Fachbereich Finanzen / Wirtschaft / Soziales

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"Grundsicherung im Alter" ist Etikettenschwindel

Daniel Kreutz

In der herrschenden Renten-Diskussion ist immer wieder von einer "sozialen Grundsicherung im Alter" die Rede. Es wird suggeriert, dabei handele es sich um eine Maßnahme zur wirksamen Bekämpfung von Altersarmut. Die Schaffung einer solchen "Grundsicherung im Alter" erscheint daher als ein "positives" Reformelement, das zumindest die schlimmsten Auswirkungen der beabsichtigten Senkung des GRV-Rentenniveus kompensieren könne. Vor diesem Irrtum ist zu warnen.

Über die Schaffung einer "bedarforientierten sozialen Grundsicherung" wird in Deutschland seit Mitte der 80er Jahre diskutiert. Die aus dieser Diskussion hervorgegangenen Konzepte belegen bei aller Verschiedenheit im Einzelnen, dass dabei insbesondere auch das Ziel einer deutlichen Verbesserung des unzureichenden Mindestsicherungsniveaus der Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) im Mittelpunkt steht. Diese Zielsetzung ist unvermeidliche Folge der langjährigen Kritik an dem Umstand, dass das Sozialhilfeniveau infolge wiederholter sparpolitischer Eingriffe so weit abgesunken ist, dass die Zielsetzung des BSHG, "die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht", verfehlt wird. Sachverständige haben wiederholt darauf hingewiesen, dass das Regelniveau der Sozialhilfe um bis zu 30% zu niedrig sei. Gefordert wird daher u.a. eine zeitgemäße Neubestimmung des "sozio-kulturellen Existenzminimums" als Grundlage des tatsächlich zu deckenden Bedarfes.

Die Bundesregierung hat dagegen frühzeitig deutlich gemacht, dass sie einer "Grundsicherung im Alter" das gegebene Niveau der Sozialhilfe zu Grunde legt. Damit aber wird das Reformprojekt "Grundsicherung" einer tragenden konzeptionellen Säule beraubt, nämlich eines Leistungsniveaus, dass als wirksamer Schutz vor Einkommensarmut und dadurch bedingte soziale Ausgrenzung gelten kann. Die Umetikettierung des heutigen Sozialhilfeniveaus zum künftigen "Grundsicherungs"niveau zementiert damit gerade eines der gravierendsten Probleme, zu dessen Lösung das Reformprojekt "bedarfsorientierte soziale Grundsicherung" entwickelt worden war.

Während die sozialreformerischen Konzepte auf eine Weiterentwicklung des sozialen Mindestsicherungssystems (Sozialhilfe) für alle einkommensarmen Menschen zielten, focussiert die Bundesregierung (bereits mit dem Koalitionsvertrag 1998) die "Grundsicherung" ausschließlich auf den Personenkreis der älteren Menschen und damit auf den Personenkreis, der unter allen Altersgruppen am geringsten von Einkommensarmut betroffen ist. Damit knüpft sie scheinbar an Diskussionen der 80er Jahre über die "schrittweise" Einführung einer sozialen Grundsicherung an, wo - je nach interessenpolitischem Schwerpunkt - als "erster Schritt" eine Grundsicherung bei Erwerbslosigkeit (z.B. einige Gewerkschaften) oder im Alter (z.B. Graue Panther/Trude Unruh) gefordert wurde.

Die Einführung einer Grundsicherung mit deutlich verbessertem Leistungsniveau nur für einen (kleinen) Teil der Armutsbevölkerung würde allerdings unvermeidlich auf erhebliche Gerechtigkeits- und damit Legitimierungsprobleme stoßen. Es ist nicht begründbar, warum etwa bedürftige alte Menschen erheblich besser gestellt werden sollen als
Alleinerziehende, Erwerbslose oder die erschreckend hohe Zahl der Kinder und Jugendlichen im Sozialhilfebezug. Somit entfaltet die "Grundsicherung im Alter" eine innere Logik, die substanzielle Verbesserungen gegenüber dem Leistungsniveau der Hilfe zum Lebensunterhalt ausschließt.

