Fachbereich Finanzen / Wirtschaft / Soziales

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IG Bauen-Agrar-Umwelt Bundesvorstand
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Frankfurt am Main, 06. Juli 2000


Konzeption der
Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt für ein universelles System
der gesetzlichen Alterssicherung

Solidarität ist machbar!


Die Menschen in Deutschland sind durch die anhaltende Diskussion über die Zukunft ihrer Ren-ten tief verunsichert. Sie fürchten, daß ihre Lebensleistung nicht mehr wie bisher mit einer Rentenzahlung anerkannt wird, die sie durch ihre Arbeit erworben haben. Auf dem Rentenversicherungssystem der Zukunft lastet ein erheblicher Druck infolge der demographischen Entwick-lung, die dazu führt, daß immer weniger Erwerbstätige die Rente von immer mehr Rentnerinnen und Rentnern finanzieren müssen. So kommen heute rechnerisch auf sechzigjährige oder ältere Personen etwa 2,6 Personen im erwerbsfähigen Alter als potentielle Beitragszahler. Im Jahr 2030 werden einer Person im Alter von 60 Jahren nur noch etwa 1,4 Personen im Alter von 20 bis 60 Jahren gegenüberstehen.

Bleibt es bei dieser demographischen Entwicklung mit ihren negativen Auswirkungen auf das Rentensystem - gibt es also keine Lösung durch mehr Geburten, Zuwanderung oder eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit - müssen die damit verbunden Belastungen gerecht verteilt werden. Es gibt kein Finanzierungssystem, das diese zunehmende Belastung verhindern kann.

Die bisherigen Reformvorschläge gehen davon aus, daß trotz steigender Einkommen in der Zukunft die relative Belastung der Unternehmen nicht steigen sollte und die zusätzliche Belastung der Arbeitnehmer sich außerhalb des bewährten Solidarsystems niederschlägt. Dem stellt die IG BAU ein Konzept entgegen, das den Solidargedanken stärkt und die unabweisbaren Lasten der demographischen Entwicklung auf alle Teile der Bevölkerung verteilt.

Das jetzige System bedarf jedenfalls einer grundlegenden Reform, die auch an den bisherigen Strukturen nicht halt macht. Viele der bekannten Reformvorschläge erfassen ebenso wie das derzeitige System nur Teilbereiche der Bevölkerung und nur die abhängigen Erwerbseinkommen. Das verhindert eine ausgewogene Verteilung der wachsenden Lasten. Unser Konzept dagegen sieht eine Einbeziehung der gesamten Wohnbevölkerung sowie aller personengebundenen Einkommen vor. Es soll die Grundlage und das Rückgrat der gesellschaftlichen Altersversorgung der Zukunft bilden, nicht jedoch die bestehende und in den vergangenen Jah-ren in extremer Weise gewachsene gesellschaftliche Ungleichverteilung fortschreiben.

Im Kern besteht unser Vorschlag in einer Rückbesinnung auf das verfassungsrechtliche Gebot des sozialen Ausgleichs. Nur auf diesem sozialstaatlichen Fundament lassen sich die künftigen Belastungen fair und tragbar verteilen.
Diejenigen, die nie von Arbeitslosigkeit, Kinderpausen und Krankheit betroffen waren und in jüngeren Jahren stets Spitzeneinkünfte erzielt haben, werden aber auch über genügend Mittel verfügen, ihre gesetzliche Rente durch anderweitige Vorsorge so aufzustocken, daß sie im Alter ihren Lebensstandard erhalten können.
Unser Konzept birgt geringere Umstellungsrisiken als ein Wechsel vom Umlage- zum Kapital-deckungsverfahren oder entsprechende Ergänzungen dieses Verfahrens.

A) Einflußfaktoren auf das Rentensystem
1. Demographische Entwicklung
In den kommenden dreißig Jahren lastet auf dem Rentensystem ein erheblicher Finanzierungsdruck. Die demographische Entwicklung führt dazu, daß immer weniger Erwerbstätige die Rente von immer mehr Rentnerinnen und Rentnern finanzieren müssen. Vor allem auf Grund einer seit den siebziger Jahren sehr niedrigen Geburtenrate wird sich bis zum Jahr 2030 die Alterszusammensetzung der Bevölkerung gravierend verändern.

