgt haben, bis zur Ermordung vom einigen Tausend 6.000 Hazaras in der jetzt wieder umkämpften Stadt Mazar-i-Sharif. Usbekistan schließlich versucht mit der offenen Unterstützung der USA Einfluß über die 1 Mio Mitglieder zählenden usbekischen Stämme in Afghanistan zu gewinnen ( deren Häupter wiederum wenig Interesse haben dürften, zu Vasallen eines anderen Staates zu werden).

Daß die innerstaatlichen Konflikte und Kriege in Afghanistan von Stammenskonflikten leben, ist bekannt. Der Zerfall der staatssozialistisch orientierten Herrschaft Afghanistans vor und mit der sowjetischen Invasion; das Auseinanderfallen der Widerstandsbewegung in sich bekämpfende Mujahedin-Fraktionen seit 1989; die Durchsetzung der Taliban über die Bindungen an das Mehrheitsvolk (40-50%) der Pashtunen; die Nordallianz als Zweckbündnis der von den Taliban geschlagenen Milizen aus Stämmen der Tadschiken, Usbeken und Hazari (deren "charismatische" Führer, der Usbeke Doustom und der Tadschike Massoud hatten wenige Jahre zuvor auch Massaker unter Stämmen jetzt "verbündeter" Milizen angerichtet).

Das Gleichgewicht der Kräfte ist also notorisch labil und das Muster der gewalttätigen Abrechnung und Konfliktaustragung ist angesichts eines über 20jährigen Kriegszustandes im Land kaum zu bändigen. Auch mit der Machtübernahme der Taliban vor einigen Jahren ist keineswegs Stabilität eingetreten. Nur deshalb konnte eine Organisation wie Al Qaida im Machtvakuum ihre Trainingslager und vermutlich auch quasi-staatliche Strukturen errichten.
Vor allem stehen die Taliban allein wegen ihrer Stammesbindung im Gegensatz zu nicht-pashtunischen Stämmen. Umgekehrt konnten sie keineswegs auf die Loyalität aller pashtunischen Stämme bauen. So setzt sich die Taliban-Führung fast ausschließlich aus Ghilzai-Pashtunen zusammen (2), einer der großen Stammensföderationen, wogegen andere Stämme - damit die Mehrheit der Stammesführer- an den Rand gedrängt sind. Vermutlich wäre so die Herrschaft der Taliban in absehbarer Zeit an innerpashtunischen Gegensätzen zerbrochen. Ob sich mit ihrem inneren Sturz eine dauerhafte Staatsstruktur bilden könnte, ist allerdings sehr die Frage.

Mit dem Krieg der USA in und gegen Afghanistan dürfte sich die Solidaritätsstruktur in der afghanischen Stammesvielfalt verändern. Als die US-Experten am Wochenende ihre Verwunderung über die Heftigkeit des Taliban-Widerstandes kundtaten, musste vor allem ihr Mangel an soziologischer Phantasie überraschen. Jeder Studienanfänger, der sich mit dem politischen Funktionsgefüge von Stammengesellschaften beschäftigt, wäre da besser orientiert.. Stammesverbände sind nicht homogenisierten Nationen vergleichbar, sondern intern "segmentiert". Eine Föderation wie die Pashtunen gliedert sich in Einzelstämme A,B,C ..., diese wiederum in Untergliederungen a-1, a-2 etc., b-1, b-2 usw. und diese Substämme häufig in weitere Sub-Sub-Gliederungen. Innerhalb der Substämme sind wiederum verwandtschaftliche Clans ein ordnendes Prinzip.

Die segmentären Gliederungen der Stammesgesellschaft bestimmt Muster der Konfliktaustragung und der Solidaritätsverpflichtung. Wird zB Stamm a-1 in Konflikte mit b-1 verwickelt, kann er in aller Regel auf Unterstützung durch die Stämme a-2. a-3 etc., b-1 der Stämme b-2, b-3 etc. rechnen. Dabei ist die Konfliktaustragung innerhalb der Stammesgesellschaft reguliert, innerhalb der verwandten Sub-Stämme und Stämme muß sie nicht in Kriegshandlungen ausgetragen werden. Dagegen ist kriegerische Gewalt zwischen Stammesgesellschaften eher ein Muster der Konfliktaustragung.

