11. September 2001 und die Folgen
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Offener Brief an
Bundesvorstand
Mitglieder der Bundestagsfraktion

Marie-Luise Beck

Das Einwanderungsgesetz ist die grüne Bewährungsprobe


Liebe Freundinnen und Freunde,
mit großer Sorge beobachten wir, wie BMI Otto Schily versucht, die angespannte Lage nach den Terroranschlägen vom 11.9.01 zu missbrauchen, um im Bereich der Einwanderungs-, Asyl- und Flüchtlingspolitik vollendete Tatsachen zu schaffen. Es ist uns sehr wohl bewußt, dass das politische Klima in Berlin derzeit die Auseinandersetzung um dieses Thema schwierig macht. Stimmen, die mahnend darauf hinweisen, dass wir trotz allem die Maßnahmen gegen den Terrorismus nicht auf dem Rücken von schutzbedürftigen Flüchtlingen austragen dürfen, finden nur schwer Gehör. Trotzdem halten wir es für eine urgrüne Aufgabe für die Verbesserungen des Schutzes von Flüchtlingen und AsylbewerberInnen einzutreten.

Aus unserer Sicht liegt der vorliegende Entwurf Schilys jenseits dessen, was eine grüne Partei mitzutragen im Stande ist. Unsere Mitglieder, die Asyl- und Fllüchtlingsverbände und unsere WählerInnen und Wähler können ein Gesetz, das in dieser Eile und ohne eine eingehende Diskussion in der Gesellschaft zusammengestellt wurde, nicht akzeptieren und mittragen. Ein umfassendes Zuwanderungsgesetz macht nur dann Sinn, wenn es gegenüber dem derzeitigen Rechtszustand eine erkennbare Verbesserung mit sich bringt.

Die Kritikpunkte wurden mehrfach formuliert, deshalb belassen wir es bei einer kurzen Zusammenfassung:

1
Die Übereinstimmung des Gesetzes mit den europäischen Regelungen von Migration und Flucht muss gewährleistet sein.
2
Eine aktive Zuwanderungspolitik, verbunden mit einem echten Integrationsangebot an MigrantInnen und ZuwanderInnen darf nicht mit Regelungen verbunden sein, die soziale Ausgrenzung verschärfen und Desintegration fördern und damit zu einer Spaltung der Migrantenbevölkerung führen, in eine unerwünschte, zweitklassige, mit schwachen Aufenthaltstiteln versehene Mehrheit der MigrantInnen und eine erwünschte Minderheit von hoch qualifizierten und wohlhabenden ZuwandererInnen.
3
Opfer nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung müssen einen gesicherten Aufenthaltsstatut erhalten. Der Schutz für diese Opfer muss gesetzlich geregelt werden - Schutzgewährung ist nicht Aufgabe von Kirchengemeinden und Menschenrechtsorganisationen, sondern eine öffentliche Aufgabe.
4
Der Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen muss verbessert werden. So sollen nach dem neuen Gesetz auch weiterhin 16-jährige "fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz sein", obwohl nach der UN-Kinderkonvention ein Mensch erst nach Ablauf des 18. Lebensjahres als Volljähriger bezeichnet wird.
5
Die grüne Forderung, dass auch für AsylbewerberInnen das Bundessozialhilfegesetz zur Sicherung ihrer Existenz gelten muss und nicht das abschreckende Versorgungsprinzip der Sachleistungen des Asylbewerberleistungsgesetz, erhalten wir weiter aufrecht. Wir lehnen die im Entwurf enthaltene Verschlechterung, die unbefristete Geltung des Asylbewerberleistungsgesetzes, ab.
6
Die Duldung soll es nach dem Entwurf in Zukunft nicht mehr geben. Es müssen dafür eindeutige und von dem Ermessen der Ausländerbehörden unabhängige Rechtspositionen für diese Menschen geschaffen werden.
7
Die im Entwurf vorgesehene Herabsetzung des Alters für den Kindernachzug auf 12 Jahre greift in das Recht von Familien ein - und der "Zweiklassennachzug" von Kinder von Spitzenkräften bis zum 18. Lebensjahr, während sonst nur ein Anspruch bis zum 12. Lebensjahr besteht, diskriminiert die übrigen Migranteneltern und -kinder.
8
Die Residenzpflicht, d.h. die bisherige Beschneidung der Bewegungsfreiheit von abgelehnten Asylbewerberinnen bzw. anderen ausreisepflichtigen AusländerInnen, muss zurückgedrängt werden. Die in dem Entwurf geplante erhebliche Einschränkung der Bewegungsfreiheit bis hin zu einer drohenden Zusammenlegung und Konzentrierung durch Unterbringung in Ausreisezentren lehnen wir ab.
9
Für einen humanen Umgang mit Härtefällen muss ein adäquates Instrumentarium geschaffen werden (u.a. allgemeine Härtefallregelungen).
10
Eine Regelanfrage beim verfassungsschutz für Flüchtlinge und AsylbewerberInnen diskriminiert nicht nur eine bestimmte Personengruppe und stellt sie unter Generalverdacht, sie wird auch im Rahmen der Terrorismusbekämpfung keinerlei positive Effekte haben. Das gleiche gilt für den Vorschlag, Fingerabdrücke in Personalausweisen und Pässen anzubringen.
11
Fluchtgründe, die erst beim Aufenthalt hier in Deutschland entstanden sind, müssen weiterhin eine Flüchtlingsanerkennung begründen. Alles andere wäre eine Mißachtung der Genfer Flüchtlingskonvention.
Diese Liste zeigt nicht nur, dass es zu erheblichen Verschlechterungen des stauts quo kommen soll, es wird keinerlei Veränderungen geben, welche den Status von Flüchtlingen verbessern. Nach wie vor bleibt die Bundesrepublik Deutschland damit weit hinter völkerrechtlichen Normen zurück. Die Verbesserungen im Bereich der Einwanderung wiegen diese erschreckende Bilanz nicht auf, zumal sie den besonders Schutzbedürftigen, für die wir uns seit jeher eingesetzt haben, keine Vorteile bringen.

Diese Gesetz wird all jene enttäuschen, die uns wegen unserer klaren Ablehnung zum Asylkompromiss, für unser beständiges Eintreten für Menschen- und BürgerInnenrechte und unserer Positionierung auf Seiten von Verfolgten und Schutzsuchenden gewählt haben. Viele unserer WählerInnen und Wähler und unserer eigenen Mitglieder werden eine Zustimmung zu dem jetzigen Gesetzesentwurf nicht mittragen können und wollen. Wir plädieren eindringlich dafür, nicht jetzt und vor dem Hintergrund der Terroranschläge den Gesetzesentwurf von BIM Schily zu verhandeln. Vielmehr sollten wir das Verfahren verschieben und davor eine eingehende Debatte mit der Gesellschaft und den Verbänden führen. Das hat BIM Schily mit seiner eigenmächtigen und vorschnellen Vorlage in der Vergangenheit verhindert.
Mainz, den 21.10.01

Mit grünen Grüßen
Landesvorstand Rheinland-Pfalz
Landesvorstand Thüringen