© DIE WELT, 21.4.1999

Der Krieg Grün gegen Grün

Der Kosovo-Einsatz spaltet die Partei: Die Realos wollen Milosevic entwaffnen.
Die Fundis geißeln den „Nato-Angriffskrieg".
Der Parteifrieden steht auf dem Spiel. Und die rot-grüne Koalition

Von Karl-Ludwig Günsche

Kaum hat Joschka Fischer das Wort ergriffen, übertönt ein schrilles Trillerpfeifenkonzert seine Rede. 14 Uniformierte
marschieren unter „Links, zwo, drei"-Rufen aufs Podium. „Kriegstreiber" gellt es aus dem Auditorium. Die Uniformierten
drängen dem überraschten und hilflos wirkenden Politiker einen „Koffer für Joschka" auf ­ mit Stahlhelm, Stiefel und
Marschproviant. Ein Transparent erläutert den Sinn der Aktion: „Gestellungsbefehl für Fischer & Co."

Die gespenstische Szene spielte sich am 3. Dezember 1995 in der Bremer Stadthalle ab, auf dem mit Spannung erwarteten Parteitag, bei dem die Grünen über ihre Haltung zum Bosnien-Krieg und die Beteiligung der Bundeswehr debattierten. Mancher in der grünen Führungscrew, der das Spektakel damals miterlebte, fürchtet, daß es beim Sonderparteitag am Himmelfahrtstag in Hagen zu einem ähnlichen Eklat kommen könnte, wenn es um die Kosovo-Politik geht. Dort wird es nach dem Urteil grüner Abgeordneter ähnlich hart zur Sache gehen wie vor dreieinhalb Jahren in Bremen. Nur wenn der zum Außenminister aufgestiegene Joschka Fischer in Hagen die Mehrheit der Delegierten hinter sich bringe, werde die rot- grüne Koalition Bestand haben.

Doch die Fronten bei den anscheinend durch den Glanz der Regierungsbeteiligung weichgespülten Bündnisgrünen haben sich
zunehmend verhärtet, seit am 24. März der erste Bundeswehr- Tornado zum Einsatz in Jugoslawien abgehoben hat. Die grüne
Basis hat ihr friedensbewegtes Gewissen wiederentdeckt. Der Riß geht quer durch die Partei. Mancher, der damals ­ wie die
Verteidigungsexpertin Angelika Beer ­ bei den Linken war, steht heute im Fischer-Lager. Der außenpolitische Fundi Ludger Volmer, der damals mit Zollbooten und einer dem Auswärtigen Amt unterstellten Polizeitruppe gegen Slobodan Milosevic zu Felde ziehen wollte, vertritt heute als Staatsminister nahezu bruchlos den Nato-Kurs. Und Trittin, 1995 der Hauptkontrahent Fischers beim Bremer Parteitag, ist nach der Beobachtung seiner Parteifreunde nach außen hin zwar bewußt loyal. Intern habe er jedoch erste vorsichtige Kritik am Regierungskurs artikuliert.

Der Krieg Grün gegen Grün spielt sich ­ soweit er offen ausgetragen wird ­ vorwiegend im Internet ab. Dort artikuliert sich
alles, was sich bei den Grünen gegen den Kurs der Bundesregierung und damit gegen den grünen Vormann Fischer positioniert. Dort fordert der Basisgrüne Peter Rath unverblümt „Raus aus der Kaschmir-Koalition". Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter erläutert „Warum der Pazifismus nicht tot ist" und ein grüner Kreisverband nach dem anderen verlangt: Stoppt die Nato-Angriffe! Die Lübecker Grünen fordern die grünen Regierungsmitglieder und Bundestagsabgeordneten, die für den Militäreinsatz gestimmt haben, kategorisch auf, ihre Ämter niederzulegen. Der Kreisverband aus dem Norden kündigt an, daß er keine müde Mark für den Europawahlkampf zur Verfügung stellen, sondern die dafür vorgesehenen Mittel an die Antikriegsbewegung spenden will, Die Drohung aus Lübeck: „Sollte auf dem Sonderparteitag am 13. Mai der Kurs der Parteispitze bestätigt werden, soll geprüft werden, inwieweit der Kreisverband die Gesamtpartei verläßt und sich lokal neu formiert."

Ein Gradmesser für den wachsenden innerparteilichen Widerstand gegen den Regierungskurs ist ein Aufruf der grünen
Antikriegsinitiative. Am 15. April hatten ihn 917 Mitglieder, Abgeordnete und Funktionäre unterzeichnet. Vier Tage später
wurden schon über 1000 vermeldet. Tendenz: weiter steigend. Zum Eklat wurde der Antikriegsaufruf durch die Unterschrift der
Parlamentarischen Staatssekretärin Gila Altmann. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye ­ auch in diesem Fall Sprachrohr seines Kanzlers ­ forderte sie postwendend zum Rücktritt auf. Auch die grüne Parteiführung signalsierte der widerspenstigen Abgeordneten dezent, daß sie gehen müsse, wenn sie den Regierungskurs nicht mehr mittragen könne. Doch sie blieb hartleibig: Sie habe „überhaupt keine Veranlassung", ihr wohldotiertes Regierungsamt aufzugeben, verkündete sie am Dienstag. SPD-Fraktionschef Peter Struck bemerkte dazu nur süffisant: „Parlamentarische Staatssekretäre werden vom zuständigen Minister ernannt und auch entlassen. Warten wir mal, bis Trittin zurückkommt."

