Die Stunde der Kassierer

Daß es Bündnis 90/ Die Grünen zur Zeit politisch gar nicht gut geht, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist wohl, daß der Bundesverband in seinem Haushalt für dieses Jahr ein großes Loch hat und nicht absehbar ist, wie entsprechende Defizite, die auch im nächsten Jahr zu erwarten sind, gedeckt werden können. Natürlich hängt das eine mit dem anderen zusammen. Zunächst ganz offensichtlich dergestalt, daß schlechte Politik zu schlechten Wahlergebnissen führt und sich diese in einer geringeren staatlichen Parteienfinanzierung und in einem niedrigeren Spendenaufkommen niederschlagen. Hierbei geht es nicht nur um das allgemeine Spendenaufkommen, das mit der Freude der BürgerInnen an der klugen und lebhaften Politik einer politischen Partei korreliert, sondern auch um das besondere Spendenaufkommen von Abgeordneten auf allen Ebenen, die im Gegensatz zu anderen Parteien bei Bündnis 90/ Die Grünen regelmäßige Beiträge an den Bundesverband und für die Arbeit der Ökofonds und des Internationalen Solidaritätsfonds (ISF) leisten.

Bei Bündnis 90/ Die Grünen gibt es aber nach den bisherigen Erfahrungen noch einen anderen Zusammenhang zwischen politischer Krise und interner Finanzpolitik. Politische Krisen, wie sie sich z.B. in der Wahlniederlage von 1990 offenbarten oder in der jüngsten Serie von Wahlschlappen zum Ausdruck kommen, bringen regelmäßig die schwache Struktur des Bundesverbandes ans Tageslicht. Die Schwäche liegt aber nicht unbedingt in der derzeit so angegriffenen Trennung von Amt und Mandat, sondern mit Gewißheit darin, daß der Bundesverband und sein Apparat personell und finanziell unterbelichtet sind. Hier mag der Hinweis genügen, daß er seit geraumer Zeit über nur zwei Fachreferate verfügt, das Frauenreferat und das Referat für Öffentlichkeitsarbeit. Seit Jahren geplante weitere Referate, wie zum Beispiel für internationale Politik und Beziehungen bleiben angesichts der jüngsten Finanzkrise auf unbestimmte Zeit Zukunftsmusik. In dieser Position der politischen Schwäche gegenüber den mit reichlichem Know-how ausgestatteten Parlamentsfraktionen und der finanziellen Schwäche gegenüber den Landesverbänden und den großen Kreisverbänden, die in den letzten 20 Jahren zum Teil nicht unerhebliche Vermögen angehäuft haben, neigt der Bundesverband dazu, auf finanzielle Krisen mit dem Rotstift zu antworten. Selbst wenn er in Gestalt des Bundesvorstandes und des Bundesschatzmeisters den Zusammenhang zwischen Politik und Finanzen erkennt und für politische Offensiven plädiert, die früher oder später auch wieder mehr Geld in die Kasse bringen, bremsen die LandesschatzmeisterInnen, die das oberste Finanzorgan der Partei, den Bundesfinanzrat beherrschen.

So ist auch in diesen Monaten, in denen der Jahreshaushalt 1999 wegen erhöhter Kosten für den neuen Parteisitz in Berlin, überzogener Budgets für Bundesdelegiertenkonferenzen und verminderter Wahlkampfkostenerstattungen und Spenden ins Defizit geraten ist, mal wieder die Stunde der Kassierer gekommen. In derselben trüben Verfassung wie die meisten Parteimitglieder und Grünen-WählerInnen, wagen sie gar nicht an eine strukturelle Sanierung des Bundesverbandes durch Verbesserung der Einnahmen (höhere Mitgliedsbeiträge, Veränderung des Verteilungsschlüssels zwischen Landesverbänden und Bundesverband) zu denken, sondern gehen den bequemen Weg des Sparens. Sie eicheln sozusagen. Weil man aber beim Sparen mit Interessengruppen aneinandergerät, greift man tunlichst und zuvörderst den schwachen KandidatInnen in die Tasche - und muß sich folgerichtig den Vorwurf gefallen lassen, ein (sozial) unausgeglichenes Sparpaket geschnürt zu haben. Insofern war es kein Wunder, daß der Bundesfinanzrat bei einer Krisensitzung im letzten Juli (Kassierer-)instinktmäßig sofort die Ökofonds und den Internationalen Solidaritätsfonds ins Visier genommen hat. Er hat eine Art Haushaltssperre für diese beiden Titel beschlossen, die aus Abgeordnetenspenden gespeist werden, womit er den ISF für den Rest des Jahres lahmgelegt hat. Insofern die Ökofonds noch über Landesmittel verfügen, sieht es bei diesen nicht ganz so schlimm aus.