Indem aus Regierungskreisen die Erwägung, bedürftigen alten Menschen die Inanspruchnahme von Sozialhilfe dadurch zu erleichtern, dass auf die Heranziehung unterhaltspflichtiger Kinder verzichtet wird und die einmaligen Leistungen pauschaliert werden, als "Grundsicherung" verkauft wird, wird der bisherige Reformbegriff "Grundsicherung" inhaltlich
entkernt und tendenziell in sein Gegenteil verkehrt. Zudem kann eine Pauschalierung von Sozialhilfeansprüchen nur allzu leicht dazu führen, bisherige höhere Leistungsansprüche im Einzelfall zu kappen und selbst die unzureichende sozialhilferechtliche "Bedarfsdeckung" im Einzelfall zu verfehlen. Dies wäre erst nach Vorlage konkreter Daten berechenbar.

Überdies sollte nicht übersehen werden, dass die beabsichtigte Absenkung des Rentenniveaus einen gleichsam "sachzwangartigen" Druck zu einer weiteren Absenkung des Niveaus der Hilfe zum Lebensunterhalt entfalten wird. Denn zwischen Renten- und Sozialhilfeniveau besteht zwar kein gesetzliches, aber doch ein faktisches ("moralisches") Abstandsgebot, das sich aus dem "Vorrang" der Sozialversicherung vor der Sozialhilfe herleitet. Wenn es sich auch mit dem zukünftig abgesenkten Rentenniveau noch "lohnen" soll, möglichst langjährig in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert zu sein, müssen damit im lebenswirklichen Regelfall Renteneinkommen erzielt werden, die oberhalb des
Sozialhilfeniveaus liegen. Kürzt man die Renten, werden früher oder später Forderungen nach Absenkungen des Sozialhilfeniveaus laut werden. Nach bisheriger Erfahrung muss auch damit gerechnet werden, dass den Kommunalen
Spitzenverbänden, die in der Rentendiskussion bereits über "erhebliche Mehrkosten" durch zusätzliche sozialhilfeberechtigte RentnerInnen klagen, Kürzungen bei der Sozialhilfe als "Kompensation" geboten werden.

Zweifelsfrei würde ein Verzicht auf die Heranziehung unterhaltspflichtiger Kinder eine wesentliche Ursache der Nicht-Inanspruchnahme von Sozialhilfe durch alte Menschen beseitigen und ist in so weit positiv zu bewerten. Aber nochmals: Mit dem sozialreformerischen Projekt einer bedarfsorientierten Grundsicherung hat eine derartige sozialhilferechtliche Verbesserung für einen kleinen Teil der Armutsbevölkerung nichts zu tun!

Daniel Kreutz
Brüsseler Str. 12
50674 Köln
fon: 0221 2830372
fax: 0221 2830372
mailto:daniel.kreutz@bigfoot.de

 

Reaktion

> In der herrschenden Renten-Diskussion ist immer wieder von einer
> "sozialen Grundsicherung im Alter" die Rede. Es wird suggeriert, dabei
> handele es sich um eine Maßnahme zur wirksamen Bekämpfung von
> Altersarmut. Die Schaffung einer solchen "Grundsicherung im Alter"
> erscheint daher als ein "positives" Reformelement, das zumindest die
> schlimmsten Auswirkungen der beabsichtigten Senkung des GRV-Rentenniveus
> kompensieren könne. Vor diesem Irrtum ist zu warnen.
>

In diesem Punkt sind wir unterschiedlicher Meinung. Um
Missverstaendnisse zu vermeiden: Auch ich faende die Einfuehrung
einer "Bedarfsorientierten Grundsicherung" bestenfalls eine second
best Loesung, haette sie aber trotzdem fuer eminent wichtig
gehalten.

Wenn ich das richtig sehe, sind zwei wesentliche Argumente:
1) das zu geringe Niveau = Sozialhilfeniveau
2) die Einfuehrung einer sozialen Grundsicherung im Alter wuerde
zu einer Besserstellung einer armen Gruppe gegenueber anderen
armen Gruppen fuehren, die nicht gerechtfertigt ist

