Uli Cremer:
Rede auf GAL Landesmitgliederversammlung 25.4.99

Ich komme aus einer Generation, die politisch sozialisiert wurde mit der Friedensbewegung Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre. Ich habe damals den Kriegsdienst verweigert und mich in der Bewegung gegen Pershing 2 und Cruise Missiles engagiert.

Es ist bitter, wenn man diese Tage abends im Fernsehen mit ansehen muß, wie Cruise Missiles - zwar ohne Atomsprengköpfe - ein europäisches Land, Jugoslawien, enthaupten und in Schutt und Asche legen. Und daß das Flüchtlingselend nicht geringer, sondern größer wird.

Bitter ist auch, daß das deutsche Kriegskabinett ausgerechnet von einer SPD-GRÜNEN Koalition gebildet wird, die angetreten war, um Friedenspolitik zu machen.

In einer Situation, wo es um die Beteiligung Deutschlands an einem Angriffskrieg ging, haben die GRÜNEN historisch versagt.

Auch wenn ich jemand bin, der Krieg als Mittel der Politik prinzipiell ablehnt, so haben auch viele unseren Antrag unterstützt, die keine Pazifisten sind. Ich glaube, es ist sinnvoller, politische Argumente auszutauschen als Glaubensbekenntnisse.

1. Humanitäre Katastrophe

Erstes erklärtes Ziel der NATO war es, durch die Luftangriffe, die humanitäre Katastrophe im Kosovo, das Flüchtlingselend zu verhindern bzw. zu beenden. Im Ergebnis ist die humanitäre Katastrophe eingetreten. Angestachelt durch die NATO-Bomben haben Serben die Vertreibung der Kosovo-Albaner systematisiert und beschleunigt. Für die brutale Vertreibung tragen die Hauptverantwortung die, die sie durchführen. Und die sitzen in Belgrad oder kommen aus Belgrad. Die Vertreibungsverbrechen müssen gerichtlich untersucht werden. Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

Ich sage aber auch: Es ist Sache der internationalen Kriegsverbrechertribunals in Den Haag und nicht Sache des deutschen Verteidigungsministers, die Urteile zu fällen. Auch international brauchen wir Gewaltenteilung.

Wir wollen nicht nur die Bombardierungen, sondern auch die brutale Vertreibungspolitik beenden.

2. Rambouillet-Unterschrift

Zweites erklärtes Ziel war, die jugoslawische Regierung zur Unterschrift unter den Rambouillet-Vertrag zu zwingen. Heute können wir feststellen: Die Unterschrift ist nicht erfolgt. Statt dessen ist öffentlich geworden, daß der Rambouillet-Vertrag ein politisches Diktat war, das keine Regierung eines souveränen Landes unterschreiben kann. Inzwischen wissen wir, daß ganz Jugoslawien einem Besatzungsstatut unterworfen werden sollte. Die NATO sollte die volle Bewegungsfreiheit in ganz Jugoslawien haben.

3. Serbische Opposition

Die Bomben der NATO haben nicht nur jugoslawische Brücken, Industriebetriebe und Häuser zerstört, sie haben auch die jugoslawische Opposition gegen Milosevic in Schutt und Asche gelegt. Die demokratische Sender und Zeitungen sind verstummt. Die serbische Bevölkerung hat sich hinter dem Milosevic-Regime versammelt.

4. Völkerrecht

Zertrümmert haben die NATO-Bomben auch die internationale Rechtsordnung. Das Völkerrecht wurde gebrochen, die deutsche Verfassung, die einen Angriffskrieg verbietet, mit Füßen getreten. Die GRÜNEN und SPD-Regierungsmitglieder und Abgeordneten haben obendrein den Koalitionsvertrag gebrochen. Ganz zu schweigen von den Parteiprogrammen.

Was im Kosovo geschieht, ist jedoch nicht zufällig. An diesem Wochenende hat die NATO eine neue Strategie verabschiedet, in der die Selbstmandatierung als Prinzip verankert worden ist.

Damit ist das Gewaltmonopol der UNO ausgehebelt. Die UNO ist entscheidend geschwächt worden. Dieser neuer NATO-Strategie hat Außenminister Fischer zusgestimmt.

Ich möchte sagen, das Prinzip "Legal - illegal - scheißegal" mag zwar in der Gründungsphase der GRÜNEN Partei seinen Charme gehabt haben. Es ist aber untauglich als Prinzip in der internationalen Politik!


5. Fischer-Plan

Vor 10 Tagen hat Fischer einen Friedensplan vorgelegt, der den Krieg beenden helfen soll. Ich meine, dieser Plan ist untauglich, um dieses Ziel zu erreichen. Er ist ein Neuaufguß des Rambouillet-Diktats. Er ist alter Wein in neuen Schläuchen.

Die UNO wird keineswegs wieder ins Zentrum gerückt. Ihre Rolle soll sich einzig und allein darauf beschränken, die NATO-Aktivitäten, die ohnehin geplant sind, zu legitimieren. Vor der UNO soll die Weltwirtschaftsmächte in der G-8 mit der Sache befaßt werden. Die UNO soll nicht die Schlüsselrolle in der Konfliktvermittlung erhalten, sondern sie soll instrumentalisiert werden!