Daß dieser Pavlovsche Reflex auf Grund früherer Erfahrungen zu erwarten war, ist kein Trost. Vielmehr ist es besonders besorgniserregend, wenn ausgerechnet in einer Situation der politischen Schwäche traditionell wirksame bündnisgrüne Brücken in die Gesellschaft hinein niedergebrannt werden. Die ehrenamtlichen und hauptamtlichen MitarbeiterInnen der Fonds machen nämlich täglich die Erfahrung, daß diese bei allen Bedenken, die alternative Gruppen und politische Initiativen gegen die Politik von Bündnis 90/ Die Grünen in den Ländern und im Bund haben, wertgeschätzt und geachtet werden als bündnisgrüne Einrichtungen die zuverlässig und konsequent basisorientiert sind.

In der aktuellen Krise ist der Bundesfinanzrat dermaßen verunsichert, daß viele seiner Mitglieder ernsthaft daran denken, die Ökofonds und den Internationalen Solidaritätsfonds ganz abzuschaffen - nur um einen kleinen Teil des Defizits zu decken, ohne Rücksicht auf damit verbundenen politischen Schaden und ohne eine Chance, das strukturelle Problem des Bundesverbandes damit auch nur anzugehen, geschweige es denn zu lösen. Zum Vorreiter dieser kurzsichtigen Sparerei hat sich der Landesschatzmeister von Nordrhein-Westfalen gemacht. Seit Anfang September verbreitet er Entwürfe für einen Antrag zur nächsten Bundesdelegiertenkonferenz des Inhalts, daß der Internationale Solidaritätsfonds ganz aufgelöst werden soll. In diesen Entwürfen werden alle möglichen Alternativen für das Geschäft des ISF phantasiert - von den kommunalpolitischen Vereinigungen über die Heinrich-Böll-Stiftung bis zu diversen staatlichen Einrichtungen auf Landes- und Bundesebene. Keiner der Hinweise auf Instanzen, die die Arbeit des ISF genauso gut machen und damit der Bundespartei 300.000 DM einsparen könnten, ist von großer Sachkenntnis getrübt, weshalb es auch nicht erstaunt, daß das ganze in einem Hinweis auf Joschka Fischer gipfelt: weil Bündnis 90/ Die Grünen den Bundesaußenminister stellen, können sie auf ihren Internationalen Solidaritätsfonds verzichten. Daß im Eifer des dermaßen fuchtelnden Gefechtes ein Landesschatzmeister meint, die Frage stellen zu müssen, "warum der ISF keinerlei Spendeneinnahmen erzielen kann?", ist dann nur noch konsequent. Der ISF ist eine satzungsgemäße Parteieinrichtung. Parteispenden dürfen nicht zweckgebunden, weder für eine Parteieinrichtung noch für deren Projekte, gegeben werden. Wie also sollte der ISF unter diesen Umständen Spenden einwerben?

Während die hier zitierten Antragsentwürfe kursieren, bemüht sich der Vergaberat des Internationalen Solidaritätsfonds den Gruppen, mit denen er in den letzten Jahren zusammen gearbeitet hat, diese erstaunlichen Vorgänge bei Bündnis 90/ Die Grünen bekannt zu machen, hat die Bundestags- und Europaparlamentsabgeordneten informiert und den LandesschatzmeisterInnen geschrieben - nicht zuletzt, um die falsche Behauptung des nordrhein-westfälischen Landesschatzmeisters entschieden zurück zu weisen, es gebe keine Rechenschaftslegung des ISF.

Neben einem kurzen Abriß der Geschichte des ISF dokumentieren wir deshalb an dieser Stelle auch die entsprechenden Briefe.

Von der Galionsfigur zum Stiefkind

In den 14 1/2 Jahren seines bisherigen Bestehens - von Anfang 1985 bis Mitte 1999 - hat der ISF 2.807 Anträge entgegen genommen. In 1.541 Fällen wurden sie positiv beschieden, wenngleich die Bewilligungen meistens kleiner ausfallen mußten als die beantragten Summen.