Es ist richtig, dass in das Niveau der Grundsicherung nicht
veraendert wird. Aber gerade aus dem unter 2) genannten
Gruenden ist das auch richtig so. Wenn das
Grundsicherungsniveau erhoeht werden sollte, dann fuer alle.
Fuer wichtiger als die Erhoehung des Grundsicherungsniveaus halte
ich aber, dass es tatsaechlich eine Grundsicherung fuer alle gibt.
Ich wuerde es fuer einen wirklich grossen Schritt halten, wenn alle
Menschen in Deutschland zumindest ein Einkommen auf dem
Sozialhilfeniveau haetten. Dies ist allerdings nicht der Fall. Es gibt
mindestens so viele Menschen, die ein Einkommen unter dem
Sozialhilfeniveau haben, wie Menschen, die Sozialhilfe beziehen.
Moeglicherweise sind es sogar doppelt so viele. Ich halte es fuer richtig
zunaechst einmal fuer diese eine Grundsicherung zu schaffen. Wichtig ist,
dass alle die beduerftig sind, diese Grundsicherung auch erhalten.

Die Schaffung einer solchen Grundsicherung stoesst aber auf
grosse Widerstaende in allen Parteien und ist leider nicht
mehrheitsfaehig. Anders sieht das bei der Grundsicherung im Alter
aus. Deshalb halte ich die Einfuehrung einer Bedarfsorientierten
Grundsicherung im Alter aus realpolitischen Gruenden als ersten
Schritt hin zu einer flaechendeckenden Grundsicherung fuer
sinnvoll. Etliche Argumente (die zum grossen Teil bei naeherer
Betrachtung auch fuer die allgemeine Grundsicherung nicht ziehen)
sind gegen eine Grundsicherung im Alter absolut unhaltbar. Erstens
kann schlecht argumentiert werden, dass alte Menschen die
Grundsicherung nicht verdienen. Zweitens zieht das Argument der
hohen Kosten nicht. Die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter
wuerde etwa 3 Mrd. DM kosten. Gleichzeitig wuerden etwa 1,5 Mrd.
bei der Sozialhilfe eingespart, die die Kommunen entlasten
wuerden. Darueber hinaus ist die Durchfuehrung bei RentnerInnen
relativ einfach. Die meisten bekommen eh eine Rente mit der die
Grundsicherung zusammen ausgezahlt werden koennte. Die
Rententraeger haben meist alle oder zumindest fast alle wichtigen
Informationen, um die Beduerftigkeit festzustellen usw. Die
Argumente gegen eine Grundsicherung im Alter sind wirklich relativ
leicht auszuhebeln. Schon deswegen ist es absolut unverstaendlich,
warum die Gruenen und die SPD so frueh auf die Forderung
verzichtet haben.

Nachdem die Grundsicherung im Alter eingefuehrt waere, meine
ich, haette dann die Diskussion ueber eine Ausweitung auf andere
Gruppen beginnen koennen. Naechste Schritte waeren eine
bedarfsorientierte Grundsicherung bei Arbeitslosigkeit und ein
bedarfsdeckendes Kindergeld gewesen. Aber nicht nur weil die
Bedarfsorientierte Grundsicherung ein Einstieg in eine allgemeine
Grundsicherung haette sein koennen, ist sie sinnvoll, sondern
natuerlich auch deswegen, weil es trotz allem noch viele arme
RentnerInnen gibt, die nicht zum Sozialamt gehen - auch wenn
RentnerInnen seltener arm sind als andere Gruppen.

Waere, haette, koennte: Die Bedarfsorientierte Grundsicherung im
Alter in der Form, dass niedrige Renten auf Sozialhilfeniveau
angehoben werden, wird es nicht geben. Du hast voellig recht damit,
dass der versprochene Abbau von Huerden zum Sozialamt zu
gehen, nichts mit einer Bedarfsorientierten Grundsicherung zu tun
hat. Die Einfuehrung einer bedarfsorientierten Grundsicherung
waere aber ein wichtiger Schritt gewesen.

Darueber hinaus waere aber ein Grundsicherungsmodell in Form
einer Voll Eigenstaendigen Sicherung (wie sie von etlichen Experten
- auch in der Rentenreformkommission vertreten wird - und jetzt in
aehnlicher Form in den Vorschlaegen der IG BAU oder der PDS
auftaucht) oder ein Modell mit einer steuerfinanzierten Grundrente
als Sockel in der Altersicherung notwendig. Und mittel- bis langfristig
ist sicherlich auch ein hoeheres Niveau wichtig.

Mit solidarischen Gruessen
Wolfgang Strengmann

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