Jürgen Trittin kommt am Sonntag aus den USA zurück. Bereits vor seiner Abreise hatte er seine Staatssekretärin wegen der
Unterschriftenaktion zur Rede gestellt. Die Nerven sind gespannt, das zeigte Trittin auch gestern: Um 4.19 Uhr verbreitete die
Nachrichtenagentur dpa, der Umweltminister habe bei einem Vortrag in Washington die Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien als
Fehler bezeichnet. Diese Fehlentscheidung müsse so schnell wie möglich korrigiert werden. Doch schon kurz nach zehn Uhr ­ in
Washington war es gerade mal vier Uhr in der Nacht ­ dementierte Trittins Sprecher, Michael Schroeren: „Der Minister steht zum Kurs der Bundesregierung in der Kosovo-Frage." Aufatmen auch beim Koalitionspartner SPD.

Die Sozialdemokraten beobachten die Entwicklung bei den Grünen mit Argusaugen, auch weil sie einen Schneeballeffekt in den
eigenen Reihen befürchten. Die bayerische SPD hat bereits als erster Landesverband eine Feuerpause im Kosovo verlangt. Wenn nun Trittin als erster Bundesminister offen ins Lager derer gewechselt wäre, die das Ende der Nato-Einsätze fordern, wäre der Krach unausweichlich geworden.

Der Countdown zum Parteitag läuft. Ursprünglich hatten die Grünen ihren Parteikonvent so spät angesetzt, weil sie ­ wie auch die
Bundesregierung ­ gehofft hatten, bis dahin werde Milosevic eingelenkt haben und Joschka Fischer könne sich den Delegierten
als erfolgreicher Außenminister präsentieren. Doch je länger die Bombardierungen andauern, desto größer wird der Widerstand: Die ursprüngliche strategische Absicht ist zur Milchmädchenrechnung geworden. „Wir zittern uns dem Parteitag näher, weil uns die Mehrheiten abhanden kommen könnten, je länger der Krieg dauert", ahnt ein Realo. Denn auch der Parteivorstand der Grünen hat inzwischen eine vorsichtige Absetzbewegung eingeleitet. Anfang der Woche plädierte er erstmals für einen einseitigen
befristeten Waffenstillstand. Fischer und Fraktionschefin Kerstin Müller widersprachen dem eigenen Parteivorstand prompt.

Doch das alles sind Scharmützel im Vorfeld. In Hagen wird es ­ wie einst in Bremen ­ um Fischer und Trittin gehen. Trittin hält sich nach Einschätzung in Parteikreisen als „Retter in der Not" bereit. Denn während Fraktionschefin Kerstin Müller noch optimistisch prognostiziert, die Grünen seien in der Kosovo-Frage zwar gespalten, sie würden sich aber deswegen nicht spalten, will Vorstandssprecherin Antje Radcke auch dies nicht ausschließen. Sie orakelte nach einer Parteiratssitzung bereits von Abspaltung und Parteiaustritten.

Für Fischer geht es in Hagen wieder einmal um alles oder nichts: Wird er, dessen eigene Familie am Ende des Zweiten Weltkriegs ihre ungarische Heimat verlassen mußte, der die Grauen des Balkan-Kriegs und das Flüchtlingselend mit eigenen Augen gesehen und sich unter diesem Eindruck gewandelt hat, die Delegierten überzeugen können? „Es steht Spitz' auf Knopf",
rechnet ein Spitzengrüner. Eine Niederlage Fischers wäre auch eine persönliche Tragödie dieses Mannes, der seine Partei wie
kein anderer zur Regierungsbeteiligung in Bonn geradezu geprügelt hat, dessen graues, zerfurchtes Gesicht zum Spiegelbild seiner
eigenen Zerrissenheit geworden ist. Ähnlich glaubhaft wie Joschka Fischer verkörpert nur noch eine grüne Politikerin den inneren
Zwiespalt dieser Partei: die zum linken Flügel gerechnete Verteidigungsexpertin Angelika Beer, die in der grünen Fraktion zur
treuesten Stütze Fischers geworden ist. Sie bekennt sehr offen, was viele in der grünen Fraktion fühlen, die Fischer und seinen
Kurs stützen: „Ich bin natürlich zunehmend verzweifelt. Aber ich habe keine Zweifel. Ich weiß keinen anderen Weg."

Die Grünen streiten im Internet:

http://www.basisgruen.de

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