Stuttgarter Zeitung
26.04.1999

Baden-Württembergs Grüne zum Thema Krieg und Frieden
Soviel ist sicher: Die Diskussion geht weiter

Die Entscheidung der baden-württembergischen Grünen über ihre Position zum Kosovo-Krieg hat einen überwunden geglaubten Konflikt wiederaufleben lassen: den Streit zwischen Fundis und Realos.

Von Klaus Fischer

Es klang, als bäte die Bonner Staatssekretärin Uschi Eid um Entschuldigung für die Politik der Bundesregierung: ¸¸Wir wollen uns mit militärischen Aktionen nicht schuldig machen!'' Fast hilflos klang ihre Erklärung, weshalb es in der Koalition trotzdem Zustimmung für die Bombardements der Nato gegeben habe. Der Militäreinsatz sei ¸¸einfach notwendig geworden - zur Verhinderung von Völkermord''. Der Satz hing noch schwer im Saal, da wurde die Staatssekretärin jäh vom Mikrophon verdrängt. Ein Mitglied des Parteitagspräsidiums forderte die Delegierten auf, unverzüglich den Saal zu verlassen. Ein anonymer Anrufer hatte eine Bombendrohung
ausgesprochen.

Zu diesem Zeitpunkt, es war 19.43 Uhr, hatte der Parteitag der baden-württembergischen Grünen bereits seit viereinhalb Stunden über Krieg und Frieden diskutiert. Im Saal herrschte Hochspannung. Nie hatte man Grüne derart diszipliniert erlebt, aber ein Ausbruch der Emotionen, ein offener Krach wäre keine Überraschung gewesen. Anlaß dazu hätte es durchaus gegeben, schließlich fehlte es nicht an leidenschaftlichen Appellen wie etwa jenem des Karlsruhers Harry Block, der seine Partei aufforderte, ¸¸nein zu diesem Krieg'' zu sagen und
der Bonner Koalition die Gefolgschaft zu versagen. Die Erregung, mit der die Delegierten der Debatte folgten, war auch gleichsam mit Händen zu greifen, doch zur Entladung kam es nicht. Und nach der durch die Bombendrohung erzwungenen Zwangspause war auch die Spannung verflogen.

Mehr als eine Stunde lang durchsuchte die Polizei, zum Glück erfolglos, die Ulmer Donauhalle nach verdächtigen Gegenständen, während die Delegierten in der Abendkälte geduldig darauf warteten, die unterbrochene Sitzung fortsetzen zu können. Endlich wurde Entwarnung verkündet, der Parteitag
nahm seinen Fortgang, und Uschi Eid konnte ihre Rede fortsetzen. ¸¸Wer kann denn Interesse daran haben, uns zu bedrohen, wenn wir um die richtige Lösung ringen?'' fragte sie. Eine Frage, die unbeantwortet blieb. Das Ringen um die richtigen Lösungen beherrschte die Delegiertenkonferenz über alle drei Tage hinweg. Natürlich stand das Thema Kosovo im Mittelpunkt, und keineswegs nur wegen der Außenwirkung, auf die eine selbstbewußte Regierungspartei, als die sich die Grünen inzwischen darstellen, wohl zu achten weiß. Aber
nachdem mehr als zwei Dutzend Redner fünf Stunden über Krieg und Frieden diskutiert und alle einschlägigen Argumente für und wider hinreichend variiert hatten, waren sie offenbar erschöpft.

