Fachbereich Finanzen / Wirtschaft / Soziales

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Frank Schmidt

Persönliche Stellungnahme zum Rentenkompromiß:

Der aktuelle Koalitionsvorschlag ist kein vertretbares Modell für eine Rentenreform:

  1. grundsätzlich ist es der Einstieg in den Ausstieg der Arbeitgeber aus der paritätischen Rentenbeitragsfinanzierung - dafür besteht angesichts der in den letzten 2 Jahrzehnten ständig gewachsenen Verteilungsungerechtigkeit zugunsten der Unternehmer und Vermögenseinkommen überhaupt kein Grund.
  2. die Beiträge für die Arbeitgeber werden niedrig gehalten, die ArbeitnehmerInneneinkommen werden zusätzlich erheblich belastet - der Anreiz zur Vermeidung der Beitragspflichtigkeit durch Scheinselbständigkeit wächst.
  3. eine Gleichbehandlung der unterschiedlichen Einkommensarten findet bei der Beitragszahlung nicht statt: Vermögenseinkünfte, Einkommen von Selbständigen und Beamten werden nicht miteinbezogen, den Umgehungen der Beitragspflicht bleibt weiterhin Tür und Tor geöffnet (zum Beispiel statt Gehaltserhöhungen Aktienpakete - Dividenden sollen nach den Vorstellungen der VerfasserInnen ja offensichtlich auch künftig nicht beitragspflichtig werden); die Einnahmesituation der SV verschlechtert sich damit weiter.
  4. die bei den Ausgleichsfaktoren zulasten künftiger RentnerInnen unterstellte theoretische Rendite von 5,5 % jährlich für die private Sicherung ist - auf 40 Jahre gesehen - abenteuerlich hoch, während bei den Anlageformen gleichzeitig die unverzinste Rückzahlung nur der eingezahlten Beiträge zulässig sein soll (selbst die heutigen Kapitallebensversicherungen müssen 4 % Verzinsung garantieren und damit bei niedriger Inflation Wertstabilität). Über einen Zeitraum von 40 Jahren betrachtet kann das bedeuten, daß die ausgezahlte Privatrente tatsächlich nur 1/2 bis 1/3 der theoretisch errechneten, aber praktisch abgezogenen Summe erreicht (wer das nicht glaubt, sollte sich die Preisentwicklung in der Bundesrepublik in den letzten 40 Jahren anschauen: 1 DM hat heute noch max. 1/3 der Kaufkraft von 1961): das Ergebnis ist selbst bei moderaten Inflationsraten Altersarmut.

    Unseriöse Anbieter wie die Göttinger Gruppe/Securenta werden nebenbei ermuntert, weiterhin unvorteilhafte Rentenmodelle anzubieten, und seriöse Versicherungskonzerne könnten ihre Aktionäre weitaus höher bedienen als bisher.

    Sollte es aber gar zu einer höheren Inflation oder gar Hyper-Inflation kommen, wäre das Ergebnis schlicht katastrophal: die eingezahlten Privatbeiträge wären praktisch nichts mehr wert, die Privatrente würde dann eben nicht die Kürzungen bei der SV-Rente ausgleichen. Hierbei zeigt sich zugleich der entscheidende Nachteil des Kapitalstockverfahrens gegenüber dem inflationssichereren Umlageverfahren.
  5. der Zuschuss ist ein Witz sowohl was die Höhe als auch was die Einkommensgrenze anbelangt. Menschen mit einem Bruttoeinkommen von 35.000,- DM zahlen im Jahr 2008 DM 1.400,- Beitrag in die Zwangsprivatvorsorge und erhalten ganze 400,- DM Zuschuß. Bei einer vergleichbaren Erhöhung des Beitrags zur gesetzlichen Rente um 4%-Punkte würden sie nur 700,- DM (58,33 monatlich) zahlen müssen, da der Arbeitgeber die anderen 700,- DM zahlen müßte. Bei 35.000,- DM brutto verfügen diese Menschen schon ohne die 4%-Zusatzbeitrag ohnehin nur über ein Netto von ca. 20.000,- jährlich oder 1.666,66 DM monatlich, da kommt es auf jede Mark an. Wie man/frau bei einem solchen Einkommen noch monatlich weitere 83,33 DM für Privatvorsorge (oder wenn man/frau dummerweise 35.001,- DM verdient, ohne den Zuschuß DM 116,70 monatlich) aufbringen soll, sollen mir die VerfasserInnen dieses Konzepts bitte einmal erklären.