Anders ist die Folge eines Angriffs von außen zu werten. Hier hat der angegriffene Teil der Stammesföderation gute Chancen, mit der Unterstützung aller anderen Stämme zu rechnen. Es wird für den Angreifer sehr schwer bis unmöglich, mit seinen Rechtfertigungen des Angriffs die Solidaritätsverpflichtung zu entkräften. Ein anerkannter Heerführer des sowjetischen Krieges, der Pashtune Abdul Haq, hat vor wenigen Tagen diese bittere Erfahrung machen müssen, als er bei "seinen" Stämmen um Unterstützung eines Anti-Taliban-Bündnisses werben wollte. Offensichtlich haben die Stammesältesten selbst ihn zur Hinrichtung ausgeliefert - die Solidarität mit den Angegriffenen hatte also Vorrang vor der Stammesloyalität.

Der USA-Angriff wird die pashtunischen Stämme gegen den äußeren Feind zusammenbringen. Ihre Führer müssen die fanatischen Religionslehren der Koran-Schüler keineswegs schätzen, doch gerade jetzt werden Vorbehalte und Gegensätze zurückstehen. Auch wird die Solidarität die in Pakistan lebenden Pashtunen umfassen, die zum Teil außerhalb staatlicher Machtansprüche leben. Pashtunen sind fortab Feinde der kriegführenden westlichen Welt, die im übrigen so zivilisiert ist, daß sie im Namen der Menschenrechte von Bush bis Schröder einen Militärdiktator in Pakistan hofiert und durch Geldzahlungen Heerführer in Afghanistan abwerben will.

Es ist naiv, wenn angesichts solcher herbeigebombten Realitäten westliche Diplomatenstäbe über die Gestaltung der afghanischen Gesellschaft nach Entmachtung der Taliban nachdenken. Wie soll ein funktionierender Staat durch Niederschlagung des Widerstands der pashtunischen (relativen) Mehrheitsbevölkerung aufgebaut werden? Eines Widerstands, der durch die USA-Angriffe erst entwickelt und stark gemacht wird? Wie will "man(n)" Stammesälteste oder intellektuelle Wortführer der Pashtunen abwerben, wenn diese dadurch als Helfer der äußeren Invasoren in Verruf kommen? Soll der "westlich zivilisierte" afghanische Staat in dauerhafter Ausgrenzung der pashtunischen Stämme existieren? Und wie wird mit der jetzt verfolgten Kriegsstrategie überhaupt eine Unterstützung in den Stammesföderationen der Tadschiken, der Usbeken, Hazari oder der völlig zersplitterten halbnomadischen Aimaken gewonnen? Wird übersehen, dass die "Nordallianz" keine Befreiungsbewegung der nicht-pashtunischen Stämme, sondern eine Ansammlung von Milizen darstellt, die nur Teile des Stammesgebiets von Usbeken und Tadschiken beherrschen und die im Bürgerkrieg auch gegeneinander gekämpft haben? Warum sollen die Angriffe von außen eigentlich nicht eine stammesübergreifende Solidarisierung in Afghanistan bewirken, wie seinerzeit die sowjetischen Invasoren erleben mußten? Die Mujahedin-Bewegung war eine solche stammesübergreifende Koalition, die erst mit der Vertreibung des gemeinsamen Gegners auseinanderfiel. Jetzt droht der Krieg von außen die Zusammenschlüsse im Inneren zu befördern und die auffallend erfolglose Nordallianz endgültig zu marginalisieren..