2. Wandel der Erwerbs- und Lebensformen
Die schrittweise Verdrängung des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses durch arbeitnehmerähnliche Selbständigkeit, neue Formen freier Berufe, Zeiten der Weiterbildung, Teilzeit und ähnliche Modelle stellt den Bestand der Beitragssysteme in Frage. Diese Entwicklung gefährdet die Finanzierung und Beitragsgerechtigkeit. Bei vielen Angehörigen der neuen Erwerbsformen entsteht zudem ein hohes Armutsrisiko, weil deren Beschäftigungen häufig kein ausreichendes Einkommen sichern, um auf dem privaten Markt eine eigene, nachhaltige Altersvorsorge zu betreiben.
Immer mehr durchbrochene Erwerbsbiografien werden künftig die Regel sein. Sie finden im heutigen Rentensystem keinen Halt mehr. Außerdem wird der Verbleib in einem Unternehmen immer kürzer. Zeiten von Erwerbslosigkeit (Arbeitslosigkeit, Familienpause, Umschulung, Qualifizierung, Sabbatical etc.) oder von Selbständigkeit wechseln mit Phasen der Erwerbstätigkeit ab. Solche Berufsleben lassen sich im heutigen Rentensystem nicht vollständig mit Rentenan-sprüchen abbilden. Damit geht der Anspruch des Systems, den Lebensstandard im Alter zu sichern, verloren.
B) Zielsetzung unserer Konzeption
Das Rentenkonzept der IG BAU berücksichtigt die oben beschriebenen Wandlungsprozesse u.a. dadurch, daß · die Basis der Beitragszahler verbreitert wird,
· alle Einkünfte rentenversicherungspflichtig werden und
· der Renteneintritt individuell flexibel gestaltet werden kann.
Das vorliegende Konzept stellt das Vertrauen von Jung und Alt in das Rentensystem wieder her. Es ist gerecht, weil es sowohl für heutige Beitragszahler als auch für die zukünftigen Rent-ner Planungssicherheit gewährleistet.
Das Konzept ist auf lange Sicht angelegt und bietet allen eine verläßliche Perspektive. Das Rentenmodell der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt sorgt für:
· Solidarität und Gerechtigkeit zwischen und innerhalb der Generationen
· Beibehaltung der paritätischen Beitragsfinanzierung
· Verminderung der lohnbezogenen Belastung von Arbeitseinkommen
· Flexibilität beim Renteneintrittsalter
· Eigenständige Rentenansprüche
· Aufbau eines Grundstocks für eine individuelle Altersvorsorge für alle
· Vermeidung von Altersarmut

Wie das heutige System, ist auch unser Modell beitragsbezogen und lehnt sich an das Versicherungsprinzip an.

 

C) Eckpunkte der Reform

1. Einbezogener Personenkreis
Es ist mit dem Grundgedanken einer solidarischen Gesellschaft nicht vereinbar, wenn einzelne Berufsgruppen - Beamte, politische Mandatsträger und Selbständige - einen Sonderstatus ein-nehmen.

Wir müssen zu einer Versicherungspflicht für alle kommen, d.h. zu einer Erweiterung der Rentenversicherung auf die gesamte Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Dies bezieht auch Beamte, politische Mandatsträger und Selbständige in die Versicherung mit ein. Damit wird die ausschließliche Bindung der Rentenversicherung an das Arbeitsverhältnis um
weitere Einkommensformen erweitert. Übergangsregelungen für bisher erworbene Pensi-ons- und andere Ansprüche müssen geschaffen werden.

2. Beitragszahlung auf alle Einkommensarten
Analog der Ausweitung des versicherten Personenkreises werden alle Einkommensarten zur Beitragszahlung herangezogen. Dazu gehören: Einkommen aus Erwerbstätigkeit, Erträge aus Vermögen, Vermietung und Verpachtung sowie alle sonstigen zu versteuernden Einkommensarten. Bei Einkommen aus abhängiger Erwerbstätigkeit ist der Rentenversicherungsbei-trag
paritätisch von Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzubringen.
Die Beitragsbemessungsgrenze entfällt.