    Nebenbei bemerkt: Das neue Modell bedeutet für ArbeitnehmerInnen im Jahr 2030 Gesamtbeiträge von 26 % (22% SV und 4% private Vorsorge), während der Beitrag nach dem RRG 99 etwas über 24 % betragen würde, und das bei im Endeffekt identischen oder sogar schlechteren Leistungen nach dem neuen Modell, wenn nicht die vollkommen unrealistischen Renditeannahmen aufgehen.
  6. Eine Hinterbliebenenversorgung ist bei der Privatvorsorge ebenfalls nicht vorgesehen; im vorzeitigen Todesfall kassiert die (private) Versicherung die Beiträge. Während die Vererbung von sonstigem Vermögen (zum Beispiel Unternehmensbesitz) nicht infrage gestellt wird, wird bei diesem sogenannten Kapitalstockverfahren das übliche Erbrecht für ArbeitnehmerInnenhaushalte ausgeschaltet. Da ist selbst echtes Zwangssparen sozialer.
  7. Klasse ist auch, was von der bedarfsorientierten Mindest- oder Grundsicherung übrig geblieben ist: wenn man von der prinzipiell zu begrüßenden Entlastung von Eltern und Kindern einmal absieht, eigentlich nur die ganz stinknormale Sozialhilfe; zwar mit einer anderen Beantragungsstelle, aber mit der gesamten Bedürftigkeitsprüfung, der Zuständigkeit des Sozialamtes usw.
  8. Was in Zeiten der Arbeitslosigkeit/Ausbildung/Sozialhilfebedürftigkeit mit den Privatvorsorgebeiträgen (Zahlungspflicht ja/nein?; wer zahlt?) passieren soll, bleibt völlig offen; das Rechenmodell unterstellt völlig unrealistisch ständige Erwerbstätigkeit und Beitragszahlung.
  9. Vorhandene private Vorsorgeformen werden nicht angerechnet (z.B. Kapitallebensversicherungen), obwohl sie in der Praxis oft vorhanden sind. Wie soll jemand mit relativ geringem Einkommen den zusätzlichen Beitrag aufbringen oder wenn er/sie das nicht kann, wie soll er/sie ohne große Verluste aus der bisherigen Anlageform aussteigen können? Im Konzept kein Wort dazu!
  10. Die Punkte 5., 6. und 7. des Konzepts enthalten zwar teilweise richtige Ansätze - wenngleich kein Wort über die Finanzierung verloren wird: aus Beiträgen? oder aus Bundeszuschuß? -, wiegen aber die schweren Mängel des übrigen Konzeptes nicht auf. Das Gesamtkonzept ist daher kein großer Wurf, sondern setzt die Kohl´sche Umverteilungspolitik mit anderen Mitteln fort und macht es den Oppositionsparteien leicht, sich sogar noch als sozialere Kräfte auszugeben.

Muß uns erst ein Horst Seehofer sagen, daß auf die geplante steuerliche Erleichterung der Veräußerung von Beteiligungsbesitz von Banken und Versicherungen zugunsten einer steuerlichen Abzugsfähigkeit von Vorsorgebeiträgen aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit besser verzichtet werden sollte?

Wer die Rente wirklich sozial gerecht reformieren und dauerhaft sichern will, muß den Mut haben, den Aufschrei der Unternehmer und Vermögensbesitzer auszuhalten und an die Umverteilung durch Beitragspflicht für andere Einkommensarten heranzugehen, wie dies in einigen Nachbarländern üblich ist. Diesen Mut hatte die jetzige Koalition offensichtlich wieder einmal nicht bzw. vor allem beim grünen Partner in Gestalt der jetzigen BT-Fraktion mangelt es offensichtlich schon am nötigen Wollen. Wer sich als (Klein-) Aktionärs- und Unternehmerpartei im Wettstreit mit der FDP profilieren will, kann sich halt mit Sozialklimbim nicht mehr lange aufhalten (Ob es die grüne Mitgliedschaft und das StammwählerInnenpotential genauso sieht, ist der Mehrheit der BT-Fraktion ja mittlerweile ganz egal; die FDP-WählerInnen überzeugt Ihr damit aber auch nicht - die wählen weiterhin lieber gleich das Original).

Eines der für den Wahlerfolg der Koalition entscheidenden WählerInnenmotive von 1998, nämlich mehr soziale Gerechtigkeit wiederherzustellen, wird so enttäuscht. Wer seine WählerInnen ins rechte Oppositionslager, zur PDS oder zu den Nichtwählern treiben will, muß nur so weitermachen. Auch ein Kompromiß mit der CDU/CSU wird diesen verheerenden Effekt nicht wieder beseitigen können.

Das Konzept ist außerdem im Gegensatz zu früheren Rentenreformen völlig ohne die vorherige Einbeziehung der Selbstverwaltung entstanden. Die Gewerkschaften wurden überhaupt nicht gefragt. Das Konzept ist eine reine Kopfgeburt. Wundert Euch daher nicht, wenn die öffentlichen Reaktionen entsprechend heftig sind. Um nicht ihrerseits das Vertrauen ihrer Mitglieder zu verlieren, werden die Gewerkschaften und die anderen sozialen Bewegungen nicht bei moderater Kritik stehen bleiben können, sondern kommen jetzt in die Situation, immer häufiger frontal gegen die Regierungspolitik vorgehen zu müssen. Dies zeigen bereits die ersten Reaktionen in unserer Mitgliedschaft. Wollt Ihr das? Dann weiter so!

Frank Schmidt

 

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