Der Krieg und die inner-afghanische Kommunikation

Wir wissen nicht, wie Menschen in Afghanistan den Krieg, seine Ursachen und Folgen sehen und beurteilen. Doch können wir annehmen, dass sie völlig andere Wahrnehmungsmuster als wir haben. So kennt außer wenigen Angehörigen der Herrschaftselite niemand dort die Bilder der brennenden und einstürzenden Twin Towers, geschweige des zerstörten Pentagon. Die Bilder flimmerten um die Welt, an Afghanistan aber gingen sie vorbei. Nur bis in die 90er Jahre gab es in Afghanistan vereinzelt Fernsehen, die Taliban haben es dann verboten. Die viel beschriebene symbolische Kraft des bildlichen Schreckens konnte in diesem Land nicht wirken. Wahrscheinlich weiß die Mehrheit der Menschen überhaupt nichts, bestenfalls Bruchstücke von den Terroranschlägen. Wir wissen nicht, ob und was die wenigen von den Taliban kontrollierten Rundfunksender berichtet haben. Der auch im Westen stark konstruierte Zusammenhang des Terrors mit Afghanistan wird kaum erkennbar, geschweige nachvollziehbar sein. Die Kunde von 400 Meter hohen Himmelstürmen, in denen mehrere 10.000 Menschen leben und arbeiten, wird auf Landbewohner in Lehmhütten wie eine Legende aus Tausendundeiner Nacht wirken. Kein Wunder, wenn der Einsturz der Wolkentürme dann als göttliche Strafe für menschliche Hybris gelten mag. Die Analogie zum auch im Islam geläufigen Mythos vom Turmbau zu Babel liegt auf der Hand.

Die Kommunikationssysteme vor allem der Landbevölkerung ( 80% aller Afghanen) sind ganz überwiegend oral und lokal gebunden. Weniger als 30% der Afghanen konnten 1991 lesen und schreiben, wobei die offiziellen Statistiken zumeist übertreiben, der Anteil ist seitdem eher gesunken, zumal die Taliban-Herrschaft Frauen von jeglichem Bildungszugang ausschließt. Auch die meisten Taliban können nur Arabisch und nur den Koran lesen. Politische Nachrichten und Berichte werden von Radiosendern verbreitet, es ist nicht bekannt, wie viel Menschen die Sendungen überhaupt zugänglich sind, oder ob Frauen überhaupt Radio hören dürfen. Zudem hören die Menschen die Versionen der Taliban-Herrschaft, allenfalls des Senders der Nordallianz.

Entscheidend für die Meinungsbildung wird vor allem sein, was die Menschen untereinander erzählen, weitergeben, wie sie Meldungen und Berichte deuten. Ausschlaggebend sind hier vermutlich die Einschätzungen der Clanchefs, der Stammesführer und der islamischen Geistlichen. Wir wissen nicht, zu welchen Schlüssen sie kommen, nur eines dürfte feststehen: Der Krieg wird als ungerechter Überfall einer fremden Macht oder fremder Mächte wahrgenommen. Vielleicht, um aus dem Land Reichtümer zu rauben? Um den Islam zu vernichten? Um wieder den Kommunismus zu erzwingen? Um einfach - wie das Staaten immer getan haben - die Bauern zu plündern und zu morden? Sicher werden die Menschen im Land dass die Zerstörung von Krankenhäusern, Wohnungen, Dörfern, die irrtümlich für Al Qaida-Lager gehalten wurden, nicht als bedauerliches Versehen der Bombenflieger erklären. Ziemlich sicher werden sie diese Bomben als gezielte Angriffe auf die Bevölkerung deuten, abgeworfen in der Absicht, auch Unbewaffnete und Kinder zu töten. Vielleicht nehmen manche von den Taliban strangulierte Stämme und Ortschaften die Luftangriffe als Befreiungsakt wahr; bei den stark verfolgten und schiitischen Hazaras kann diese Deutung nicht ausgeschlossen werden; sonst aber dürfte die Solidarisierung gegen die Angreifer klar überwiegen. Stämme, die für ihren Stolz und ihre Unabhängigkeit bekannt sind, werden sich nicht unterwerfen, sie werden gegen die ausländischen Invasoren kämpfen. Erst recht werden sie weiterkämpfen, wenn diese auch den in Kürze anbrechenden Fastenmonat Ramadan missachten. Das Schema "gottlose Christen gegen fromme Muslime" fände so weitere Nahrung.