3. Höhe des Beitragssatzes
Die Verbreiterung der Beitragsbemessungsgrundlage führt durch Ausweitung des Personen-kreises sowie der Einbeziehung aller Einkommensarten rechnerisch zu einer Beitragssenkung von 5,4 Beitragssatzpunkten, die aber durch die Übergangsregelungen erst zu einem späteren Zeitpunkt realisierbar ist. Bei einer zeitnahen Verwirklichung dieser Konzeption
ermöglicht die errechnete Beitragssenkung die Finanzierung der Übergangsregelungen der Hinterbliebenen-versorgung.
Die in den nächsten Jahrzehnten anstehenden Finanzierungsprobleme aufgrund der demografischen Entwicklung können durch den zurückgehenden Finanzierungsaufwand für die Übergangsregelung der Hinterbliebenenversorgung weitestgehend kompensiert werden.

4. Aufbau eines Grundstocks für eine eigenständige Altersversorgung
Wir streben den Aufbau eigenständiger und ausreichender Anwartschaften für alle Mitglieder der Gesellschaft an. Der Aufbau einer Grundlage für eine individuelle Altersversorgung wird dadurch ermöglicht, daß jeder in der Bundesrepublik Lebende ab dem 16. Lebensjahr einen Mindestbeitrag in Höhe von DM 200,- als Rentenversicherungsbeitrag entrichten muß. Bei unzureichenden Einkommen sind Zuschüsse erforderlich.

Damit reduziert sich die Bedeutung der Hinterbliebenenversorgung auf lange Sicht. Für die Ü-bergangszeit müssen Vertrauensschutzregelungen für die Hinterbliebenenversorgung getroffen werden. In unserem Konzept ist die derzeitige Hinterbliebenenversorgung berücksichtigt worden.

5. Rentenhöhe
Unser Rentenmodell soll bei einem durchschnittlichen Verlauf des Berufslebens eine aus-kömmliche Altersrente auf dem jetzigen Niveau (70 %) garantieren, die durch Tarif- und Betriebsrenten und freiwillige Formen der privaten Vorsorge ergänzt werden kann und soll. Auf-grund der für reine Arbeitseinkommen gegenüber heute niedrigeren Beitragshöhe schaffen wir den nötigen Spielraum für eine ergänzende Vorsorge. Wir gehen ferner davon aus, daß ein allmählicher Übergang zur nachgelagerten Besteuerung erfolgen wird. Dies bedeutet, daß sich alle Beiträge für anerkannte Vorsorgeformen künftig steuermindernd im Jahr ihrer Zahlung auswirken werden, während die Renteneinkünfte der Besteuerung unterliegen werden.

Um die Finanzierbarkeit des Systems nicht zu gefährden und den notwendigen Umverteilungseffekt erzielen zu können, muß aber auch in unserem System die maximale Rentenhöhe begrenzt werden. Deshalb schlagen wir einen maximal erzielbaren Rentenbetrag von DM 4.500,-- brutto (Kappungsgrenze bezogen auf das Jahr 2000) vor, der in den folgenden Jahren entsprechend der Entwicklung der Bruttoeinkommen dynamisiert werden sollte.

Wir sind uns bewußt, daß sich diejenigen, denen wegen ihrer erhöhten Beitragszahlungen ei-gentlich eine höhere Rente zukäme, ungerecht behandelt fühlen könnten. Das bisherige System der Rentenversicherung hat die Konsequenz, daß sich Spitzenverdiener jenseits der Beitragsbemessungsgrenze relativ um so weniger an den sozialen Lasten beteiligen müssen, je höher ihre Einkünfte sind. Diese Konsequenz ist mit dem Solidarprinzip unvereinbar. Bei all dem ist weiter zu berücksichtigen, daß alle Risiken unseres gesellschaftlichen Systems, zum Beispiel das Risiko der Arbeitslosigkeit, kinderbedingter Erwerbspausen und des vorzeitigen Gesundheitsverschleisses höchst ungleich verteilt sind.

6. Flexibler Renteneintritt
Aufgrund des beschriebenen Wandels der Lebensformen muß auch der Renteneintritt flexi-bel erfolgen. Bis zum Erreichen der heutigen Regelaltersgrenze muß ein Arbeitnehmer bis zu 50 Lebensarbeitsjahre zurücklegen. Diese hohe Zahl erreichen jedoch viele Arbeitnehmer nicht mehr oder sie werden vor dem Erreichen der Altersgrenze berufs- oder erwerbsunfähig. Daher soll ein voller Anspruch auf Altersrente bereits nach 44 beitragspflichtigen oder gleichgestell-ten Jahren entstehen,
rechnerisch beginnend mit der Vollendung des 16. Lebensjahres. Hierzu gehören Wehr- und Zivildienst, drei Jahre Ausbildungszeiten sowie Zeiten der Arbeitslosigkeit.

