11. September 2001 und die Folgen
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Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein

Presseinformation Nr. 028.01 / 22.09.2001 ________________________________________________________

Wir wollen den Frieden des 21. Jahrhunderts gewinnen und nicht den Krieg!!

Der Landeshauptausschuss von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Schleswig-Holstein hat auf seiner heutigen Sitzung in Kiel folgenden Beschluss zu den politischen Konsequenzen aus den Terroranschlägen in den USA gefasst:

Die Terroranschläge vom 11 September 2001 in New York und Washington sind ein Verbrechen, für das es keine Rechtfertigung gibt. Wir sind tief betroffen und fühlen solidarisch mit den Opfern dieser Attentate und deren Angehörigen.

Selbstverständlich müssen wir als Deutsche und Europäer die USA bei der kriminalistischen Aufklärung der ungeheuerlichen Verbrechen an Flugpassagieren, an den Menschen im World Trade Center und im Pentagon unterstützen, selbstverständlich bei der Überführung und Aburteilung der Verbrecher und ihrer Hintermänner, selbstverständlich beim Zerreißen ihrer Netzwerke. Aber nicht mit zerstörerischen militärischen Mitteln.

Für eine Völkergemeinschaft weltoffener Demokraten Wir stehen zu unserer Vision einer Völkergemeinschaft weltoffener Demokratien. Dazu muss es die Bereitschaft geben, dem Hass den politischen Boden zu entziehen durch die Förderung von Menschenrechten, Bildung, Ausbildung, Demokratie, Toleranz und internationaler Gerechtigkeit. Die Verwirklichung von sozialer Gerechtigkeit und gleichwertigen Lebensbedingungen weltweit muss eine der Hauptaufgaben zukünftiger Politik werden. Daher muss eine Konsequenz aus den furchtbaren Ereignissen in den USA ein besserer Dialog zwischen den Gesellschaften dieser Welt sein.

Wir wenden uns daher entschieden gegen alle Versuche, die weltweite Betroffenheit auszunutzen, um mit Strategien der Abschottung, der nationalen Borniertheit und Fremdenfeindlichkeit autoritäre Politik zu betreiben.

Gewalt erzeugt Gegengewalt! Der Anschlag zielte auf die Wirtschafts- und Verteidigungsmacht der USA, aber er trifft auch die Vision einer freiheitlichen, offenen, toleranten und multikulturellen Gesellschaft. Auch um diesen Wertekanon zu verteidigen, müssen die Terroristen gefasst und rechtsstaatlich bestraft werden. Selbstverständlich werden wir die USA bei der kriminalistischen Aufklärung der ungeheuerlichen Verbrechen an Flugpassagieren, an den Menschen im World Trade Center und im Pentagon solidarisch unterstützen, ebenso selbstverständlich bei der Überführung und Aburteilung der Verbrecher und ihrer Hintermänner.

Wir warnen aber gleichzeitig vor Militärschlägen gegen Länder, deren Regierungen der Kollaboration mit den Terroristen verdächtigt werden. Bei solchen Vergeltungsschlägen würden unzählige weitere Unschuldige das Leben lassen. Solche Vergeltungsschläge führen zu neuen gewaltsamen Aktionen, sei es von Terroristen, sei es von Seiten der angegriffenen Staaten. Unbedachtes, von Emotionen und den Gedanken der Vergeltung geleiteten Handeln führt in eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt bis hin zum Krieg.

Einklang mit Völkerrecht und Verhältnismäßigkeit! Reaktionen dürfen nur im Einklang mit dem Völkerrecht erfolgen, Verhältnismäßigkeit muss der Maßstab sein. Denn glaubwürdig ist rechtsstaatliche Demokratie nur, wenn sie bei der Ermittlung und Bestrafung von Tätern ihre eigenen Prinzipien nicht verletzt.

Das Völkerrecht deckt Rache nicht ab. Eine davon geprägte Eskalationsstrategie lehnen wir ab. Es ist aber erforderlich, ein gemeinsames, langfristig orientiertes Konzept der Terrorismusbekämpfung unter Berücksichtigung vor allem der Ursachen zu erarbeiten und gemeinsam umzusetzen. Gerade jetzt ist es wichtig, verstärkt zivile und damit langfristig wirksame Konfliktregulierungsmechanismen zu fördern, statt militärische Aufrüstung zu betreiben.

Daher erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie gegenüber dem Bündnispartner USA auf Besonnenheit dringt. Die Feststellung des Bündnisfalles innerhalb der NATO darf keine automatische Weichenstellung in Richtung militärischen Handelns sein. Die Forderung nach uneingeschränkter Solidarität darf nicht die Logik des Einsatzes deutscher Soldaten in einen Krieg sein, wenn die Amerikaner ihn wollen.

