Fachbereich Finanzen/Wirtschaft/Soziales

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EU plant "Revolution von oben" in der Rentenfinanzierung

von Klaus Dräger

Horst Siebert, einer der fünf "Wirtschaftsweisen" der Bundesregierung, ist ein Mann der offenen Worte. Die Politik müsse der Bevölkerung in der Altersvorsorge endlich reinen Wein einschenken, lautete sein Plädoyer im Handelsblatt (19.4.2000). Seine Botschaft an die Rentner von morgen: "Arbeite länger, hab´ weniger, spare mehr!"

In der Europäischen Kommission stößt Siebert auf offene Ohren. "Arbeite länger", so lautet auch das Credo der Brüsseler Behörde. Die Politik der Frühverrentung müsse endlich gestoppt werden. Das gesetzliche Renteneintrittsalter von 65 Jahren soll wieder zum tatsächlichen Renteneintrittsalter werden. Notfalls sei auch an eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu denken, um die Kosten der zunehmenden Überalterung in den europäischen Ländern in den Griff zu bekommen.

"Hab´ weniger" - das will Kommissionspräsident Romano Prodi zwar nicht so drastisch ausdrücken. Die Mitgliedstaaten müssten vielmehr den Anstieg der Rentenzahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung dämpfen, um Mittel für die Ausbildung der Jugend freizuschaufeln. Allerdings muss die künftige Rentnerinnengeneration dann durchaus mit geringeren Einkommen aus der umlagefinanzierten Rentenversicherung rechnen.

"Spare mehr" - diese Botschaft ist der Kern der aktuellen Pläne der Kommission für einen europäischen Binnenmarkt für zusätzliche Altersversorgungssysteme. Die einzelne Arbeitnehmerin soll künftig mehr private Vorsorge treffen. Europäische Pensionsfonds und europaweit koordinierte Betriebsrenten könnten dies erleichtern.

Für den zuständigen Kommissar Frits Bolkestein aus Holland steht dabei allerdings weniger die Anlagesicherheit der Sparer im Vordergrund. Wenn die Sicherheitsanforderungen an europäische Pensionsfonds und Betriebsrenten zu hoch geschraubt würden, könne ein europäischer Binnenmarkt für private Altersvorsorgeprodukte möglicherweise nicht genügend Schwung bekommen. Die Kommission sieht die europäischen Pensionsfonds eher als wichtigen Teil ihrer Strategie, einen integrierten europäischen Finanzmarkt in Euroland zu schaffen. Mit dem Euro als gemeinsamer Währung könnten europaweite Pensionsfonds in europäische Aktien investieren. Europäische Unternehmen wären dann in der Lage, an den Banken vorbei Geld zu leihen, um geplante Investitionen zu finanzieren. Die Pensionsfonds sollen damit helfen, eine breite "europäische Aktienkultur" zu entwickeln und die Kreditkosten der Unternehmen zu senken. Versicherungs- und Fondsunternehmen, die europaweit standardisierte Altersvorsorgeprodukte in mehren oder allen 15 Mitgliedstaaten der EU anbieten, könnten so auch ihre Verwaltungskosten und den Personalaufwand senken. Europäische Pensionsfonds werden damit als Instrument betrachtet, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Versicherungs- und Fondsbranche zu steigern.

Konservative und Liberale im Europäischen Parlament stimmen Bolkesteins Philosophie des "Lieber mehr Risiko und mehr Ertrag als zuviel ängstliches Sicherheitsdenken" unumwunden zu. Sozialdemokraten und die Mehrheit der Grünen akzeptieren den zunehmenden Umstieg auf die kapitalgedeckte Altersversorgung, fordern aber eine stärkere Regulierung europäischer Pensionsfonds und Betriebsrentensysteme. Die Fonds sollen Risiken wie z. B. Invalidität und die Versorgung von Hinterbliebenen absichern. Rentenzahlungen aus den Fonds sollen bis zum Lebensende geleistet werden und z.B. nicht etwa nach 15 Jahren eingestellt werden können. Für diese Haltung konnten sie allerdings bei einer Abstimmung im Europäischen Parlament im April keine Mehrheit gewinnen. Konservative und Liberale setzten ihren Kurs durch.

Die Vereinte Europäische Linke lehnt den angestrebten Systemwechsel zum Ausbau der kapitalgedeckten Altersvorsorge ab. Sie setzt auf eine Reform der solidarischen Rentenversicherung von innen. Der Abbau der Massenerwerbslosigkeit und eine Politik der Reichtumsumverteilung könne die nötigen finanziellen Spielräume schaffen, um Altersarmut zu bekämpfen und die gesetzliche Rentenversicherung zu konsolidieren. Mit dieser Position ist sie im Europäischen Parlament deutlich in der Minderheit.

Der heuchlerischen Debatte über "mehr Generationengerechtigkeit" in Deutschland ist durch die europäischen Vorstöße der Boden unter den Füssen weggezogen. Werden die vorliegenden Planungen umgesetzt, so kann gerade die jüngere Generation im Rentenalter eher weniger und unsicherere Einkommen erwarten. Ob es zu einer breiten öffentlichen Debatte über den schleichenden Systemwechsel in der Rentenfinanzierung via Europa kommen wird, wird auch vom Engagement der jungen Generation abhängen.

Klaus Dräger ist Fraktionsmitarbeiter der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke im Europaparlament.

 

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