Die Verschärfung von Öko-Katastrophe und Flüchtlingselend

Über die dramatische Lage der Flüchtlinge in Afghanistan wurde öfter berichtet. Hier wird ein Land mit Krieg überzogen, das unter einer Öko-Katastrophe schlimmsten Ausmaßes zu leiden hat. Die Dürre der letzten Jahre kann durch die industriell angeheizten globalen Klimaveränderungen mit bedingt sein. Sie wird durch Überweidung semi-arider Gebiete, durch Versalzung aufgrund übermäßiger Bewässerung , durch Entwaldung der Berggebiete verstärkte. Nur 12% Afghanistans sind überhaupt kultivierbar, davon laut UNO weniger als 50% landwirtschaftlich genutzt, davon wiederum fast 50% ( 1,5 Mio ha) bewässert; gerade noch 3% der Fläche ist bewaldet. Ein Teil der bäuerlichen Bevölkerung, die von ihrem wenigen Land nicht leben konnten, wurden in die Opiumproduktion ( Konsum vor allem in Pakistan und Iran) "integriert". Afghanistan ist hier weltweit Spitze.

Dramatische Ausmaße erhält die jahrlange Dürre durch die riesigen Verluste an Vieh, das wichtigste Gut der (halb-)nomadischen Gesellschaften. Sie zwingt große Teile der Landbevölkerung dazu, im kommenden Winter entweder in ihren Dörfern oder Wandergebieten auf den Hungertod zu warten, oder die Dörfer auf der Suche nach Überlebensmöglichkeiten zu verlassen. Der vermutlich riesige Strom an Umweltflüchtlingen mischt sich mit den Vertriebenen des nunmehr 22jährigen Bürgerkriegs - und mit den Vertreibungen aufgrund der USA-Angriffe. So hat nach Berichten des UNHCR etwa die Hälfte der 200.000 Einwohner die besonders bombardierte Stadt Kandahar verlassen. Aus Kabul, wo 1,5 Mio Menschen gelebt haben sollen, liegen keine Schätzungen vor. In allen Nachbarstaaten leben, so der UNHCR, derzeit 3,5 Mio afghanische Flüchtlinge. Inzwischen sollen, so dieselbe Organisation, bis zu 7,5 Mio Afghanen auf direkte Nahrungshilfe angewiesen sein - mehr als 1/3 der Gesamtbevölkerung.

Unter solchen Umständen einen Luft- und Bodenkrieg zu führen, ist ein brutales Megaspiel mit unzähligen Menschenleben. Der Krieg wird noch mehr Menschen zur Flucht zwingen. Die Versorgung der (vergleichsweise wenigen) Städte in Afghanistan wird mit dem Zusammenbruch von Transportsystemen zusätzlich gefährdet. Es wird noch schwieriger, Flüchtlinge im Land mit Nahrung, warmer Kleidung, geschweige einem Dach über dem Kopf zu versorgen. Zahllose Menschen werden dem Hunger und der Kälte des zentralasiatischen Winters hilflos ausgeliefert sein. Ungezählte Kinder, Kranke, alte Leute werden das nicht überleben können.

Wer will denn ernsthaft unter solchen Umständen einen Krieg verantworten, der die Lage verschärft, der kein klares Ziel, keine erkennbare Strategie hat, der den Widerstand der Stammesgesellschaften erst stimuliert, der von den Menschen in Afghanistan nur als willkürlicher Angriff fremder Mächte gesehen werden kann, der Empörung und Proteste in Ländern mit islamischer Bevölkerung wachruft, dort - wie in Nigeria, Indonesien und jüngst im Süden Pakistans - interreligiöse Gegensätze schürt, der möglicherweise Scharen junger Männer in islamistische Sekten und in Netzwerke des Terrors treibt?

PolitikerInnen aller Couleur sollten das bedenken, wenn sie demnächst über eine deutsche Beteiligung an diesem katastrophalen Prozeß entscheiden sollen. Es geht dabei eigentlich nicht um die Frage, ob deutsche Soldaten an internationalen militärischen Konflikten beteiligt sein sollen. Es geht um eine Stellungnahme zu diesem Krieg selbst, zu seiner Ziellosigkeit, seiner gefährlichen, destruktiven und zu den erklärten Zielsetzungen eher kontraproduktiven Auswirkungen.

Berlin, 30.10.2001


(1) Immer noch aufschlussreich ist Christian Sigrist, Regulierte Anarchie, Olten 1967. Sigrist hat lange Zeit unter Pashtunen gelebt und geforscht. Ein Ergebnis war, dass funktionierende Stammesgesellschaften durchaus staatsfrei leben wollen und können.
(2) INAMO - Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten, Nr.17, Berlin 1999 ( zu Afghanistan)

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