Für die 1.541 bewilligten Vorhaben in den Ländern der Dritten Welt, Osteuropas und in der Bundesrepublik wurde insgesamt eine Summe von 3.948.000 DM vergeben; im Durchschnitt ca. 2.500 DM/ Projekt.

Im Juli 1999 beschloß der Bundesfinanzrat (BFR) von Bündnis 90/Die Grünen eine Haushaltssperre für den ISF und legte ihn damit für den Rest des Jahres lahm. Darüber hinaus gibt es Überlegungen, den ISF ganz abzuschaffen.

Wie ist es so weit gekommen?

Aus der Taufe gehoben wurde der ISF 1984 dank eines Beschlusses der Bundesdelegiertenkonferenz (BDK), die Erhöhung der Wahlkampfkostenpauschale von den Europaparlamentswahlen desselben Jahre der Dritte-Welt-Bewegung zur Verfügung zu stellen. Es handelte sich um 5,5 Millionen DM. 1985 nahm der ISF mit den Zinsen aus diesem Vermögen die Arbeit auf.

Nachdem das Sondervermögen des ISF in den Kauf eines Parteisitzes investiert worden war und der Fonds Gefahr lief auszutrocknen, beschloß die BDK 1989, das Vermögen des ISF als Kredit an den Bundesverband zu verstehen, der dem Fonds fünf Jahre lang 7% Zinsen für diesen internen Kredit zahlen sollte; also 385.000 DM als reine Vergabesumme (ohne Verwaltungskosten). Außerdem wurde beschlossen, daß der ISF aus den zukünftigen Wahlkampfkostenerstattungen für Europawahlen (erstmals 1989) jeweils 2,5% zusätzlich bekommen sollte.

Nach der Wahlniederlage von Ende 1990 reduzierte die BDK den Haushaltstitel des ISF auf eine Vergabesumme von 250.000 DM, also gegenüber dem Beschluß von 1989 ca. einem Drittel weniger.

1993 ergriff der BFR die Initiative, das tatsächlich nicht mehr vorhandene Sondervermögen des ISF aufzulösen und die Arbeit des Fonds durch einen regulären Haushaltsansatz in Höhe von maximal 300.000 DM einschließlich Verwaltungskosten zu finanzieren, was 1995 auch geschah. Damit war der Anspruch des Fonds auf "sein" Vermögen verwirkt und seine Zukunft abhängig gemacht von den jährlichen Haushaltsberatungen.

Um die Existenz des ISF zumindest ideell besser abzusichern, wurde er im selben Jahr in die Satzung des Bundesverbandes von Bündnis 90/ Die Grünen aufgenommen.

Angesichts von Defiziten im Bundeshaushalt tauchte 1996 der offene Vorschlag auf, den ISF ganz aufzulösen. Im Ergebnis der anschließenden Diskussion empfahlt die BDK, die Arbeit des Fonds langsam an die Heinrich-Böll-Stiftung übergehen zu lassen und kürzte im ersten Schritt auf diesem Weg den Haushaltstitel des ISF auf 250.000 DM. Diese Möglichkeit, den ISF loszuwerden, hat sich als unrealistisch erwiesen. Gleichzeit wurde beschlossen, daß die Mittel des ISF nicht mehr aus dem regulären Haushalt des Bundesverbandes kommen sollten, sondern aus den Spenden von MdB's und MdEP's und zwar aus dem Anteil, der bis dahin ausschließlich den Ökofonds zur Verfügung gestanden hatte. Seither ist der ISF nicht nur abhängig von den jährlichen Haushaltsberatungen, sondern auch vom Spendenverhalten der Abgeordneten. Diese Regelung gilt seit 1997. Nur eineinhalb Jahre später liegt jetzt der Vorschlag wieder auf dem Tisch, den ISF ganz abzuschaffen.

Aus der Gallionsfigur, mit der sich die Partei Mitte der 80er Jahre der internationalistischen und entwicklungspolitischen Szene empfahl, ist ein ungeliebtes Kind geworden, das sang- und klanglos aus der Welt geschafft werden soll.

Neben einem kurzen Abriß der Geschichte des ISF dokumentieren wir deshalb an dieser Stelle auch die entsprechenden Briefe - verbunden mit der Bitte, Euch vor diesem Hintergrund in die Diskussion um den Erhalt des ISF einzumischen.

Ulf Baumgärtner, ISF-Koordination