Selbst der erwartete Streit über die zu verabschiedende Resolution blieb aus - nicht zuletzt aufgrund einer geschickten Regie, die dafür gesorgt hatte, daß der Landesvorstand und der Kreisverband Stuttgart zwei inhaltlich nahezu deckungsgleiche Vorschläge eingereicht hatten. Jetzt galt es nur noch, die wesentlichen Passagen aus beiden Papieren zusammenzuführen, und der Kompromiß, der auf eine Unterstützung der Bonner Regierungspolitik und des Friedensplans von Außenminister Joschka Fischer hinausläuft, war gesichert. Er wurde von 125 Delegierten befürwortet; auf den Gegenantrag, der auf eine einseitige Beendigung des
Nato-Bombardements zielte, entfielen 84 Stimmen. Unmittelbar nach der Abstimmung rief der Präsident den nächsten Tagesordnungspunkt auf, der einer Reform der Parteistruktur gewidmet war. Die Grünen beschäftigten sich wieder mit sich selbst.

Zumindest bis zum Nachmittag des folgenden Tages, als die Wahl der neuen Parteispitze anstand. Für das den Frauen zustehende Amt der Vorsitzenden waren zwei Kandidatinnen nominiert, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: Die amtierende Vorsitzende Monika Schnaitmann wurde von Sylvia Kotting-Uhl herausgefordert. Die bekennende Linke, mit einem ausgeprägten Widerspruchsgeist ausgestattet und nicht
gerade als enge Freundin der Vorsitzenden Schnaitmann bekannt, war schon im Vorfeld des Parteitags mit der
Forderung nach einer sofortigen Beendigung des Nato-Bombardements hervorgetreten, nannte Joschka
Fischers Friedensplan einen ¸¸Fehler'' und gehörte zu den Unterzeichnern einer Resolution, in der die Bombardierung als ¸¸das falsche Mittel'' bezeichnet wurde. Ihre Position war also eindeutig. Demgegenüber hatte Monika Schnaitmann in der Kosovo-Frage einen unentschiedenen Kurs gesteuert. Auch sie hielt das Bombardement stets für eine ¸¸folgenschwere Fehlentscheidung'', räumte aber auch ein, daß sie keine
Alternative kenne. Also setzte sie ihre vage Hoffnung auf einen Erfolg von Fischers Friedensplan, wobei sie nicht verschwieg, daß sie mit dieser Entscheidung auch die Absicht verband, ein Scheitern der Bonner Koalition zu verhindern.

Frau Schnaitmann repräsentierte damit, wie tags zuvor eindrucksvoll bestätigt, die Mehrheit des Landesverbands, auch wenn etliche Delegierte die Entscheidung mehr mit dem Verstand als mit dem Herzen gefällt haben dürften. Trotzdem - oder gerade deshalb - war nicht auszuschließen, daß der Parteitag bei der Vorsitzendenwahl anders votieren würde, und sei es nur aus purem Trotz oder um seine Unabhängigkeit zu
demonstrieren, vielleicht auch, um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, man habe um der Parteiräson willen seine innersten Überzeugungen verraten.

Es kam aber ganz anders. Frau Kotting-Uhl, die sich als erste vorzustellen hatte, widmete ihre Bewerbungsrede nur einem Thema: der Position der Partei zum Krieg im Kosovo. Kurz und prägnant stellte sie noch einmal klar, weshalb sie die Luftschläge der Nato ablehnt und den Beschluß des Parteitags dazu für falsch hält. Gleichwohl respektiere sie ihn als Mehrheitsentscheid, versicherte sie - aber mittragen könne sie ihn nicht. Und deshalb ziehe sie ihre Bewerbung zurück.

Damit war die Wiederwahl von Monika Schnaitmann so gut wie gelaufen. Für sie galt es jetzt nur noch, auf die
Überraschung angemessen zu reagieren, und sie tat das auf ihre eigene Weise, sachlich und emotional zugleich. Ihr Ziel, versicherte sie, sei nicht nur, Joschka Fischer zu stärken und seinen Friedensplan zu unterstützen: ¸¸Das ist zu wenig.'' Vielmehr wolle sie alles daran setzen, die Kluft zu überwinden, die zwischen der Regierung, der Parteiführung und der Basis der Grünen entstanden sei. ¸¸Die Auseinandersetzung muß weitergehen'', sagte sie. Als ob es dazu einer Aufforderung bedürfte.