Vorgesehen ist auch weiterhin ein Kapitel-VII-Mandat für die Truppen, die den Waffenstillstand überwachen sollen. Es geht also um einen Kampfeinsatz, bei dem politischer Willen gebrochen werden soll. Die Truppen, die zum Einsatz kommen sollen, sollen im wesentlichen NATO-Truppen sein, also Truppen einer Kriegspartei. Es wären also Besatzungstruppen. Überwachungseinheiten müssen jedoch neutral sein, sie können nicht aus den NATO-Staaten USA, GB, F und D kommen.

Im übrigen meinen wir, wenn im Friedensprozeß die Interessen beider Bürgerkriegsparteien ausbalanciert werden und nicht eine Seite übervorteilt wird, ist ein UN-Mandat nach Kapitel VI, also mit Zustimmung beider Parteien angemessen.

Der gesamte Plan beruht auf der Illusion, daß die NATO diesen Konflikt selbst schlichten kann. Die NATO ist jedoch Kriegspartei geworden. Wir brauchen jedoch eine neutrale Vermittlung. Das kann die NATO nicht sein. Auch die deutsche Bundesregierung kann nicht vermitteln, denn sie schießt mit. Solange das der Fall ist, sind deutsche Friedenspläne wenig aussichtsreich. Wichtiger wäre es, neutrale Vermittler zu stärken und nicht zu demontieren, wie es gerade wieder mit den Russen gemacht worden ist.

Ich fürchte, daß der Fischer-Plan nur eine innenpolitische Wirkung hat. Er suggeriert: die Regierung hat alles versucht. Wenn es dann um Bodentruppen geht, ist der Boden bereitet.


6. Nicht-militärische Konfliktlösung

Laßt mich noch zu dem Argument etwas sagen, daß die NATO alle politischen Möglichkeiten ausgenutzt hätte. Wenn es so ist, wie kommt es dann, daß erst in der letzten Woche ein EU-Ölembargo gegen Jugoslawien verhängt worden ist? Warum hat man sich nicht mit Rußland, das der Hauptenergielieferant von Jugoslawien ist, auf eine solches Energieembargo verständigt? Und warum wird die Überlegung, mit wirtschaftlichen Anreizen zu arbeiten, erst jetzt mit dem Marshall-Plan für den Balkan aufgegriffen? Jetzt, wo alles zerstört ist?

Ich gebe gerne zu, daß ein EU-Wirtschaftsembargo gegen Jugoslawien bereits von 12 Monaten verhängt wurde. Es war aber die deutsche Bundeswehr, die auch danach noch ihre Uniformen in Serbien schneidern ließ. Heute sind wir deswegen in der perversen Situation, daß die deutsche Bundeswehr ihre eigenen Kleiderfabriken bombardiert. Dieser Zynismus ist kaum zu überbieten. Soviel zur Anwendung nicht-militärischer Mittel.

Wer die Memoiren von Richard Holbrooke über den Dayton-Friedensprozeß gelesen hat, weiß, daß auch damals das Embargo Milosevic zur Unterschrift bewogen hat.


7. Alternativen

Wenn wir den Krieg beenden wollen, brauchen wir eine neutrale Vermittlung, neutrale internationale Einheiten zur Überwachung. Eine Lösung scheitert nicht nur an der Sturheit von Milosevic, sondern auch an der Sturheit der NATO. Ich meine, die NATO sollte politische Größe zeigen und den ersten Schritt zu. Das wäre die bedingungslose Beendigung ihres Luftkrieges. Und natürlich muß auch Milosevic seine Vertreibungspolitik sofort beenden.

Der Krieg fängt nicht erst mit Bodentruppen an, er ist schon jetzt in vollem Gange. Es kann nicht sein, daß man, weil man nicht mehr weiter weiß, den Marsch auf Belgrad vorbereitet.

Damit die NATO den ersten Schritt tut, muß Deutschland vorangehen. Nicht wie im Fischer-Plan, von anderen etwas verlangen, sondern selbst etwas tun! Deutschland hat es selbst in der Hand, die Beteiligung am NATO-Angriffskrieg zu beenden. Der Rückzug der Tornados aus Italien und der Rückzug der Bodentruppen aus Mazedonien würden Raum schaffen für eine internationale Verhandlungslösung.

Laßt mich zum Schluß noch ein Wort zu den Flüchtlingen sagen. Gerade weil Deutschland Mitverantwortung für den Krieg und damit auch für die Flüchtlingskatastrophe trägt, müssen wir die Verantwortung für die Folgen übernehmen. Wir brauchen eine großzügige Aufnahme von Flüchtlingen. Das europäische Geschachere um Quoten ist unerträglich. Und es ist auch klar, daß die Flüchtlinge längere Zeit bei uns bleiben. Denn der NATO-Krieg, mit dem Einsatz von uranhaltigen Geschossen, mit der Bombardierung von Chemiefabriken und Erdölraffinerien hat schon jetzt zu einem ökologischen Desaster in der Region geführt. In so ein Gebiet darf man Flüchtlinge nicht einfach zurückschicken.

Und: Wer Flüchtinge im Kosovo selbst versorgen will, muß aufhören zu bombardieren.

Laßt uns als GRÜNE zurückfinden zu unseren friedenspolitischen Wurzeln. Bündnisgrün statt Olivgrün!