Die Zurechnungszeit ist auf 44 Versicherungsjahre ausgelegt. Ergänzend soll die Möglichkeit eines maximal 5 Jahre früheren Renteneintritts mit den derzeitig bestehenden versicherungsmathematischen Abschlägen von 0,3% pro Monat - also maximal 18% für 5 Jahre - bestehen. Ebenso soll es möglich sein, durch Erwerbstätigkeit über das vierundvierzigste beitragspflichtige Versicherungsjahr hinaus die individuelle Altersrente um 0,3% bis maximal zum Höchstbetrag der Kappungsgrenze zu steigern oder gegen die Jahre, für die nur Mindestversicherungsbeiträge geleistet wurden, auszutauschen.

7. Renten wegen Erwerbsunfähigkeit
Einkommensausfall wegen Erwerbsunfähigkeit muß angemessen abgesichert werden und darf später nicht mit einer niedrigeren Altersrente bestraft werden. Es soll daher kein Abschlag bei vorzeitigem Ausscheiden wegen Erwerbsunfähigkeit vorgenommen werden.
Der Rentenzahlbetrag für vollständig Erwerbsunfähige wird daher unter Berücksichtigung der Höhe der bis zum Renteneintritt geleisteten individuellen Beiträge auf 44 individuelle Beitragsjahre hochgerechnet. Bei arbeitsmarktbedingten EU-Renten erfolgt die Finanzierung der Rente und die Beitragszahlung bis zur Vollendung des 44. beitragspflichtigen Versicherungsjahres durch die Bundesanstalt für Arbeit. Anschließend wird Altersrente aus dem allgemeinen Beitragsaufkommen gezahlt.

8. Kindererziehungszeiten
Kinder sind die Zukunftssicherung unserer Gesellschaft und sichern insbesondere den Bestand des Rentenversicherungssystems. Im übrigen schließen wir uns dem Ergebnis der Koalitionsarbeitsgruppe des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung an. Diese sieht folgende Regelung vor: Niedrige Entgelte während der Zeit von der Geburt des ersten Kindes bis zur Vollendung des 10. Lebensjahres des jüngsten Kindes werden nach den Grundsätzen der Rente nach Mindesteinkommen aufgewertet. Dabei erfolgt eine Erhöhung der individuellen Entgelte um 50 Prozent auf maximal 100 Prozent des Durchschnittseinkommens, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Für Erziehende, die wegen gleichzeitiger Erziehung von zwei Kindern oder mehr nicht erwerbs-tätig sein können, wird eine Ausgleichsmaßnahme
eingeführt.
Ergänzend halten wir es für notwendig, die Erziehung von Kindern bis zu ihrem vollendeten dritten Lebensjahr in der Arbeitslosenversicherung einer durchschnittlich entlohnten Erwerbstätigkeit gleichzustellen und anwartschaftsbegründend wirken zu lassen.

Einnahmen (hypothetisch, Rentenkonzept) 1997
(Mindestbeitrag 200,- DM/mtl.)
- Mrd. DM -
Beiträge (20,3 %)
Erwerbseinkommen 357,40
Kapitaleinkünfte 15,85
Mindestbeitrag 25,72
Beiträge auf Transfers 29,65
Bundeszuschuss
AN + AR 68,90
KnRV 13,74
Vermögenserträge 0,65
Einnahmen 511,91
Ausgaben -410,00
Differenz +101,91
ca. 5,4 Beitragspunkte

Berechnung des DIW
Die Zahlen verändern sich für 2000 durch einen jetzt gültigen Beitragssatz von 19,3 % entsprechend.

Ca. 2 der hier errechneten 5,4 Beitragspunkte werden in den kommenden Jahren für die Über-gangsregelungen aus der Hinterbliebenenversorgung benötigt. Mit abschmelzendem Bedarf bei der Hinterbliebenenversorgung stehen diese Mittel zum Ausgleich der zu erwartenden Belastungen aufgrund der demografischen Entwicklung zur Verfügung.

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