Die von uns geforderte Güterabwägung erfordert eine umfassende Strategie nachbarschaftlichen Ausgleichs vor allem mit den Regionen des Nahen und Mittleren Ostens. Sie verlangt eine konsequente Fortsetzung der von Joschka Fischer eingeleiteten Vermittlung im Nahostkonflikt mit dem Ziel, den Kreislauf von Vernichtung, Verletzung, Rache und Vergeltung zu durchbrechen, eine Politik, die in letzter Konsequenz zielgerichtet dem Terrorismus den politischen Boden entzieht. Wir brauchen eine internationale Nahostkonferenz nach dem Vorbild der KSZE unter Beteiligung aller Staaten des nahen Osten.

Keine Ausgrenzung "Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren" (Benjamin Franklin)

Die Bekämpfung des Terrorismus muss ein gemeinsames Anliegen aller freiheitlichen, demokratischen und Menschenrechte achtenden Gesellschaften unabhängig von Herkunft oder Religion sein. Diskriminierungen oder Verdächtigungen gegenüber unbescholtenen Menschen aufgrund deren Religion haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Dennoch muss es in Zukunft möglich sein, extremistische Gruppen unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit zu verbieten. Wir begrüßen, dass die christlichen Kirchen und zahlreiche muslimische Organisationen in Deutschland ihre Zustimmung zur Änderung des Vereinsgesetzes erklärt haben. Keine Religion soll ausgegrenzt werden. Es soll aber verhindert werden, dass Religionen und gläubige Menschen für terroristische Zwecke missbraucht werden.

Keine übereilten Entscheidungen! Es ist jetzt entscheidend, dass keine übereilten Entscheidungen getroffen werden - weder in den USA noch bei uns. Wir warnen davor, dass im Sog der Ereignisse grundlegende Bürgerrechte aufs Spiel gesetzt werden. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und auf Schutz der Privatsphäre dürfen nicht eingeengt werden. Wer sich für die Werte einer zivilen und demokratischen Gesellschaft einsetzt und diese auch im Nahen Osten einfordert, macht sich selbst unglaubwürdig, wenn diese Werte im eigenen Land eingeschränkt werden.

Offene Gesellschaften sind immer auch verwundbare Gesellschaften, in denen es keine lückenlose Sicherheit geben kann. Eine wirksame Bekämpfung des Terrorismus muss überlegt, besonnen und unter strenger Beachtung des rechtsstaatlichen Prinzips der Verhältnismäßigkeit der Mittel erfolgen.

Maßnahmen müssen verhältnismäßig, geeignet und erforderlich sein Der bestürzende Anschlag macht deutlich, dass es auch mit technisch hochausgerüsteten und sehr gut ausgestatteten Geheimdiensten diese Form des Terrorismus nicht immer verhindert werden kann. Wir erkennen an, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus verbessert werden müssen. Hierbei müssen die Maßnahmen aber verhältnismäßig, geeignet und erforderlich sein. Wir erkennen an, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land Angst vor weiteren Anschlägen haben. Wir nehmen das Sicherheitsbedürfnis ernst. Notwendig ist daher eine Debatte über eine Verbesserung der Qualität eines Sicherheitskonzeptes.

Unseren Rechtsstaat zeichnet auch aufgrund der historischen Erfahrungen das Prinzip der Gewaltenteilung aus. Gewaltenteilung und Trennungsgebot müssen daher als Struktur bei der Organisation von polizeilichen Diensten und Geheimdiensten bestehen bleiben.

Forderungen nach Einsätzen der Bundeswehr im Inneren erteilen wir eine Absage. Das Grundgesetz sieht nach den Erfahrungen der NS-Zeit aus sehr wohl erwogenen Gründen eine sehr strikte Trennung von Polizei und Armee vor.

Eine Neufassung des § 129b StGB darf daher keinen neuen Gesinnungstatbestand schaffen, sondern muss sich auf die Bekämpfung terroristischer und krimineller Aktivitäten konzentrieren.

Internationale Zusammenarbeit benötigt rechtsstaatliche Strukturen Wir halten eine verstärkte internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung des Terrorismus für notwendig. Aber auch diese Zusammenarbeit muss rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen. So ist neben dem Ausbau von Organisationen wie Europol dann auch kurzfristig und dringend der Aufbau einer justiziellen Kontrolle und Schaffung von datenschutzrechtlichen Regelungen notwendig. Wir erwarten, dass die Maßnahmen der europäischen Zusammenarbeit den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Gewaltenteilung in Deutschland entsprechen.

Gerade jetzt brauchen wir eine Debatte und eine gesetzliche Grundlage zur Verbesserung der Rechte von Einwandernden, Asylsuchenden und Flüchtlingen. Die Bundesrepublik muss endlich auch nicht-staatliche Fluchtgründe anerkennen.

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BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Landesverband Schleswig-Holstein

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Claudia Jacob
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